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Gier frisst Hirn: Cyber-Trading-Betrug kostet Anleger Milliarden

(Bloomberg) -- Es begann mit einem scheinbar lukrativen Job in der Finanzbranche. Es endete in einer Drogensucht, die Tausende von Euro im Monat verschlang — und in einer Gefängniszelle.

Weitere Artikel von Bloomberg auf Deutsch:

Das ist in Kurzform die Geschichte von Tal-Jacki Z.F., einem verurteilten Cyber-Trading-Betrüger. Vor dem Landgericht München gestand er 2021, Opfer in Deutschland, Österreich und anderen Ländern um 8,7 Millionen Euro betrogen zu haben.

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Er half, hochprofessionelle Callcenter in Bulgarien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Georgien am Laufen zu halten. Mit Hilfe einer ausgeklügelten Software wurden Anleger ausgenommen. Betrügerische Websites imitierten seriöse Trading-Plattformen und gaukelten den Kunden echte Finanztransaktionen vor.

Betrügerisches Online-Trading ist ein schnell wachsender Markt. Das U.S. Federal Bureau of Investigation schätzt, dass US-Bürger im vergangenen Jahr 3 Milliarden Dollar durch solche Betrügereien verloren haben; in wohlhabenden europäischen Ländern ist die Situation ähnlich.

Die Zahl der Opfer geht in die Zehntausende und die Strafverfolgungsbehörden haben reagiert. Als größte Wirtschaft Europas ist Deutschland eines der Hauptziele. Die Strafverfolgungsbehörden schätzen, dass hier jährlich rund 1 Milliarde Euro geraubt werden.

Herzstück des Betrugs sind Callcenter, im Branchenjargon auch “Boiler Rooms“ genannt. Hier herrsche ein enormer Druck auf den Mitarbeitern, die, wenn sie einen solchen Job annehmen, zunächst oft gar nicht wissen, worauf sie sich einlassen, erzählt Tal-Jacki. Das Interview gibt er in einer Reha-Klinik unweit von München. Sein Gesicht ist von jahrelangem Alkohol- und Drogenmissbrauch gezeichnet.

Die Opfer werden mit Lockanzeigen im Internet geködert, die auch die Bekanntheit von Prominenten ausnutzen. In Deutschland tauchten beispielsweise kürzlich Banner mit gefälschten Nachrichten über Elon Musk auf. Darin wurde behauptet, er verlasse Tesla, um mit einer KI-Investmentfirma das große Geld zu machen.

Wer auf diese Werbung klickt, gerät schnell in die Fänge von Boiler Room-Mitarbeitern. Per Telefon und E-Mail werden die Kunden überredet, zunächst eine kleine Summe — etwa 250 Euro — zu investieren. Dafür werden sie mit schnellen Gewinnen belohnt. Dann werden sie weiter bearbeitet, um immer höhere Beträge einzusetzen. Die Anleger glauben, dass sie Tag für Tag Gewinne machen, denn das zeigt das „Konto“ auf dem Webportal an. Doch wenn sie das vermeintliche Portfolio zu Geld machen wollen, ist nichts mehr da.

“Der Kunde denkt, er macht eine echte Transaktion”, sagte Tal-Jacki. “Alles sieht ja echt aus. Wenn man es mit anderen Tradingwebsites, Bloomberg oder was auch immer, vergleicht, man sieht dieselben Zahlen.”

Viele seiner Boiler-Room-Kollegen wurden inzwischen verhaftet. Andere Täter sind weiter im Geschäft — aber auch im Visier der Strafverfolgungsbehörden. Einer der Chefermittler ist Nino Goldbeck. Der 43-Jährige ist Oberstaatsanwalt bei der Zentralstelle Cybercrime Bayern in Bamberg.

In den vergangenen zwei Jahren war Goldbeck fast ständig unterwegs, um an Razzien in Albanien, Bulgarien, Serbien oder im Kosovo teilzunehmen. Dutzende Beschuldigte wurden dabei festgenommen. Sein Engagement hat in der Szene Eindruck hinterlassen — und er hat in den weitgehend national organisierten Strafverfolgungsbehörden den Gedanken vorangetrieben, dass nur internationale Ermittlerteams grenzüberschreitend agierenden Kriminellen das Handwerk legen können.

Die deutsche Justiz hat einige Erfolge vorzuweisen, nicht nur in Bayern. Das Landgericht Saarbrücken verurteilte im vergangenen Jahr einen „Manager“ eines großen Callcenters zu 12 Jahren Haft. Der Boiler Room im Kosovo beschäftigte zeitweise mehr als 400 Mitarbeiter, die in weniger als drei Jahren rund 32 Millionen Euro von ihren deutschen Opfern abzockten.

Solche Callcenter sind wie moderne Unternehmen organisiert. Es gibt ein differenziertes Management und eine Buchhaltung. Manche haben schicke Büros, zahlen vor Ort Steuern und bieten Arbeitsplätze.

Tal-Jacki, der von Goldbeck gefasst und angeklagt wurde, arbeitete für den Israeli Gal Barak, den “Wolf von Sofia”, einen in der Szene bekannten Boiler-Room-Betreiber. Barak verdankt seinen Spitznamen der bulgarischen Hauptstadt, von der aus er sein Betrugsimperium aufgebaut haben soll. Sein Callcenter warb mit einem großen Werbebanner am Flughafen von Sofia.

Intern herrschten raue Sitten, berichtet Tal-Jacki. Barak habe sich irgendwann bewaffnete Leibwächter zugelegt und ein strenges Regiment geführt.

“Einmal hat das Büro nicht den Profit gebracht, den er erwartet hatte”, sagte Tal-Jacki über Barak. “Also brachte er jemanden mit einem Lügendetektor, um alle Angestellten zu überprüfen und uns zu kontrollieren, ob wir ihm gegenüber loyal sind.”

Tal-Jacki begann, täglich zwei bis drei Liter Whisky zu trinken und zwei bis drei Gramm Kokain zu konsumieren. Gelegentlich nahm er auch Heroin. Heute befindet er sich in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung.

“Von diesem Moment an war es, als würde ich ohne Fallschirm fallen”, erzählt er.

Bürojob

Aufgabe von Mitarbeitern wie Tal-Jacki ist es, Kunden zu kontaktieren, die sich auf einer der zahlreichen Websites mit Namen wie “Zoomtrader“ oder “Option888“ angemeldet haben. Sie müssen überredet werden, Geld zu investieren. Die Kunden werden dann an andere Mitarbeiter weitergeleitet, die als “Anlageberater” auftreten und in psychologischen Manipulationstechniken geschult sind.

Den Kunden wird vorgegaukelt, ihr Geld werde in Finanzprodukte investiert: Devisen, Aktien, Anleihen, Kryptowährungen bis hin zu Derivaten. Die Software auf der Webseite zeigt Gewinne oder Verluste an, die aber vom System nach Bedarf manipuliert werden. Mit dem Geschehen auf den realen Kapitalmärkten haben diese „Daten“ nichts zu tun.

Das eingezahlte Geld ist immer weg. Manche Anleger glauben sogar, dass sich einfach nur das Marktrisiko realisiert habe.

“Auf die Art der angebotenen Geldanlage kam es letztlich nicht an”, schrieben die Saarbrücker Richter. “Das einzige Ziel der Bande war es, so viel Kundengeld wie möglich zu bekommen, um sich zu bereichern.”

Inzwischen gibt es mehrere Spielarten dieser Betrugsmasche. Von Asien aus operieren Gruppen, die ihre Opfer über Dating-Apps kontaktieren. Eine Berlinerin, deren Name hier zum Schutz ihrer Identität nicht genannt wird, hat dabei ihre gesamten Ersparnisse verloren.

Als die 45-Jährige vor einem Jahr die Diagnose Brustkrebs erhielt, brach für sie eine Welt zusammen. Sie suchte nach einem positiven Halt und meldete sich bei einer Online-Dating-Plattform an. Schon bald lernte sie einen netten Mann mit asiatischem Hintergrund kennen. Es entwickelte sich eine intensive Chat-Beziehung. Seine Worte hätten ihr gut getan, erzählt sie.

Die Frau stellte seine Erklärungen, warum die beiden sich nicht persönlich treffen konnten, nicht groß infrage. Er gab vor, er sei in der Weinbranche tätig und müsse häufig in New York sein. Als sie irgendwann über eine gemeinsame Zukunft sprachen, brachte er den Kauf eines Hauses ins Spiel und schlug vor, in Kryptowährungen zu investieren, um das Geld dafür zu verdienen.

Er machte die Berlinerin mit einer Handelsplattform bekannt, auf der sie erst einmal 100 Euro einzahlte. Als ziemlich schnell 200 Euro daraus wurden, die auf ihr Bankkonto ausgezahlt wurden, machte sie weiter und investierte immer mehr. Irgendwann nahm sie dafür sogar einen Kredit in Höhe von 60.000 Euro auf.

Als ihr vermeintliches Kryptowährungskonto im Januar einen Wert von 900.000 Euro aufwies, wollte sie das Geld abheben. Zunächst verlangte die Plattform dafür eine Gebühr. Dann hieß es, es gebe eine Verzögerung, weil derzeit viele Kunden Geld abheben würden.

Schließlich war die Platform offline. Ihre Chat-Bekanntschaft konnte sie nicht mehr erreichen. Alles in allem verlor sie 159.000 Euro.

Ihre Geschichte ist nur eine von vielen. Das Landgericht Koblenz verurteilte im März sieben Männer und Frauen wegen Beteiligung an einem Cybertrading-Betrug. Nachdem der Vorsitzende Richter Thomas Metzger die Haftstrafen von bis zu sieben Jahren verkündet hatte, verlas er eine lange Liste mit den Namen der Geschädigten.

Darauf standen die Namen von rund sechzig Männern und Frauen und die Summen, die sie verloren hatten. Manchmal waren es nur ein paar tausend Euro. Bei anderen ging der Schaden in die Hunderttausende. Mehr als 500.000 Euro verlor ein Direktor einer Filiale der Deutschen Bank.

Richter Metzgers Kommentar: “Gier frisst Hirn.”

Goldbeck kennt viele Opferlisten, und er weiß, dass sie noch wachsen werden.

“Wir bekommen jeden Tag neue Anzeigen”, sagt er. “Der Sektor boomt.”

Im Juni erstritt seine Einheit vor dem Landgericht Bamberg eine weitere Verurteilung. Ein Strafprozess begann im Juli, ein weiterer ist für September angesetzt.

Um diese Kriminalität wirksam zu bekämpfen, sei die internationale Zusammenarbeit entscheidend, so Goldbeck.

“Die Täter kennen keine Grenzen”, sagte er im Juni, als er den “Bul le Mérite“, eine Auszeichnung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, für seine Verdienste im Kampf gegen Cyber-Trading-Betrug erhielt. “Sie ignorieren sie einfach.”

Überschrift des Artikels im Original:Germany Hunts for Cyber Criminals Amid Billion-Euro Scams

--Mit Hilfe von Jody Megson.

(Wiederholung vom Samstag)

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