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Ghosn bringt mit seiner spektakulären Flucht seinen Anwalt in die Bredouille

Junichiro Hironaka ist ein Verteidiger mit legendärem Ruf. Doch sein Mandant Carlos Ghosn beschert ihm einen ernsten Interessenkonflikt.

Zuerst schien es, als hätte Japans Staranwalt Junichiro Hironaka seinen prominentesten Mandanten verloren. Nach seiner spektakulären Flucht setzte sich Carlos Ghosn, der ehemalige Chef der Nissan-Renault-Allianz, in den Libanon ab und entzog sich so dem Zugriff der japanischen Justiz. Aber nun wird Hironaka wohl noch länger in Ghosns Sold bleiben.

Die internationale Polizeibehörde Interpol hat dem Libanon einen internationalen Haftbefehl für den flüchtigen Automanager überstellt. Der dortige Justizminister Albert Serhan stellte zwar bereits klar, dass er den Flüchtling nicht ausliefern werde, denn es gibt kein entsprechendes Abkommen mit Japan. Aber er deutete an, das Land werde „seine Pflichten“ erfüllen – und so könnten Ghosn nun in seinem Heimatland Libanon Verhöre und ein Prozess drohen.

Für Hironaka geht damit ein Albtraum in die nächste Runde, der am Dienstagmorgen um fünf Uhr begann, als ein Journalist ihn aus dem Bett klingelte. Ob er etwas zur Flucht seines Mandanten sagen wolle, fragte dieser ihn. Hironaka konnte die Botschaft zunächst kaum glauben und gab später verdattert zu Protokoll, dass er erst aus den Medien vom Verschwinden seines Mandanten erfahren habe.

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Bisher verdichtet sich folgendes Bild: Ghosn lud zu Weihnachten eine Musikgruppe in seine Tokioter Wohnung ein, in der er seit seiner Freilassung auf Kaution unter strengen Sicherheitsvorkehrungen lebte. Doch bei den Musikern handelte es sich offenbar um eine paramilitärische Gruppe, die Ghosn in einem Instrumentenkasten aus der Wohnung schmuggelte.

Der japanische Sender NHK meldete an diesem Freitag jedoch, dass Ghosn beim Verlassen seiner Wohnung von einer Überwachungskamera gefilmt worden sei. Die Aufnahmen zeigen demnach, wie er gegen Mittag alleine das Haus verlässt.

Über die Türkei ist Ghosn nach diesem Coup in den Libanon weitergeflogen. In Ankara wurden in diesem Zusammenhang bereits vier Piloten, der Manager einer Logistikfirma und zwei Flughafenmitarbeiter als vermeintliche Helfer Ghosns inhaftiert. Als Drahtzieherin der Flucht wird Ghosns Frau Carole genannt.

Pässe in Verwahrung

Hironaka indessen muss sich verstärkt Fragen zu seiner Rolle in dem Thriller stellen. Zuerst hatte der Rechtsanwalt vermutet, Ghosn sei unter falschem Namen ausgereist, und darauf verwiesen, dass er selbst die drei Pässe des Kosmopoliten verwahre: einen französischen, einen brasilianischen und einen libanesischen. Dazu steht jedoch im Widerspruch, dass Ghosn laut libanesischen Quellen mit einem französischen Pass einreiste.

Die türkische Privatjet-Firma MNG Jet behauptet an diesem Freitag, die Jets des Unternehmens seien bei der Flucht illegal benutzt worden. Ein Mitarbeiter habe zugegeben, Unterlagen gefälscht zu haben, indem er den Namen von Ghosn nicht in die offiziellen Unterlagen aufgenommen habe. Nun hat die Firma Anzeige erstattet.

Es sieht ganz danach aus, als sei Hironaka in einen Interessenkonflikt geraten – einerseits muss er sich als Anwalt konform zu den Prinzipien der japanischen Gerichtsbarkeit verhalten, andererseits ist er aber auch seinem prominenten Mandanten Ghosn gegenüber verpflichtet. Was ihn allerdings zunächst nicht daran hinderte, dessen Flucht als „unverzeihliche Handlung“ zu geißeln.

Dass sich Ghosn dem Zugriff der japanischen Justiz entzieht, die ihm wegen Verstößen gegen Finanzmarktgesetze und Untreue den Prozess machen will, kann er offiziell nicht gutheißen. Doch dann ergänzte Hironaka, so, als wolle er trotz dieser Kritik seine Loyalität zu Ghosn unter Beweis stellen: „Ob ich verstehen kann, warum er geflohen ist, ist eine andere Sache.“

Mit dieser Äußerung kritisierte Ghosns Anwalt indirekt das japanische Justizsystem und spielte auf ein zentrales Argument des ehemaligen Automanagers an. Denn der betonte nach seiner Flucht, er sei Geisel eines manipulierten Justizsystems gewesen, in dem es keine Unschuldsvermutung gebe. „Ich bin nicht vor der Gerechtigkeit geflohen“, so Ghosn, „sondern Ungerechtigkeit und politischer Verfolgung entkommen.“

Der 74-jährige Hironaka weiß, wovon der Flüchtige spricht. In mehr als 99 Prozent der Prozesse werden Angeklagte in Japan schuldig gesprochen. Der ehemalige Vorsitzende von Japans Menschenrechtsvereinigung spricht gar von „Geiseljustiz“: Staatsanwälte können Verdächtige bis zu 23 Tage ohne Beisein von Rechtsanwälten verhören, um ein Geständnis zu erzwingen. Und wenn die Zeit nicht reicht, werden viele, wie auch bei Ghosn geschehen, unter neuen Vorwürfen erneut verhaftet.

Der ehemalige Starmanager saß insgesamt 120 Tage in Haft. Dass er zuletzt in seiner Wohnung unter Hausarrest leben konnte, verdankte er Hironakas kämpferischem Einsatz. Der Anwalt beschuldigte die Ermittler nicht nur, mit Nissan konspiriert zu haben, um Carlos Ghosn mit fadenscheinigen Vorwürfen zu stürzen. Er warf der Staatsanwaltschaft auch offen „illegales Fehlverhalten“ vor.