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Geld oder Freizeit? Chemie-Gewerkschaft fordert Wahloption für Beschäftigte

Die IG BCE will erwirken, dass die Branche mit einer Wahloption nachzieht. Ein „persönliches Zukunftskonto“ soll den Beschäftigten mehr Selbstbestimmung bieten.

Die Eisenbahner haben sie, die Metaller haben sie – jetzt soll es auch in der Chemischen Industrie eine Wahloption zwischen mehr Geld und mehr Freizeit geben. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) will mit der Forderung nach einem „persönlichen Zukunftskonto“ in die Tarifverhandlungen für die rund 580.000 Beschäftigten der Branche ziehen. Das sieht die Forderungsempfehlung vor, die der Hauptvorstand am Dienstag beschlossen hat. Die Tarifkommission muss dieser Empfehlung noch zustimmen.

Es gehe um „eine neue Form von Selbstbestimmung“, sagt der für Tarifpolitik zuständige IG-BCE-Vorstand Ralf Sikorski. Der Wunsch nach mehr Zeit rangiere in der Prioritätenliste der Beschäftigten ganz oben. Die Gewerkschaft fordert deshalb, dass jeder Beschäftigte 1000 Euro auf ein persönliches Zukunftskonto erhält. Der Betrag soll jährlich gezahlt werden – und entsprechend der Tarifsteigerungen wachsen.

Geht es nach der IG BCE, sollen die Arbeitnehmer den Betrag individuell einsetzen dürfen, etwa für mehr Freizeit. Laut Sikorski entsprechen die 1000 Euro je nach Tarifgruppe zwischen vier und acht zusätzlichen freien Tagen. Das Geld kann aber auch für ein Sabbatical – einen verlängerten Sonderurlaub – angespart, für Qualifizierung genutzt oder auf das Lebensarbeitszeitkonto Chemie eingezahlt werden, aus dem sich Altersteilzeit finanzieren lässt.

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Im letzten Tarifabschluss vom September vergangenen Jahres hatte die IG BCE mit dem Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) eine „Roadmap Arbeit 4.0“ vereinbart und daraufhin Gespräche über eine Modernisierung der Tarifverträge geführt. In der jetzigen Tarifrunde will die Gewerkschaft nun Nägel mit Köpfen machen.

Neben dem Zukunftskonto fordert die IG BCE „reale spürbare Einkommensverbesserungen“ für Beschäftigte und Auszubildende, ohne diese genauer zu beziffern. Es sei zwar ein konjunktureller Dämpfer spürbar, von Krise könne aber keine Rede sein, sagte Sikorski. Derzeit reicht die Verdienstspanne in der Branche von rund 36.000 Euro im Jahr in der niedrigsten bis knapp 81.000 Euro in der höchsten Tarifgruppe.

Allerdings ist der Spielraum für eine Tabellenerhöhung begrenzt, weil die Gewerkschaft neben dem Zukunftskonto auch noch eine tarifliche Pflegezusatzversicherung durchsetzen will. Mit dem Modell, das bereits mit einem Haustarifvertrag beim Konsumgüterkonzern Henkel erprobt wurde, wolle man einen Beitrag zu einer wichtigen gesellschaftspolitischen Frage leisten und nicht auf die Politik warten, sagte Sikorski.

Wahloptionen gibt es bereits in anderen Branchen

Den Basistarif der neuen Versicherung sollen nach den IG BCE-Vorstellungen die Arbeitgeber allein finanzieren. Bei Henkel werden dafür Mittel aus dem tariflichen Demografiefonds genutzt, in den die Arbeitgeber pro Jahr und Beschäftigten 750 Euro einzahlen. Zusatzmodule sollen die Versicherten dann auf Wunsch aus eigenen Beiträgen finanzieren können.

Außerdem strebt die Gewerkschaft noch eine Qualifizierungsoffensive in den Betrieben an, mit der sie unter anderem Anreize für die Beschäftigten setzen will, sich weiterzubilden. Alle vier Kernforderungen müssen zu einem Gesamtpaket geschnürt werden, das am Ende das Volumen des Abschlusses bestimmt.

Wahloptionen zwischen Geld und Freizeit, wie sie jetzt in der Chemischen Industrie Einzug halten sollen, gibt es bereits in anderen Branchen. So stellt ein Tarifvertrag zwischen der Deutschen Bahn und den Gewerkschaften EVG und GDL Eisenbahnern frei, auf einen Teil der Entgelterhöhung zu verzichten und dafür eine kürzere Wochenarbeitszeit oder mehr Urlaubstage zu wählen.

In der Metall- und Elektroindustrie gilt ein ähnliches Modell für Eltern kleiner Kinder, Beschäftigte mit pflegebedürftigen Angehörigen und bestimmte Schichtarbeiter. Außerdem können alle Beschäftigten ihre Arbeitszeit auf Wunsch befristet auf bis zu 28 Wochenstunden reduzieren. Die Metall-Arbeitgeber hatten allerdings Veto- und neue Ausgleichsrechte durchgesetzt, um das ausfallende Arbeitsvolumen kompensieren zu können.

Dieser Punkt dürfte auch die Verhandlungen in der Chemie-Tarifrunde bestimmen. Laut Sikorski haben die Arbeitgeber aber genug Möglichkeiten, für Ausgleich zu sorgen. So gibt etwa das Potsdamer Modell für die Chemiebranche in Ostdeutschland und Berlin den Geschäftsleitungen und Betriebsräten die Möglichkeit, die wöchentlichen Arbeitszeiten per Betriebsvereinbarung in einem Korridor von 32 bis 40 Stunden festzulegen.

Außerdem können die Betriebsparteien eine individuelle Wahlarbeitszeit ab 32 Stunden regeln, die befristet gilt und nach Ablauf für den Beschäftigten eine automatische Rückkehr zur betrieblichen Arbeitszeit bedeutet. In Westdeutschland kann auf betrieblicher Ebene um bis zu zweieinhalb Stunden nach oben oder unten von der tariflichen Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden abgewichen werden.

Am 19. September beschließt die Bundestarifkommission der IG BCE die endgültigen Forderungen, am 30. September starten die Gespräche zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern in den regionalen Tarifbereichen. Am 21. Oktober wechseln beide Seiten zu zentralen Verhandlungen auf die Bundesebene.