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„Europa darf sich niemals einigeln, abschotten und zurückziehen“

Vor dem EU-Gipfel hat sich Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag erklärt: Dort betont sie die Bedeutung von Freihandel, sieht Probleme in der EU-Flüchtlingspolitik – und äußert sich zum Streit mit der Türkei.

Kanzlerin Angela Merkel wird heute in Brüssel erwartet: Beim zweitägigen EU-Gipfel muss Europa an seiner Zukunftsfähigkeit arbeiten. Denn in der EU liegt einiges im Argen: Die Flüchtlingsfrage spaltet die Union, die Abschottungspolitik vieler Länder belastet die Beziehungen. Als wäre das noch nicht genug, wird das angespannte deutsch-türkische Verhältnis zur Machtprobe.

Ausreichend Themen für Merkels Regierungserklärung am Donnerstagmorgen im Bundestag. So betonte die Kanzlerin, dass sie ein starkes Interesse an engen deutsch-türkischen Beziehungen trotz der zur Zeit „tiefen und ernsthaften Meinungsverschiedenheiten“ habe. „So unzumutbar manches ist – unser außen- und geopolitisches Interesse kann eine Entfernung der Türkei nicht sein.“ Der Streit betreffe allerdings Grundsätzliches, etwa Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit in der Türkei. „All das legt die ganze Bundesregierung in all ihren Gesprächen wieder und wieder auf den Tisch“, so die Kanzlerin.

Merkel ging auch auf die jüngsten Nazi-Vergleiche türkischer Regierungspolitiker ein. Dies sei „so deplatziert“, dass man es eigentlich gar nicht kommentieren müsse. Ein Zusammenhang mit den Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus sei „auf gar keinen Fall“ zulässig. Solche Vergleiche müssten aufhören, auch im Ringen um das türkische Verfassungsreferendum für eine noch stärkere Stellung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Diese Reform nannte Merkel „mehr als problematisch“. Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland seien gleichwohl möglich, sofern sie angekündigt seien und genehmigt werden könnten.

Die Türkei braucht Deutschland schließlich auch als wichtigen Partner in der Flüchtlingspolitik. Noch hält der Pakt, Millionen Migranten halten sich derzeit in der Türkei auf. Allerdings droht Präsident Erdogan regelmäßig damit, die Grenzen nach Europa zu öffnen.

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Merkel dringt in ihrer Rede daher auf mehr gemeinsame Anstrengungen der EU, um Fluchtbewegungen nach Europa einzudämmen. Es liege noch zu viel zu sehr im Argen, sagte sie in einer Regierungserklärung. So sei die Lage der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln weiterhin unbefriedigend. Auf dem Mittelmeer seien quasi tagtäglich Todesfälle zu beklagen. Der Kampf gegen Schlepper müsse daher oberste Priorität haben. Zusammen mit dem Schutz der EU-Außengrenzen und dem Kampf gegen Fluchtursachen rette dies ganz konkret Leben. Merkel warb für weitere Kooperationen mit Herkunfts- und Transitländern nach dem Vorbild des umstrittenen EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei.

Außerdem machte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Erklärung für einen stärken Freihandel stark. Notwendig sei in Europa eine Handelspolitik, die auf freien Handel setze. „Europa darf sich niemals einigeln, abschotten und zurückziehen. Europa muss sich seine Offenheit in der Welt bewahren“, sagte Merkel. Europa müsse seine Interessen im Handel entschlossen gegen Protektionismus verteidigen, wo immer dies notwendig sei.

Die Kanzlerin lobte in dem Zusammenhang das Ceta-Freihandelsabkommen mit Kanada. Das Ergebnis könne sich sehen lassen. Auch mit anderen Partnern sollten die Verhandlungen über derlei Abkommen zügig fortgeführt werden. Deutschland sei in besonderer Weise darauf angewiesen, guten Zugang nicht nur zum europäischen Binnenmarkt, sondern auch zu den Weltmärkten zu erhalten.


Grüne T-Shirt-Aktion für den inhaftierten Deniz Yücel

Zu Beginn der Sitzung im Bundestag hatte Parlamentspräsident Norbert Lammert die Türkei vor der „Entwicklung zu einem zunehmend autokratischen Staat“ gewarnt. Ein solcher Staat entferne sich „immer weiter von Europa, seinen Überzeugungen und demokratischen Standards“, sagte der CDU-Politiker. Lammert betonte mit Blick auf jüngste Äußerungen türkischer Regierungspolitiker über Deutschland: „Wer dieses Land öffentlich verdächtigt, Nazi-Methoden anzuwenden, wenn seine Behörden und gewählten Repräsentanten im Rahmen unserer Verfassungsordnung handeln, disqualifiziert sich selbst.“ Zudem erwarte man „von jeder ausländischen Regierung, und schon gar von jedem Partnerland, dass es die Rechte, die ihre Vertreter bei uns in Anspruch nehmen, auch ihren eigenen Landsleuten zuhause in gleicher Weise garantieren“.

Lammert fügte hinzu: „Hierzulande kann jeder seine Meinung sagen, auch ausländische Gäste. Wir aber auch.“ Deswegen werde Deutschland „gerade auch im Interesse unserer türkischen Mitbürger, die zugleich deutsche Staatsbürger sind“, auf Fehlentwicklungen in der Türkei hinweisen.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann warnte davor, den Streit eskalieren zu lassen. Erdogan suche mit seinen Provokationen die Auseinandersetzung und ein Feindbild. „Ich finde, dabei sollten wir ihm nicht helfen.“ Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagte: „Ein Land, dessen Repräsentanten sich so verhalten wie Erdogan, braucht sich nicht wundern, wenn der Tourismus zurückgeht. In einem solchen Land wollte ich auch nicht Urlaub machen.“

Linken-Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, forderte angesichts der deutsch-türkischen Kontroversen von Kanzlerin Angela Merkel mehr Initiative auf europäischer Ebene. Er erwarte von ihr zusammen mit den europäischen Staats- und Regierungschefs Kritik an Ankara, aber auch einen Plan, um aus der schwierigen Lage herauszukommen. Zudem müsse Merkel ihre Möglichkeiten nutzen, Waffenexporte an ein Land wie die Türkei zu stoppen – dies habe schließlich auch ihr Vorgänger Helmut Kohl (CDU) einst getan.

Abgeordnete der Grünen demonstrierten im Plenum des Bundestags für die Freilassung des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel demonstriert. Drei Parlamentarier um den Berliner Abgeordneten Özcan Mutlu standen nach der Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag von ihren Plätzen auf – und trugen weiße T-Shirts mit der Forderung „#Free Deniz“. Bundestagspräsident Norbert Lammert forderte sie auf, gemäß der Hausordnung mit den T-Shirts den Saal zu verlassen.

Grünen-Chef Cem Özdemir forderte anschließend die in Deutschland lebenden Türken auf, beim türkischen Verfassungsreferendum mit Nein zu stimmen. „Unsere Demokratie ist nicht dazu da, in der Türkei eine Diktatur zu errichten“, sagte der türkischstämmige Politiker im Parlament. „Nehmt den Menschen in der Türkei nicht die Freiheit, die ihr hier in unserem Land gemeinsam mit uns genießt.“ Präsident Recep Tayyip Erdogan will mit einer Volksbefragung über die Einrichtung eines Präsidialsystems im April seine Macht ausbauen. Auch rund 1,4 Millionen Türken in Deutschland dürfen abstimmen.

KONTEXT

Die geplante Verfassungsreform für ein Präsidialsystem

Posten des Ministerpräsidenten wird abgeschafft

Der Präsident wird nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Amt des Ministerpräsidenten entfällt. Der Präsident darf künftig einer Partei angehören. Er wird nicht mehr vom Parlamentspräsidenten, sondern von einer vom Präsidenten zu bestimmenden Zahl an Vizepräsidenten vertreten. Der Präsident ist für die Ernennung und Absetzung seiner Stellvertreter und der Minister zuständig.

Regieren per Dekret

Der Präsident kann Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, die mit Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten. Eine nachträgliche Zustimmung durch das Parlament (wie im derzeit geltenden Ausnahmezustand) ist im Entwurf nicht vorgesehen. Die Dekrete werden unwirksam, falls das Parlament zum Thema des jeweiligen Erlasses ein Gesetz verabschiedet. Per Dekret kann der Präsident auch Ministerien errichten, abschaffen oder umorganisieren.

Wahlen werden neu geregelt

Das Parlament und der Präsident werden künftig am selben Tag für die Dauer von fünf Jahren vom Volk gewählt, und zwar erstmals am 3. November 2019. Die zeitgleiche Wahl erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der jeweilige Präsident über eine Mehrheit im Parlament verfügen wird. Die Amtsperioden des Präsidenten bleiben auf zwei beschränkt. Die Zahl der Abgeordneten steigt von 550 auf 600. Parlamentarische Anfragen gibt es nur noch zu (im Entwurf nicht näher definierten) bestimmten Themen und nur an die Vizepräsidenten und Minister.

Mehr Einfluss auf die Justiz

Der Präsident bekommt auch mehr Einfluss auf die Justiz: Im Rat der Richter und Staatsanwälte kann der Präsident künftig fünf der zwölf Mitglieder bestimmen, das Parlament zwei weitere. Bislang bestimmen Richter und Staatsanwälte selber die Mehrheit der (derzeit noch 22) Mitglieder des Rates. Das Gremium ist unter anderem für die Ernennung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten zuständig.

Oberbefehlshaber der Streitkräfte

Der Präsident bleibt Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Der Zusatz, dass er diese Aufgabe im Auftrag des Parlaments ausführt, entfällt.

KONTEXT

Der Zehn-Punkte-Plan zur Eindämmung der Migration aus Afrika

1.

Mehr Unterstützung für die libysche Küstenwache (Ausbildung, Ausrüstung).

2.

Bündelung aller zur Verfügung stehenden Kräfte, um das Geschäftsmodell der Schleuserbanden zu zerstören.

3.

Unterstützung von lokalen libyschen Gemeinschaften, die Migranten aufnehmen.

4.

Aufbau von sicheren und angemessenen Aufnahmeeinrichtungen in Libyen - zusammen mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der internationalen Organisation für Migration (IOM).

5.

Förderung von Projekten, die Migranten dazu bringen sollen, freiwillig in ihre Heimatländer zurückzukehren (IOM).

6.

Ausbau von Informationskampagnen, die über die Gefahren der illegalen Migration aufklären.

7.

Förderung von Projekten, die wieder eine bessere Kontrolle der Grenzen zwischen Libyen und seinen Nachbarländern ermöglichen.

8.

Überwachung möglicher Alternativrouten.

9.

Unterstützung von bilateralen Initiativen, die positive Entwicklungen in Libyen anstoßen sollen.

10.

Engere Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten Libyens - auch mit dem Ziel, nicht schutzbedürftige Menschen dorthin zurückschicken zu können.