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Ende des Lockdowns – London will wieder zur Normalität zurückkehren

Die Weltmetropole soll aus dem Corona-Schlaf erwachen. Doch nach zwei Monaten Ausgangsbeschränkungen könnte das zu einem langen Prozess werden.

Mit Mundschutz und Schutzkleidung im U-Bahn-Depot. Foto: dpa
Mit Mundschutz und Schutzkleidung im U-Bahn-Depot. Foto: dpa

Die Londoner City bereitet sich auf das Ende des Lockdowns vor. Auf den Straßen um die Bank of England werden derzeit die Bürgersteige verbreitert. So können die Banker besser Abstand halten, wenn sie in ihre Büros in dem historischen Finanzviertel zurückkehren. Ab nächster Woche werden zudem sechs Durchgangsstraßen ganz oder teilweise für den Autoverkehr gesperrt, die Fahrbahnen sind dann für Fußgänger und Radfahrer reserviert.

Nach zwei Monaten Ausgangsbeschränkungen soll die Neun-Millionen-Stadt allmählich aus dem Corona-Schlaf erwachen. Premierminister Boris Johnson ermutigt alle, die nicht im Homeoffice arbeiten können, wieder zur Arbeit zu gehen. Im Juni sollen auch die ersten Geschäfte wieder öffnen und einzelne Klassen in die Schulen zurückkehren.

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Doch lässt sich der Schalter nicht so leicht umlegen. Allein im Finanzsektor, der sich auf die beiden Viertel City und Canary Wharf verteilt, arbeiten rund 300.000 Menschen. Unter Corona-Bedingungen ist für so viele Menschen schlicht kein Platz – weder in der U-Bahn noch auf dem Bürgersteig, ganz zu schweigen vom Lift im Büro. Verkehrsplaner und Arbeitgeber müssen umbauen und umdenken.

Die Bürgersteige in den alten Gassen seien so eng, dass an manchen Stellen eine „Gefahr für die Öffentlichkeit“ bestehe, heißt es in einem Planungsdokument der Bezirksverwaltung. Daher sollen Fahrbahnen nun zu Fußgängerzonen werden. Um die Hygieneregeln einzuhalten, sei es auch mittelfristig nötig und wünschenswert, die Zahl der Büroarbeiter an jedem Tag zu begrenzen, schreiben die Planer.

Der moderne Bürokomplex Canary Wharf, der in den Achtzigerjahren in den Docklands errichtet wurde, ist im Alltag sogar noch dichter bevölkert als die City. Pro Arbeitnehmer stehen hier laut der Immobilienfirma Knight Frank nur zehn Quadratmeter zur Verfügung.

Vollbesetzte Büros gehören der Vergangenheit an

Mit den geltenden Abstandsregeln von zwei Metern könne man höchstens die Hälfte der Mitarbeiter zurückholen, sagte Howard Dawber, Strategiechef des Eigentümers Canary Wharf Group, der „Financial Times“. In den Wolkenkratzern sind unter anderem die Europazentralen der Großbanken HSBC, Barclays, Citi und JP Morgan untergebracht.

Die Canary Wharf hat ihre Mieter gerade über neue Regeln informiert: Maximal vier Personen pro Fahrstuhl, weniger Mobiliar, Einbahnsysteme in den Fluren und eine reduzierte Toilettenzahl. Auf den Herrentoiletten hängt bereits über jedem zweiten Urinal und über jedem zweiten Waschbecken ein Schild „geschlossen“. Auf dem Boden geben Pfeile die korrekte Gehrichtung vor.

Die Mieter geben sich keinen Illusionen hin. Die Vorstellung, dass 7000 Menschen in einem Hochhaus arbeiten, gehöre wohl der Vergangenheit an, bemerkte Barclays-Chef Jes Staley kürzlich. Er will seine Investmentbanker künftig stärker verteilen – auch auf gewöhnliche Bankfilialen. Zu den Details ihrer Rückkehrpläne hüllen sich Barclays und HSBC jedoch in Schweigen.

Noch sind die Straßen vor den gläsernen Fassaden wie ausgestorben, von einer Rückkehr zur Normalität ist nichts zu spüren. „Die Banker sind alle im Homeoffice“, sagt Ivano, der den Falafelstand „Garbanzos“ betreibt.

Der junge Italiener hat seinen Foodtruck auf dem Canada Square vergangene Woche wieder aufgeklappt, doch der Umsatz liegt 90 Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau. „Es ist traurig“, sagt er. Das Zuhausebleiben seiner Kunden sei angesichts der 35.000 Corona-Toten in Großbritannien allerdings verständlich. Eine Prognose, wann die Banker zurückkehren, wagt er nicht. „Es liegt nicht in unserer Hand.“

Fahrrad keine Alternative zur U-Bahn

Die Regierung und die Stadtverwaltung scheinen ebenfalls unschlüssig, wie es weitergehen soll. Vorerst gilt die Ansage, wenn möglich, zu Hause zu arbeiten. Ein Grund: Es ist vollkommen unklar, wie die Londoner künftig zur Arbeit kommen sollen. Premier Johnson und Bürgermeister Sadiq Khan rufen dazu auf, sowohl den öffentlichen Nahverkehr als auch das Autofahren zu vermeiden.

Die U-Bahn wird voraussichtlich auf absehbare Zeit nicht ihre alte Kapazität erreichen: Selbst wenn man alle Züge einsetze, könne man wegen der Hygieneregeln nur 15 Prozent der normalen Passagierzahlen befördern, schätzt der Betreiber Transport for London. Durchsagen und Schilder in den Bahnhöfen rufen zum Abstandhalten auf. Auf den Rolltreppen gilt: sechs Stufen Platz zum Vordermann.

Ohne die U-Bahn funktioniert die Stadt jedoch nicht. Die „Tube“ ist das zentrale Nervensystem: Gespeist von den Pendlerzügen aus den Vororten, verteilt sie täglich Millionen über das Stadtgebiet. Drei Viertel der Arbeitnehmer im Bankenviertel haben einen Arbeitsweg von mehr als zehn Kilometern.

Das Fahrrad ist deshalb nur für eine Minderheit eine Alternative. Auch das Auto ist kein Ersatz: Zum einen würde der Verkehr zum Erliegen kommen, wenn alle in die Stadt führen. Zum anderen gibt es kaum Parkplätze. Bürgermeister Khan hat obendrein zur Abschreckung die Umweltabgabe für Autofahrer erhöht: Je nach Baujahr werden nun 15 bis 27,50 Pfund fällig – pro Tag.

Anzugträger werden zu Exoten

Viele Firmen richten sich daher auf weitere Monate im Homeoffice ein. Der Versicherungsmarkt Lloyd’s wird frühestens im August seinen Handelssaal wieder öffnen. Und auch dann werde man mit deutlich reduziertem Personal arbeiten, sagte Lloyd’s-Chef John Neal kürzlich dem Handelsblatt.

Auch das Brokerhaus IG Group hat keine Eile. „Es gibt keinen operativen oder finanziellen Druck, ins Büro zurückzukehren“, sagt Chief Operating Officer Jon Noble. „Wir lassen äußerste Vorsicht walten.“ Auch wenn die Regierung die Homeoffice-Empfehlung demnächst aufgeben sollte, will die Firma es jedem Mitarbeiter freistellen, zu Hause zu bleiben. Eine Rechtfertigung wird von niemandem verlangt. RBS hat ihre Mitarbeiter gerade informiert, dass die meisten der 50000 Angestellten mindestens bis Ende September zuhause bleiben können.

Anzugträger trifft man in der Londoner Innenstadt daher in diesen Tagen kaum. Stattdessen radeln kurzbehoste Männer vorbei, klatschende Flipflops verstärken das Urlaubsgefühl. Die Einzigen, die hier schon wieder arbeiten, sind Bauarbeiter und Servicekräfte.

Der 34-jährige Uche macht gerade Frühstückspause auf einem Grünstreifen beim Bahnhof King’s Cross. Ein paar Wochen sei er zu Hause geblieben, weil die Baustelle geschlossen war, erzählt der Bauarbeiter. Aber seit April arbeite er wieder. Angst, sich auf der Arbeit oder auf dem Weg dahin anzustecken, hat er nicht – auch wenn er keine Gesichtsmaske trägt und die U-Bahn in der morgendlichen Rushhour schon wieder voll ist. „Ich bin gesund“, schüttelt er lächelnd den Kopf.

Zweigeteilte Gesellschaft

In Sichtweite erhebt sich die Europazentrale des Tech-Konzerns Google. Normalerweise sitzen hier Tausende Mitarbeiter, doch nun rührt sich nichts hinter den Fenstern, während rundum auf den Baustellen viel los ist. Es erinnert daran, wie die Coronakrise die Zweiteilung der Gesellschaft verschärft. Den Luxus, von zu Hause aus zu arbeiten, hat nicht jeder.

Auch der Alltag auf mancher Baustelle hat sich geändert: Ein junger Arbeiter erzählt, dass er und seine Kollegen nicht mehr gemeinsam im Transporter zur Arbeit gefahren werden, sondern einzeln. Und statt in einer Gemeinschaftsunterkunft werde nun jeder in einer eigenen Wohnung untergebracht. „Es ist einsam“, sagt er. Momentan arbeitet er an der Instandhaltung der Bahntrassen. Die Arbeiten im Tunnel seien sonst wegen des Zugverkehrs schwierig, aber jetzt könne man sie wegen der stark gesunkenen Taktung der Züge gut durchführen.

Mit der Öffnung der Geschäfte im Juni dürfte sich die Innenstadt wieder etwas beleben. Doch die Rückkehr in die Büros wird wohl ein längerer Prozess, der die Firmen bis ins nächste Jahr beschäftigen wird. „Die Leute finden es ganz bequem, zu Hause zu arbeiten“, glaubt Andrew Hilton, Gründer des Thinktanks Centre for the Study of Financial Innovation (CSFI). Das sei gefährlich, weil die Motivation verloren gehe.

Er würde sein Büro gern wieder öffnen. Doch wenn er das tue, würden seine Mitarbeiter streiken, fürchtet der 73-Jährige. Die Briten hätten weiter große Angst vor dem Coronavirus. Dabei hätten gerade die Jungen nichts zu befürchten.

Die Angst vor einem zweiten Ausbruch der Pandemie führt dazu, dass Europas Finanzmetropole dieses Jahr wohl nicht wieder auf vollen Touren laufen wird. Wegen des Lockdowns hatte Hilton die jährliche Gala seiner Denkfabrik, die „City Debate“, zunächst von März auf September verschoben. Nun hat er sie ganz abgesagt, denn „es käme eh niemand“.