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Edeka und Metro gehen unter die Gärtner

Was das denn für ein Gerät sei, möchte eine ältere Dame vom Ehepaar Gerdes wissen. Sie zeigt auf eine große schwarze Box mit Plexiglas-Fenstern, die mitten in der Gemüseabteilung des Oberhausener Edeka-Markts steht. Das sei das „Gewächshaus der Zukunft“, erklärt Kaufmann Pascal Gerdes. Tatsächlich handelt es sich um eine digital vernetzte Kräuterfarm, in der Pflanzen unter optimalen Bedingungen wachsen sollen.

Nach einer kritischen Begutachtung der Pflanzen und einem anschließenden Geruchstest entscheidet sich die Kundin für einen Strauch Bergkoriander, den sie in ihren noch fast leeren Einkaufskorb legt. Kaufpreis: 1,29 Euro. Koriander sei ja nicht jedermanns Sache, sie möge ihn aber gerne und die neue Vorzeigefarm im Edeka fände sie auch ganz toll. Familie Gerdes freut nicht nur das Lob der Kundin: Die Dame ist nämlich die erste Käuferin der im Supermarkt gezüchteten Pflanzen. Im Edeka wurde gerade zum ersten Mal geerntet.

Seit wenigen Wochen erst steht die futuristisch anmutende Farm im Laden der Familie Gerdes. Sie stammt vom Berliner Start-up Infarm, das im Bereich des sogenannten Vertical Farmings einer der großen Anbieter ist. Infarm kooperiert auch schon mit weiteren Einzelhändlern. Ein Jahr soll die Farm nun im Edeka-Markt getestet werden. Wenn sich Minze, griechisches Basilikum, Bergkoriander und Co. bewähren, darf die Farm bleiben. Dafür muss sie nicht gleich die gesamte Gemüsetheke ersetzen können – das wäre wohl auch zu viel für die junge Technologie.

Digitale Farmen in Oberhausen, London und Paris

In der Farm werden Setzlinge der verschiedenen Pflanzen verwendet. Dabei werden sie nicht wie sonst üblich in Erde eingesetzt, sondern in eine dünne Flüssigkeitsschicht getunkt, die die benötigten Nährstoffe liefert. Von oben spenden grelle LED-Lampen Dauerbeleuchtung. Alles kann individuell angepasst werden, sodass je nach Pflanze die optimal benötigten klimatischen Verhältnisse nachgestellt werden können. Vertical Farming verspricht dadurch effizientes und vor allem schnelles Wachstum.

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„Temperatur und Lichtintensität steuern die Farmen bereits komplett autonom“, erklärt Martin Weber vom Hersteller Infarm. „Über Infrarotkameras kontrollieren wir den gesundheitlichen Zustand und das Wachstum der Pflanzen.“ Für die Ernte kommt ein Mitarbeiter von Infarm in die Edeka-Märkte, legt die Pflanzen verkaufsbereit in eine Ablage und setzt direkt neue ein. Supermarktbetreiber wie die Familie Gerdes müssen sich erstmal um nichts kümmern. Doch das soll sich ändern, mit mehr Erfahrung können das Säen und Ernten auch Supermarktbetreiber übernehmen.

Bislang beschränkt sich Vertical Farming wie im Edeka Oberhausen noch auf Kräuter. Man könne aber auch jegliche Sorten Obst und Gemüse züchten, verspricht Infarms Finanzchef Weber: „Wir möchten ausnahmslos alles anbieten. Kräuter sind bei uns nur das, was Bücher bei Amazon waren.“ Das klingt ambitioniert, sehr sogar.

Doch dieser Optimismus hat einige Einzelhändler offenbar überzeugt: Die Brutkästen von Infarm stehen neben zahlreichen deutschen Edeka-Märkten unter anderem auch in Läden der Schweizer Supermarktkette Migros und in Märkten der Metro – so auch in einem Metro-Markt im Pariser Vorort Nanterre. Und die Internationalisierung soll weitergehen: „In Paris und Zürich haben wir schon die ersten Farmen außerhalb Deutschlands eingeweiht, Anfang 2019 soll London folgen“, erklärt Weber. Auch in den USA liege Potenzial für das Start-up aus Berlin.


Food-Trend Vertical Farming trifft Nerv der Verbraucher

Fabio Ziemßen verantwortet als „Director Food Innovation“ die neue Geschäftseinheit NX-FOOD der Metro. Er ist also dafür verantwortlich, dass die Metro nun in einigen ihrer Märkte auf Infarm setzt und damit noch einer von wenigen Händlern ist, der das tut. „In Deutschland fristet Vertical Farming derzeit noch ein Nischendasein. Für große Teile der Öffentlichkeit scheint diese Technologie noch abstrakt“, erklärt Ziemßen. Woran das liegt? „Versorgungsengpässe aufgrund von beispielsweise Witterungsbedingungen kennen wir hierzulande und heutzutage kaum.“ Solchen Engpässen könnte Vertical Farming zum Beispiel entgegenwirken.

Doch Vertical Farming werde auch hierzulande bekannter. „Das Fraunhofer-Institut hat zum Beispiel verschiedene Initiativen dazu ausgerufen“, erklärt Ziemßen. Außerdem helfe es, wenn Händler vorweggehen und Kooperationen mit den Herstellern der Farmen schließen. Trotzdem werde bis zur Marktdurchdringung von Vertical Farming noch einige Zeit vergehen.

Die Chancen, dass diese Zeit nicht allzu beträchtlich sein wird, stehen gar nicht so schlecht. Denn Vertical Farming trifft einen wahren Verbrauchertrend dieser Zeit. Immerhin achten heutzutage 53 Prozent der Verbraucher stärker darauf, Produkte aus der Region zu kaufen. Das ergab eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens Ipsos. Und regionalere Produkte als solche, die direkt im Supermarkt selbst angebaut werden, gibt es wohl nicht.

Und eben das ist laut eigener Aussage der Antrieb von Infarm: „Wir wollen nicht die lokalen Bauern aus dem Gemüseregal verdrängen. Wir wollen denen an die Wäsche, die aus Äthiopien, Marokko oder Kenia importieren. Die ihre Pflanzen runtergekühlt auf vier Grad nach Deutschland bringen und dabei einen phänomenal großen CO2-Fußabdruck hinterlassen“, sagt Weber.

Bei dieser Mission sollen Infarm Händler wie Edeka und Metro helfen. Doch auch darüber hinaus hat Weber schon Pläne: „Lebensmittelhändler sind zwar unsere primäre Ziel- und Kundengruppe. Doch Vertical Farming ist für jeden interessant, der Kräuter, Salat oder Gemüse isst. Wir sind nicht nur auf den Handel beschränkt.“ Universitäten oder Restaurants seien ebenso spannend.

Und auch wenn die Skaleneffekte dort nicht so ausgeprägt sein dürften wie im Lebensmittelhandel, stehen die Boxen von Infarm sogar schon in einigen wenigen Restaurants. So auch im Berliner Restaurant von Starkoch Tim Raue. Und: „In der Uni oder im Büro könnte ein Raum für das Vertical Farming genutzt werden. Außerdem ist der E-Commerce auch für Kräuter und später Gemüse oder Obst relevant“, erklärt Weber.

Und dann ist da noch der Privatverbraucher: „Hobbyköche würden begeistert sein, wenn sie ihre Zutaten selbst zu Hause anbauen könnten“, meint Weber. Nur zu einem so frühen Zeitpunkt würde sich das für Infarm noch nicht lohnen – deshalb erst einmal Supermärkte. Doch Gewächshäuser für die Küche gibt es bereits. Etwa vom Start-up Neofarms aus Hannover. Allerdings sind Stromverbrauch und damit einhergehend auch Kosten der Farmen für Privatverbraucher nicht unbedingt erschwinglich.

Aber das kann alles noch kommen. Erstmal geht es darum, Vertical Farming in Supermärkten zusätzlich zur Kräutertheke anzubieten. Und wer weiß, vielleicht wachsen bald auch Erdbeeren und Tomaten in den intelligenten Farmen. Kräuter sind zumindest ein Anfang.

Martin Webers Lieblingskräuter aus seinen Farmen sind zurzeit übrigens Wasabi-Rucola und Bergkoriander – auch wenn Koriander ja nicht jedermanns Sache ist, wie die Kundin aus dem Edeka der Familie Gerdes in Oberhausen sagen würde.