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Drei Szenarien zur Kurzarbeit: Arbeitsagentur fürchtet um Milliarden-Rücklage

Die Bundesagentur für Arbeit hat durchgespielt, wie sich Kurzarbeit auf ihre Finanzen auswirkt. Im Extremfall muss der Bund schon dieses Jahr Geld zuschießen.

Die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit könnten rasch dahinschmelzen. Foto: dpa
Die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit könnten rasch dahinschmelzen. Foto: dpa

An diesem Mittwoch will die SPD-Spitze im Koalitionsausschuss für eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds auf 80 Prozent werben. Dabei setzt schon die geltende Regelung die Finanzen der Bundesagentur für Arbeit (BA) erheblich unter Druck. Sollte es in diesem Jahr im Jahresdurchschnitt 2,6 Millionen und in der Spitze acht Millionen Kurzarbeiter geben, dann würde die Rücklage von knapp 26 Milliarden Euro nicht ausreichen. Der Bund müsste der BA dann schon dieses Jahr ein Darlehen von vier Milliarden Euro zur Verfügung stellen.

Die Zahlen finden sich in einer Aufstellung für die Ausschusssitzungen des BA-Verwaltungsrats am 2. und 3. April, die dem Handelsblatt in Auszügen vorliegt. Darin beschreibt die Nürnberger Behörde drei Kurzarbeitsszenarien und ihre finanziellen Auswirkungen.

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Bei 1,1 Millionen Kurzarbeitern im Jahresdurchschnitt und 3,4 Millionen in der Spitze würde das Finanzpolster der BA von 25,8 Milliarden Euro (Stand: Ende des vergangenen Jahres) auf 14,1 Milliarden Euro in diesem Jahr abschmelzen.

Die Situation ist vergleichbar mit dem Rezessionsjahr 2009, als es im Jahresschnitt ebenfalls rund 1,1 Millionen Kurzarbeiter gab. Der damals erreichte Spitzenwert lag mit knapp 1,5 Millionen im Mai 2009 allerdings deutlich niedriger.

Auch das zweite Szenario mit kurzzeitig fünf Millionen Kurzarbeitern und 1,5 Millionen im Jahresdurchschnitt wäre finanziell noch gut beherrschbar. Die Rücklage würde dann in diesem Jahr auf 9,8 Milliarden und im kommenden Jahr auf 4,7 Milliarden Euro abschmelzen und dann langsam wieder ansteigen.

Das Kurzarbeitergeld beträgt nach geltendem Recht für die Ausfallstunden 60 Prozent des früheren Nettoentgelts, bei Beschäftigten mit Kindern sind es 67 Prozent. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und seine Partei haben sich die Gewerkschaftsforderung zu eigen gemacht, das Kurzarbeitergeld zumindest befristet auf 80 beziehungsweise 87 Prozent anzuheben.

Wie Teilnehmer der Ausschusssitzungen des BA-Verwaltungsrats berichten, wurde ihnen auch ein Finanzszenario mit entsprechend aufgestocktem Kurzarbeitergeld präsentiert. Im Extremszenario mit 2,6 Millionen Kurzarbeitern im Jahresdurchschnitt müsste der Bund dann dieses Jahr einen fast zweistelligen Milliardenbetrag zuschießen.

Metaller besonders betroffen

Bis zum 20. April haben rund 718.000 Betriebe Kurzarbeit bei den Arbeitsagenturen angemeldet, teilte die BA am Mittwoch unter Berufung auf Sonderauswertungen mit. Das entspreche rund jedem dritten Betrieb mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. In der Vorwoche hatte die Nürnberger Behörde noch von 725.000 Anzeigen berichtet.

In der Zwischenzeit sei die Statistik aber um „Doubletten“ bereinigt worden. Diese seien beispielsweise entstanden, weil Unternehmen Kurzarbeit parallel per Post und online angezeigt hätten, so die BA. Wie viel Kurzarbeit am Ende wirklich realisiert wird und wie viele Kurzarbeiter sich daraus ableiten, steht erst bei der Abrechnung fest. Die BA will zum Monatsende erste Zahlen präsentieren.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall geht unter Berufung auf eine Mitgliederumfrage davon aus, dass schon bald jeder zweite der rund vier Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Kurzarbeit sein könnte.

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung schätzt, dass in der Gesamtwirtschaft bereits rund vier Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit sein könnten. Sie rechnet diese Zahl aus einer Onlinebefragung durch das Meinungsforschungsinstitut Kantar Deutschland hoch.

Dafür wurden vom 3. bis zum 14. April 7.677 Erwerbstätige interviewt, die im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ für Deutschland sind. Von den Arbeitnehmern gaben 14 Prozent an, in Kurzarbeit zu sein.

„Bestimmte gesellschaftliche Gruppen sind vor den Auswirkungen der Krise schlechter geschützt als andere. Das kann langfristig negative Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft haben“, warnt die Paderborner Soziologin und designierte Wissenschaftliche Direktorin des Forschungsinstituts WSI der Böckler-Stiftung, Bettina Kohlrausch, die die Umfragedaten ausgewertet hat.

So seien Beschäftigte in niedrigeren Einkommensgruppen häufiger in Kurzarbeit als Besserverdiener. Von den Befragten in Kurzarbeit erklärte rund ein Drittel, dass ihr Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld aufstocke, gut die Hälfte berichtete hingegen, es gebe in ihrem Betrieb keine Aufstockung. Von den Befragten, die in Kurzarbeit sind und keine Aufstockung erhalten, gaben 40 Prozent an, in dieser Situation maximal drei Monate finanziell durchhalten zu können.

Kanzlerin zurückhaltend beim Thema Aufstockung

Nach milliardenschweren Rettungsschirmen für die Wirtschaft müsse nun entschieden gegen die Spaltung der Gesellschaft angegangen werden, forderte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und Vorstand der Böckler-Stiftung, Reiner Hoffmann: „Wir brauchen ein klares Signal an die Menschen, dass auch sie jetzt über diese schwierige Zeit gebracht werden und nicht in der Sozialhilfe landen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich am Montag zurückhaltend zu einer Aufstockung des Kurzarbeitergelds geäußert. Auf der einen Seite gebe es Menschen mit sehr geringem Einkommen etwa im Gastronomie- oder Dienstleistungsbereich. Auf der anderen Seite gebe es aber auch Firmen, die das Kurzarbeitergeld auf 100 Prozent des Gehalts aufstockten.

Der Koalitionsausschuss werde besprechen, wo es Handlungsbedarf gebe. Man müsse aber aufpassen, „dass wir nicht in zu kleinen Abständen immer wieder eine Gruppe ins Visier nehmen“, warnte Merkel. Stattdessen müsse man sich zunächst einen Gesamtüberblick verschaffen.

Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) empfahl, zunächst abzuwarten, wie sich die Wirtschaft nach der schrittweisen Aufhebung der Corona-Einschränkungen entwickele. Dann könne man Ende Mai, Anfang Juni immer noch Bilanz ziehen und gegebenenfalls nachjustieren.