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„Eine dramatische und schmerzhafte Angelegenheit“: Was Bosch aus der Dieselkrise gelernt hat

Erstmals geben Gründerenkel, Konzernchef und Chefaufseher in einem Interview Einblicke in das Wertegerüst von Bosch – und sagen, ob es sich in der Dieselaffäre und bei KI bewährt.

Christof Bosch, Sprecher der gleichnamigen Industriellenfamilie, hat eingeräumt, dass die Verstrickung des Konzerns in die Dieselaffäre eine für die Familie „sehr dramatische und schmerzhafte Angelegenheit“ gewesen sei. „Es gab wohl niemanden, der nicht vom Ausmaß überrascht war. Da macht die Familie keine Ausnahme“, sagte der Enkel des Gründers im Interview mit dem Handelsblatt.

„Dass unter mehr als 400.000 Beschäftigen auch Verfehlungen vorkommen können, ist unvermeidlich.“ So schmerzhaft die Erfahrung war, so zufrieden sei die Familie damit, wie das Unternehmen die Krise gemanagt habe.

Tatsächlich ist Bosch mit Strafen von etwa 500 Millionen Euro im Vergleich zu den Bußen der Autokonzerne glimpflich davon gekommen. In der Folge hat der mit 78,5 Milliarden Euro Umsatz weltgrößte Autozulieferer seine Compliance-Regeln erheblich nachjustiert.

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Der Vorsitzende der Geschäftsführung Volkmar Denner verwies auf den neuen Produktentwicklungskodex: „Der erste Punkt im Kodex lautet: Legalität und Bosch-Werte gehen vor Kundenwunsch. Daran sehen Sie, wo vorher die Priorisierung Schwächen hatte.“

Erstmals in der Geschichte gab der Bosch-Chef in einem gemeinsamen Interview mit dem Gründerenkel Christof Bosch und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Franz Fehrenbach tiefe Einblicke in das Wertegerüst des Konzerns. Das orientiert sich stark am Geiste Robert Boschs und ist in der Dieselkrise, bei den globalen Handelsspannungen sowie der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz einer dauerhaft starken Bewährungsprobe ausgesetzt.

„Der Umgang mit KI braucht extrem viel Verantwortlichkeit“, betonte Bosch. Deshalb arbeite der Konzern an einem weiteren Kodex. „Unser KI-Kodex wird noch in diesem Jahr fertig“, sagte Denner.

Bosch will binnen zwei Jahren die Zahl seiner KI-Experten auf 4000 vervierfachen. Bald sollen alle Bosch-Produkte nicht nur vernetzbar sein, sondern auch Teile von KI enthalten.

Lesen Sie hier das vollständige Interview:

Herr Bosch, wie lautet für Sie die zentrale Botschaft im Vermächtnis des Unternehmensgründers Robert Bosch, der auch Ihr Großvater war?
Christof Bosch: Es ist der Satz „Lieber Geld verlieren als Vertrauen“, der zeigt, wie wichtig Vertrauen ist. Und ohne dass es hier direkt angesprochen ist: Sachlichkeit. Vertrauen und Sachlichkeit sind die zentralen Botschaften meines Großvaters.

Wie ist das bei Ihnen, Herr Fehrenbach, als Vorsitzender des Aufsichtsrats?
Franz Fehrenbach: „Die anständige Art der Geschäftsführung ist auf Dauer das Einträglichste.“
(Christof Bosch wirft ein: Diesen Satz hätte ich auch nehmen können …)
Fehrenbach: Diese Botschaft steht für mich auf der gleichen Ebene wie jene über das Vertrauen. Von Robert Bosch sind viele inspirierende Aussagen überliefert. Eine weniger bekannte ist „Der Buchstabe tötet. Der Geist macht lebendig“. Diese Aussage hat der Unternehmensgründer in einem langen Abschnitt der Richtlinien für seine Testamentsvollstrecker erklärt, und das schon 1937, also fünf Jahre vor seinem Tod.

Wie sieht diese Interpretation aus?
Fehrenbach: Ihm war offenbar sehr bewusst, wie hart und eindeutig es klingt, wenn er diese Richtlinien bloß auf Papier schreibt. Er wollte vermitteln, in welchem Geist das Unternehmen geführt werden sollte. Ihm war klar, dass sich die Verhältnisse und Rahmenbedingungen ständig ändern würden, der Geist aber unbedingt frei bleiben müsse. Anders ausgedrückt: Es muss ein striktes und klares Wertesystem geben. Aber auch unternehmerischen Freiraum, um die Firma weiterzuentwickeln. Und genau in diesem Sinne versuchen wir, das Unternehmen noch heute zu führen.

Herr Denner, Sie müssen als aktueller CEO täglich operative und strategische Entscheidungen treffen, die die Belegschaft und Ihre Kunden berühren und dabei den testamentarischen Willen des Gründers berücksichtigen. Wie geht das zusammen?
Volkmar Denner: Hier gibt es keinerlei Widerspruch. Wir haben nach meiner Ernennung zum CEO und CTO vor sieben Jahren die Bosch-Strategie neu formuliert. Sie heißt: „We are Bosch.“ Im Rahmen dieses Prozesses haben wir intensiv diskutiert, wie wir den Auftrag von Robert Bosch am besten in der Praxis leben.

Mit welchem Ergebnis?
Denner: Unser Auftrag lautet konkret: „Wir sichern im Sinne von Robert Bosch die Zukunft unseres Unternehmens, indem wir es kraftvoll weiterentwickeln und seine finanzielle Unabhängigkeit bewahren.“ Das zeigt anschaulich, wie wir die Brücke zum Gründer schlagen. In unserer aktuellen Situation ist ein weiterer seiner Sätze wichtig: „Es soll immer nach Verbesserung des bestehenden Zustands gestrebt werden. Keiner soll sich mit dem Erreichten zufriedengeben, sondern stets danach trachten, seine Sache noch besser zu machen.“ Das kennzeichnet sehr gut die Haltung, die uns bei Bosch seit über 130 Jahren erfolgreich macht.

Lassen sich diese ethisch und moralisch aufgeladenen Sätze tatsächlich im Alltag leben bei einer sehr strikten Renditevorgabe von sieben bis 7,5 Prozent durch die Geschäftsführung? Wie groß ist das Spannungsverhältnis?
Denner: Am Anfang stehen die Strategie und die Frage: Was wollen wir, und was treibt uns an? Die Strategie basiert auf dem Bekenntnis zu den Bosch-Werten. Wir sind stolz darauf, bei Bosch zu arbeiten und leben unsere Werte im Alltag. Dazu gehört auch, im operativen Geschäft immer wieder die Frage zu stellen, wie die beste Balance zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten aussehen könnte. Dieses Dreieck versuchen wir dann auszubalancieren, und zwar so gut es eben geht.

Und wie gut geht das in der Wirklichkeit?
Denner: Das wirtschaftliche Interesse steht natürlich auch bei Bosch im Vordergrund. Aber unser Slogan „Technik fürs Leben“ trägt das Thema Ökologie schon in sich. Hinzu kommt der Bosch-Wert „Verantwortung und Nachhaltigkeit“. Beides prägt unsere Arbeit und wichtige Entscheidungen. Bestes Beispiel ist unsere Ankündigung, nächstes Jahr weltweit CO2-neutral zu sein.
Fehrenbach: Bosch war schon immer ein werteorientiertes Unternehmen. Ende der 90er-Jahre haben wir uns noch einmal sehr intensiv mit unseren Werten auseinandergesetzt und sie deutlicher in den Vordergrund gestellt. Damals bekamen wir die Kritik zu hören, dass Werte vor allem etwas für Schönwetterphasen sind …

… und für Sonntagsreden?
Fehrenbach: Das Gegenteil ist der Fall. Die Werte waren besonders in Krisenzeiten hilfreich. Wir haben immer versucht, dem von Herrn Denner beschriebenen Dreieck gerecht zu werden.

Herr Bosch, würden Sie der Aussage zustimmen, dass eine besondere Identifikation des einzelnen Mitarbeiters mit den kulturellen Werten der Firma auch zu betriebswirtschaftlich besseren Ergebnissen führt?
Bosch: Sicherlich wirkt sich die Identifikation der Mitarbeiter positiv aus. Unsere Werte tragen in sich schon die Balance, die notwendig ist für eine positive und langfristige Entwicklung. „Technik fürs Leben“ ist ein menschlicher Wert.
Fehrenbach: Warum stellen Sie die Frage?

Weil Sie in einer Rede, Herr Fehrenbach, kürzlich gesagt haben, dass Sie selbst früher nicht in einem Konzern arbeiten wollten, in dem die Gewinne an externe Anteilseigner ausgeschüttet werden. Und Sie geben jedem einzelnen Bosch-Mitarbeiter den Rat, in sich hineinzuhören, ob Bosch in diesem Sinne auch „ihr“ Unternehmen ist. Gilt das auch umgekehrt? Dass Mitarbeiter, die die Frage mit Ja beantworten, dauerhaft einen Platz im Unternehmen finden?
Fehrenbach: Die Aussage geht auf meine eigene Geschichte zurück und wie ich selbst zu Bosch gekommen bin. Ich wollte unbedingt in einem inhabergeführten Unternehmen arbeiten. Später habe ich selbst viele Nachwuchskräfte für das Unternehmen gewonnen. Es ist ganz wichtig, die spezifische Bosch-Kultur zu spüren und zu verstehen, um dann zu prüfen: Ist das meine Kultur? Ist das eine Kultur, in der ich arbeiten will? Wenn Sie sich nicht voll identifizieren können, dann ist es besser, das Unternehmen lieber heute als morgen zu verlassen.

Anders gefragt: Es gibt sicher Tausende Mitarbeiter, die ganz bewusst bei Ihnen arbeiten, weil sie die Grundsätze des Gründers als besonders wertvoll beurteilen. Und trotzdem kann es passieren, dass derart sozialisierte Mitarbeiter mitsamt einer Unternehmenseinheit an einen Mitbewerber verkauft werden. Wie passt das zu Ihren Leitsätzen und Ratschlägen an die Mitarbeiter?
Fehrenbach: Wir müssen dann sehr gründlich erklären, dass es auch auf der Basis unserer Werte manchmal richtig ist, einen Unternehmensteil abzugeben, für den es einen besseren Eigner gibt, bei dem dieses Geschäft besser prosperieren kann.

Das kann der Mitarbeiter vielleicht rational nachvollziehen, es hilft ihm aber emotional wohl nicht. Was sagen Sie den derart enttäuschten Mitarbeitern, die sich womöglich auf die Leitlinien Robert Boschs berufen?
Denner: Wir betonen in solchen Fällen, dass es immer ein wesentlicher Teil der Bosch-Geschichte war, sich anzupassen. Das Portfolio sieht heute anders aus als vor 30 Jahren. Veränderungen bedeuten keinen Bruch mit unseren Werten. Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, und wir wollen finanziell unabhängig bleiben. Dafür muss man manchmal auch schmerzhafte Entscheidungen treffen.

Schmerzhaft für die betroffenen Mitarbeiter...
Denner: Sicher, wenn die Strategie „We are Bosch“ heißt, und auf einmal gehört ein Bereich nicht mehr dazu, dann ist das für die Betroffenen nicht schön.
Bosch: Ich möchte es mal mit anderen Worten sagen. Zu unserem zentralen Thema gehört ja auch die Sachlichkeit. Und das heißt in solchen Situationen auch, sich in objektive Notwendigkeiten zu fügen. Wenn der Verkauf eines Unternehmensteils notwendig ist, dann heißt Identifikation mit dem Unternehmen auch, dass man objektive Gründe anerkennen muss. Dass das für den Einzelnen schmerzhaft ist, ist klar. Aber auch einem Unternehmen fällt es nicht leicht, beispielsweise einen traditionsreichen Teil abzugeben. Da liegt ein gemeinsamer Schmerz. Wir machen das ja nicht mit Blick auf einen Börsenkurs.
Fehrenbach: Sondern nur dann, wenn es für die langfristige Sicherung des Gesamt‧unternehmens wirklich erforderlich ist.

Werden Sie diesbezüglich weiter auf harte Proben gestellt?
Denner: Unsere zehn Führungsregeln „We lead Bosch“ sind vielleicht doch etwas anders als in anderen Unternehmen. Damit sagt die Geschäftsführung nicht von oben herab, wie es geht, und 400 000 Beschäftigte folgen dann. Jeder unserer Mitarbeiter führt Bosch. Und die erste Führungsregel ist: Wir leben unsere Werte. Das gilt für alle Mitarbeiter und wird auch so mitgetragen. Der Bosch-Weg ist facettenreich. Und wenn es Personalanpassungen gibt – und bei der Sparte Powertrain wird es durch die Umstellung auf Elektromobilität und die sinkende Nachfrage nach Dieselfahrzeugen solche geben müssen –, dann werden wir versuchen, diese sozial verträglich zu gestalten. Bisher ist uns das immer im Konsens mit den Sozialpartnern gelungen.

„Der Politik fehlt ein Gesamtkonzept“

Wir sprechen indirekt von 50.000 Mitarbeitern, die allein bei Ihnen im Dieselbereich arbeiten. Und jetzt deuten die Zeichen auf Elektromobilität, bei der in der Produktion bei vergleichbarem Absatz deutlich weniger Stellen benötigt werden...
Denner: Deshalb brauchen wir für diese fundamentale Transformation ausreichend Zeit. Ich habe immer von zehn Jahren gesprochen. Es wird sich herausstellen, dass dies ein vernünftiger Zeitraum ist. Diesen Strukturwandel bekommen Bosch und die Automobilindustrie dann schon hin. Was wir nicht bewältigen können, ist ein plötzlicher Strukturbruch. Deshalb lautet die entscheidende Frage, wie viel Zeit wir für diesen Anpassungsprozess bekommen.

Was schätzen Sie?
Denner: Es wäre heilsam, wenn die Gesellschaft, inklusive der Politik, sich des Dreiecks aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Belangen bewusst wäre.

Danach sieht es nicht aus.
Denner: Im Augenblick werden tatsächlich die ökologischen Aspekte einseitig gewichtet.
Wie sehen Sie das Herr Bosch als promovierter Forstwirt?
Bosch: Ich sehe das vor allem in langfristiger Perspektive. Der Konflikt zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten ist ein kurzfristiger und partiell auch mittelfristiger. Je kurzfristiger die Entscheidungen, umso deutlicher die Widersprüche. Langfristig können sich aber alle drei Aspekte nicht unabhängig voneinander positiv entwickeln. Und nur, wenn die Ökologie – in diesem Fall die Nachhaltigkeit – gewährleistet ist, kann es auch ökonomisch und sozial gut weitergehen.

Was heißt das konkret?
Bosch: Einen Strukturbruch zu riskieren heißt letztendlich, alle drei Ziele zu gefährden, auch die ökologischen. Ein Strukturbruch als Folge der Mobilitätstransformation kann zu Widerständen in der Gesellschaft führen, die es letztendlich unmöglich machen, die ökologischen Ziele zu erreichen.

Wie bewerten Sie das Handeln der Politik in diesem Zusammenhang?
Fehrenbach: Der Politik fehlt bisher ein geschlossenes Gesamtkonzept. Die Wende in der Energie und der Mobilität muss man ja gemeinsam denken. Die Politik macht immer nur Insellösungen, die nicht integriert sind, und deshalb funktioniert das gesamte System nicht.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Fehrenbach: Sie können entscheiden, aus der Atomenergie auszusteigen und verstärkt auf die regenerative Energie zu setzen. Aber dann müssen sie konsequent die Leitungsnetze ausbauen, damit der regenerativ erzeugte Strom auch da hinkommt, wo er gebraucht wird. Es ist doch grotesk, dass seit Jahren die Leitungen fehlen, um die Windenergie aus dem Norden in den Süden zu transportieren.

Ihrerseits wirft die Politik der Industrie vor, die Transformation zur Elektromobilität hinauszuzögern, gar verschlafen zu haben?
Denner: Es ist ein fundamentaler Mangel, wenn die Politik konkrete Einzellösungen vorgibt, anstatt Randbedingungen zu setzen und technologieoffen der Innovationskraft ihrer Industrie zu vertrauen. Klug gesetzte Randbedingungen haben bei der Gesetzgebung bisher dafür gesorgt, dass wir die wettbewerbsfähigste Automobilindustrie weltweit haben und gleichzeitig kontinuierlich Beiträge zur Reduktion der Umweltbelastung leisten konnten.
Fehrenbach: Ich sehe übrigens nicht, dass die deutsche Autoindustrie den Trend zur Elektromobilität verschlafen hat. Da mache ich mir keine Sorgen. Es kommen jetzt viele neue Modelle auf den Markt. Die größte disruptive Bedrohung steckt nicht in der Antriebsform, sondern in den Fragen: Wie bewegen wir uns künftig von A nach B? Wie verändert sich die Mobilität in Gänze?


„Wir bleiben immer kritisch“

Was denken Sie über die Förderung der Batteriezellproduktion? Bosch hat sich gegen eine eigene Zellfertigung entschieden.
Denner: Zur Elektromobilität gehören nicht nur die Zellen, auch der Motor, die Leistungselektronik und die Ladeinfrastruktur. Wir bauen die besten 48-Volt-Batterien der Welt mit zugekauften Zellen. Man muss das Ganze schon differenzierter anschauen, und das haben wir gemacht.

Gestehen Sie der Politik nicht zu, dass sie sich in Sorge um die gesamte Volkswirtschaft derart positioniert?
Denner: Doch schon, aber kommen denn Mikroprozessoren, die wir in Hightech-Produkten verbauen, deren Verkauf unseren Wohlstand maßgeblich sichert, aus Deutschland? Nein. Und das funktioniert zumindest bislang in international optimierten Wertschöpfungsketten auf freien Märkten sehr gut. Trotz dieser zugekauften Komponenten haben wir die wettbewerbsfähigsten elektronischen Steuergeräte der Welt.
Fehrenbach: Man darf die Politik aber auch nicht über einen Leisten ziehen. Wir haben hier in Baden-Württemberg einen grünen Ministerpräsidenten, der die Zusammenhänge sehr wohl versteht und das Dreieck von Ökonomie, Ökologie und Sozialem im Blick hat. Der sehr genau weiß, dass es nicht nur Ökologie gibt, sondern es auch um Beschäftigung und Wohlstand in diesem Land geht.
Bosch: Ich würde gern Folgendes ergänzen: Politik, Industrie und die Gesellschaft als Ganze haben doch eine gemeinsame Sorge. Reflexhaft wird aber immer nach Schuldigen gesucht. Die Lieblingsfrage ist dann, wer hat geschlafen? Das mag seine Berechtigung haben, aber damit wird der Blick zu rückwärtsgewandt. Nur nach der Schuld zu fragen ist nutzlos und hemmt, wenn man eine konstruktive Lösung für die gemeinsame Sorge um die Zukunft finden will.

Bosch ist ja auch bekannt für seine exzellenten Kontakte zur Politik, die sich speisen aus früher und weltweiter Präsenz. Gibt es für Bosch rote Linien und Grenzen der Diplomatie?
Denner: Wir haben für unsere Beziehung zur Politik eine klare Haltung. Unsere Philosophie ist, dass wir die Information und Aufklärung von Politikern auf Basis von Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen streng von herkömmlicher Lobbyarbeit trennen. Das ist vielleicht der Grund, warum unsere Stimme eine hohe Akzeptanz genießt. Politiker schätzen diese Trennung, weil das gerne mal vermischt wird.
Fehrenbach: Wir bleiben in der Bewertung unseres politischen Umfelds immer kritisch. Wir gehen nicht davon aus, dass alles gleich bleibt. Politisches Handeln ändert unsere betrieblichen Realitäten. Wenn die Versorgung mit Chips aus Taiwan wegen des Konflikts mit China gefährdet wird oder gar zum Erliegen kommt, müssen wir uns gedanklich und faktisch darauf vorbereiten.

Wenn man jetzt den Bogen noch etwas weiter spannt: Es gibt international immer mehr Politiker, die nicht an einer sachlichen Lösung interessiert zu sein scheinen, weder in der Klimapolitik noch im Welthandel. Wie sehen Sie das?
Bosch: Es besteht gegenwärtig die Gefahr, die Chancen der Globalisierung zu verspielen, durch eine leichtsinnig emotional aufgeheizte Politik mit einem Mangel an Sachlichkeit, um es mit den Worten meines Großvaters auszudrücken. Wir haben riesige ökologische, soziale und ökonomische Herausforderungen. Wir kennen gute Lösungsansätze, aber es mangelt an Kooperation, um die Probleme anzugehen. Und die wachsenden Nationalismen sind bestimmt kein Lösungsansatz für die nächsten 20 Jahre. Das erfüllt uns aus Bosch-Perspektive mit Sorge.
Denner: Ich sehe einen besonderen Kern des Problems: Wir haben uns zu wenig um das Auseinanderdriften von Gesellschaften als Folge der Globalisierung gekümmert. Deshalb sind Parteien und politische Führer erfolgreich, die genau diese Bevölkerungsgruppen ansprechen, die sich zurückgelassen fühlen, die sich als Verlierer der Globalisierung fühlen. Dieses Auseinanderdriften haben auch die Länder zugelassen, die maßgeblich von der Globalisierung profitiert haben und in denen heute die erfolgreichsten Unternehmen der Welt zu Hause sind.

Konkret?
Fehrenbach: Wenn Sie die USA nehmen, da hat auch die Wirtschaftselite zur Spaltung beigetragen. Die hat nicht gegen das Auseinanderdriften angekämpft. Die hat weitgehend auf Kostenreduzierung gesetzt und hat Wertschöpfung in die Billiglohnländer Asiens ausgelagert. Die Wirtschaftselite hat sich nicht ausreichend dafür interessiert, wovon die Amerikaner im Mittleren Westen oder im Rust Belt leben sollen. Da hat die amerikanische Elite einschließlich der Unternehmen viel zu einseitig gehandelt. Diese Menschen wenden sich dann jenen zu, die ihnen versprechen, sich um sie zu kümmern, und behaupten, es gäbe einfache Lösungen. Das ist ein Lehrbeispiel für uns. Wir müssen das in Deutschland verhindern.

Sie sprechen indirekt damit auch die Shareholder-Value-Diskussion an, die ja auch Ihren großen Kunden Daimler lange kulturell dominiert hat.
Fehrenbach: Es ist doch sehr bedauerlich, dass die 200 größten US-Unternehmen erst jetzt gesagt haben, dass die Maximierung ihres Aktienkurses nicht mehr oberstes Ziel sei. Ich erinnere mich an das Jahr 2009, als ein Banker auf offener Bühne sagte, er sei nur seinen Aktionären und nicht auch der Gesellschaft gegenüber verpflichtet. Ich bin da selbst auf die Bühne gegangen und habe gefordert, dass wir uns gegen solch einseitige Positionen lautstark wehren müssen. Dafür bekam ich Standing Ovations. Wir treten auch heute noch nicht entschlossen genug auf, um die vorhin angesprochene Balance einzufordern.
Denner: Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos war ich in einer Veranstaltung mit den Chefs der IT-Industrie aus dem Silicon Valley. Sie sagten, sie hätten erkannt, dass sie als Unternehmen auch einen Beitrag für die Gesellschaft leisten müssten. Die Kollegen nannten dann Beispiele wie die Unterstützung von Schulen. Das hat unser Gründer schon vor 130 Jahren erkannt, dass ein Unternehmen nicht nur auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sein darf. Wir leben das hier bei Bosch schon immer.

Ein Beispiel, bitte?
Denner: Wir bilden jedes Jahr über Bedarf aus. Das ist nicht wirtschaftlich begründbar. Zum einen kostet das Geld, und es stellt sich die Frage, warum sollten wir für andere Unternehmen ausbilden? Aber wir denken, es ist wichtig für die junge Generation, dass sie eine gute Ausbildung bekommt. Kommen nicht alle Auszubildenden bei uns unter, verfügen sie zumindest über eine exzellente Ausbildung, was sie attraktiv für andere Firmen macht. Da ist wieder das Dreieck aus Ökonomie, Ökologie und sozialer Verantwortung. Berufliche Ausbildung kostet Geld, ist aber enorm wichtig für die Gesellschaft.

Das machen andere Unternehmen doch auch…
Denner: Aber nicht in Amerika. Ich bin als einziger Deutscher Mitglied eines Projekts am MIT in Boston mit dem Namen „Work of the Future“. Dort habe ich dieses Beispiel genannt. Die Teilnehmer waren sichtlich erstaunt. So etwas hatten sie noch nie gehört.

Aber fällt Ihnen das nicht auch leichter, weil Sie nicht börsennotiert sind?
Denner: Eben nicht. Auch wir müssen wie jedes andere Unternehmen wettbewerbsfähig sein. Wir bekommen keinen Auftrag mehr, weil wir mehr Lehrlinge ausbilden.
Bosch: Wir haben genau mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen, wie unsere börsennotierten Mitbewerber und müssen wirtschaftlich bestehen.
Fehrenbach: Um es noch einmal klarzustellen, die langfristige Existenzsicherung des Unternehmens ist die oberste Zielsetzung von Robert Bosch. Das hat er sogar über die Versorgung der Familie gestellt.
Bosch: Das Unternehmen war für ihn sein wichtigster Beitrag zur Gesellschaft. Robert Bosch war eine ganz ungewöhnliche Mischung, ein streng sachlich orientierter Idealist. Im Herzen war er Idealist. Es ging ihm darum, einen echten Beitrag zu leisten. Und er war nüchtern genug, um zu sagen: „Ich kann nur einen wirklich guten Beitrag leisten, wenn ich ganz streng sachlich und realitätsorientiert bin bei der Lösung von Problemen.“ Die meisten Idealisten tendieren ja dazu, romantisch zu sein und die Augen vor der Realität zu verschließen. Das war er nicht. Er war da knochentrocken und sagte, was sein muss, das muss sein.
Fehrenbach: Er wusste, dass die Stabilität seines Unternehmens die Voraussetzung ist für seine Förderziele in der Gemeinnützigkeit.

Und wie ist das heute?
Denner: Mit der Zukunfts- und Ertragsorientierung in den Bosch-Werten schaffen wir die Grundlagen für die gemeinnützigen Vorhaben des Unternehmens und der Stiftung.

Dennoch dürfte es für den einzelnen Betroffenen schwer zu vermitteln sein, wenn Sie auf der einen Seite eine Milliarde Euro für die Klimarettung ausgeben und auf der anderen Seite Ihre Produktion von Generatoren verkaufen?
Bosch: Der Betroffene will oft lieber eine unsachliche Gefühlsentscheidung. Das ist verständlich. Das Unternehmen ist aber verpflichtet, sachlich zu entscheiden, ohne die menschlichen Werte aus den Augen zu verlieren. Das ist konfliktreich und kein bequemer Weg.
Denner: Ich hatte genau diese Sorge, als wir kürzlich unser Konzept zur CO2-Neutralität vorgestellt haben: Wie wirkt das auf die Mitarbeiter, die von Strukturanpassungen betroffen sind? Wir haben kommuniziert, auch bei den Betriebsräten, dass das für alle eine Herausforderung wird. Und dann bekamen wir für die CO2-Pläne große Zustimmung, dass das für Bosch der richtige Schritt ist.

Nur Zustimmung? Kaum zu glauben…
Denner: Jeder weiß, dass es zu schwierigen Diskussionen kommen kann. Der betroffene Mitarbeiter wird zum Betriebsrat oder zu seiner Führungskraft gehen und fragen, warum wird das Geld nicht für den Erhalt meines Arbeitsplatzes ausgegeben. Das kostet viel weniger. Beide werden erklären müssen, dass das Projekt für das Unternehmen und die Weltbevölkerung wichtig ist. Es gibt trotz dieses Spannungsverhältnisses breite Zustimmung zu dem Projekt. Der Bericht darüber ist einer der meistgelesenen Artikel unserer Mitarbeiterzeitschrift „Bosch Zünder“. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Damit hatte ich nicht gerechnet.


Wir werden immer mehr zu einem Softwareunternehmen

Sie waren auch in die Dieselaffäre verstrickt, aus der Bosch zwar relativ glimpflich wieder herausgekommen ist. Aber was dachten Sie, Herr Bosch, zu Beginn des Skandals? Hat das Wertesystem versagt? Musste da dringend nachjustiert werden?
Bosch: Es wurde nicht das Wertesystem nachjustiert, sondern die Compliance-Strukturen. Reflexion über die Werte gehört zu unserem Alltag. Die Dieselkrise war auch für die Familie eine sehr dramatische und schmerzhafte Angelegenheit. Aber es änderte nichts an unserem Wertesystem.

Warum nicht?
Bosch: Dass unter mehr als 400.000 Beschäftigten auch Verfehlungen vorkommen können, ist unvermeidlich. Die Frage ist, wie geht man damit um. Und das Unternehmen ist im engen Kontakt mit der Familie vorbildlich damit umgegangen. So schmerzhaft die Erfahrung war, so zufrieden sind wir damit, wie das Unternehmen die Krise gemanagt hat und welche Lehren daraus gezogen wurden. Auch die technische Weiterentwicklung des Diesels, die stattgefunden hat, hat die Familie sehr beeindruckt.
Fehrenbach: Die Erkenntnis ist schon, dass Sie auch bei einem funktionierenden Wertesystem wirkungsvolle Kontrollmechanismen brauchen. Und da haben wir nachgebessert.
Denner: Der wesentliche Kern ist unser neuer Produktentwicklungskodex. Und der erste Punkt im Kodex lautet: Legalität und Bosch-Werte gehen vor Kundenwunsch. Daran sehen Sie, wo vorher die Priorisierung Schwächen hatte.

Hat es Sie überrascht, dass so etwas unter dem Bosch-Dach möglich war? Die Dieselkrise war ja dann doch mehr als die Verfehlung Einzelner?
Bosch: Es gab wohl kaum jemanden, der nicht vom Ausmaß überrascht war. Und da macht die Familie keine Ausnahme.
Denner: Wir brauchen eine wertebasierte Compliance. Wenn Sie jederzeit Ihren Kollegen bei der Arbeit, aber auch Freunden und Familie erklären können, was Sie tagsüber gemacht haben, ohne rot zu werden, dann haben Sie wahrscheinlich das Richtige gemacht. Das hat nicht nur mit Regeln zu tun. Es geht um das Handeln im Einklang mit dem eigenen Wertegerüst. Von diesem Prinzip bin ich zutiefst überzeugt.

Warum wird das künftig noch sehr viel wichtiger?
Denner: Wir werden immer mehr zu einem Softwareunternehmen.

„Skepsis gegenüber neuer Technologie ist eine Konstante“

Im Dieselskandal ging es doch bereits um Software?
Denner: Bei einem anfassbaren Produkt wie diesem Kugelschreiber hier in meiner Hand können Sie als Führungskraft, auch ohne Experte zu sein, immer vernünftige Fragen stellen, um Herstellung und Qualität einzuschätzen. Etwa, welches Material wurde verwendet, welche Toleranzrechnungen gibt es? Bei der Software ist das so nicht möglich. Sie brauchen andere Mechanismen, die nicht auf Kontrolle, sondern vielmehr auf Werten basieren. Sie müssen nicht nur den Kopf, sondern das Herz des Entwicklers erreichen und damit sein Wertegerüst.

Bosch wird auch mit Künstlicher Intelligenz immer mehr zum Softwareunternehmen. Passt das bestehende Wertegerüst diesbezüglich noch?
Denner: Eindeutig ja. Wir versuchen das Bisherige mit den neuen Welten zu ergänzen. Wir wollen zu einem Internet-of-Things-Unternehmen mit großem „T“ werden. Dazu ergänzen wir Software-Know-how zu unseren bisherigen Kompetenzen. Wir sagen nicht, dass die traditionelle industrielle Kompetenz keine Rolle mehr spielt.

Bei der Beurteilung künftiger Technologien wie KI und den Algorithmen spielen zunehmend moralisch-ethische Fragen eine Rolle. Gibt es Grenzen für Bosch?
Bosch: Ich würde nicht sagen zunehmend. Die moralische und ethische Seite der Technikentwicklung gab es schon immer. Denken Sie an die Erfindung des Automobils. Da musste am Anfang jemand mit einem Fähnchen vorauslaufen. Skepsis gegenüber neuer Technologie ist eine Konstante.
Fehrenbach: Künstliche Intelligenz und Ethik sind derzeit bei uns und in der öffentlichen Diskussion natürlich sehr präsent.
Bosch: Ja sicher, deshalb müssen diese Fragen auch heute diskutiert werden, so wie sie immer diskutiert werden mussten. Und bei Künstlicher Intelligenz sind das Dinge, die extrem viel Verantwortlichkeit brauchen. Deshalb finden wir es gut, dass Bosch in diesen Disziplinen dabei ist, weil Bosch mit seiner Verantwortlichkeit im Handeln den Anspruch hat, diese Technik so einzusetzen, dass sie tatsächlich für die Menschen einen echten Nutzen bringt.
Denner: Als wir uns vor einigen Jahren entschlossen, ein Zentrum für Künstliche Intelligenz zu schaffen, war ganz klar, dass wir uns dort auch mit ethischen Fragen befassen. Wir führen derzeit eine intensive Diskussion mit Mitarbeitern, Partnern sowie Spitzenforschern der Natur- und Geisteswissenschaften über genau diese Themen, über KI-Sicherheit und KI-Ethik. Unser KI-Kodex ist in der Finalisierung.

Wann ist er fertig?
Denner: Noch in diesem Jahr. Wir greifen solch grundlegende Fragen früh auf, gehen sie dann aber mit Bedacht an. Wir diskutieren breit, in der Familie, in unserem internationalen Beraterkreis, und schauen auch, was außerhalb in den Fach-Communitys gedacht wird. Dann fassen wir das in einem engeren Kreis zusammen, zu dem ich in diesem Fall auch gehöre. Dass Bosch bei dem Thema eine wichtige Stimme hat, sieht man auch daran, dass der Leiter unseres Zentrums für Künstliche Intelligenz, Christoph Peylo, Mitglied der Arbeitsgruppe der EU-Kommission ist, die auf europäischer Ebene ethische Leitlinien für KI erarbeiten soll.

Wie wird das publiziert?
Denner: Der Kodex richtet sich zuerst einmal nach innen. Er ist für unsere Entwickler ethische und moralische Leitplanke für ihre tägliche Arbeit. Die wesentlichen Elemente des Kodexes werden wir dann sicher auch in unserer externen Kommunikation verwenden. Analog haben wir es mit unseren IoT-Prinzipien gemacht. Darin geht es beispielsweise darum, wie wir mit Kundendaten umgehen. Auch diese Prinzipien haben wir, da sie sich vor allem an die Mitarbeiter richten, zunächst nicht in die externe Öffentlichkeit getragen. Aber die wesentlichen Gedanken habe ich damals auch öffentlich geäußert: Der Kunde entscheidet, was mit seinen Daten geschieht. Bei den KI-Prinzipien habe ich das Gleiche vor. Idealerweise wird viel davon in die Expertengruppe der EU münden. Sie hat bereits Grundsätze formuliert, die Bosch derzeit pilothaft ausprobiert.
Fehrenbach: Nur als Ergänzung: Die Familie war gerade in unserem KI-Zentrum in Renningen, um zu sehen, was Bosch bei KI macht und wo der Nutzen ist. So wird die Familie eingebunden und kann wieder Rückkopplung geben. Wir haben da einen guten Dialog.

Nun hat Bosch ja eine einzigartige Stiftungskonstruktion. Sie, Herr Fehrenbach, waren neun Jahre CEO und sind jetzt Chef der Industrietreuhand und damit Eigentümer auf Zeit. Bei Herrn Scholl vor Ihnen war es nicht anders, und bei Herrn Denner nach Ihnen wird es wohl auch nicht anders sein. Wie hilft diese Konstruktion, besonders kritisch zu sein? Der Corporate Governance Kodex für börsennotierte Gesellschaften sieht den direkten Wechsel vom Vorstand in die Kontrollgremien sehr kritisch.
Fehrenbach: Zunächst muss man sich die Unterschiede zwischen einer AG und einer GmbH klarmachen. Die AG hat Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung. Eine Hauptversammlung gibt es bei uns nicht. Bei uns gibt es die Gesellschafter. Das GmbH-Gesetz spricht den Gesellschaftern eine echte unternehmerische Lenkungsfunktion zu, bis hin zum Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung. Sprich die Gesellschafterfunktion, wie sie Christof Bosch mit den anderen Mitgliedern der Industrietreuhand wahrnimmt, haben Sie in der AG gar nicht. Diese Lenkungsfunktion der Gesellschafter ermöglicht es, wichtige und kritische Themen für die langfristige Existenzsicherung des Unternehmens frühzeitig zwischen Geschäftsführung und Industrietreuhand zu diskutieren, und zwar lange vor möglichen Entscheidungen. Das heißt: Wir leben da einen integrativen Ansatz.
Denner: Ich möchte noch ergänzen, dass der Bosch-CEO auch Mitglied der Industrietreuhand ist. Das ist eine wichtige Doppelfunktion, die man in einer AG nicht kennt. Ich habe damit auch eine Verpflichtung als Gesellschafter.

Kann dieses Bosch-Modell als Vorbild dienen, oder muss das gewachsen sein?
Fehrenbach: In Wirtschaftskreisen wird das Thema intensiv diskutiert, und es kristallisiert sich ein Begriff heraus, der mir persönlich sehr gut gefällt: die Verantwortungseigentümer. Herrn Denner und mir gehört von der Firma nichts, dennoch fühlen wir uns beide in der vollen unternehmerischen Verantwortung für das Unternehmen. Wir sind also Verantwortungseigentümer. Und das geht natürlich nur, wenn Sie sich mit dem Unternehmen identifizieren können. Das geht nur bei voller Identifikation mit den Werten, Leitlinien und Zielen und vor allem mit dem strategischen Leitbild „Technik fürs Leben“. Das geht nur, wenn handelnde Personen voll übereinstimmen mit dem, was im Unternehmen gelebt wird. Sonst funktioniert das mit dem Verantwortungseigentum nicht.

Bei Ihnen gibt es die historische Komponente. Können Sie das Modell auch für andere, jüngere Unternehmen empfehlen?
Fehrenbach: Es gibt gerade im Mittelstand Interessierte, die sich intensiv damit beschäftigt, wie man in eine solche Stiftungskonstruktion kommt, insbesondere dann, wenn es keinen Nachfolger aus der Familie heraus gibt.
Bosch: Es braucht dafür schon auch Zeit. Es bedeutet ja schließlich für die Eigentümer einen Verzicht auf Zugriff auf das Unternehmen.

Sie sprechen von einer Art Vetorecht?
Bosch: Das wäre sozusagen die Ultima Ratio der Eigentümermacht. Wir haben beispielsweise kein Vetorecht mehr. Eine Familie muss erkennen, dass das Unternehmen zu groß geworden ist und andere Strukturen braucht. Dann muss die Familie einen Schritt zurücktreten. Das hat die Generation vor mir getan und damit den Grundstein dafür gelegt, dass der testamentarische Wille meines Großvaters auch umgesetzt werden konnte. Nur so konnte das Unternehmen weiter kraftvoll geführt werden, weil heute Verantwortungseigentümer da sind, und weil in der Industrietreuhand Personen Verantwortung tragen, die das Unternehmen als Unternehmer kontrollieren.
Denner: Meine Erfahrung ist, dass es neben dem Vertrauen auch große Freiheiten für die operative Leitung des Unternehmens gibt. Diese Freiheit führt dazu, dass wir frühzeitig die wichtigen Themen offen besprechen und Input einholen. Ich frage mich manchmal, wie es wäre, wenn man an der kurzen Leine geführt würde. Dann würde vermutlich jeder auf seine Entscheidungsbefugnisse pochen, sei es in der Familie, im Aufsichtsrat, in der Treuhand und in der Geschäftsführung. Aber solche Situationen gibt es bei uns gar nicht. Das Vertrauen bestärkt dazu, frei und offen zu agieren, allerdings immer mit dem Primat der Sache als Basis für Entscheidungen. Das große Maß an Freiheit führt zu Verantwortungsgefühl und Verpflichtung.

Zehn Mitglieder in der Treuhand

Wie wichtig ist für Sie die Zusammensetzung der Industrietreuhand, in der aktuell zehn Personen versammelt sind?
Fehrenbach: Die Zusammensetzung ist extrem wichtig.

Wer sucht neue Mitglieder aus?
Fehrenbach: Wenn Sie die unternehmerische Lenkungsfunktion in einem Gremium wie der Industrietreuhand haben, dann müssen Sie dort geschäftlich kompetente Gesellschafter mit unterschiedlichen Expertisen versammeln. Zudem darf die Gruppe nicht zu groß sein, sonst können Sie nicht mehr diskutieren und entscheiden. Wir sind heute zehn Mitglieder in der Industrietreuhand, davon die aktiven Bosch-Geschäftsführer Herr Denner und Herr Asenkerschbaumer sowie Herr Malchow und ich als ehemalige Geschäftsführer. Christof Bosch zähle ich zu den externen, die nicht in der Geschäftsführung waren. Neben ihm gibt es fünf externe Industrielle und Wissenschaftler, alles gestandene erfahrene Persönlichkeiten, die die Vorgänge im Unternehmen beurteilen können. Ohne dieses Wissen können Sie die Funktion der Industrietreuhand gar nicht ausüben.

Aber wie genau wählt die Industrietreuhand jetzt die Mitglieder aus?
Fehrenbach: Aus sich heraus.

Angesichts des rasanten technologischen Fortschritts werden doch sicher auch neue Fähigkeiten gebraucht?
Fehrenbach: Das ist ein wichtiger Punkt. Darauf achten wir natürlich genau und das schon seit Langem. Vergleichen Sie das mal damit, was augenblicklich in den Aktiengesellschaften passiert. Dort fragen Aktivisten und Banken vermehrt danach, was denn die Kompetenzen und Qualitäten der Aufsichtsräte sind. Für uns ist das nichts Neues.

Spüren Sie in den Diskussionen womöglich, wo noch eine Kompetenz fehlt?
Fehrenbach: Seit dem Frühjahr ist Professor Fleisch von der Uni Sankt Gallen und der ETH Zürich Mitglied der Industrietreuhand. Er ist spezialisiert auf Digitalisierung und neue Geschäftsmodelle, beides Bereiche, die immer wichtiger werden.

Sie haben ja bei Bosch die Möglichkeit, Kräfte für die Treuhand erst im Aufsichtsrat zu testen...
Fehrenbach: Das stimmt, aber nicht alle aus dem Aufsichtsrat können auch Gesellschafter werden.

Noch einmal zurück zum Corporate Governance Kodex: Da gilt es als bedenklich, dass der CEO anschließend sofort Chef der Aufsicht wird?
Fehrenbach: Wir haben im Fall der Solartechnik gezeigt, dass frühere Entscheidungen trotz dieser Konstruktion korrigiert werden können. Wir hatten unter meiner Führung als CEO viel Geld in die regenerative Energieerzeugung investiert. Leider haben sich für uns keine langfristigen Perspektiven für das Geschäft ergeben. Wir mussten handeln und wieder aus den Aktivitäten aussteigen – als ich schon Mitglied der Treuhand und Aufsichtsratschef war.

Herr Fehrenbach, Sie haben mal gesagt, zehn Jahre für einen CEO seien genug, Herr Denner ist jetzt sieben Jahre im Amt…
Fehrenbach: Denken Sie daran, was Robert Bosch gesagt hat: Der Buchstabe tötet. Hierfür gibt es bei Bosch keine Regel, und auch die von mir genannten zehn Jahre waren allenfalls als Daumenregel zu verstehen. Hier braucht es immer eine Einzelfallentscheidung. Gehen Sie mal davon aus, dass wir uns rechtzeitig damit beschäftigen werden.

Anders gefragt, wir haben jetzt viel von Vertrauen und Sachlichkeit gesprochen. Der Konzern wird massiv digitalisiert und umgebaut. KI und Software werden immer dominanter. Muss der nächste CEO nicht besondere IT-Kompetenz haben?
Fehrenbach: Bei der Besetzung des CEOs gibt es viele Punkte zu berücksichtigen. IT-Kompetenz ist aber sicher einer davon.
Bosch: Ohne IT-Fachkompetenz wird es kaum gehen.
Denner: Die kann man aber lernen und sich aneignen.

Ist das so? Sie sind Ingenieure beziehungsweise Physiker. Muss das so bleiben?
Bosch: Das Studium wird nicht den Ausschlag geben, wer CEO wird, sondern die Persönlichkeit. Fachliche Kompetenz wird aber auch künftig sehr wichtig sein, eben weil wir keine Holdingstruktur haben.
Herr Bosch, Herr Fehrenbach, Herr Denner, vielen Dank für das Gespräch.