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Disney greift Netflix an: Was die Deutschen in der Coronakrise streamen

Die Ausgangssperren brachten den Streamingdiensten Millionen neue Fans. Eine Analyse zeigt, welche Serien die Deutschen besonders stark interessieren.

Disney hätte keinen besseren Zeitpunkt erwischen können. Zwei Tage, nachdem ein bundesweites Kontaktverbot das öffentliche Leben zum Erliegen brachte, startete Disney+, der Streamingdienst des weltgrößten Unterhaltungskonzerns, in Deutschland. Es sei „schön, dass viele Menschen in Europa in dieser schweren Zeit nun unsere ermunternden Inhalte von zu Hause aus sehen können“, sagte Kevin Mayer, Disneys damaliger Streamingchef, dem Handelsblatt vor dem Start.

In den Wochen der Ausgangssperren ist Disney+ ein Start nach Maß gelungen. Der Dienst des Micky-Maus-, Star-Wars und Marvel-Konzerns hat aus dem Stand sofort den zweiten Platz unter den Streaminganbietern erobert. Mit durchschnittlich 21 Prozent Marktanteil bis Ende Mai liegt Disney+ hinter Netflix und knapp vor Amazon. Das zeigt eine Auswertung des deutschen Streamingmarktes, die die amerikanische Analysefirma Parrot Analytics für das Handelsblatt erstellt hat.

Getrieben wurde Disneys Erfolg vor allem von der Star-Wars-Serie „The Mandalorian“, für die sich schon vor dem Deutschland-Start ein gewaltiges Interesse aufgestaut hatte. Im Januar war das Interesse an der Serie 54-mal so groß wie der Durchschnitt aller Serien auf allen Diensten, im Mai lag der Wert immer noch bei 36,5. „Mit 'The Mandalorian' ist Disney+ mit einem Rammbock in den deutschen Markt eingedrungen“, sagt Steve Langdon, Europachef von Parrot Analytics.

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Das Unternehmen aus Beverly Hills hat die Streaming-Nachfrage für die Zeit von Januar bis Mai untersucht, also für die Zeit vor Corona, der Wochen der strikten Kontaktverbote und die Zeit danach, als die Maßnahmen vielerorts wieder gelockert wurden. Es dürften entscheidende Monate für die Zukunft des deutschen Fernsehmarktes gewesen sein. Millionen Deutsche saßen zu Hause, konnten weder in die Schule noch ins Büro fahren. Alternative Vergnügungen wie Kino-, Konzert- oder Restaurantbesuche waren unmöglich.

Für Streamingdienste war die Zeit eine gewaltige Chance, neue Kunden zu werben. Millionen zu Hause Gestrandete probierten die Serienbibliotheken der Dienste zum ersten Mal aus. Allein Netflix steigerte die Zahl seiner Abonnenten in Europa und im Nahen Osten zwischen Januar und April um sieben auf knapp 59 Millionen.

Die Parrot-Zahlen für sieben in Deutschland aktive, kommerzielle Streamingdienste zeigen, wie der Start von Disney+ Ende März den Markt aufgemischt hat. Wer unter den etablierten Playern Netflix und Amazon Prime Video vorn liegt. Und wie sich TVNow und Joyn, die Ableger von RTL und Pro Sieben Sat.1, im Streamingkonzert gegen die Konkurrenz aus den USA behaupten.

Keine klassischen Einschaltquoten bei Streaming

Zwar haben deutsche Serien gegen US-Welterfolge wie „The Witcher“ oder „Game of Thrones“ keine Chance – keine einzige taucht in den Top 10 eines Monats auf. Dennoch schaffen es auch die deutschen Plattformen in jedem Monat unter die beliebtesten Formate: Realityshows wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Germany’s Next Topmodel“ liegen teilweise vor US-Serien wie „Outlander“.

Parrot Analytics misst keine Einschaltquoten. Das Unternehmen nutzt ein patentiertes Verfahren, um anhand von global zwei Milliarden Datenpunkten pro Tag zu messen, welche Serien und Shows – keine Filme oder Dokumentationen – am stärksten nachgefragt werden. Die Nachfragewerte, die Parrot erhebt, sind komplexer als reine Abrufzahlen: Sie beziehen unter anderem Onlinesuchen nach Serientiteln, Posts in sozialen Medien und Fanseiten, Abrufe von Trailern oder Downloads auf Piraterie-Seiten ein.

Je höher der Aufwand ist, den ein Nutzer betreibt, desto höher wird die Aktion gewichtet: Eine Fernsehkritik auf einer Fanseite zu schreiben ist ein stärkeres Nachfragesignal als diese Kritik zu lesen oder der Serie einen Like auf Facebook zu geben. Zu Parrots Kunden zählen unter anderem die US-Sender Fox und NBC oder der italienische Medienkonzern und Pro7-Großinvestor Mediaset.

Die Alternative zu Quoten ist zum einen notwendig, weil es schlicht keine Streaming-Einschaltquoten gibt. Gerade Netflix teilt seine Abrufzahlen sehr selektiv – sprich, nur wenn eine Serie Erfolg hat. Selbst die Definition, ob ein Inhalt gesehen wurde, variiert stark: Seit Anfang des Jahres gilt ein Film oder eine Serienfolge auf Netflix nach zwei Minuten als gesehen – vorher mussten sie zu 70 Prozent angeschaut worden sein.

Zum anderen taugt die klassische Quote im Streamingzeitalter kaum als Erfolgsmaßstab. Im werbefinanzierten Privatfernsehen geht es vor allem darum, Spots an möglichst viele Menschen auszuspielen. Etwas vereinfacht gesagt: Je mehr Zuschauer, desto besser. Die meisten Streamingdienste müssen dagegen zahlende Abonnenten bei Laune halten, damit diese nicht kündigen.

Eine Serie mit einer Million glühenden Fans ist wertvoller als eine, die von zehn Millionen nach der ersten Folge abgebrochen wird. Das Fan-Engagement misst die Parrot-Methode besser als eine reine Quote das würde.

Hier zeigt sich auch Disneys Schwachstelle. Dem Dienst fehlt bislang ein breites Serienangebot. „Die Simpsons“, die am längsten laufende Zeichentrickserie der Fernsehgeschichte, ist Disneys zweitstärkste Serie bei deutschen Nutzern. Mit einem Nachfragefaktor von 14,7 liegt sie hinter „Rick and Morty“, der zehntstärksten Serie bei Netflix.

Netflix verteidigt den Spitzenplatz

Netflix verteidigte über den gesamten Zeitraum seinen Spitzenplatz unter den Diensten – mit einem breiten Angebot an beliebten Serien und regelmäßigen Hits wie der Fantasyserie „The Witcher“, die sich von Januar bis März in den Top 10 hielt. Allerdings sank der Marktanteil von Netflix in den Wochen seit dem Start von Disney+ von 36,1 auf unter 30 Prozent.

Von RTLNow bis Apple TV+ haben alle Dienste Aufmerksamkeit an Disney verloren – am stärksten behauptet hat sich allerdings Joyn. Der Anteil des On-Demand-Dienstes von Pro 7 und Sat 1 sank zwischen dem 22. März und Ende Mai nur von 11,5 auf 11,2 Prozent und holte fast Sky Go ein – und das obwohl Serien-Eigenproduktionen wie „Jerks“ mit Christian Ulmen oder „Frau Jordan stellt gleich“ mit Katrin Bauerfeind seit Monaten pausieren.

Joyn hielt seine Position dank einer Mischung aus erfolgreichen lizenzierten Serien und Reality-Formaten. So ist Joyn einer der Dienste, die die Horrorserie „The Walking Dead“ im Angebot haben. Die Serie spielt in einem postapokalyptischen Amerika, in dem Zombies die letzten überlebenden Menschen jagen. Die Hauptfigur, der Sheriff Ryan Grimes, zählt zu den wenigen Überlebenden, weil er im Koma lag, während sich ein Großteil der Menschheit mit dem Virus infizierte.

Just im März, als die Ausgangssperren begannen, stieg „The Walking Dead“ zum Favoriten deutscher Streamingnutzer auf und stieß sogar „The Mandalorian“ im Startmonat von Disney+ vom Spitzenplatz.

Wenig Interesse für TVNow

Auch Eigenproduktionen des MDax-Konzerns aus Unterföhring fanden ihre Fans: Die Sat 1-Serie „Knallerkerle“ kam mit einem Nachfragefaktor von 15,7 auf einen guten Wert, vergleichbar mit Welthits wie „Modern Family“ – und das, obwohl die Comedysendung mit Antoine Monot nur für zwei Staffeln im Fernsehen lief und 2018 abgesetzt wurde. Laut Langdon werden Clips aus der Sendung auf Videoplattformen wie YouTube oder MyVideo so häufig abgerufen, dass der Sendung neues Leben eingehaucht wurde.

Die Castingshow „Germany’s Next Topmodel“, deren 15. Staffel ab Januar lief, schaffte es zwischen Januar und Mai sogar mehrmals in die Top 10 aller Dienste. Im Mai, dem Monat des Staffelfinales, lag der Nachfragefaktor für GNTM bei 21,1 – fast so hoch wie für „The Walking Dead“ in diesem Monat und noch vor „Upload“, einer neuen, vielbeworbenen Amazon-Serie.

Reality-Formate sind auch die einzigen, mit denen RTL in den fünf Monaten durchdrang: Im Januar schaffte es „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ auf Platz 9 unter allen Sendungen, im Februar und März kam das in der 17. Staffel laufende „Deutschland sucht den Superstar“ auf Plätze unter den ersten 10.

Insgesamt erregt die Bibliothek von TVNow aber eher geringes Interesse: Schon vor dem Start von Disney+ lag der RTL-Dienst nur bei 6,8 Prozent Marktanteil, danach stürzte er auf 3,9 Prozent ab. Noch schwächer war nur Apple TV+, dessen Anteil sich von 4,2 auf zwei Prozent halbierte. Der deutliche Rückstand von TVNow auf Joyn überrascht, weil die RTL-Plattform bei der Zahl der Seitenabrufe sogar vor Joyn liegt. Allerdings hat Joyn zum einen in den vergangenen Monaten stark aufgeholt.

Vor allem aber weisen die Parrot-Zahlen darauf hin, dass Joyns Inhalte deutlich engagiertere und damit mutmaßlich zahlungsbereitere Fans haben – was langfristig relevant sein dürfte: Beide Fernsehkonzerne versuchen, neben ihrem werbefinanzierten Kostenlos-Dienst einen mit Netflix und Disney+ vergleichbaren Bezahlbereich aufzubauen.

Die beiden US-Dienste dominieren den Markt in Deutschland bislang. Doch ausruhen kann sich Disney+ auf seinem starken Start nicht. Die erste „Mandalorian“-Staffel dürften die meisten Fans längst gesehen haben. Es ist unsicher, ob die nächste Hitserie, „The Falcon and the Winter Soldier“ aus dem Marvel-Universum, ihr geplantes Startdatum im August einhalten kann.

Die Dreharbeiten mussten zeitweise unterbrochen werden, weil Massendrehs monatelang unmöglich waren. Beim Start eines Streamingdienstes mag eine globale Pandemie hilfreich sein – für seinen Betrieb ist sie es nicht.