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Die Discounter-Dämmerung: Aldi, Lidl und Penny schwächeln

Der deutsche Markt wird für die Billighändler zum Problem. Ein größeres Sortiment und moderne Läden erhöhen die Kosten, bringen aber kaum neue Umsätze.

Die jahrelange Sonderkonjunktur der Lebensmitteldiscounter verliert hierzulande an Kraft. Die Konkurrenz durch Rewe und Edeka hinterlässt Spuren. Nach Prognosen des Marktforschers Edge by Ascential, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegen, wird der Umsatz von Aldi, Lidl, Penny und Co. in Deutschland 2019 zwar um 1,9 Prozent wachsen. Die selbstständigen Kaufleute bei Rewe hingegen haben im vergangenen Jahr um 9,1 Prozent zugelegt.

Auf ähnliche Werte kommen auch Berechnungen der Gesellschaft für Konsumforschung. Nach einer Studie der Marktforscher sind die Umsätze von Supermarktketten wie Rewe und Edeka 2018 im Schnitt mindestens doppelt so stark gestiegen wie jene der Discounter. Der Marktanteil der Discounter, der in Deutschland zeitweise bei mehr als 40 Prozent gelegen hatte, dürfte sich 2019 Richtung 35 Prozent bewegen.

Grund sind neue Einkaufsgewohnheiten. Die Kunden schauen nicht mehr so stark auf den Preis, sondern erwarten eine Art Einkaufserlebnis. Eine Erkenntnis, die grundsätzlich am Niedrigpreisprinzip der Discounter rüttelt.

Besonders hart trifft es Aldi Nord. Das Unternehmen musste 2018 erstmals einen Verlust im deutschen Markt hinnehmen. Es wird den Prognosen zufolge 2019 sogar leicht an Umsatz verlieren. Damit scheinen die Investitionen in die Modernisierung der Filialen, für die die Gesellschafter fünf Milliarden Euro bereitgestellt hatten, nicht die gewünschte Wirkung zu entfalten.

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„Die Discounter sind in einem Dilemma: Wer die Modernisierung nicht mitmacht, wird Marktanteile verlieren“, sagt Boris Planer, Chefökonom des Marktforschers Edge by Ascential. „Gleichzeitig verursacht das Upgrade der Filialen hohe Kosten, die sich bei den geringen Margen nur schwer wieder einspielen lassen.“

Viele Jahre lang waren die Discounter der Schrecken des Lebensmitteleinzelhandels, sie trieben die Supermarktketten mit gnadenloser Effizienz vor sich her. Mit ihrer Einkaufsmacht und ihrem überlegenen System setzten sie die Maßstäbe. Wenn Aldi den Preis für Butter erhöhte oder senkte, folgte die ganze Branche. Wenn Lidl ein neues Markenprodukt ins Sortiment nahm, gab es bei Rewe und Edeka Krisensitzungen.

Doch die Dominanz ist einer großen Ratlosigkeit gewichen. Obwohl die Discounter mit Milliardenaufwand ihre Läden modernisiert haben, immer mehr Produkte anbieten und die Öffnungszeiten verlängert haben, wachsen die Umsätze nicht mehr wie gewohnt. „All diese Maßnahmen verwässern den Wettbewerbsvorteil, den die Discounter jahrelang hatten“, sagt Boris Planer von Edge by Ascential.

Alle Unternehmen versuchten, durch neue Kategorien wie Bio oder Vegan die Margen abzusichern. Auch mit der Erweiterung des Convenience-Sortiments, also fertig geschnittener Salate, Smoothies oder Sandwiches, wollen sie neue Kundengruppen erschließen. „Aber das erhöht zugleich die Komplexität des Geschäftssystems“, so Planer. Und treibt die Kosten.

Sogar der deutsche Markt, früher das Brot-und-Butter-Geschäft, wird langsam zum Sorgenkind. So sind die Umsätze der großen Discounter im vergangenen Jahr nach Berechnungen von Edge by Ascential nur noch um zwei Prozent gewachsen.

Die Discounter werden nervös. Innerhalb eines halben Jahres haben sowohl Aldi Nord und Aldi Süd als auch Lidl den Austausch des Personals an der Spitze angekündigt. Besonders heftig ist der Bruch bei Lidl. Der bisherige Chef Jesper Hojer hielt sich gerade mal zwei Jahre, bis er in der vergangenen Woche Knall auf Fall das Haus verlassen musste. Ihm folgt der 38-jährige Italiener Ignazio Paterno – aber zunächst nur als Interimschef.

Auf der Suche nach neuen Rezepten

Auch bei Aldi Nord hatte der oberste Chef Marc Heußinger von einem Tag auf den anderen die Brocken hingeschmissen, weil er mit dem Druck nicht mehr zurecht kam, wie es im Unternehmen hieß. Ihm folgte sein Stellvertreter Thorsten Hufnagel, aber eher aus Verlegenheit, weil so schnell keine Alternative in Sicht war.

Einzig bei Aldi Süd geht der Umbruch etwas geordneter vonstatten. Der Discount-Haudegen Norbert Podschlapp kündigte mit 58 Jahren den Rückzug in den Ruhestand an. Aber es gibt eine Übergangszeit von einem Jahr. Ende April 2020 übernimmt das Duo Matthew Barnes und Thomas Ziegler. Doch alle Neuen haben eins gemeinsam: Sie müssen neue Rezepte finden in einem Markt, der im Umbruch ist wie nie zuvor.

Wie intensiv der Kampf um Marktanteile geworden ist, zeigt sich insbesondere an den ausufernden Preisschlachten unter den Billigheimern. Jüngster Auslöser sind Aldi Süd und Nord, die nicht nur immer mehr Markenprodukte in ihr Sortiment aufnehmen, sondern diese auch gezielt für ihre Preisaktionen einsetzen.

Doch kaum kündigen die Aldis ein Sonderangebot für einen wichtigen Artikel in ihren Prospekten an, geht mindestens einer der Konkurrenten die Preissenkung mit oder unterbietet sie sogar. Beispiel Coca-Cola: Noch bevor Aldi die Brause für 79 Cent ins Regal stellte, senkte Lidl den Preis auch auf 79 Cent – und bewarb das offensiv in Zeitungsanzeigen.

„Noch haben wir keine Umsatzrückgänge durch den Markeneinstieg von Aldi“, sagte jüngst Klaus Gehrig, Chef der Schwarz-Gruppe, zu der auch Lidl gehört. Er nimmt den Preiskampf sportlich, der auch durch den Einstieg des russischen Discounters Mere in Ostdeutschland weiter angeheizt wurde. Gehrig sagt aber auch selbstbewusst: „Wenn nötig, werden wir Gegenmaßnahmen ergreifen.“

Und diese Devise gilt nicht nur für die Discounter. Je nach Produkt greifen Rewe und Edeka, aber auch dm oder Rossmann in den Preiskrieg ein. So senkte beispielsweise dm kurzfristig die Preise für Nivea-Produkte, die Aldi in seinen Prospekten beworben hatte.

Bei Aldi Nord geht es ans Eingemachte

„Wir verfolgen die Preise von Aldi und Lidl jeden Tag und passen unsere Preise entsprechend an“, sagte Rewe-Chef Lionel Souque kürzlich auf der Jahrespressekonferenz seines Unternehmens. Er weiß, bereits Preisschwankungen von einem Prozent können Rewe wegen der großen Mengen leicht den Jahresgewinn kosten. Trotzdem warnte er: „Wir werden keine Preisführerschaft von Aldi bei Markenartikeln zulassen.“

Das kratzt am Selbstverständnis des Discount-Pioniers. „Der Markenkern von Aldi ist: Der Kunde findet nirgendwo einen besseren Deal“, beschreibt es Handelsexperte Planer. „Deshalb müssen sie auch beim Angebot von Markenartikeln Preisführer sein, wenn sie beim Kunden glaubwürdig bleiben wollen.“

Während Aldi Süd in einer Verfassung ist, in der das Unternehmen auch solche Verwerfungen noch gut abfedern kann, geht es bei Aldi Nord mittlerweile ans Eingemachte. Trotz einer umfassenden Modernisierung der Läden, für die die Gesellschafter mehr als fünf Milliarden Euro bereitgestellt hatten, ist der Umsatz im vergangenen Jahr sogar zurückgegangen. Und nach der Prognose von Edge by Ascential wird er auch dieses Jahr weiter schrumpfen.

Im vergangenen Jahr hat Aldi Nord in Deutschland sogar erstmals einen Verlust gemacht. Der neue Chef Torsten Hufnagel hat daraufhin „eine schonungslose Analyse“ ausgerufen. Auch wenn alle Prozesse auf den Prüfstand gestellt werden sollen, betonte er im Gespräch mit der „Lebensmittelzeitung“: „Das ist kein Sparprogramm, sondern ein Wachstumsprogramm.“

Für Insider klingt das eher wie das Pfeifen im Walde. „Unsere Struktur ist schon lange nicht mehr schlank“, sagt ein Topmanager von Aldi Nord. Das gelte aber für die gesamte Branche. „Amazon ist heute näher an der Discount-Idee von Karl und Theo Albrecht als Aldi.“

Doch gerade bei Aldi Nord sind viele Probleme hausgemacht. Jahrelang wurde zu wenig investiert, jetzt muss in einem großen Kraftakt die Organisation auf Vordermann gebracht werden. Doch vieles kommt wohl zu spät – und wirkt nicht ganz durchdacht. „Die Modernisierung kostet pro Laden 500.000 Euro“, sagt der Aldi-Nord-Manager. „Das kann durch zusätzlichen Umsatz nie verdient werden.“

„Riesiger Preisdruck im System“

Das Schlimme dabei ist: Der deutsche Markt hatte in der Vergangenheit immer wieder Verluste in den Auslandsmärkten kompensiert. Dänemark beispielsweise, wo Aldi Nord bereits seit den 1970er-Jahren präsent ist, soll Insidern zufolge noch nie einen Gewinn beigesteuert haben. Nachdem dort etliche Läden geschlossen worden sind, scheint sich jedoch eine leichte Besserung abzuzeichnen.

Aber auch früher verlässliche Gewinnmaschinen wie der belgische Markt sollen ins Stottern geraten sein. Auch in Märkten wie Spanien und Frankreich soll die Modernisierung des Filialnetzes nicht die erhoffte Verbesserung gebracht haben.

„Es ist ein riesiger Preisdruck im System“, beobachtet Experte Planer. „Das Thema Kosten steht bei allen Discountern ganz oben auf der Agenda“, weiß er aus seiner Beratungstätigkeit in der Branche. Aldi Nord sei mit seiner Modernisierung auf dem richtigen Weg, sagt er, aber das Vorbild Aldi Süd sei deutlich voraus.

Das ist auch einer der Gründe, warum Aldi Süd und Aldi Nord jetzt im Einkauf immer enger zusammenarbeiten. Zwar sollen die Einkaufsabteilungen nicht komplett verschmolzen werden, aber immerhin so stark verzahnt, dass die Lebensmittelhersteller für jedes Produkt in der Regel nur noch einen Ansprechpartner haben. Davon erhofft sich Aldi eine deutlich stärkere Professionalisierung des Einkaufs – und durch die größeren Mengen bessere Preise.

Denn gegenüber Konkurrenten wie Lidl, Netto und Penny haben die Aldi-Schwestern einen entscheidenden Nachteil: Sie sind als Einzige nicht bundesweit vertreten. Erst vor Kurzem haben sie durch eine engere Zusammenarbeit im Marketing begonnen, Fernsehwerbung zu machen. Auch haben sie im Gegensatz zu den Wettbewerbern sehr spät angefangen, Markenartikel einzukaufen. Diese Kompetenz müssen sie jetzt aufbauen – wozu auch Aldi Süd zurzeit seine Einkaufsorganisation massiv umbaut.

Jahrelang waren Aldi, Lidl und Co. gut laufende Gewinnmaschinen. Entsprechend sind die nachwachsenden Manager oft eher Praktiker, die mit den neuen Herausforderungen des Umbruchs überfordert sind; es fehlen Strategen an der Spitze. Das dürfte einem Hojer bei Lidl zum Verhängnis geworden sein, auch ein Hufnagel bei Aldi Nord gilt intern nicht als Visionär.

Dieser Mangel an strategischen Talenten ist offenbar auch Schwarz-Chef Gehrig aufgefallen. Als er im März Kaufland-Chef Patrick Kaudewitz rausgeworfen hatte, suchte er nicht lange nach einem Nachfolger, sondern löste das Problem auf seine eigene Art. Er macht den Job jetzt einfach selbst.