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Die deutsche Wirtschaft feiert den „Trump der Tropen“

Brasiliens Börse steht im alten Zentrum São Paulos. Dort haben die Kaffeebarone vor hundert Jahren die ersten Hochhäuser Südamerikas gebaut. Heute finden sich dort Cafés und Kaschemmen, neben den Art-déco-Finanztempeln und Maklerbüros.

Wer dort in den letzten Tagen mit den Schuhputzern, Bankern und Börsenmaklern, den Taxifahrern oder auch Beamten ins Gespräch kam über die Wahlen, der hatte das Gefühl, in einem Einparteienstaat zu leben: Kein einziger Gesprächspartner wollte dort den Linkskandidaten Fernando Haddad von der Arbeiterpartei wählen. Für alle war wie selbstverständlich, dass sie dem Rechtspopulisten Jair Bolsonaro ihre Stimme geben würden.

Und tatsächlich: Der Rechtspopulist gewann in São Paulo am Ende zwei Drittel der Wählerstimmen. Mit landesweit 54 Prozent der Stimmen ist Bolsonaro jetzt der designierte Präsident Brasiliens. Am 1. Januar wird der „Trump der Tropen“, wie er oft genannt wird, sein Amt antreten.

Viele in- und ausländische Politikexperten warnten bereits im Vorfeld der Wahlen vor dem autoritären Ex-Militär, weil er der brasilianischen Demokratie schweren Schaden zufügen könnte oder die größte Volkswirtschaft Südamerikas gleich in eine Diktatur verwandeln könnte. Fremden- und frauenfeindliche Äußerungen des Kandidaten während des Wahlkampfs hatten international für großes Aufsehen gesorgt.

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Doch im Zentrum São Paulos, wie insgesamt in der Wirtschaft, will man von diesen Warnungen nichts wissen. Im Gegenteil: An der Börse und den brasilianischen Finanzmärkten wurde der Wahlsieg Bolsonaros heftig gefeiert: Der brasilianische Leitindex Bovespa legte um mehr als fünf Prozent zu.

Auch die Führungsriege der deutschen Wirtschaft in Brasilien schreckt der Rechtspopulist nicht. Im Gegenteil: In Gesprächen mit einem halben Dutzend führender Vertreter der deutschen Wirtschaft in São Paulo ergab sich folgender Trend: Die Unternehmen hoffen darauf, dass nach dem 28. Oktober die Zeit der Instabilität vorbei sein werde.

„Wenn sich fast 60 Prozent der Brasilianer für einen Kandidaten entscheiden, dann muss man diese Entscheidung respektieren“, sagt Philipp Schiemer, Präsident von Mercedes-Benz in Brasilien. „Bolsonaro ist bei Themen wie Korruptionsbekämpfung, Sicherheit und vor allem auch in der Wirtschaft für die meisten Brasilianer überzeugender als sein Gegenkandidat.“

„Keine Angst vor einer Autokratie“

Die deutschen Manager sehen die wachsende Popularität Bolsonaros nicht als Indiz für einen Rechtsruck in Brasilien. Es sei vor allem eine Protestwahl. Die Brasilianer wollten Veränderung – vor allem in der Sicherheitspolitik – und ein Ende der Korruption.

„Die Demokratie muss einen Kandidaten wie Bolsonaro aushalten“, sagt Martin Duisberg, Vize-Präsident der Deutsch-Brasilianischen Handelskammer in São Paulo und Vertreter der DZ Bank. Man müsse ihm eine Chance geben.

Auch Edson Franco, Chef der Zurich Insurance Group in São Paulo, sieht es als eine Stärke der brasilianischen Demokratie, dass der politische Richtungswechsel durch Wahlen herbeigeführt wird. „Brasiliens Demokratie wird mittelfristig gestärkt aus diesen Wahlen hervorgehen.“

Deshalb bereitet den Wirtschaftsvertretern Bolsonaros autoritärer Auftritt auch wenig Sorgen. Etwa seine Verherrlichung der Militärdiktatur oder die Verteidigung von Folter als legitimes Instrument bei Polizeiermittlungen. Bolsonaro stehe einem Kongress, der Justiz und den Medien gegenüber, den ihn unter Kontrolle halten werden – hoffen die Manager. „Die Institutionen der brasilianischen Demokratie haben sich als stabil erwiesen“, sagt etwa Franco von Zurich.

Chris Garman, Emerging-Markets-und Brasilien-Experte beim Politberater Eurasia Group, ist ebenfalls der Meinung, dass Bolsonaro die demokratischen Institutionen nicht aushebeln könne. „Die Institutionen sind stärker als in anderen Emerging Markets“, sagt er. Zudem sei Brasilien nicht zentral organisiert, es gebe viele Machtzentren im Land.

Brasilien sei sehr schwer zu regieren, zumal Bolsonaro auch auf eine starke Opposition treffen würde. 44 Prozent der Brasilianer hätten gegen Bolsonaro gestimmt. Auch viele seiner jetzigen Wähler hätten nicht für ihn gestimmt, sondern vor allem gegen den linken Gegenkandidaten. Ein brasilianischer Präsident seit tendenziell eher schwach.

Deswegen sei es auch so schwer, das Land zu regieren oder einen Reformkurs durchzusetzen. „Genauso schwer ist es, Brasilien in eine Autokratie zu verwandeln“, sagt Garman.

Auch die Beziehungen zu Deutschland sehen die Wirtschaftsvertreter durch den Ex-Militär nicht grundsätzlich belastet – wie es in den letzten Tagen von sozialdemokratischen Abgeordneten zu hören war. „Wir hoffen, im April oder Mai nächsten Jahres endlich die zweiten deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen abhalten zu können“, sagt Wolfram Anders, CEO von Bosch in Brasilien und Präsident der Kammer.

Außerhalb Europas verhandelt Deutschland nur mit China, Indien, Russland und Israel auf solchem Spitzenniveau mit ausländischen Regierungen. Kanzlerin Angela Merkel war 2015 mit einem Dutzend Ministern und Staatssekretären nach Brasília zum ersten Treffen dieser Art gereist. Wegen der politischen Krise fand danach keines der geplanten Treffen mehr statt.

Aus deutschen diplomatischen Kreisen ist zu hören, dass man jetzt erst einmal abwarten wolle, welche Zeichen der designierte Präsident setze. Ein Austritt aus dem Klimaschutzabkommen oder der Uno, wie von Bolsonaro im Wahlkampf angedroht, würde die diplomatischen Beziehungen zwischen den Staaten nachhaltig belasten.

Entscheidend sei nun, dass Bolsonaro sofort die Renten- und Steuerreform angehe, um das Haushaltsdefizit zu senken. „Brasilien muss signalisieren, dass es bei diesen Themen aufgewacht ist“, sagt Schiemer von Mercedes. Dass die Aussagen Bolsonaros in den letzten Wochen zur Wirtschaft im besten Fall widersprüchlich sind, das stört die deutschen Vertreter weniger.

Sicherlich ist es problematisch – das räumen die Manager ein –, dass man bei Bolsonaro nicht wisse, was er wirklich wolle und was er letztendlich umsetzen könne. „Die entscheidende Frage ist, ob er in der Lage ist, Allianzen im Kongress zu schmieden“, sagt Anders von Bosch. Die positive Stimmung an der Börse und den Märkten seit dem ersten Wahldurchgang interpretiere er als spekulativ, aber nicht nachhaltig.

„Für die Wirtschaft ist entscheidend, dass Bolsonaro grundsätzlich Planungssicherheit schafft“, sagt Duisberg. Auch dass Bolsonaro sein künftiges Kabinett mit Militärs besetzen will, stört die deutschen Wirtschaftsvertreter nicht. Die Generäle seien bei Themen wie Sicherheit und Infrastruktur gut vorbereitet, heißt es. Auch Garman von Eurasia Group sieht die Militärs eher als einen moderierenden Akteur.

Wirtschaft steckt tief in der Krise

Sollte Basilien auch unter Bolsonaro keinen wirtschaftlichen Reformkurs einleiten, dann sei der weitere Abstieg programmiert. In den letzten Tagen kamen erneut enttäuschende Nachrichten aus der brasilianischen Wirtschaft. Etwa die sinkenden ausländischen Direktinvestitionen nach den Erhebungen der Unctad.

Danach verzeichnet Brasilien mit einem Minus von 22 Prozent im ersten Halbjahr unter allen Schwellenländern den stärksten Rückgang ausländischer Investitionen. Oder die erneuten Verluste der Wettbewerbsfähigkeit Brasiliens. Nach Daten des World Economic Forum ist die größte Volkswirtschaft Südamerikas in dieser Disziplin seit 2014 von Platz 57 auf Rang 72 unter 137 Staaten abgerutscht.

Die Investitionen der deutschen Konzernleitungen verlagerten sich immer mehr nach Asien. Auch der Binnenmarkt mit 210 Millionen Konsumenten in Brasilien verliere an Attraktivität für deutsche Investoren wegen der Wirtschaftskrise. Brasilianische Filialen machen heute nur noch rund durchschnittlich zwei Prozent vom Gruppenumsatz der weltweiten Unternehmen aus. Vor ein paar Jahren seien das noch fünf bis zehn Prozent gewesen.

Nicht nur die Auslandsinvestitionen schrumpfen – auch die Brasilianer investieren nicht mehr. „Brasilien taugt immer weniger als Exportplattform, weil die Industrie nicht mehr wettbewerbsfähig ist“, sagt Anders von Bosch. Lateinamerika habe vor allem wegen Brasilien weltweit an Relevanz verloren. „Brasilien muss endlich aufhören, Enttäuschungen am laufenden Band zu liefern wie in den letzten Jahren“, sagt Schiemer von Mercedes. „Bitte keine Hiobsbotschaften mehr.“