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Berlin will Unternehmen zu globaler Verantwortung zwingen

Arbeitsteilung über Grenzen hinweg ist ein zentrales Merkmal der global vernetzten Wirtschaft. An Herstellung und Vertrieb eines Herrenhemds sind bis zu 140 Akteure aus verschiedenen Ländern beteiligt. Baumwollbauern aus Burkina Faso, Näherinnen in Bangladesch, Designer in den USA, philippinische Matrosen auf den Containerschiffen. Auch in Maschinen, Autos oder Chemieprodukten stecken Vorleistungen aus dem Ausland.

Die Arbeitsteilung geht in Ordnung, solange überall Sozialstandards beachtet und Menschenrechte eingehalten werden. Doch das ist nicht immer der Fall. Der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza 2013 in Bangladesch mit mehr als 1100 Toten brachte auch europäische Textilketten in Verruf. An der Förderung von Coltan, einem Rohstoff für die Handyproduktion, verdienen auch Warlords im afrikanischen Bürgerkriegsland Kongo.

Und nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist Kinderarbeit keineswegs gestoppt, sondern betrifft noch rund jedes zehnte Kind weltweit. Die Politik fordert schon lange, dass Unternehmen nur „saubere“ Produkte und Dienstleistungen im Ausland einkaufen.

„Die Verbraucher in Deutschland akzeptieren es längst nicht mehr, wenn am Anfang der Lieferkette Kinder für uns arbeiten müssen und Hungerlöhne gezahlt werden“, sagt Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im Interview mit dem Handelsblatt.

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Deutschland habe mit die besten Arbeitsbedingungen weltweit. „Ich finde, wir haben deshalb auch die Pflicht, Kosten nicht zulasten der Ärmsten in der Welt zu externalisieren“, ergänzte Müller. Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) betonte zum Jahreswechsel: „Wir wollen eine Globalisierung, die nachhaltig und gerecht ist.“

Die Achtung der Menschenrechte durch international agierende Unternehmen sei dafür zentral. Die Bundesregierung hat zusammen mit der ILO den Vision Zero Fonds für einen verbesserten Arbeitsschutz in den ärmeren Produktionsländern aufgesetzt. Bei den Unternehmen setzte die Politik vor allem auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft.

Wir sehen erste Schritte in der Durchsetzung menschenwürdiger Arbeit in globalen Lieferketten und gleichzeitig weiteren Handlungsbedarf“, mahnt ILO-Generaldirektor Guy Ryder.

2014 gründete Müller das „Textilbündnis“, an dem sich inzwischen freiwillig die Hälfte der Firmen der Branche beteiligt. Diese Unternehmen sprechen mit ihren Zulieferern aus Entwicklungsländern über Arbeits- und Umweltschutz und sind ihnen behilflich, die Standards einzuhalten.

In jüngster Zeit kamen allerdings keine Firmen mehr neu dazu. Und generell zeigt die Selbstverpflichtung der Wirtschaft nicht die erhoffte Wirkung. Deshalb bringt die Bundesregierung nun ein neues Gesetz ins Spiel. „Perspektivisch brauchen wir für Unternehmen Klarheit und Rechtssicherheit, wenn es um die Sorgfaltspflichten entlang von Lieferketten geht“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dem Handelsblatt. „In einer globalen Wirtschaft endet die Verantwortung der Industriestaaten für gute Arbeit nicht an nationalen Grenzen.“

Bis 2020 sollen rund 7000 Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern belegen, ob sie ihrer Sorgfaltsplicht in Sachen Menschenrechten nachkommen.

So hat die Regierung es im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) beschlossen. Noch im März wird die Unternehmensberatung E & Y im Auftrag der Regierung die Fragebögen verschicken. Sollte die Erhebung weitere Missstände zutage fördern, will die Regierung handeln: Viele Unternehmen hielten sich bereits vorbildlich an die Regeln, sagt Entwicklungsminister Müller.

Es gehe aber darum, zu verhindern, dass die anderen Standards unterliefen und dadurch sogar noch Wettbewerbsvorteile hätten. In Müllers Ministerium wird bereits an Eckpunkten für ein „Wertschöpfungskettengesetz“ gearbeitet. Es soll die Sorgfaltspflichten definieren, die deutsche Firmen im Umgang mit Lieferanten aus Entwicklungsländern künftig einhalten müssten.

Vorgesehen sind etwa Berichtspflichten, auch sollen Unternehmen Beauftragte für die Einhaltung der Regeln benennen. Der Entwurf sieht millionenschwere Bußgelder vor. Müllers Beamte drohen Compliance-Beauftragten gar mit Haft, sollten sie wissentlich falsche Angaben machen.

Daimler reagierte auf Kritik

Bei der Wirtschaft stoßen die Pläne auf ein geteiltes Echo. „Es kann nicht sein, dass Unternehmen Rechtspflichten übertragen werden, die nur Staaten für ihr Territorium übernehmen können und auch müssen“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter.

Offensichtliches Staatsversagen, das zu Menschenrechtsverletzungen oder Ausbeutung führe, dürfe nicht auf dem Rücken der global agierenden Unternehmen ausgetragen werden. Es sei „absurd zu glauben, dass Firmen für Tausende von Zulieferern und Zuzulieferern haften oder Standards gewährleisten könnten“, so Kampeter.

„Für die Umsetzung unserer Nachhaltigkeitsanforderungen entlang der Lieferkette könnte Regulierung hilfreich sein, um einheitlich akzeptierte Standards zu schaffen“, sagte hingegen ein Sprecher des Daimler-Konzerns.

Wichtig sei jedoch bei jeder Art von Regulierung, dass diese angemessen und für Unternehmen auch umsetzbar sei. Die Wirtschaft fürchtet auch großen bürokratischen Ballast durch ein Gesetz, etwa durch Dokumentationspflichten zu allen Zulieferern. Allein der Chemie- und Pharmakonzern Bayer hat 110.000 direkte Zulieferer, bei Daimler sind es 60.000.

Zudem setzen die Unternehmen auf ihre Selbstverpflichtungen und eigenen Kontrollsysteme. Daimler etwa hat 50 sogenannte „Risikorohstoffe“ identifiziert, die insbesondere für den Bau von Elektroautos notwendig sind. Neben Wolfram und Zinn steht besonders Kobalt im Fokus. Rund zehn Kilogramm des seltenen Erzes braucht Daimler für den Bau eines Elektroautos. Der Preis für Kobalt hat sich seit 2016 mehr als vervierfacht.

60 Prozent des heute geförderten Kobalts stammen aus dem Kongo, wo nach Angaben von Amnesty International Kinderarbeit und Ausbeutung an der Tagesordnung sind. Daimler erfülle noch nicht einmal die Minimalstandards an „Transparenz und Sorgfaltspflicht“, klagte die Menschenrechtsorganisation 2017 in einem Bericht.

Daimler hat deshalb 2018 das „Human Rights Respect System“ ins Leben gerufen, das bis 2020 die Achtung der Menschenrechte umsetzen soll. Kobalt soll nur noch aus überwachten Minen bezogen werden, in denen der Arbeitsschutz eingehalten wird. Jeder Lieferant wird auf die Einhaltung von Menschenrechten verpflichtet, allerdings gibt es bei einigen Lieferketten bis zu 20 Sublieferanten.

In der Pflicht stehen nun vor allem Batteriezellenhersteller wie der chinesische CATL-Konzern, der in Thüringen derzeit eine Fabrik für Daimler und BMW baut. Die Chinesen hätten sich bereit erklärt, sich den „westlichen Gegebenheiten“ zu stellen, erklärte Daimler im vergangenen Jahr. Immerhin: Bis 2025 wollen die Daimler-Techniker Elektroautos entwickeln, die ganz ohne Kobalt auskommen.

Entwicklungsminister Müller verweist darauf, dass Länder wie Frankreich oder Großbritannien längst Gesetze für saubere Lieferketten haben. In Großbritannien gilt seit 2015 der „Modern Slavery Act“, in Frankreich seit 2017 das „Loi sur le Devoir de Vigilance“:

Beide richten sich gegen Zwangsarbeit in den Lieferketten der heimischen Unternehmen und verlangen die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards, wie sie in den „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2011 verankert sind.

Weil es Vorbilder in anderen Ländern gibt, ist es den Ministern Müller und Heil wichtig, ihr Vorgehen europäisch zu koordinieren. Er werde sich im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft, die Deutschland in der zweiten Jahreshälfte 2020 innehat, auch für einheitliche Regeln in Europa einsetzen, kündigte Heil an.

Darauf pocht auch die Wirtschaft: „Wir dürfen nicht anders behandelt werden als unsere Konkurrenten beispielsweise aus Spanien oder Irland“, fordert der Chef der Modekette Kik, Patrick Zahn. Einem Gesetz steht Zahn zwar nicht ablehnend gegenüber.

Ob es am Ende aber wirklich zu sauberen Lieferketten führt, hält er für fraglich: „Sie müssen alles, was in Ihrer Macht steht, dafür tun, dass nichts passiert“, sagt Zahn. „Aber Sie können als globales Unternehmen auch nicht für alles in den Produktionsstätten ihrer Zulieferer garantieren.“