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Berlin und Moskau schweigen zu Marsaleks Aufenthaltsort

Weder die deutsche noch die russische Regierung dementieren den Handelsblatt-Bericht zu Marsaleks Aufenthaltsort. Die Aussichten, den Ex-Vorstand von Wirecard zu fassen, sind jedoch vage.

Die Bundesregierung und die russische Staatsführung wollen beide nichts sagen zur vom Handelsblatt enthüllten Flucht des Ex-Vorstands des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard nach Moskau. Laufende Verfahren würden nicht kommentiert, lehnte eine Sprecherin der Bundesregierung entsprechende Nachfragen am Montag ab. Und der Sprecher von Russlands Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, sagte zu dem Fall: „Nein, es ist nichts bekannt.“

Damit dementieren beide Seiten den Handelsblatt-Bericht ausdrücklich nicht, demzufolge der untergetauchte Ex-Vorstand Jan Marsalek in der Nähe von Moskau unter Obhut des russischen Militärgeheimdienstes GRU steht.

Er war nach Enthüllungen der renommierten Investigativ-Plattform Bellingcat Mitte Juni von Österreich via Tallin in die weißrussische Hauptstadt Minsk geflohen. Von dort war er nach Handelsblatt-Informationen über die nicht kontrollierte Grenze nach Russland gebracht worden.

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Die russische Nachrichtenagentur Interfax meldete am Montag, Marsalek werde von den russischen Behörden nicht verfolgt. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als dass der 1980 geborene Österreicher in Verdacht steht, in Libyen und Syrien eng mit dem GRU zusammengearbeitet zu haben. Unter dessen Obhut soll Marsalek nun westlich von Moskau auf einem Anwesen untergebracht sein. Marsalek wird eines Milliarden-Betrugs bezichtigt.

In der EU wächst nicht nur wegen der Marsalek-Affäre die Unmut über den GRU. Nach Handelsblatt-Informationen aus diplomatischen Kreisen wollen jetzt nach Großbritannien auch mehrere EU-Staaten Sanktionen gegen Mitarbeiter des Moskauer Militärgeheimdienstes erheben.

Denn der GRU wird sehr konkret bezichtigt, hinter immer neuen Hackerangriffen russischer Cyberkrimineller – zuletzt auf Corona-Impftstoffforscher der Universität Oxford – zu stehen.

Das deutsch-russische politische Klima ist ohnehin schon vergiftet: Die Bundesregierung hatte Strafmaßnahmen angekündigt wegen des von Russland angeordneten Auftragsmordes an dem früheren tschetschenischen Rebellen Selimchan Changoschwili in Berlin. Russland hatte für diesen Fall mit Gegenmaßnahmen gedroht.

Die wegen der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, von der EU und von den USA verhängten Sanktionen gegen Russland bestehen weiterhin, ebenso das im Gegenzug von Russland erlassene Verbot von Lebensmittelimporten aus der EU.

Eine nachdrückliche rechtliche Handhabe haben die deutschen Behörden bei der Jagd auf Marsalek nicht. Zwar haben die deutschen Strafverfolgungsbehörden den flüchtigen Ex-Wirecard Vorstand international zum Zugriff ausgeschrieben und dabei wohl eine Red Notice quer über den Globus veranlasst.

Eine solche Red Notice verpflichtet die davon erfassten Staaten – maximal 194 weltweit – aber lediglich zur Festnahme für den Fall, dass die gesuchte Person ihnen ins Netz geht. Dies kann beispielsweise bei einer Verkehrskontrolle oder beim Grenzübertritt sein, der kürzlich in Kroatien einem deutschen Audi-Manager zum Verhängnis wurde.

Auslieferungsabkommen ist „Grauzone“

Sollten die russischen Behörden Marsalek stellen können, müssten sie den Österreicher dann auch nach Deutschland überstellen, so sieht es das Auslieferungsrecht vor. „Doch eine Pflicht, den konkreten Aufenthaltsort des Beschuldigten aktiv zu ermitteln oder proaktiv nach ihm zu suchen, erwächst für ausländische Staaten aus der Red Notice nicht“, sagt der Kölner Strafverteidiger Nikolaos Gazeas, der auf Auslieferungsrecht spezialisiert ist.

Selbst wenn dezidierte Hinweise auf einen oder mehrere mögliche Aufenthaltspunkte Marsaleks in Russland vorliegen, sind die Aussichten der deutschen Behörden vage, ihm habhaft zu werden.

Zwar bedeuten diese Hinweise eine andere Sachlage und die deutschen Behörden könnten im konkreten Fall die Russen ersuchen, diese zu überprüfen, so Gazeas. Man könne dabei den Standpunkt einnehmen, „dass die russischen Behörden im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit zumindest angehalten sind, konkreten Hinweisen der Deutschen auf den Aufenthaltsort des Flüchtigen nachzugehen“.

Schließlich gebe es im Falle Russlands eine Festnahme- und Auslieferungspflicht aufgrund des Europäischen Auslieferungsübereinkommens aus dem Jahr 1957. Allerdings handele es sich auch um eine „rechtlich nicht in jedem Detail geregelte Grauzone“, so Gazeas. Ein Staat dürfe einem anderen souveränen Staat keine Ermittlungsanweisungen erteilen.

Offiziell werde sich Russland der Zusammenarbeit mit Deutschland nicht verweigern, schätzt Gazeas die Lage ein. Allerdings werde „letztlich niemand die russischen Behörden kontrollieren können, ob sie Hinweisen auf einen konkreten Aufenthaltsort auch tatsächlich nachgegangen sind“.

Und in der Praxis würde Deutschland Russland niemals öffentlich der Lüge oder Unwilligkeit bezichtigen und etwa Tätigkeitsprotokolle erfragen. Sollte ein russischer Geheimdienst seine schützende Hand über Marsalek halten, wären die Chancen in Gazeas Augen sehr gering, ihn in Russland zu stellen, auch wenn sein Aufenthaltsort bekannt sei.