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Bund und Länder streiten über die Rechnung für die Soforthilfen

Zwischen Bund und Ländern ist ein Konflikt über die Hilfen für Selbstständige und Kleinunternehmer entbrannt. Vielen Empfängern droht ein böses Erwachen.

Die beiden Bundesminister sind sich in ihrer Position gegenüber den Ländern einig. Foto: dpa
Die beiden Bundesminister sind sich in ihrer Position gegenüber den Ländern einig. Foto: dpa

Die Krisenmanager waren selbst ein wenig überrascht, wie schnell sie ihre Rettungsmillionen verteilen konnten. Ende März starteten viele Bundesländer mit Soforthilfeprogrammen für Soloselbstständige und Kleinunternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten. Und zwei Länder taten sich in den ersten Tagen besonders hervor: Berlin und Nordrhein-Westfalen zahlten in Windeseile Hunderte Millionen Euro aus.

„Wir haben das mit einem unglaublichen Kraftakt hinbekommen“, lobte sich die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). „Das Programm hat der Stadt in ihrer ganzen Breite unter die Arme gegriffen und ist ein riesiger Erfolg.“ Ihr nordrhein-westfälischer Kollege Andreas Pinkwart (FDP) war nicht weniger stolz auf sich: „Wir haben den Unternehmen in dieser für uns alle so herausfordernden Krise schnelle und unbürokratische Hilfe versprochen.“ Und er freue sich, dass es den Verantwortlichen in NRW gelungen sei, „dieses Versprechen so schnell einzulösen“.

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Doch mittlerweile zeichnet sich ab, dass die Schnelligkeit teilweise auf Kosten der Gründlichkeit gegangen ist. Berlin, Nordrhein-Westfalen und einige weitere Bundesländer verzichteten auf eine tief gehende Prüfung, ob die Antragsteller alle Voraussetzungen für die Hilfen erfüllten. „Da ging es teilweise zu wie am Geldautomaten“, kritisiert ein hochrangiger Beamter aus der Bundesregierung. Es sei an fast jeden ausgezahlt worden.

Mittlerweile sorgt das Soforthilfeprogramm deshalb für einen handfesten Streit zwischen der Bundesregierung und einigen Ländern. Denn die Milliarden, welche die Länder so schnell verteilten, wollen sie vom Bund zurück. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatten am 23. März einen Rettungsfonds für Soloselbstständige und Kleinunternehmer mit einem Volumen von 50 Milliarden Euro verkündet. Während das Geld vom Bund kommt, sollten die Länder das Hilfsprogramm umsetzen.

Das taten sie, gingen dabei jedoch teilweise großzügig über die Vorgaben des Bundes hinweg. Und deshalb droht der Bund nun, dass er nicht jede Rechnung begleichen wird. Die Länder könnten nun auf Milliardenkosten sitzen bleiben. Oder sie müssen das Geld von Empfängern zurückfordern, die – meistens wohl unbewusst – Hilfen beantragten, obwohl sie nicht alle Kriterien im Kleingedruckten der Bundesvorgaben erfüllten. Mehr als zehn Milliarden Euro haben die Länder mittlerweile ausgezahlt.

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, Sarah Ryglewski (SPD), macht in einem Schreiben an den Finanzausschuss des Bundestags deutlich, wofür der 50-Milliarden-Fonds gedacht ist. „Das Soforthilfeprogramm des Bundes sieht Zuschüsse zur Deckung des laufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwands der Antragsteller vor.“ Die Hilfe ist also nicht dazu gedacht, Selbstständigen oder Kleinunternehmern, denen ihr Verdienst wegbricht, die Lebenshaltungskosten zu bezahlen. Dazu sollen die Betroffenen Grundsicherung beim Jobcenter beantragen. Den Zugang hat der Bund erleichtert.

„Die Grundidee ist also: Die Existenzsicherung inklusive der Miete erfolgt schnell und unbürokratisch über die Grundsicherung, die laufenden Kosten für die Büromiete, Pachten oder andere Dauerschuldverhältnisse über das Sofortprogramm des Bundes“, schreibt Ryglewski. „Diese Fokussierung wurde im Vorfeld intensiv mit den Ländern erörtert und liegt bereits den vom Bundeskabinett beschlossenen Eckpunkten zum Sofortprogramm zugrunde“, betont die Finanzstaatssekretärin. Soll heißen: Die Länder wussten ganz genau, in welchen Fällen sie Hilfe zahlen können – und in welchen nicht.

Obwohl es um Bundesgeld geht, ist es jedoch den Bundesländern selbst überlassen, wie hart sie Unternehmer prüfen, die Anträge auf Soforthilfen stellen. In Hamburg etwa ist eine Liquiditätsprüfung erforderlich. Andere Länder wie Berlin und NRW sind deutlich weniger streng, damit die Hilfen möglichst schnell fließen können.

Besonders augenscheinlich ist das in Nordrhein-Westfalen: Bis Ende April wurden hier laut einer Übersicht des Bundesfinanzministeriums 364.000 Anträge bewilligt und Hilfen über 3,5 Milliarden Euro zugesagt. Mehr als in jedem anderen Bundesland. Das Ungewöhnliche: Jeder Antragsteller hat immer pauschal die Höchstsumme von 9000 Euro (bis fünf Beschäftigte) beziehungsweise 15.000 Euro (bis zehn Beschäftigte) erhalten – ganz unabhängig von seinem tatsächlichen betrieblichen Sachaufwand. Kein Wunder, dass die Hilfen in NRW schneller als anderswo bewilligt und ausgezahlt wurden.

Böses Erwachen droht

„Nordrhein-Westfalen hat sich entschieden, die Soforthilfe zunächst in vollem Umfang auszuzahlen und die Empfänger drei Monate nach Bewilligung aufzufordern, die nicht benötigte Soforthilfe an das im Bewilligungsbescheid angegebene Konto der Landeskasse zurückzuerstatten“, teilt das Wirtschaftsministerium auf Anfrage mit. „Im Nachgang der Förderung hat der Antragsteller eigenständig eine Berechnung seines betrieblichen Sach- und Finanzaufwands im Bewilligungszeitraum zu erstellen.“

Das könnte für viele ein böses Erwachen geben. Denn spätestens bei dieser Abrechnung wird dann für die Selbstständigen und Kleinunternehmer klar, dass sie weniger Hilfe behalten können als vielleicht gedacht – jedenfalls für die private Existenzsicherung. Wie viele der Hilfsempfänger das betrifft, ist unklar.

Aber dass NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart mittlerweile nun Druck macht, die Bedingungen für die Hilfen nachträglich auszuweiten, deutet darauf hin, dass es nicht nur ein paar Einzelfälle sind. „Die Bundesländer haben sich beim Bund nachdrücklich dafür eingesetzt, dass die von der Krise hart getroffenen zwei Millionen Soloselbstständigen Teile der Soforthilfe auch zur Sicherung ihres Lebensunterhalts einsetzen können“, sagte Pinkwart kürzlich. Er wird dabei von anderen Landeswirtschaftsministern unterstützt. Bisher ohne Erfolg.

Finanzstaatssekretärin Ryglewski macht in dem Schreiben an den Bundestagsfinanzausschuss deutlich, dass der Bund nicht die Rechnung für die Großzügigkeit der Länder begleichen will. „Selbstverständlich ist es den Ländern weiterhin unbenommen, mit Landesmitteln weitere Zielgruppen und Leistungselemente in den Blick zu nehmen, so wie dies einige Länder bereits tun“, schreibt sie. „Eine Finanzierung über die Mittel des Bundesprogramms ist insoweit allerdings nicht möglich.“ Im Bundeswirtschaftsministerium teilt man diese Linie. Altmaier soll das schon mehreren Landeskollegen deutlich gemacht haben.

Scholz für Reichensteuer

Denn auch in der Bundesregierung wachsen die Sorgen wegen der Begleichung der Krisenrechnung. Während die Ausgaben drastisch steigen, brechen dem Bund massiv Steuereinnahmen weg. Nach den Regeln der Schuldenbremse muss der Bund ab dem kommenden Jahr beginnen, den Haushalt zu konsolidieren. Dabei dürfte es um rund 20 Milliarden Euro jährlich gehen, schätzen Ökonomen.

Kein Wunder, dass Finanzminister Scholz mittlerweile laut über höhere Steuern nachdenkt, etwa für Reiche. Die Bürger, die „sehr, sehr viel verdienen, sollten einen etwas höheren Beitrag leisten“, sagte der SPD-Politiker dem „Tagesspiegel am Sonntag“. „Das bleibt unser Ziel, und das wird ganz sicher auch in unserem nächsten Wahlprogramm stehen.“

In den Bundesländern ist die Finanzlage nicht weniger angespannt. Deshalb wollen sie die Kosten für die Soforthilfe nicht selbst tragen, sondern die 50 Milliarden Euro des Bundes nutzen. So verbucht NRW die kompletten bewilligten 3,5 Milliarden Euro unter „Bundesprogramm“. Und auch Berlin hat mit 1,5 Milliarden Euro den allergrößten Teil als Bundeshilfe veranschlagt. Unter „Landesprogramm“ sind lediglich 244 Millionen Euro verbucht. In der Bundesregierung wachsen aber Zweifel, dass wirklich alle Hilfen die Vorgaben des Bundesprogramms erfüllen.

Gerade in Berlin, in der ein Großteil der Hilfsempfänger laut Wirtschaftssenatorin Pop aus dem Bereich Kunst und Unterhaltung kommen, könnte es viele geben, bei denen die betrieblichen Sachaufwendungen eher gering sind und die fälschlicherweise dachten, dass die Hilfen auch zur Deckung privater Lebenshaltungskosten gedacht sind.

Die Investitionsbank Berlin (IBB), die in der Hauptstadt die Soforthilfen managt, schickt nun nach eigener Auskunft noch mal an alle Hilfsempfänger Briefe, „in denen diese über ihre Rechte und Pflichten informiert“ werden.

Die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) registriert bereits „negative Rückmeldungen“, wie eine Sprecherin sagt. Das lasse darauf schließen, dass einige von ihnen erst beantragt und sich dann im Nachgang beziehungsweise mit Eintreffen des Schreibens von der IBB mit den Details auseinandergesetzt hätten.

Tatsächlich dürfte der Brief der IBB für einige der mehr als 200.000 Hilfsempfänger eine Enttäuschung sein, nachdem sie sich zunächst so über die schnelle Hilfe gefreut haben. Denn darin werden nun die Vorgaben des Bundes, dass es nur um betriebliche Sachkosten geht, noch mal erklärt. Sollten die Hilfsempfänger nun feststellen, dass sie nicht berechtigt sind oder zu viel beantragt haben, müssten sie den Zuschuss teilweise oder vollständig zurückzahlen. Die Kontonummer ist direkt mit angegeben. Und der bei der Überweisung einzutragende Verwendungszweck: „Rückläufer“.