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Im boomenden Silicon Saxony werden die Arbeitskräfte knapp

(Bloomberg) -- Seit ab den 1970er Jahren das VEB Kombinat Robotron den Arbeiter- und Bauernstaat ins Elektronikzeitalter katapultieren sollte, ist Dresden ein Epizentrum für Computerbau und Chipentwicklung. Dieses Erbe lebt fort, und heute kommt jeder dritte in Europa hergestellte Halbleiter aus dem Freistaat Sachsen.

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Immer noch fließen Investitionen und Subventionen in Milliardenhöhe in den Südosten der Republik; auf die im Branchenjargon “Fabs” genannten sächsischen Produktionsstätten von Infineon, Bosch und Globalfoundries könnte bald eine der Taiwan Semiconductor Manufacturing folgen.

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Doch der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften belastet die Branche. Mehr als 76.000 Menschen arbeiten jetzt schon in der sächsischen Chipindustrie, was zum Teil den nahe gelegenen Clustern von Forschungsinstituten, Unternehmen der Halbleiterindustrie und technischen Universitäten zu verdanken ist. Bis zum Jahr 2030, so prognostizieren Lobbyisten, wird diese Zahl auf 100.000 anwachsen.

Das ist jedoch nicht genug — nicht für Deutschland und auch nicht für die Europäische Union. Bis zum Ende des Jahrzehnts will die EU ihren Anteil an der weltweiten Halbleiterproduktion von 10% auf 20% verdoppeln. Dresdens Versuche, Fachkräfte auszubilden und anzuwerben, könnten dafür lehrreich sein.

Etwa Sampada Godkhindi, die ihren Master an der Technischen Universität Dresden im Bereich Nanoelectronic Systems gemacht hat. Der im Jahr 2011 eingeführte Studiengang zieht viele Studenten aus dem Ausland an und bildet eine Pipeline an Nachwuchskräften, die direkt in die Industrie fließt.

Godkhindi stammt aus dem südindischen Bundesstaat Karnataka, in dem auch die indische IT-Hochburg Bengaluru liegt. Nachdem sie für einen deutschen Automobilzulieferer gearbeitet hatte, begann sie sich über Masterstudiengänge in Deutschland zu informieren, und die TU Dresden stand bei ihren Recherchen ganz oben. Nach dem Abschluss wollte sie in Sachsen bleiben und bekam einen Job als Integrationsingenieurin bei GlobalFoundries.

Die Industrie weiß das zu schätzen. “Die Verzahnung mit Universitäten mit internationalem Einzugsgebiet und sehr gut ausgebildeten Studierenden ist eine wichtige Säule für zukünftige Talente”, meint etwa Bosch auf Anfrage. Speziell in Dresden sei die Nähe zur TU und Forschungsinstituten wie Helmholtz-Gesellschaften und Fraunhofer Institute “eine gute Basis, um neben erfahrenen Halbleiterexperten auch junge Absolventen und Fachkräfte für unser Halbleiterwerk zu gewinnen”.

Außerdem gibt es im Umfeld der Chiphersteller ein lebendiges Ökosystem von Unternehmen, das von Branchenverbänden wie Silicon Saxony gefördert wird. Der Verein mit über 450 Mitgliedern vertritt Chiphersteller, akademische Einrichtungen und Zulieferer aus dem Freistaat.

Ähnliche Rahmenbedingungen will die EU in der gesamten Union schaffen. Im neuen EU-Chipgesetz werden 43 Milliarden Euro für die Stärkung des Halbleitersektors bereitgestellt. Neben Subventionen für Forschung und große neue Produktionsstätten soll auch die Qualifikationslücke in der Mikrochip-Produktion geschlossen werden. Ziel ist die Ausbildung von 500.000 Mikroelektronik-Experten im kommenden Jahrzehnt.

Die Bundesregierung verkündete im Oktober ihre Strategie für das “Fachkräfteland Deutschland”, das auf zeit­gemäße Aus­bildung und gezielte Weiter­bildung, aber auch auf eine moderne Einwanderungs­politik setzt — nicht unbedingt eine einfache Aufgabe in Sachsen, einer Hochburg der Rechtsaußen-Partei AfD. “Wir sind auf Zuwanderung qualifizierter Mitarbeitender angewiesen”, sagt Infineon. “Um dies zu ermöglichen, muss die Einwanderung politisch wie gesellschaftlich erleichtert werden.”

Laut einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft werden 28% der Experten und 33% der leitenden Mitarbeiter in der deutschen Halbleiterindustrie in den nächsten 10 bis 12 Jahren das Rentenalter erreichen. Deutschlandweit meldete die Branche zwischen Juli 2021 und Juni 2022 einen Mangel von im Schnitt 62.000 Mitarbeitern. Und in Ostdeutschland ist die Überalterung der Gesellschaft seit dem Fall der Mauer noch stärker ausgeprägt, so Studien-Koautor Dirk Werner. “Deswegen wird es da wirklich sehr, sehr schwer, junge Menschen für eine Berufsausbildung zu gewinnen.” Auch das Arbeits- und Sozialministerium lässt keinen Zweifel: “Es besteht weiterhin großer Bedarf an ausländischen Fachkräften.”

Dresden hat dieses Thema in den letzten Jahren zu einer Priorität erklärt, was dem Chipsektor zugute kommt. Infineon, das vor kurzem den Grundstein für eine vierte Fabrik in der Stadt gelegt hat, beschäftigt in Sachsen Mitarbeiter aus mehr als 50 Ländern, während GlobalFoundries an seinem Standort in Dresden mehr als 40 Nationalitäten vertreten hat. Von den Studenten, die im vergangenen Jahr die 65 Plätze im Studiengang Nanoelectronic Systems an der TU Dresden belegten, kamen viele aus China und dem Iran. 57% waren Inder.

Diese sich verändernden Demografie ist zum Teil die langfristige Folge der Vernachlässigung der Ausbildung in den sogenannten Mint-Fächern. “Wir hatten weniger Elektroingenieure, die die Hochschulen verließen”, sagt Syed Alam, ein Experte für die globale High Tech-Industrie bei Accenture.

Ein weiterer Grund für den Personalmangel ist laut Silvana Muscella, technische Koordinatorin des EU-Projekts Allpros.eu die Schwierigkeit, mit den Gehältern in anderen Teilen der Welt mitzuhalten. “Europa verliert Spitzenkräfte, weil es nicht so viel zahlen kann wie ein Unternehmen in Singapur, Südkorea, den USA oder Kanada”, sagt Muscella. Und auch andere Technologiesektoren zahlen mehr für körperlich weniger anstrengende Jobs, sagt Alam: “Die jungen Elektroingenieure entscheiden sich vielleicht nicht in erster Linie für die Halbleiterindustrie — sie gehen in die Softwareindustrie.”

Die Unternehmen überlassen das Thema nicht ausschließlich dem Staat, sagt Frank Bösenberg von Silicon Saxony. Er ist sich darüber im Klaren, wo seine zukünftigen Kollegen zu finden sein werden. “Es ist völlig klar, dass die Bedarfe, die heute und in Zukunft entstehen, nur sehr, sehr schwer oder gar nicht rein aus Sachsen gedeckt werden können” sagt Bösenberg. “Es ist eigentlich jetzt schon klar. Wir brauchen Zuwanderung.”

Doch nach der Anwerbung ist die nächste Herausforderung, die Fachkräfte auch zum Bleiben zu bewegen. Angesichts der wachsenden Zustimmung für die AfD — einige Umfragen sehen sie im Freistaat bereits als stärkste Partei noch vor der CDU — ist den Chipherstellern klar, dass sie sicherstellen müssen, dass Dresden eine Stadt bleibt, in der Ausländer gerne leben.

Godkhindi kann sich nach vier Jahren in Dresden durchaus vorstellen, für lange Zeit dort zu leben. Sie hält vor allem die deutsche Werbung für potenzielle Studenten aus dem Ausland für verbesserungsbedürftig. “Deutschland ist ein sehr studentenfreundliches Land”, sagt sie. “Die Ausbildung ist sehr gut und die Lebenshaltungskosten relativ niedrig. Das wird bei den Studenten in Indien nicht gut beworben.”

Überschrift des Artikels im Original:The German Chip Sector’s Next Challenge: Labor

©2023 Bloomberg L.P.