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Auf der Anklagebank: Die Justiz nimmt immer öfter Topmanager ins Visier

Der Prozess-Auftakt gegen Ex-Audi-Chef Stadler und andere zeigt: Die Gerichte verschärfen ihre Gangart gegenüber Spitzenmanagern. Bald dürfte es auch Unternehmen treffen.

Fünf Jahre nach Aufdeckung des VW-Dieselskandals beginnt jetzt der erste deutsche Strafprozess in dieser Sache. Foto: dpa
Fünf Jahre nach Aufdeckung des VW-Dieselskandals beginnt jetzt der erste deutsche Strafprozess in dieser Sache. Foto: dpa

München ist seit Mittwoch Schauplatz eines denkwürdigen Prozesses: Vier ehemalige Audi-Topmanager stehen dort vor Gericht. Mitangeklagt: Rupert Stadler, der die VW-Tochter mehr als eine Dekade lang geführt hatte. Die Manager müssen sich wegen ihrer möglichen Beteiligung an der Manipulation von Millionen Dieselmotoren verantworten, dem wohl größten Wirtschaftsbetrug der deutschen Geschichte.

Aber der Fall Audi wirft auch ein Schlaglicht auf den sich verändernden Umgang der deutschen Justiz mit der Wirtschaft. Den Wandel bekommen zunehmend auch Vertreter der obersten Führungsriege zu spüren.

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Im Dieselskandal hat das Gericht jüngst auch zwei Anklagen gegen den früheren VW-Boss Martin Winterkorn zugelassen. In der Cum-Ex-Affäre um zu Unrecht erstattete Steuern werden bald zahlreiche Topbanker vor Gericht erscheinen müssen. Und im Fall Wirecard – der allerdings von besonderer krimineller Energie gekennzeichnet ist – sitzen aktuell vier einstige Führungskräfte in U-Haft, darunter Ex-Vorstandschef Markus Braun.

„Es gibt schärfere Regeln, schärfere Überwachungsmaßnahmen und neue Wege, Straftaten aufzudecken“, bilanziert Jürgen Wessing, einer der erfahrensten Strafverteidiger in Deutschland. Dabei stehe die „größte Reform des deutschen Wirtschaftsstrafrechts“ erst noch bevor: die Neuregelung des Unternehmensstrafrechts, die im Koalitionsvertrag fixiert ist. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) verlangt „empfindliche Sanktionen“, die Unternehmen künftig „wirksam von Straftaten abhalten“.

Strafrechtlich können bislang nur Manager oder Mitarbeiter für Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen werden. Nicht zuletzt die Dieselaffäre gab den Anstoß zu der seit langer Zeit größten Reform des deutschen Wirtschaftsstrafrechts. Danach sollen nicht mehr nur handelnde Personen, sondern auch kriminelle Unternehmen belangt werden.

Schon im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD angesichts der Machenschaften mit manipulierter Abgassoftware darauf verständigt, ein neues „Sanktionsrecht für Unternehmen“ zu schaffen.

Künftig sollen Firmen, aus denen heraus Straftaten begangen werden, mit drastischen Sanktionen rechnen müssen. Bei Vergehen wie Betrug, Korruption oder Umweltdelikten drohen Bußgelder von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. Bei großen Konzernen könnte das auf Strafen im zweistelligen Milliardenbereich hinauslaufen.

Ähnliche Größenordnungen gibt es bisher nur im Wettbewerbsrecht: Zum Beispiel bemessen sich die Strafen für Kartelltäter am Umsatz des Konzerns. Die am Lkw-Kartell beteiligten Unternehmen bekamen das schmerzlich zu spüren. Diese Gangart soll künftig auch bei anderen Straftaten die Regel sein. Bundesjustizministerin Lambrecht treibt das Vorhaben voran.

Bislang liegt es weitgehend im Ermessen der Behörden, ob und wie sie gegen Delikte vorgehen. Unternehmensstraftaten können auch nur mit einer Geldbuße nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz geahndet werden: maximal zehn Millionen Euro.

Gesetz zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft

Finanzkräftige multinationale Konzerne zahlen das jedoch aus der Portokasse. Allenfalls die Gewinnabschöpfung machte Druck. Hier werden die mit Straftaten erzielten Profite eingezogen. VW etwa musste wegen der Dieselaffäre eine Milliarde Euro zahlen, Audi 800 Millionen Euro und Porsche 535 Millionen Euro.

Nun liegt der Entwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ vor, gestartet noch mit dem Titel „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“. Demnach müssen Staatsanwaltschaften künftig gegen eine Firma ermitteln, wenn es einen Verdacht gibt, dass aus dem Unternehmen heraus Straftaten begangen werden.

Festgelegt wird zudem, dass Befunde von unternehmensinternen Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und verwendet werden dürfen. Hier bestand seit dem VW-Abgasskandal und der Durchsuchung der Kanzlei Jones Day eine unklare Rechtslage.

Abschreckung und Aufforderung zu mehr Compliance-Maßnahmen – so lautet also das Rezept der Regierung. „Wir sorgen mit dem Gesetz dafür, dass die ehrlichen Unternehmen nicht am Ende die Dummen sind“, schwärmt Lambrecht. Wirtschaftskriminalität schade vor allem der Wirtschaft selbst und dem fairen Wettbewerb.

Doch zuletzt regte sich immer stärkerer Widerstand gegen das Vorhaben. Im Bundesrat kritisierten zahlreiche Länder, dass ganze Unternehmen „schuldlos“ für das Fehlverhalten Einzelner haften würden. Unternehmenssanktionen träfen letztlich die Kapitalgeber des Unternehmens sowie die Angestellten. Der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) sprach von einem „Irrweg des Unternehmensstrafrechts“.

Die Bundesregierung soll nun prüfen, inwieweit die vorgesehenen Verbandsverantwortlichkeiten und Sanktionen für kleinere und mittlere Unternehmen „verhältnismäßig ausgestaltet“ seien. Der Wirtschaftsflügel der Union will das Vorhaben ganz zu Fall bringen.

Wie die Behörden die Gangart verschärfen, zeigt auch der am Mittwoch gestartete Abgasprozess in München. Staatsanwalt Dominik Kieninger, der als harter und unnachgiebiger Strafverfolger gilt, ließ drei der Manager monatelang in Untersuchungshaft sitzen. Im Fall von Giovanni Pamio zeigte das Wirkung. Der Ingenieur ließ sich nach anfänglichem Zögern von Kieninger und seinen Kollegen ausführlich vernehmen.

Dass Staatsanwälte die Untersuchungshaft immer häufiger als strategisches Mittel einsetzen, um Beschuldigte unter Druck zu setzen, beobachtet Jürgen Wessing. „Der Fall Audi ist durchaus typisch“, sagt der Verteidiger. „Offenbar wollen Ermittler damit den Druck auf die Beschuldigten erhöhen. Es heißt nicht umsonst‚ ,Untersuchungshaft schafft Rechtskraft‘.“

Wessing hält das für eine gefährliche Entwicklung. „ Die Untersuchungshaft ist kein legitimes Mittel, um Geständnisse zu erzwingen“, warnt der Jurist.

Auch im Bilanzskandal um den inzwischen insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard hat das Gericht Haftbefehle erlassen. In diesem Fall sitzen vier Topmanager in Untersuchungshaft, darunter der langjährige Vorstandschef. Markus Braun hält sich für unschuldig und wehrt sich gegen die U-Haft – bisher erfolglos.

Wirecard: Keine Beißhemmung gegen Vorstände

Offenbar werden er und auch der flüchtige ehemalige Asienvorstand Jan Marsalek durch einen anderen Beschuldigten schwer belastet. Verteidiger messen solchen Aussagen oft nur einen begrenzten Wert zu. Schließlich gehe es dem Beschuldigten auch darum, seine eigene Haut zu retten. Motiv für die Aussagen sei vielfach die in Aussicht gestellte Strafmilderung.

Der Fall Wirecard zeigt indes, dass die Staatsanwaltschaft selbst gegenüber der Führungsriege eines ehemaligen Dax-Konzerns keine Beißhemmung zeigt. Neben Braun sitzen drei weitere Ex-Topmanager in Untersuchungshaft, darunter der langjährige Finanzvorstand Burkhard Ley, der ehemalige Leiter des Rechnungswesens, der über dubiose Vorgänge in Singapur, darunter Kontomanipulation und Dokumentenfälschung, informiert gewesen sein soll.

Per internationalem Haftbefehl gesucht wird der Asienvorstand und Braun-Vertraute Marsalek. Eine Sonderrolle hat der Dubai-Manager Oliver Bellenhaus. Er hat sich der Staatsanwaltschaft gestellt und gilt nun als Kronzeuge, weil er umfassend aussagt und andere Beschuldigte belastet.

Zu beobachten war das auch in dem viel beachteten ersten Cum-Ex-Strafprozess gegen zwei britische Aktienhändler in Bonn. Die beiden hatten mit mit dem Handel von Wertpapieren an der Hinterziehung von vielen Hundert Millionen Euro mitgewirkt, allerdings frühzeitig mit der Staatsanwaltschaft kooperiert und sich auch vor Gericht reuig gezeigt.

Das brachte ihnen einen großen Bonus beim Strafmaß: Beide kamen mit Bewährungsstrafen davon. Das ist ungewöhnlich, weil laut Bundesgerichtshof Steuerstraftaten ab einem Schaden von einer Million Euro grundsätzlich mit Freiheitsstrafen ohne Bewährung zu belegen sind.

Für viele Manager in der Finanzindustrie hat dieser Schachzug der Staatsanwaltschaft weitreichende Folgen: Das Insiderwissen der beiden Händler sorgte dafür, dass die Behörde rund 30 weitere Ermittlungsverfahren einleiten oder forcieren konnte.

Insgesamt gehen die Staatsanwaltschaften in Köln, Frankfurt, München und Stuttgart inzwischen mehr als 80 Komplexen nach. Es trifft namhafte Finanzinstitute wie die Deutsche Bank, die Hypo-Vereinsbank, die Deutsche Börse oder M.M. Warburg. Auf den Beschuldigtenlisten der Staatsanwälte stehen rund 1000 Verdächtige, darunter etliche hochrangige Bankmanager.

Der Fall Siemens gab den Anstoß

Die Geldhäuser sind nun bemüht, den Skandal abzuschütteln. In vielen Instituten laufen teure Aufräumarbeiten. Anwälte und Wirtschaftsprüfer arbeiten den Staatsanwälten zu, um den Schaden in Grenzen zu halten. Es ist ein typischer Reflex, ausgelöst auch durch die amerikanische Justiz, die bei Wirtschaftsdelikten immer häufiger in deutschen Unternehmen interveniert.

Den entscheidenden Anstoß für ein grundlegend neues Complianceverständnis in den deutschen Unternehmen gab vor anderthalb Jahrzehnten Siemens. Der Konzern hatte schwarze Kassen geführt, um in großem Stil Kunden im Ausland zu bestechen. Das flog auf und riss mehrere Manager in den Abgrund. Prominentester der betroffenen Manager war Heinrich von Pierer, langjähriger Siemens-Chef und dann Aufsichtsratsvorsitzender. Das Besondere: Siemens musste sich auch auf Druck der US-amerikanischen Behörden einen Aufpasser („Monitor“) gefallen lassen.

Nach der Enthüllung des Schmiergeldskandals bei Siemens machten sich viele Unternehmen daran, Compliancesysteme in ihren Unternehmen aufzubauen. Beginnend mit einem neutralen Ansprechpartner für Whistleblower und endend mit internen Controllingstrukturen, die das Verschwinden von Vermögen oder ungerechtfertigte Zahlungen verhindern sollten.

Der Gesetzgeber musste eigentlich nicht zusätzlich aktiv werden. Es galt schlicht, bestehende Gesetze auch einzuhalten. Solche Regeln der sauberen Unternehmensführung waren im Laufe der Zeit durchaus Änderungen unterworfen. Bis in die Mitte der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts konnten deutsche Firmen Bestechungsgelder sogar von der Steuer absetzen, juristisch betrachtet waren es verkaufsfördernde Aufwendungen.

Damit machte der Gesetzgeber dann aber radikal Schluss. Auch die Empfänger von Schmiergeldern, vor allem wenn es Beamte sind, machen sich heute strafbar. Der Staat führt inzwischen schwarze Listen mit Unternehmen, die schon einmal mit illegalen Methoden versucht haben, Staatsaufträge abzugreifen. Sie können von weiteren Ausschreibungen ausgeschlossen werden.

Das alles änderte allerdings nichts daran, dass es immer wieder Fälle von Bestechung, Betrug oder auch Bilanzfälschung gab. Volkswagen, Cum-Ex und Wirecard sind die jüngsten spektakulären Beispiele dafür.

Der Münchener Prozess gegen Stadler und Co. ist dabei nur der Auftakt für die strafrechtliche Aufarbeitung des Dieselskandals. Es werden weitere folgen, unter anderem gegen Ex-VW-Boss Martin Winterkorn, der wegen Betrug und Marktmanipulation angeklagt ist.