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Wirecard und Marsalek: Neue Spuren führen in die Türkei

Das Netzwerk von Jan Marsalek steht im Zentrum des Betrugsskandals bei Wirecard. Ermittler nehmen Kontakte zu einem Münchener Manager und einem libyschen Geheimdienstler ins Visier

Immer wieder stolperten die Experten der Compliance-Abteilung von Wirecard über den Namen des Münchener Geschäftsmanns V. Vier Wochen war der Zusammenbruch des Finanzdienstleisters mit Sitz in Aschheim bei München her, als V. Ende Juli ins Visier der Experten für regelkonformes Verhalten geriet. Sie suchten nach Hinweisen, wie es zu der Pleite des Dax-Konzerns kommen konnte, verursacht durch einen mutmaßlich milliardenschweren Betrug. In ihrer Untersuchung mit dem passenden Namen Armageddon fassten sie die Erkenntnisse über V. in einem ganzen Kapitel zusammen.

Nun war V. nie Mitarbeiter von Wirecard, sondern hatte bloß zahlreiche geschäftliche Verbindungen zu dem Konzern oder dessen Umfeld. In den Dokumenten tauchen vor allem Rechnungen, Zahlungen oder Kredite an V. auf beziehungsweise an Firmen, in denen er in verantwortlicher Position agierte. Doch es war vor allem ein Umstand, der den Argwohn der Compliance-Experten weckte.

V. war jahrelang ein wichtiger Mittelsmann des Wirecard-Vorstands Jan Marsalek. Der langjährige COO gilt heute als Mastermind hinter dem Betrug, der Wirecard in die Pleite trieb. Als sich im Juni herausstellte, dass 1,9 Milliarden Euro in den Wirecard-Bilanzen gar nicht existierten, tauchte er ab. Einiges spricht dafür, dass er sich in Russland versteckt.

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V. dagegen wurde vor zwei Wochen festgenommen und war bis zu diesem Freitag dort, wo die Staatsanwälte seinen Geschäftsfreund Marsalek gerne auf Jahre sehen würden: im Gefängnis. Die Ermittler verdächtigen V. des millionenschweren Betrugs und brachten den vor allem in der Reisebranche bestens vernetzten Geschäftsmann in Untersuchungshaft. Sie fürchteten, dass er es Marsalek gleichtun und fliehen könnte.

Nun kam V. an diesem Freitag wieder auf freien Fuß. Zwar nimmt auch das Landgericht München I Fluchtgefahr sowie einen dringenden Tatverdacht an. Dennoch setzte es den Haftbefehl außer Vollzug. Zuvor musste V. allerdings eine Kaution in niedriger sechsstelliger Höhe hinterlegen und künftig zudem Meldeauflagen erfüllen.

Zu den Hintergründen des Falls gibt die Staatsanwaltschaft München zwar an, „das gegen den Beschuldigten V. geführte Ermittlungsverfahren hat nicht direkt mit den Ermittlungen in Sachen Wirecard zu tun“. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

Wurden Mittel abgezweigt?

Vordergründig geht es in dem Verfahren darum, ob V. sich als Verantwortlicher einer Firma von deren Geschäftskonto in betrügerischer Absicht 2,5 Millionen Euro auf sein Privatkonto überwiesen hat. V. bestreitet dies nach Handelsblatt-Informationen. Doch bei genauerem Blick ist bei der umstrittenen Transaktion der Name Marsalek nicht weit.

V. und Marsalek kennen sich schon seit mehr als 20 Jahren. Sie waren nicht nur geschäftlich miteinander verbunden, sie trafen sich auch privat. Intern bei Wirecard galt V. manchem als „enger Freund von Jan“. So investierte V. für Marsalek jahrelang Gelder und mietete für Deutschlands derzeit wohl meistgesuchten Mann auch in der Münchener Prinzregentenstraße eine Villa an, die als Rückzugsort diente.

V. war in führender Position für die Firma IMS Capital tätig, bis sie Ende Oktober Insolvenz anmelden musste. IMS tätigte für vermögende Privatleute Firmeninvestments, meist in Start-ups. Unter anderem war IMS Capital größter Anteilseigner des Online-Supermarkts Getnow und beteiligte sich auch an einem gerade erst gegründeten Hersteller von Corona-Schnelltests.

Plötzlich versiegte der Geldstrom

Das Bemerkenswerte: Einer der Hauptinvestoren bei IMS und mittelbar auch Getnow war nach den bisherigen Erkenntnissen der Ermittler der frühere Wirecard-Manager Marsalek. Die Rede ist von mindestens einem höheren zweistelligen Millionenbetrag, den er beigesteuert haben soll. Marsalek soll auch, obwohl ohne offizielle Rolle bei IMS, maßgeblich mitbestimmt haben, was mit Geldern bei IMS geschieht. Die Schilderungen V.s an verschiedenen Stellen stützen diese These der Ermittler, berichten Insider.

Als Marsalek untertauchte, versiegte der Geldstrom an IMS und auch an Getnow plötzlich. Jetzt, knapp vier Monate später, musste neben IMS auch Getnow Insolvenz anmelden. Und die Ermittler schauen sich die Geldflüsse aus der Vergangenheit genauer an.

V. überwies sich offenbar aus den IMS-Capital-Beständen die besagten 2,5 Millionen Euro auf ein privates Konto. Dass dies geschehen ist, soll nicht weiter strittig sein, wohl aber die Frage, ob es sich dabei um Gelder handelte, die eigentlich für Investments gedacht waren. Den Ermittlungen zufolge reichte sich V. häufiger Darlehen aus und zahlte sie später wieder zurück. So soll es auch diesmal gewesen sein. Was allerdings Fragen aufwirft, ist die Tatsache, dass er sich das Geld überwies, just nachdem im Juni Mittel von IMS-Investoren auf das Konto der Firma eingegangen waren.

V.s Anwalt bat auf Nachfrage um Verständnis, „dass ich Verfahrensinhalte und Ihre Erkenntnisse – seien sie wahr oder unwahr – derzeit nicht kommentieren kann.“

Undurchsichtige Seilschaften

Die Suche nach dem Ursprung der Gelder fördert Merkwürdiges zutage und führt in die Türkei zu der Gesellschaft STL Dijital Yatirimlar Limited und deren hundertprozentiger Tochter 4129 Danislmanlik. Sie stellten diese und auch weitere Gelder zur Verfügung, von denen mit den Ermittlungen vertraute Insider vermuten, sie könnten in Wirklichkeit von Marsalek kommen. Einen Anknüpfungspunkt dafür könnte der Name Rami El Obidei liefern. Der Mann, der nach dem Sturz des Regimes von Muammar al-Gaddhafi in Libyen vorübergehend Chef des Auslandsgeheimdienstes war, kontrolliert die beiden Firmen, er hält 80 Prozent an STL.

Der Name El Obideis fiel auch schon in Verbindung mit Wirecard. Er soll, so schrieb es die britische „Financial Times“ Ende 2019, Vertrauten gegenüber behauptet haben, Anteilseigner bei Wirecard zu sein. Und er ließ demnach unliebsame Wirecard-Investoren und Journalisten ausspähen.

Die Berichte über Marsaleks Verbindungen zu verschiedenen Geheimdiensten wiederum häufen sich. So soll ihn der russische Geheimdienst derzeit schützen, der österreichische führte ihn als Verbindungsmann.

Nun machen die beiden türkischen Firmen aus dem Einflusskreis des früheren libyschen Geheimdienstlers El Obidei nach der Insolvenz von IMS Capital Ansprüche in Millionenhöhe gegen die Firma geltend. Auf 19,7 Millionen Euro belaufen sich die Forderungen. Offen ist, ob Marsalek dahintersteckt.

Die türkischen Firmen bezeichnen eine solche Vermutung als „absolut absurd und unwahr.“ Nach ihren Darstellungen habe Marsalek ihnen zwar V. vorgestellt sowie empfohlen, in die Gesellschaft IMS zu investieren, und auch auf ein eigenes Investment in Millionenhöhe bei IMS verwiesen. Doch bei der Verwendung der Mittel von STL und 4129 habe er kein Mitspracherecht gehabt.

„Alle Gelder, die wieder zurückerlangt werden können, gehen in die beiden türkischen Firmen zurück“, lassen diese auf Nachfrage wissen. Die Chancen der Türken, zügig an das Geld zu kommen, scheinen unterdessen eher schlecht. In der Insolvenzmasse von IMS, so verlautet es aus Insiderkreisen, sei nicht einmal mehr eine sechsstellige Summe zu finden. Und V.s Konten und das Vermögen wurden eingefroren.

Seine Verbindungen zu Marsalek dürften für die Staatsanwälte unterdessen auch weiter von Interesse sein.

Denn V. taucht auch an anderen Stellen auf, die Erkenntnisse für die Aufklärung des Wirecard-Desasters liefern könnten. So war V. Direktor des indischen Unternehmens Goomo Holdings, das 2017 eine Finanzspritze über 50 Millionen Dollar vom Fonds EMIF 1 A erhalten haben soll. Der Fonds wiederum steht im Zentrum des teuersten Zukaufs der Wirecard-Geschichte, der bis heute eines der größten Mysterien im Skandal um die Konzernpleite ist: 2015 wollte Wirecard den indischen Markt erobern und kaufte für 326 Millionen Euro eine heimische Firmengruppe. Das Merkwürdige: Die Firmen hatten nur wenige Wochen zuvor den Besitzer gewechselt – für nur 35 Millionen Euro bekam EMIF 1A den Zuschlag. Wer hinter dem Fonds steckt, ist bis heute unbekannt.

Die Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG hielt in ihrer Sonderprüfung fest, dass über die identifizierten Verbindungen von V. „zu Goomo Holdings Services und Goomo Europe keine hinausgehenden, direkten Verbindungen zu Wirecard-Gesellschaften identifiziert werden“ konnten.

Derweil gibt es andere Anknüpfungspunkte für Verbindungen von V. zu Wirecard. So schloss die Firma Atraves GmbH, in der V. in verantwortlicher Rolle tätig war, laut Handelsblatt-Informationen im März 2019 einen über 10.000 Euro je Monat dotierten Vertrag mit der Wirecard AG. Bis Juni 2020 flossen insgesamt 160.000 Euro für Kundenakquise und Business-Development. Welche Leistungen dafür konkret erbracht wurden, teilte V.s Anwalt auf Nachfrage nicht mit.

Und noch an einer weiteren Stelle taucht der Name V.s auf. So war er bei Acomodeo engagiert, einem inzwischen insolventen Apartment-Anbieter für Geschäftsreisende. Acomodeo erhielt laut Handelsblatt-Recherchen aus dem Wirecard-Konzern unter anderem einen millionenschweren Kredit sowie eine sechsstellige Summe, die als Entwicklungskostenzuschuss deklariert war.

Hinter Acomodeo steht wiederum die Investmentfirma Kilimanjaro. Auffällig: Kilimanjaro hat einen Sitz in Singapur, an derselben Adresse wie Citadelle. Das ist jener Treuhänder, dem die Ermittler vorwerfen, mit Wirecard-Verantwortlichen gemeinsame Sache gemacht zu haben, als es galt, die Existenz von 1,9 Milliarden Euro vorzutäuschen.