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Diese Naturwissenschaftler arbeiten lieber im Unternehmen als an der Uni

Forscher sind ehrgeizig, intelligent und auf dem Arbeitsmarkt heiß begehrt. Doch was macht eine Firma reizvoll? Drei Naturwissenschaftler berichten.

Mit Zahlen fühlen sich Naturwissenschaftler für gewöhnlich wohl. Das gilt auch auf dem Arbeitsmarkt. Mit einer Arbeitslosenquote von etwa zweieinhalb Prozent herrscht unter den Akademikern Vollbeschäftigung. Einzig die Biologen zählen zu den Ausreißern – mit gerade einmal 4,2 Prozent Arbeitslosenquote.

„Die Attraktivität von Naturwissenschaftlern auf dem Arbeitsmarkt ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sie häufig flexibel in verschiedensten Berufsfeldern tätig sein können – auch außerhalb der Naturwissenschaften“, sagt Claudia Suttner von der Bundesagentur für Arbeit (BA).

So macht nur ein knappes Viertel aller Naturwissenschaftler laut BA-Zahlen tatsächlich Karriere in der Wissenschaft (siehe Grafik). Der Großteil arbeitet in Unternehmen – teils als Mathematiker oder Chemiker, aber auch in Feldern wie der Informatik und der technischen Forschung und Entwicklung (F & E).

Der Schritt in die Privatwirtschaft lohnt sich gerade am Anfang auch finanziell für die Topkräfte. „An der Universität gibt es ein höheres Risiko bei gleichzeitig überschaubareren Karrieremöglichkeiten“, erklärt Matthias Schwarzkopf, der Wissenschaftlern bei der Karriereplanung hilft. Während an der Universität beziehungsweise im öffentlichen Dienst die Gehaltsaussichten über die gängigen Tarifverträge gedeckelt sind, können Naturwissenschaftler in der freien Wirtschaft gleich von Beginn an ordentlich verdienen.

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So werden Postdoktoranden, wenn sie an der Universität bleiben und dort arbeiten, anfangs oft nach der Entgeltgruppe 13 bezahlt – was im ersten Jahr ein Monatsbrutto von rund 3800 Euro oder weniger als 50.000 Euro Jahresgehalt bedeutet, Sonderzahlungen eingerechnet. Zum Vergleich: Das Gehalt in einer F & E-Abteilung mittlerer Größe liegt laut Stepstone-Gehaltsreport bei rund 67.000 Euro im Jahr. Als Führungskraft sind gut 80.000 Euro drin.

Vernünftige Gehälter, sicher. Aber nichts, womit sich Reichtümer aufbauen lassen. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass es noch andere Faktoren geben dürfte, die Naturwissenschaftler motivieren, ins Unternehmen statt an die Uni zu gehen. Nur welche? Das Handelsblatt hat drei Forscher in F & E-Abteilungen großer Konzerne befragt – nach ihrem Karriereweg, ihrer Arbeit und ihrer Motivation.

Die Ergebnisorientierte: Heike Riel, 48

Neben ihrem Bett hat Heike Riel immer ein Notizbuch liegen. Schließlich könnte die nächste geniale Idee im Schlaf kommen. Oft liege sie mit offenen Augen auf ihrem Kissen und grüble, erzählt die 48-Jährige: „Ich muss meine Gedanken aufschreiben, sonst kann ich nicht mehr einschlafen.“

Riel ist Physikerin und forscht seit rund 20 Jahren für den internationalen IT-Riesen IBM. Als Abteilungsleiterin im Bereich „Internet of Things“ und „Artificial Intelligence“ hat Riel auch Personalverantwortung. Sie selbst steht kaum noch im Labor. Die Experimente führten nun andere für sie durch, sagt sie.

Zwar vermisst sie das Experimentieren, sie ist sich jedoch bewusst, dass es in ihrer Position nicht anders geht: „Würde ich alles selbst machen, könnte ich mein Wissen gar nicht entsprechend für die Firma einsetzen.“ Mit ihrem Rat steht sie ihren Kollegen jederzeit zur Verfügung.

Daran forscht Heike Riel: Eines der Themen, die Riel nachts beschäftigen, sind Quantencomputer. Diese völlig neue Generation von Computern ist sehr leistungsstark. Herkömmliche Computer können nicht jede Matheaufgabe lösen – oder brauchen dafür sehr lange. Oft spuckt die Maschine bei komplexen Operationen dann statt eines eindeutigen Ergebnisses Annäherungen aus, sogenannte Approximationen. Die Kreiszahl Pi ist so eine Annäherung.

„Manche dieser Approximationen sind gut. Manche beeinträchtigen wiederum die Qualität des Ergebnisses“, erklärt Riel das Problem. Das könne zum Beispiel dazu führen, dass Eigenschaften von Materialien nicht genau berechnet werden – ein großes Thema bei Unternehmen etwa in der Produktion.

Ein Quantencomputer dagegen berechne die Eigenschaften beispielsweise einer Legierung exakt – und kann damit viele Problem schneller lösen: „Wie beispielsweise kann ich Strom ohne Verluste transportieren? Das experimentell herauszufinden könnte viele Jahre dauern. Der Quantencomputer kürzt das ab“, so Riel.

Quantencomputer sollen schneller und leistungsstärker sein als alles, was wir bislang als Computer kennen. Im Januar hat IBM den ersten kommerziellen Quantencomputer vorgestellt. Zwar steht er nicht zum Verkauf, kann aber weltweit über die Cloud benutzt werden. Es hätten sich bereits zahlreiche Interessenten aus Wirtschaft und Wissenschaft gemeldet, hatte IBM im Januar auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas verkündet – darunter das europäische Zentrum für Elementarteilchenphysik.

Deshalb will Heike Riel nicht an die Uni: Die Physikerin arbeitet gern in der Industrie, weil sie dort die Ergebnisse ihrer Forschung auch angewandt sieht. Sie liebt die Grundlagenforschung und das Erfinden neuer Ideen. Doch sie will auch über diese Grenze hinauswachsen, sagt sie – einen Nutzen schaffen, nicht nur für wissenschaftliche Panels, sondern auch für Unternehmen, Institutionen und Menschen. So wie 2003, als sie mit ihrer Forschung dazu beitrug, dass Smartphone-Displays heute so dünn sind und farbintensiv leuchten.

In der Industrie hätten Wissenschaftler immer das Ergebnis in der Anwendung vor Augen, sagt Riel. Das sei an Universitäten anders: „Ich habe es oft erlebt, dass mich ein Student an der Uni verwirrt anschaute, wenn ich ihn nach dem Ziel seiner Arbeit gefragt habe.“

Der Helfer: Christoph Schüll, 34

Medizin oder Chemie? Diese Frage beschäftigte Christoph Schüll in seiner Jugend eine lange Zeit. Irgendwann entschied er sich, aus dem „oder“ ein „und“ zu machen – und studierte Biomedizinische Chemie in Mainz und Massachusetts. Das Wissen, das er im Studium mühsam erworben hat, wendet er heute bei 3M in Neuss an. Schüll sitzt dort in einem kahlen Konferenzraum des Multitechnologiekonzerns und berichtet über seine Arbeit. Seit 2016 ist er Produktentwickler für Medizinprodukte.

Daran forscht Christoph Schüll: Der 34-Jährige entwickelt Klebstoffe, die direkt auf die Haut aufgetragen werden, etwa solche, die in Pflastern oder Wundverbänden vorkommen. Auf der Haut können die Stoffe zu starken Rötungen oder bleibenden Schäden wie Rissen führen, vor allem bei Leuten mit sensibler Haut, also etwa älteren Menschen, Kleinkindern oder Kranken. „Deshalb ist es wichtig, Klebstoffe zu entwickeln, die besonders für diese Patienten geeignet sind“, erklärt der Chemiker.

Die Reizungen sind nicht nur unangenehm, sondern können auch teuer werden. Für das Gesundheitssystem könnte die falsche Auswahl oder Anwendung von Medizinprodukten Folgekosten verursachen, so Schüll: „Und zwar immer dann, wenn durch das ständige Kleben an derselben Stelle die Schäden so stark werden, dass ein Arzt sie behandeln muss.“

Ein- bis zweimal die Woche tüftelt er im Labor an den Klebstoffen. Ansonsten ist er viel unterwegs. Zum einen in den Produktionsstätten, um sicherzugehen, dass bei der Herstellung der Pflaster und Verbände die Vorgaben eingehalten werden. An anderen Tagen besucht er Krankenhäuser, die ihren medizinischen Bedarf bei 3M einkaufen. Dort schaut er sich an, wie das Produkt angewendet wird und wo es eventuell noch Schwachstellen gibt. Für seine Arbeit wurde Schüll schon mehrfach ausgezeichnet, unter anderem von seiner Alma Mater in Mainz.

Deshalb will Christoph Schüll nicht an die Uni: „Erfolg ist mehr, als nur Preise zu gewinnen“, sagt Schüll. „Erfolg ist vor allem auch das positive Feedback unserer Kunden.“ Ein Gefühl, das er an der Universität höchstens indirekt spüre, wie der junge Forscher erklärt.

„Während ich als Wissenschaftler an einer Hochschule zum Beispiel der Frage nachgehe, warum sich Moleküle auf eine bestimmte Weise verhalten, würde ich im Unternehmen eher danach schauen, was ich mit den Molekülen machen kann, um dem Kunden zu helfen.“ Schülls Motivation: mit seiner Arbeit zum Wohlbefinden von Millionen Patienten beitragen. Aus jedem Kundengespräch nimmt er neue Ideen mit, um die Produkte, an denen er forscht, weiter zu verbessern.

Die Teamplayerin: Patricia Haremski, 27

Im Fernsehen läuft „The Big Bang Theory“, jene US-Serie, in der eine Gruppe intelligenter Nerd-Freunde sich über Wissenschaft unterhält, gemeinsam zu Abend isst und Spiele spielt. Die junge Physikerin und ihre Studienfreunde schauen den Serienhelden gebannt vor dem Fernseher zu. Es ist, als halte man ihnen einen Spiegel vor. Auch sie treffen sich regelmäßig, um über ihr Fachgebiet zu plaudern, um zu essen und zu spielen. „Ein bisschen nerdig waren wir schon“, gibt Patricia Haremski zu. Das war während des Studiums.

Ihren Abschluss hat die 27-Jährige inzwischen. Nun will sie ihren Doktor machen. Vor rund einem Jahr fing Haremski mit ihrer Promotion beim deutschen Hersteller Bosch am Forschungscampus Renningen an. Dafür ist sie an der Uni eingeschrieben, tatsächlich ist sie jedoch Vollzeit im Unternehmen beschäftigt. Mit ihrem Doktorvater tauscht sie sich nur in Details ihrer Arbeit aus. Insgesamt dauert das Doktorandenprogramm bei Bosch drei Jahre.

Daran forscht Patricia Haremski: Haremski forscht für den schwäbischen Technologieriesen daran, die Alterung der Brennstoffzelle zu verlangsamen. Wissenschaftler sehen in der Vorrichtung zum Umwandeln chemischer in elektrische Energie eine wichtige Zukunftstechnologie, schließlich entstehen bei der Verbrennung der verwendeten Brennstoffe – etwa Wasserstoff – kaum Emissionen. Nicht nur im Automobilbereich, auch in der Stromversorgung könnte die Brennstoffzelle eine Alternative zu erneuerbaren Energien sein. Genau in diesem Bereich forscht Haremski.

Die junge Akademikerin wünscht sich für die Zukunft, dass die Technologie flächendeckend eingesetzt werden kann und sich irgendwann jeder Haushalt selbst mit Strom aus Brennstoffzellen versorgt. Bis es so weit ist, muss allerdings noch einiges getan werden: „Das Problem bei der Brennstoffzelle ist im Moment noch der Preis sowie die Lebensdauer“, sagt Haremski.

Jeden Tag steht sie deshalb im Labor, um einen Weg zu finden, die Energiequelle länger haltbar zu machen. Nicht immer hat sie Erfolg. Vor einigen Monaten stellte sie etwa fest, dass der Laborofen ihre Proben verschmutzt hatte. Drei Monate versuchte sie vergeblich, das Problem zu lösen. Ein Kollege gab ihr schließlich den entscheidenden Hinweis.

Deshalb will Patricia Haremski nicht an die Uni: Auch wenn das Programm noch gute zwei Jahre läuft, für Haremski steht fest: Sie will nach Beendigung ihrer Arbeit bei Bosch bleiben – am liebsten in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Vor allem die Teamarbeit motiviert die Doktorandin.

Während an der Uni oft jeder für sich forsche, bearbeite sie im Unternehmen ein Problem oft im Zusammenspiel mit anderen. Das gefällt ihr. Sie diskutiert ihre Ergebnisse mit Kollegen, sucht nach Lösungsansätzen. Ein neuer Blickwinkel reicht oft schon, um aus einer schwierigen Situation herauszukommen. So wie bei der Sache mit dem Ofen.

Bei Bosch hat Haremski die Möglichkeit, sich mit 300 anderen Doktoranden allein in Deutschland auszutauschen. Ganz zu schweigen von dem umfangreichen Netzwerk an Experten aus verschiedenen Disziplinen, auf das sie bei Fragen gern zurückgreift: „Hier bin ich keine Einzelkämpferin.“

Fazit

Die Leidenschaft für den Job ziehen die drei Forscher vor allem aus dem hohen Praxisbezug der eigenen Arbeit, dem hohen Maß an Kundenorientierung und dem Arbeiten im Team. Zwei der drei vorgestellten Forscher stehen zwar nicht mehr allzu oft selbst im Labor. Doch es scheint genau diese Art der Abwechslung zu sein, die die Topleute reizt.

Was zudem auffällt: Die Forscher sind ihren Arbeitgebern gegenüber sehr loyal. Riel ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in verschiedenen Positionen bei IBM tätig. Und auch die Berufsanfängerin Haremski würde gerne bei Bosch bleiben. „Meist bekommen Wissenschaftler in industriellen Forschungsabteilungen nach spätestens zwei Jahren einen unbefristeten Arbeitsvertrag“, sagt Karriereberater Schwarzkopf.

Diese Sicherheit hätten die Spezialisten an Universitäten unterhalb einer Professur in der Regel nicht. Nach der Promotion können Wissenschaftler sechs Jahre lang befristet beschäftigt werden, Mediziner neun Jahre.