Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • DAX

    18.772,85
    +86,25 (+0,46%)
     
  • Euro Stoxx 50

    5.085,08
    +30,67 (+0,61%)
     
  • Dow Jones 30

    39.512,84
    +125,08 (+0,32%)
     
  • Gold

    2.366,90
    +26,60 (+1,14%)
     
  • EUR/USD

    1,0772
    -0,0012 (-0,11%)
     
  • Bitcoin EUR

    56.486,12
    -1.845,83 (-3,16%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.259,53
    -98,48 (-7,25%)
     
  • Öl (Brent)

    78,20
    -1,06 (-1,34%)
     
  • MDAX

    26.743,87
    +34,97 (+0,13%)
     
  • TecDAX

    3.404,04
    +19,74 (+0,58%)
     
  • SDAX

    14.837,44
    +55,61 (+0,38%)
     
  • Nikkei 225

    38.229,11
    +155,13 (+0,41%)
     
  • FTSE 100

    8.433,76
    +52,41 (+0,63%)
     
  • CAC 40

    8.219,14
    +31,49 (+0,38%)
     
  • Nasdaq Compositive

    16.340,87
    -5,40 (-0,03%)
     

Viele Ankündigungen, wenig Erfolg: Warum die Plastik-Wende ausbleibt

Immer mehr Konsumenten fordern umweltfreundliche Verpackungen. Doch die Produktionsumstellung fällt Konzernen schwer. Das könnte sich rächen.

Die Bilanz der Anti-Plastik-Initiative der 28 Konsumgüter- und Chemiekonzerne ist ernüchternd. Foto: dpa
Die Bilanz der Anti-Plastik-Initiative der 28 Konsumgüter- und Chemiekonzerne ist ernüchternd. Foto: dpa

Die Euphorie bei allen Beteiligten war groß. 28 Konsumgüter- und Chemiekonzerne, von Procter & Gamble und Henkel über BASF und Dow Chemical bis Exxon Mobil, kündigten vor gut einem Jahr die große Wende beim Plastikmüll an. Mindestens 1,5 Milliarden Euro sollten investiert werden im Kampf gegen die Vermüllung der Meere.

Auch einzelne Unternehmen formulierten ehrgeizige Ziele: So will Procter & Gamble es schaffen, dass bis zum Jahr 2025 rund 95 Prozent aller Verpackungsmaterialien in Europa recycelbar sind.

WERBUNG

Große Ergebnisse sind bisher jedoch nicht zu sehen. Die im Henkel-Vorstand für Nachhaltigkeit zuständige Sylvie Nicol dämpfte jüngst im Handelsblatt-Interview die Erwartungen: „An der Allianz sind viele Firmen beteiligt. Wir müssen erst einmal die Grundlagen der konkreten Zusammenarbeit festlegen und die konkreten Aufgaben organisieren“, sagte sie, fügte jedoch hinzu: „Erste Projekte sind aber auf dem Weg.“

Ähnlich sieht es bei der deutschen Initiative „Rezyklat-Forum“ aus, die schon im September 2018 gestartet ist. Das Forum, gegründet von dm zusammen mit Brauns-Heitmann, Dr. Bronner’s, ecover + method, Einhorn, Henkel, Procter & Gamble, Share und Vöslauer Mineralwasser, hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil von recyceltem Plastik in Verpackungen wie Shampoo- und Spüliflaschen zu erhöhen sowie das Bewusstsein der Kunden für Recycling und Müllvermeidung zu fördern. „Das Forum hat wirklich den Anspruch, etwas zu erarbeiten“, betonte dm-Geschäftsführer Sebastian Bayer.

Heute, knapp anderthalb Jahre nach Gründung, ist die Zahl der Mitglieder zwar auf 32 gestiegen, die Bilanz der Initiative erschöpft sich aber noch immer weitgehend in Absichtserklärungen. Die Mitglieder haben vor allem Info-Kampagnen auf den Weg gebracht – oder Schilder an den Regalen montiert, um Verbraucher darauf hinzuweisen, welche Verpackungen direkt in den Müll wandern und welche wiederverwendet oder recycelt werden können.

Auch Experten beobachten, dass weitreichende Maßnahmen häufig noch Mangelware sind. „Viele große Konzerne haben Strategien zur Plastikvermeidung mit Absichtserklärungen öffentlich gemacht und Pilotprojekte gestartet“, sagt Klaus Ballas, Partner der Unternehmensberatung EY. „Wie sie wirklich ihre Wertschöpfungskette im großen Maßstab umstellen wollen, ist der nächste Schritt, der gemacht werden muss“, mahnt der Experte für Handel und Konsumgüter an.

Doch genau davor schrecken viele Konzerne zurück. „Nur wenige Unternehmen sind dazu bereit, in eine umfassende Umstellung ihres Geschäftsmodells zu investieren“, sagt Ballas. Er hält diese Zurückhaltung für eine verpasste Chance. „Die Umstellung muss zwar erst mal finanziert werden“, so der Berater, „kann jedoch langfristig eine Chance und Investition sein.“

Denn die Kunden fordern es zunehmend ein. 71 Prozent der Verbraucher geben an, beim Einkauf auf wenig Verpackung zu achten – vor drei Jahren waren es erst 61 Prozent. Das zeigt eine aktuelle Food-Studie des Konsumforschers Nielsen, der etwa 11.000 deutsche Haushalte befragte. „Hersteller, die Verpackungen reduzieren oder recycelbar machen, können bei den Kunden punkten“, beobachtet die Nielsen-Beraterin Birgit Czinkota.

Gesetzliche Vorschriften stehen im Weg

Heute rächt sich, dass die Unternehmen erst spät und auf öffentlichen Druck das Plastikproblem angehen. Denn die Umstellung langjährig eingespielter Prozesse ist kompliziert und teuer.

So musste dm beispielsweise erst einmal aufwendig ermitteln, wie viel Recyclingmaterial in den angebotenen Verpackungen überhaupt steckt. Es dauerte, bis der Drogeriemarkt genug Daten zusammengetragen hatte, um in seinen Regalen Produkte, deren Verpackung aus mindestens 70 Prozent Recyclingmaterial besteht, entsprechend ausweisen zu können.

Manchmal stehen auch gesetzliche Vorschriften im Weg. So wollten die Unternehmen des Rezyklat-Forums, die für so viele Wasch-, Putz- und Reinigungsmittelflaschen in deutschen Mülleimern stehen, dafür eintreten, dass größere Anteile von recyceltem Plastik, sogenannte Rezyklate, aus dem Haushaltsmüll wiederverwendet werden können.

Doch bisher muss wiederverwendetes Plastik den Standard der Lebensmitteltauglichkeit erfüllen. Das ist teuer in der Aufbereitung. Deshalb wird heute der größte Teil des in Deutschland gesammelten Plastikmülls verbrannt.

Noch im April 2019 sagte dm-Geschäftsführer Bayer selbstbewusst: „Wir brauchen drei Standards“, etwa für Kosmetik sowie Wasch- und Putzmittel, um „mehr aus dem Verpackungsmüll herausholen zu können“. Heute spricht Bayer nur noch von „mindestens einem weiteren Standard, zum Beispiel für Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel“. Für dieses Ziel „stehen wir bei dm und im Rezyklat-Forum im kontinuierlichen Dialog mit der Politik“.

Reinhard Schneider, Chef des Familienunternehmens Werner & Mertz, zu dem auch die Reinigungsmittelmarke Frosch gehört, kann darüber nicht mal mehr lächeln. Er kämpft seit Jahren dafür, dass Verpackungen zu 100 Prozent aus recyceltem Plastik hergestellt werden.

Zusammen mit dem Grünen Punkt und dem Verpackungshersteller Alpla wurde ein Verfahren entwickelt, mit dem auf dem Firmengelände Flaschen allein aus Altplastik produziert werden – mit 20 Prozent Plastik aus dem Gelben Sack. Doch um das branchenweit durchzusetzen, fehlten ihm die Mitstreiter bei den großen Konzernen, um wirklich etwas zu bewegen.
Die setzten bisher lieber auf kleine Projekte bei einzelnen Produkten, um an ihrem grünen Image zu arbeiten. So hat Henkel beispielsweise zum Weltumwelttag im vergangenen Jahr jeweils eine „Limited Edition“ des Duschgels Fa und des Shampoos Schauma herausgebracht, deren Verpackung zu 100 Prozent aus Rezyklat bestand.
Doch in der Breite sind die Konzerne noch lange nicht so weit. So lag bei Henkel der Anteil an Rezyklat in den Verpackungen in Europa 2018 gerade mal bei zehn Prozent. Bis 2025 soll dieser Wert auf 35 Prozent erhöht werden.


Plastikvermeidung ist bisher eher Nischenthema

Der Beiersdorf-Konzern mit Marken wie Nivea und Labello ist noch weniger ehrgeizig. Er will bis zum Jahr 2025 den Rezyklat-Anteil in den Plastikverpackungen in Europa auf 25 Prozent steigern. Dabei wäre der Hebel, den ein Konzern wie Beiersdorf mit einer Massenmarke wie Nivea hat, gewaltig: So bestehen die Verpackungen der Gesichtsreinigungsöle bereits zu 25 Prozent aus recyceltem PET, wodurch jährlich mehr als zwölf Tonnen an neuem Kunststoff eingespart werden können.

Und das ist nur eine Produktreihe aus dem riesigen Nivea-Portfolio, mit dem der Hamburger Konzern jährlich mehr als vier Milliarden Euro und damit mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes macht.

„Bisher sind Projekte zur Plastikvermeidung eher in der Nische zu sehen“, beobachtet auch Experte Ballas. „Damit sich wirklich etwas bewegt, müssen innovative Lösungen zur Plastikvermeidung aus der Nische heraus und zum Mainstream werden.“

Entscheidend sei, sich die gesamte Wertschöpfung anzuschauen, beginnend beim Produktdesign und der Beschaffung. „Die komplette Wertschöpfungskette muss zirkular werden“, so Ballas, „und dafür ist das Design des Produkts und der Verpackung maßgeblich.“

Der Spielwarenhersteller Lego etwa will seine gesamte Verpackung bis 2025 umstellen. Die Schachteln mit den Spielesets sowie die darin enthaltenen Tüten sollen dann komplett aus recycelten Materialien bestehen. Dazu hat der Klötzchenkonzern an vielen Stellen Veränderungen eingeführt. So sind die Packungen nach Angaben des Unternehmens inzwischen 14 Prozent kleiner als noch vor fünf Jahren. Das spare jedes Jahr 3 000 Lastwagenladungen ein sowie 7000 Tonnen Karton.

Es geht dabei um viele Details. So steckten in den beliebten Adventskalendern die Bausteine und Figuren jahrelang in Plastikträgern. 2017 habe das Unternehmen auf Papier umgestellt, eine Million Kunststoffschalen würden dadurch vermieden. Auch die Sichtfenster der sogenannten Blister-Verpackungen bestünden jetzt aus wiederverwertetem Material.

Eine echte Herausforderung ist der Verzicht auf Plastik für die Lebensmittelhersteller. Einer der Pioniere ist Tiefkühlhersteller Frosta, der seine Produkte künftig in einer reinen Papierverpackung verkaufen will. Seit Januar ersetzen die neuen Beutel, die Fett und Feuchtigkeit widerstehen, die bisherigen aus Plastik nach und nach. Das soll im Jahr rund 40 Millionen Plastikverpackungen einsparen.

Dieses innovative Verfahren hat Frosta drei Jahre lang selbst entwickelt und zum Patent angemeldet. Der Beutel wird mit wasserlöslichen Farben bedruckt und kann im Altpapier entsorgt werden.

Für frisches Fleisch ist Papier als Verpackung ungeeignet. Der Fleischkonzern Tönnies hat deshalb als Vorreiter Ende Dezember Folienbeutel bei Aldi Süd eingeführt. Der leichte „Flow-Pack“ benötigt bis zu 70 Prozent weniger Material als Kunststoff-Trays mit Oberfolien. Zudem sparen die Schlauchbeutel beim Transport 80 Prozent Platz und somit 60 Prozent CO2-Emissionen.

Dass der Recyclinganteil an der Verpackung bei vielen Konsumgüterkonzernen nicht so schnell wachsen kann, wie wünschenswert wäre, liegt auch daran, dass es gar nicht genug hochqualitatives recyceltes Material gibt. Deshalb hat sich Procter & Gamble zusammen mit anderen Konsumgüter- und Recyclingunternehmen am Projekt „HolyGrail 2.0“ beteiligt. Dabei sollen digitale Wasserzeichen die Qualität des Rezyklats und die Effizienz des Recyclings verbessern.

Druck der Investoren dürfte zunehmen

Die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören, hat aus diesem Engpass an Rezyklaten einen radikalen Schluss gezogen. Um ihr Geschäftsmodell konsequent auf Kreislaufwirtschaft umstellen zu können, hat sie 2018 den Entsorger Tönsmeier übernommen und baut das Wertstoffmanagement zum eigenen Geschäftsbereich aus. Die Prezero genannte Tochter ist jetzt in sieben Bundesländern als Duales System gestartet.

Zunächst lizenziert sie die Eigenmarkenverpackungen von Lidl und Kaufland in diesen Bundesländern. Für PET-Getränkeflaschen hat Prezero schon einen autonomen geschlossenen Kreislauf aufgebaut. Doch die Ambitionen gehen weit darüber hinaus. „Der Einstieg in den Kreislauf beschränkt sich definitiv nicht auf Plastikflaschen“, sagt Gerd Chrzanowski, Vorstandschef von Schwarz Dienstleistungen, dem Handelsblatt. Das Ziel sei, Wertstoffe wie Plastikverpackungen, wo immer es rechtlich und technisch geht, im Kreislauf zu halten – und dies vorzugsweise in Eigenregie.

„Einen echten Anreiz zu nachhaltigem Verhalten wird es nur geben, wenn einerseits der Gesetzgeber klare Vorgaben macht“, betont Experte Ballas. Er rechne damit zunehmend in den kommenden Jahren. „Andererseits ist es wichtig, dass Nachhaltigkeit zu einem wirtschaftlich erfolgreichen Geschäftsmodell wird.“

Doch gerade für die börsennotierten Konzerne könnte es noch ein ganz anderes Druckmittel geben. „Nachhaltigkeit wird immer prüfungsrelevanter. Denn wenn Unternehmen öffentlich Nachhaltigkeitsziele formulieren, aber nicht durchgängig Maßnahmen definieren, wie sie diese erreichen und messen wollen, kann das von Investoren hinterfragt werden“, warnt Ballas. „Da wird auch der Druck von den Investoren steigen.“