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Ende einer Ära: Verdi-Chef Bsirske geht nach 18 Jahren

Deutschlands dienstältester Gewerkschaftsvorsitzender macht Platz an der Verdi-Spitze. Mit Frank Bsirske geht ein streitbarer Querkopf.

„Chefs müssen lernen, mit Autonomie statt mit Kontrolle zu führen“, sagt die Managerin. Foto: Thomas Dashuber Foto: dpa
„Chefs müssen lernen, mit Autonomie statt mit Kontrolle zu führen“, sagt die Managerin. Foto: Thomas Dashuber Foto: dpa

Gerhard Schröder war noch keine drei Jahre Kanzler und die Deutschen zahlten noch mit der D-Mark, als im März 2001 ein weitgehend unbekannter Gewerkschafter zum Chef der neu gegründeten Verdi gewählt wurde. Nun, nach mehr als 18 Jahren und einer fünften Amtszeit, die ihn zum Rentner mit 67 machte, ist für Frank Bsirske endgültig Schluss.

An diesem Montag wird er beim Bundeskongress noch einmal Bilanz der zurückliegenden vier Jahre ziehen, dann macht er Platz an der Verdi-Spitze.

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Mit Bsirske geht ein Querkopf und streitbarer Gewerkschafter, der nicht nur für gute Arbeit sorgen, sondern stets auch politische Debatten prägen wollte. Am Freitag war er noch mit den Klimademonstranten in Düsseldorf marschiert. „Verdi hat schon Gewicht in der Gesellschaft“, sagte der scheidende Chef in der Woche vor seinem Abschied im Gespräch mit dem Handelsblatt. Die Durchsetzung des Mindestlohns oder die „Diskursverschiebung in der Rentendebatte“ habe man gemeinsam mit anderen erreicht.

Als großen Erfolg nimmt Bsirske für sich aber auch in Anspruch, den Gemischtwarenladen Verdi, der aus der Fusion von fünf Gewerkschaften entstand, nach der Gründung überhaupt zusammengehalten zu haben. „Oft genug scheitern in der Wirtschaft ja schon Zusammenschlüsse von zweien.“

Gerne hätte der Vorsitzende auch den Turnaround in der Mitgliederentwicklung erreicht, doch das ist ihm nicht gelungen. Seit der Gründung hat Verdi rund 800.000 Mitglieder verloren und ist mit aktuell noch knapp zwei Millionen schon 2005 auf Rang zwei hinter die IG Metall zurückgefallen.

Zu späte Organisationsreform

Sieht man vom Kerngeschäft des öffentlichen Dienstes ab, vertritt die 1000-Berufe-Gewerkschaft Verdi zahlreiche Branchen, die durch starke Fluktuation, niedrige Löhne, eine hohe Teilzeitquote und eine geringe Tarifbindung der Betriebe gekennzeichnet sind. Das erschwert die Organisationsarbeit.

Trotzdem muss Bsirske sich fragen lassen, warum er die Organisationsreform, die die Dienstleistungsgewerkschaft näher an die Mitglieder bringen und für eine stärkere Präsenz in den Betrieben sorgen soll, erst kurz vor seinem Abschied angestoßen hat. Stattdessen war der Verdi-Chef immer einer der lautesten Rufer, wenn die Forderung nach staatlicher Hilfe bei der Stärkung der Tarifautonomie erschallte.

Einige Attribute lässt Bsirske sich gerne zuschreiben, andere weniger. Einen „Streikhansel“ etwa will er sich nicht nennen lassen, auch wenn er in Arbeitskämpfen des öffentlichen Dienstes schon mal Teile des Flugverkehrs lahmlegen ließ. Irgendwo im großen Verdi-Reich werde eben immer gestreikt.

Und ein Großteil der Ausstände diene dazu, Tarifflucht zu verhindern oder einzelne Unternehmen in die Tarifbindung zurückzubringen. „Das ist eine ganz andere Ausgangslage als in Flächentarifvertragsstrukturen, die intakt sind.“

Als modernen Sisyphus, der dem US-Internetriesen Amazon vergeblich einen Tarifvertrag aufzuzwingen versucht, sieht er sich auch nicht: Bei Amazon kämpfe man nicht gegen Windmühlen, sondern „ein wirklich potentes Gegenüber“. Aber der Kampf zeige Wirkung: die erste Lohnerhöhung seit Jahren, Weihnachtsgeld, bessere Zuschläge.

Linkes Grünen-Mitglied

Der Zuschreibung, ein Linker zu sein, wird Grünen-Mitglied Bsirske dagegen kaum widersprechen. „Ich bin entschieden dafür, dass Deutschland nicht länger eine Steueroase bleibt für reiche Erben und große Vermögen“, sagt er. In den Schröder-Jahren machte ihn sein Widerstand gegen die Agenda-Politik zum meistgehassten Gewerkschafter, bis hinein in die Grünen-Bundestagsfraktion.

Den Zeitgeist der Nullerjahre, als der damalige Industriepräsident Michael Rogowski am liebsten alle Flächentarifverträge im „Lagerfeuer“ verbrannt hätte, beschreibt Bsirske gerne mit einer Karikatur von damals: Zwei Kinder sitzen im Sandkasten, das eine weint bitterlich. Als die Mutter fragt, was denn los sei, zeigt das Kind auf seinen Spielkameraden und sagt: „Der hat mich ‚Gewerkschafter‘ genannt.“

Es war die Zeit, als Verdi auch tarifpolitisch noch nicht ernst genommen wurde. So sprach in der Tarifrunde 2006 der damalige niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring Verdi öffentlich die Streikfähigkeit ab. „Das war der Versuch, uns das Kreuz zu brechen – in Zuspitzung des Zeitgeistes der Agenda-Jahre“, erinnert sich Bsirske. Ergebnis war der bis dato längste Arbeitskampf im Staatsdienst – für den Verdi-Chef bis heute der heftigste Tarifstreit, den er erlebt hat.

Die Finanzmarktkrise 2008/09 hat Deutschland dann nicht nur in die Rezession gestürzt, sondern auch die Gewerkschaften rehabilitiert. Ihre Meinung hat wieder Gewicht. Und trotz seiner linken Gesinnung konnte Bsirske auch immer ganz gut mit Kanzlerin Angela Merkel: „Da, wo ihr Vorgänger autoritär wurde, fängt Frau Merkel an zu argumentieren.“

Künftig müssen andere die Verdi-Positionen in die Politik einbringen, auch wenn sein Abschied für Bsirske sicher nicht den Ruhestand bedeutet. Er will weiter politisch aktiv sein, seine Aufsichtsratsmandate bei der Deutschen Bank und bei RWE behält er. Und wenn ihm Zeit bleibt, dann will er sich körperlich fit halten, seine Sprachkenntnisse verbessern oder – bei einer Tasse Tee – viel lesen.

„The Pursuit of Power“ von Richard Evans etwa, eine Studie über das 19. Jahrhundert. Oder „Crashed“ von Adam Tooze über die Finanzmarktkrise. Sein Lieblingsbuch soll Bsirske bald auf einer öffentlichen Veranstaltung vorstellen: „Die Ästhetik des Widerstands“, ein dreibändiges Werk von Peter Weiss über die Arbeiterbewegung im Faschismus. „Das“, sagt Bsirske, „muss ich noch mal lesen. Sonst wird das nichts.“

Der scheidende Verdi-Chef Frank Bsirske Foto: dpa
Der scheidende Verdi-Chef Frank Bsirske Foto: dpa