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„An Betrug haben wir nie geglaubt – leider“: Topbanker sprechen über ihre Beziehungen zu Wirecard

Im Bundestag geht es um die Rolle der Banken im Bilanzskandal. Im Vorfeld werden neue Details über den guten Draht der Topbanker zur Politik bekannt.

Der Bilanzskandal hat die Finanzwelt erschüttert. Der Untersuchungsausschuss soll dabei helfen, sich den vielen offenen Fragen zu nähern. Foto: dpa
Der Bilanzskandal hat die Finanzwelt erschüttert. Der Untersuchungsausschuss soll dabei helfen, sich den vielen offenen Fragen zu nähern. Foto: dpa

Im Europasaal im Paul-Löbe-Haus des Bundestags kommt es heute zum Klassentreffen der deutschen Finanzelite. Nur der Anlass ist etwas weniger beschwingt. Geladen hat der Untersuchungsausschuss, der den milliardenschweren Betrugsskandal rund um den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard aus Aschheim bei München aufklären soll.

Vor Ort sind Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, Ex-Commerzbank-Chef Martin Zielke und der Chef der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), Rainer Neske. Außerdem aussagen sollen Vorstand Marcus Kramer von der BayernLB und der Chief Risk Officer der Commerzbank, Marcus Chromik. Kurzfristig auf Freitag verschoben wurden die Anhörungen des Chefs der Ipex-Bank, einer Tochter der Staatsbank KfW, Klaus Michalak, sowie von Goldman-Sachs-Deutschlandchef Wolfgang Fink.

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Die Banker sollen zu den langjährigen Geschäftsbeziehungen ihrer Institute mit Wirecard sowie, im Fall der Deutschen Bank, mit Wirecard-Ex-CEO Markus Braun Auskunft geben. CSU-Finanzexperte Hans Michelbach mahnte: „Wir stehen vor einem der größten Finanzskandale in Deutschland. Und unsere Banken haben den Konzern über Jahre hinweg finanziert und damit auch das Betrugskonstrukt von Wirecard ermöglicht. Hier müssen wir klären, ob sie ihren Verpflichtungen gerecht geworden sind.“

Kritische BayernLB

Als erster Zeuge wurde am Nachmittag BayernLB-Risikovorstand Marcus Kramer gehört. Er berichtete darüber, warum die Landesbank – wie vom Handelsblatt bereits im Juli 2020 berichtet – früh auf Distanz zum Konzern gegangen war.

2018 sei die Entscheidung gefallen, aus einer Kreditbeziehung auszusteigen, so Kramer. „Im Zentrum dieser Überlegungen stand: Wenn wir 150 Millionen Euro oder mehr aus der Hand geben, dann nur, wenn wir den Kunden wirklich sehr, sehr gut verstehen.“ Man habe Wirecard zu diesem Zeitpunkt aber erst zwei Jahre gekannt, das sei zu wenig Zeit gewesen. Zugleich seien wichtige Fragen zum Geschäftsmodell und der komplexen Bilanzstruktur des aufstrebenden Fintechs offen geblieben.

Die BayernLB hatte Wirecard 2016 zusammen mit anderen Banken einen Kredit gewährt. Zunächst habe man aber nur eine kleine Summe übernommen, sagte der Risikochef der Bank: zunächst 45 Millionen, dann 60 Millionen Euro. Als der Kredit 2018 aufgestockt, laut Kramer verdoppelt werden sollte, habe die Bank ein zu hohes Risiko gesehen und nicht mehr mitgemacht. Es habe aber keine Zweifel etwa am Eigenkapital von Wirecard gegeben.

Die kritischen Berichte in der Presse habe man zur Kenntnis genommen, erklärte Kramer. Sie seien aber nicht ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen, die eigene Beziehung zu Wirecard zu beenden. „Wir haben nie geglaubt, dass hier betrügerische Machenschaften vorliegen. Leider“, so der Risikovorstand. „Ich habe gedacht, da ist nicht alles perfekt. Aber von krimineller Energie bin ich zu keinem Zeitpunkt ausgegangen.“

Warum wurde die Deutsche Bank misstrauisch?

Mit besonderer Spannung blickte das politische Berlin auf die Aussage Sewings. Sein Institut hatte jahrelang eine enge Beziehung zu Markus Braun und den inhaftierten ehemaligen Vorstandschef des Zahlungsdienstleisters mit Krediten versorgt.

So hatte die Deutsche Bank Braun 2017 einen Kredit in Höhe von 150 Millionen Euro gewährt. Als Gegenleistung verpfändete Braun knapp die Hälfte seines 8,6 Millionen Aktien schweren Sieben-Prozent-Anteils an Wirecard an die Bank – 4,1 Millionen Papiere zum damaligen Gegenwert von 350 Millionen Euro. Die Deutsche Bank ermöglichte Braun so, seinen Aktienbesitz, ohne ihn verkaufen zu müssen, zu Geld zu machen. Die Kreditvergabe an die Beteiligungsgesellschaft Brauns startete laut Sewing bereits 2014.

Wenige Monate vor dem Untergang des Konzerns, im März 2020, beendete die Deutsche Bank jedoch die Geschäftsbeziehung. Braun musste seinen Kredit zurückführen. Die Oldenburgische Landesbank (OLB) sprang ein und gewährte Braun über den Umweg seiner Beteiligungsgesellschaft einen Kredit über 120 Millionen Euro. „Die OLB Bank hatte (…) einen Lombardkredit zur Ablösung bestehender Verbindlichkeiten gewährt, der unter anderem mit Wirecard-Aktien aus einem existenten Depot besichert war. Der Kredit wurde vollständig zurückgeführt“, erklärte die OLB dazu später. Die Rückführung erfolgte vermutlich durch den Verkauf der hinterlegten Aktien kurz vor der Pleite des Konzerns.

Um Mitternacht begann die Anhörung Sewings. Dieser traf nach eigener Aussage 2018 das erste Mal auf Braun. Dreimal habe man sich in jenem Jahr im Rahmen von regulären Kundenterminen geschäftlich ausgetauscht. Im Februar 2019 sei man dann in München mit Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Paul Achleitner zusammengekommen.

In zwei Folgeterminen wurden laut Sewing die Möglichkeiten einer Kooperation der beiden Konzerne in einzelnen Bereichen ausgelotet. Braun habe die Zukunft der Deutschen Bank als Tech-Unternehmen mit angeschlossenem Bankgeschäft gesehen. Die Gespräche wurden dann jedoch abgebrochen: „Die Inhalte waren unkonkret und hypothetischer Natur, es wurde keine substanzielle Tiefe erreicht“, erklärte Sewing.

Aufgrund der problematischen Entwicklungen bei Wirecard, insbesondere der Einberufung der KPMG-Sonderprüfung im Herbst 2019, habe die Deutsche Bank entschieden, auf Abstand zu Braun zu gehen. Er habe Braun im Dezember angerufen, so Sewing, und ihm mitgeteilt, dass die Deutsche Bank die Kreditbeziehung zu Brauns Beteiligungsgesellschaft nicht verlängern werde. In zwei bis drei Tranchen musste Braun in der Folge 2020 den Kredit über 150 Millionen Euro zurückführen.

Nach eigenen Angaben wusste Sewing nichts von den Übernahmeplänen Wirecards: Vom „Projekt Panther“ habe er erst im Sommer 2020 durch eine Medienanfrage erfahren. Die Wirecard-Spitze hatte den gleichlautenden Plan gehegt, die Deutsche Bank zu übernehmen, und ließ ihn von der Beratung McKinsey ausarbeiten.

Die Deutsche Bank verlor mit ihrem 80-Millionen-Euro-Kredit an die Wirecard AG im Rahmen des Bankenkonsortiums nach Sewings Angaben rund 18 Millionen Euro. Der Verlust war aufgrund umfangreicher Absicherungsgeschäfte deutlich geringer als der anderer Kreditgeber. Sewing betonte, der Bilanzskandal habe ein schlechtes Licht auf den Finanzplatz Deutschland geworfen. Die Manipulationen seien bei den üblichen Prüfungen der Bank nicht zu erkennen gewesen. Man sei darauf angewiesen, sich auf Jahresabschlüsse verlassen zu können.

Zielke erklärt späten Ausstieg aus der Kundenbeziehung

Ex-Commerzbank-Chef Martin Zielke musste sich am späten Donnerstagabend zur Kreditvergabe seines Hauses an Wirecard erklären. Als Anführer eines Bankenkonsortiums, das einen Konsortialkredit über 1,75 Milliarden Euro ausreichte, hatte die Commerzbank eine Kreditlinie über 200 Millionen Euro gewährt. Insgesamt hatte die Commerzbank 197 Millionen Euro an den Konzern ausgereicht, hieß es am Donnerstag. Aufgrund der Insolvenz im Zuge des aufgeflogenen Bilanzskandals musste die Bank davon 187 Millionen Euro abschreiben.

Zielke, von 2016 bis 2020 Vorstandschef, ergänzte, er sei erstmals 2018 kurz vor der Dax-Aufnahme Wirecards über die Geschäftsbeziehung informiert worden. Im April 2019 habe die Bank die Entscheidung getroffen, bei nächstmöglicher Gelegenheit die Beziehung zu Wirecard zu beenden – ein sogenannter „Soft-Exit“. Ein sofortiger Ausstieg sei nach Einschätzung der Hausjuristen nicht möglich gewesen.

Die Kontakte zur Bundesregierung seien in der Regel „unspektakulär“ gewesen, sagte Zielke. Die meisten Telefonate habe es mit Jörg Kukies, dem zuständigen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, per Telefon im Juni 2020 gegeben, kurz vor und nach dem Insolvenzantrag. Kukies habe unter anderem wissen wollen, ob es im Einzelhandel durch eine Wirecard-Pleite Probleme im Zahlungsverkehr geben könnte und ob es werthaltige Teile für spätere Verkäufe gebe.

Der geplante Ausstieg der Commerzbank aus dem Geschäft mit Wirecard hatte laut Zielke nicht mit Zweifeln an der Deckung des Kredits zu tun. „Die Werthaltigkeit des Kredits war zu diesem Zeitpunkt nicht infrage gestellt“, sagte er. Hintergrund seien im wesentlichen Zweifel an der Compliance gewesen, also der Einhaltung von Gesetzen und Regeln. Der Ausstieg aus einer Geschäftsbeziehung mit einem aufstrebenden Dax-Unternehmen sei damals durchaus „bemerkenswert“ und ungewöhnlich gewesen, aber von den zuständigen Vorständen überzeugend begründet worden, so Zielke. Die Bundesregierung habe keinen Einfluss auf das Verhalten der Commerzbank im Fall Wirecard ausgeübt.

Commerzbank nimmt EY in die Pflicht

Der Risikovorstand der Commerzbank, Marcus Chromik, betonte, man habe sich in seinem Haus intensiv mit kritischen Presseartikeln auseinandergesetzt, etwa im „Manager-Magazin“ 2017 und in der „Financial Times“ (FT): „Wir haben die FT-Artikel Anfang 2019 genau gelesen und weitere problematische Punkte gefunden. Der Vorwurf, dass es bei Wirecard seltsame Vehikel gibt, erhärtete sich in unserer Analyse.“

Chromik ergänzte seine Darstellung mit mehreren Seitenhieben auf den langjährigen Bilanzprüfer EY. „Cash and Cash Equivalents, die einfachste Bilanzposition, kann nicht die Bank überprüfen. Die Cash-Position muss der Wirtschaftsprüfer kontrollieren. Da erwarten wir, dass diese Zahl stimmt.“ Wirecard war am Ende über 1,9 Milliarden Euro an fehlendem Konzernvermögen (Cash Equivalents) in Asien gestürzt. Ob EY dessen Existenz ordentlich geprüft hat, steht in Zweifel. „Die Commerzbank ist, wie viele andere, Opfer eines in dieser Dimension unvorstellbaren Betruges geworden“, so Chromik. Jeder Kreditausfall sei schmerzlich.

Die Gründe für den im Frühjahr 2019 beschlossenen „Soft-Exit“ der Kundenbeziehung mit Wirecard, über den zuerst die Magazine „Stern“ und „Capital“ berichtet hatten, seien ein Geldwäscheverdacht und Zweifel an Wirecard-Geschäften in Südostasien gewesen, erklärte Chromik. Wirecard habe zugesagt, dass die Commerzbank binnen eines Jahres abgelöst werden sollte. Dadurch sei zumindest ein Teil des Schadens noch verhindert worden.

Michelbach nahm Chromik besonders ins Gebet: „Glauben Sie, dass Ihre Mittelstandskunden noch Vertrauen in Ihre Arbeit haben, wenn Sie der Wirecard AG einen hohen Kredit gaben und dieser sogar unbesichert war?“ Der Commerzbank-Vorstand antwortete darauf nur knapp: „Namhafte Banken haben die Kreditkonditionen für sich akzeptiert. Das ist ein Indiz für eine Marktüblichkeit.“

„Auch renommierte deutsche Banken sind Wirecard fahrlässig auf den Leim gegangen, da sie nicht tief genug geprüft haben“, kritisierte der Grünen-Finanzexperte Danyal Bayaz gegenüber dem Handelsblatt. „Sie können sich nicht hinter den Fehlern der Finanzaufsicht und Wirtschaftsprüfer verstecken. Die Bayerische Landesbank zeigt eindrücklich, dass sich die Risiken eines unverständlichen Geschäftsmodells und Bilanzungereimtheiten mit gründlichem Blick sehr wohl erkennen ließen.“

Bislang unbekanntes Gespräch zwischen Kukies und Sewing

Im Vorfeld der Sitzung zeigten neue Details den kurzen Draht zwischen Banken und Politik auf. Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des FDP-Finanzexperten Frank Schäffler, die dem Handelsblatt vorliegt, geht hervor, dass das Bundesfinanzministerium (BMF) bisher nicht umfassend über Kontakte zwischen der Hausspitze und der Deutschen Bank berichtet hat.

„Bei den Terminrecherchen zur Beantwortung dieser Kleinen Anfrage wurde festgestellt, dass am 30. Juni 2020 kurzfristig auf Wunsch von Herrn Sewing ein Telefonat mit Herrn Staatssekretär Dr. Jörg Kukies stattfand“, erklärt das BMF darin. „Da das Telefonat kurzfristig und ohne vorherige Terminvereinbarung stattfand, wurde es nicht im Kalender dokumentiert.“ In der Antwort auf eine frühere Anfrage des Linken-Finanzexperten Fabio De Masi hatte das BMF den Kontakt am 30. Juni verschwiegen, jedoch umfänglich über andere Kontakte und die entsprechenden Gespräche zwischen Kukies und Sewing informiert.

Thema des bislang unbekannten Gesprächs war laut dem BMF eine mögliche Übernahme der Wirecard-Bank durch die Deutsche Bank aus der Insolvenzmasse – ein Schritt, den die Deutsche Bank als mögliche Hilfe in Aussicht gestellt hatte, jedoch am Ende nicht durchführte. Vielmehr warb die Deutsche Bank zahlreiche Wirecard-Topmanager ab, was bei Insolvenzverwalter Michael Jaffé für Irritationen sorgte. Zu Käufen von Geschäftsteilen kam es nie.

Im Bundestag sorgt das in der Antwort auf frühere Anfragen verschwiegene Telefonat für Unmut. „Kukies hat keinen Überblick über seinen Terminkalender. Da werden wir im Untersuchungsausschuss nachhelfen müssen“, kritisiert Schäffler. Der Fall zeige erneut, wie wichtig die parlamentarische Aufklärung sei.

De Masi erwartet bezüglich des Handelns der Deutschen Bank Antworten von Sewing und in einer späteren Sitzung auch von Kukies: „Die Rolle der Deutschen Bank ist sehr dubios. Erst wird ein Interesse an der Wirecard-Bank bekundet, dann werden Manager herausgekauft.“

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Im Untersuchungsausschuss erhofft man sich auch Antworten über die Wege, wie kritische Banker Warnsignale zu den Machenschaften Wirecards erhielten, die die Finanzaufsicht Bafin und andere Behörden offenbar nicht erreichten. „Es ist zu klären, warum die Finanzaufsicht nicht in der Lage war, die Probleme zu erkennen, obwohl neben der Commerzbank auch die Bayerische Landesbank zu einer negativen Einschätzung von Wirecard gelangte, und ob hierbei privilegiertes Wissen vorlag“, so De Masi.

Der Bundestag hatte den Untersuchungsausschuss im Oktober auf Antrag von FDP, Linken und Grünen gegen den Willen der Regierungsfraktionen eingesetzt, die sich enthielten. Erst am Dienstag hatten die Abgeordneten unter anderem Lars-Hendrik Röller, Wirtschaftschefberater im Kanzleramt, angehört. Erwartet wird, dass sich die Sitzung am Donnerstag bis spät in den Abend hinzieht: Die Abgeordneten haben viele Fragen.

Mit Agenturmaterial.

Welche Geschäftsbeziehungen pflegte Markus Braun, ehemaliger Wirecard-Chef, mit den CEOs anderer Banken? Darüber wird im Untersuchungsausschuss gesprochen. Foto: dpa
Welche Geschäftsbeziehungen pflegte Markus Braun, ehemaliger Wirecard-Chef, mit den CEOs anderer Banken? Darüber wird im Untersuchungsausschuss gesprochen. Foto: dpa