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Spahns familienpolitischer Irrweg

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will bekanntermaßen CDU-Vorsitzender werden. Um sein sozialpolitisches Image zu verbessern, sorgte er jüngst mit einem Vorschlag für Aufsehen: Kinderlose Versicherte sollen nicht nur höhere Zusatzbeiträge an die soziale Pflegeversicherung entrichten, sondern auch einen Zusatzbeitrag an die gesetzliche Rentenversicherung zahlen.

Diese Beiträge sollen aber keine höheren Ansprüche begründen. Ziel ist einzig die höhere Belastung der kinderlosen Versicherten im Vergleich zu denen mit Kindern. „Im Umlagesystem bekommen die Alten das Geld von den Jungen – auch wenn es die Kinder der Anderen sind“, meint Spahn.

Nun befindet sich Jens Spahn mit seiner Idee in guter Gesellschaft. Ähnlich argumentierte in den 1950er-Jahren schon Wilfried Schreiber, der geistige Vater unserer 1957 eingeführten dynamischen Rente. In den 1970er-Jahren folgte ihm Theodor Schmidt-Kaler, ein an demografischen Fragen interessierter Professor für Astronomie. Und zu Beginn dieses Jahrhunderts wärmten die Ökonomen Johann Eekhoff und Hans-Werner Sinn den Vorschlag neu auf.

Spahn bemüht zur Begründung seines Vorstoßes ein Zitat von Oswald Nell-Breuning, dem Begründer der katholischen Soziallehre: „Diejenigen, die Beiträge zahlen, empfangen ja nicht ihre Beiträge zurück, wenn sie alt geworden sind. Durch die Beiträge haben sie nicht die Rente verdient, sondern durch sie haben sie erstattet, was die Generation zuvor ihnen gegeben hat. Damit sind sie quitt. Die Rente, die sie selbst beziehen wollen, die verdienen sie sich durch die Aufzucht des Nachwuchses. Wer dazu nichts beiträgt, ist in einem ungeheuren Manko."

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Allerdings ist es genau das Ziel moderner Sozialsysteme, die Versorgung im Alter, bei Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit von der Bereitschaft und den Möglichkeiten der eigenen Angehörigen abzukoppeln. Und es wird häufig übersehen, dass dies eine große Errungenschaft darstellt.

Kinderlosigkeit ist heute kein Grund mehr für Altersarmut. Jede wie auch immer finanzierte Rentenversicherung ist somit stets auch eine Versicherung gegen Kinderlosigkeit. Denn solch eine Versicherung führt dazu, dass der Einzelne nicht mehr auf seine Reproduktion angewiesen ist – auch wenn für die Gesellschaft als Ganzes natürlich die Reproduktion ihrer Bürger unverzichtbar bleibt.

Da das Großziehen von Kindern mit hohen Kosten verbunden ist, ist es naheliegend, die Eltern für diese Kosten zu entschädigen, beispielsweise auch über einen reduzierten Rentenbeitragssatz oder wie in Deutschland seit 1992 durch höhere Leistungen wie die „Mütterrente“.

Doch gerade in Deutschland mit seinem Patchwork an Alterssicherungssystemen trügt dieser erste Blick. Zum einen ist nämlich jedes neugeborene Kind für den Fortbestand eines Umlagesystems gleich wertvoll, unabhängig davon, ob Mutter oder Vater Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung sind. Schließlich weiß niemand, ob ein Neugeborenes später einmal viel oder wenig in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen wird. Möglich ist auch, dass der Zögling früh verstirbt, auswandert oder aus anderen Gründen keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen wird.

Zum anderen ist jede Entlastung bei den Beiträgen ebenso wie jede Honorierung von Kindererziehungszeiten bei den Leistungen stets eine Diskriminierung der kindererziehenden Beamten, Richter, Berufssoldaten, Freiberufler, Selbstständigen, Studenten und Arbeitslosen. Denn sie profitieren nicht von einer Familienpolitik mittels Beitragsdifferenzierungen oder höheren Ansprüchen an die Sozialversicherungen, selbst wenn ihre Kinder später einmal zu Beitragszahlern dieser Systeme werden.

Um zumindest die größten Ungereimtheiten zu vermeiden, müssten Eltern-Komponenten in allen Alterssicherungssystemen eingeführt und durch einen Wanderungsausgleich zwischen Rentenversicherung, berufsständischen Versorgungswerken und Beamtenversorgung flankiert werden. Wirklich Sinn machten Zusatzbeiträge für Kinderlose allenfalls in einer alle Erwerbstätige umfassenden Erwerbstätigen- oder besser noch in einer Bürgerversicherung. Aber dafür hat sich Spahn noch nie ausgesprochen.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Zum Glück sind die meisten heute in Deutschland geborenen Kinder geplant, also das Ergebnis eines sorgfältigen Entscheidungsprozesses der Eltern. Kein Kind kommt heute auf die Welt, um die eigene Altersversorgung oder gar den Fortbestand eines Umlageverfahrens zu sichern. Nahezu alle Kinder werden geboren, da sich die Mütter oder die Eltern davon eine Bereicherung ihres eigenen Lebens versprechen.

Ungeachtet dessen ist das Bestreben des Staates, das Wohlergehen von Familien zu verbessern, nicht nur im Interesse dieser „Eltern-Kind-Gemeinschaften“, sondern auch gesamtwirtschaftlich relevant. Denn das Aufziehen und Erziehen von Kindern erhöht das künftige Arbeitsangebot und damit das gesamtwirtschaftliche Produktionspotenzial in der Zukunft.

Kinder großzuziehen erzeugt daher positive externe Effekte für die gesamte Gesellschaft, die sicher nicht in das Entscheidungskalkül der Eltern bei der Familienplanung eingegangen sind. In deren Genuss kommen aber auch jene, die kinderlos geblieben sind, über ein höheres allgemeines Wohlstandsniveau in der Zukunft – und damit auch über höhere Einkünfte im Alter, egal ob als gesetzliche oder berufsständische Renten oder als staatliche Pensionen.

Unklar ist freilich, wie hoch diese externen Effekte sind und wie demnach ein optimaler Familienleistungsausgleich aussehen müsste. Unstrittig, weil vom Verfassungsgericht verlangt, ist, dass der Staat das Existenzminimum nicht besteuern darf. Der aktuelle Kinderfreibetrag beträgt 7.248 Euro und umfasst neben dem sächlichen Existenzminimum noch Teile des Erziehungs- und Ausbildungsbedarfs.

Wie bei allen Abzugsmöglichkeiten partizipieren jene davon am meisten, die am meisten Steuern zahlen. So ist der Kinderfreibetrag für einen Topverdiener 3.441 Euro wert. Versteuert man hingegen nur 1.500 Euro monatlich, beträgt die Steuerersparnis nur knapp 2.000 Euro pro Jahr. Dies mag man als ungerecht empfinden, doch der Grund dafür ist der als gerecht geltende progressive Steuertarif.

Um diesem Effekt zu begegnen, gewährt der Staat alternativ zum Kinderfreibetrag das Kindergeld. Bekäme jedes Kind 287 Euro Kindergeld pro Monat, entspräche dies der maximalen Entlastung durch den Freibetrag. Weil dies aber dem Staat zu teuer ist, gewährt er heute 194 Euro für die ersten beiden Kinder, 200 Euro für das dritte und 225 Euro ab dem vierten Kind.

Kinderfreibetrag und Kindergeld kosten den Fiskus mehr als 40 Milliarden Euro im Jahr, die aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden. Die gesamten familienpolitischen Leistungen des Staates summieren sich auf mehr als 200 Milliarden Euro.

Die Schaffung guter gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingen und die Erhöhung des Produktionspotenzials zählen zu den Kernaufgaben der Wirtschaftspolitik. Die Schaffung und Gewährleistung eltern- und damit kinderfreundlicher Rahmenbedingungen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die aus allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren ist. Denn Steuern werden von allen wirtschaftlich Leistungsfähigen erhoben und greifen auf alle Quellen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu und nicht nur wie Sozialbeiträge auf Lohneinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze.

Geld, das der Staat verteilen will, muss stets zuvor erwirtschaftet werden. Umso höher Beschäftigung und Wertschöpfung sind, umso mehr Geld steht für Umverteilungszwecke und damit auch für familienpolitische Belange zur Verfügung.

Vor diesem Hintergrund sollte Familienpolitik möglichst keine Anreize setzen, dass sich Eltern aus dem Erwerbsleben zurückziehen. Dadurch würde das Produktionspotenzial sinken und der Umverteilungsdruck in unserer alternden Gesellschaft noch weiter erhöht. Zudem würden sich die beschäftigungs- und wachstumspolitischen Chancen auch der nachwachsenden Generation verschlechtern. Familienpolitik sollte daher stets erwerbsorientiert sein, also eine möglichst rasche Rückkehr der Mütter an den Arbeitsplatz fördern.

Unter rein wachstumspolitischen Aspekten wären also die Milliardenbeträge, die die Große Koalition für die stufenweise Erhöhung des Kindergelds ausgibt, mutmaßlich besser in zusätzlichen Betreuungsangeboten investiert. Es spricht nämlich viel dafür, dass für Ehepaare und namentlich für Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein entscheidender Faktor dafür ist, ob, wann und wie viele Kinder sie bekommen. Für viele gut qualifizierte Eltern sind nämlich weniger die direkten Kosten der Kindererziehung die entscheidende ökonomische Größe, sondern die Opportunitätskosten in Form von Einkommensverlusten und beruflicher Dequalifikation.

Eine Begünstigung von Eltern in Form von etwas niedrigeren Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung oder zur sozialen Pflegeversicherung im Vergleich zu Kinderlosen würde sicher nicht dazu motivieren, mehr Kinder zu bekommen. Wohl aber zeigt der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur in den vergangenen Jahren offenbar positive Wirkung: Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist so hoch wie noch nie, und auch die Geburtenrate hat sich – aus welchen Gründen auch immer – leicht erhöht.

Spahns Vorschlag erschöpft sich in reiner Umverteilungspolitik mit eher negativen Anreizeffekten: Zum einen fördert die stärkere Belastung von Kinderlosen nicht deren Bereitschaft zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Und gleichzeitig ist es sehr fraglich, ob die Sanktionierung Kinderloser zu mehr Kindern führt.

Spahn versucht, sich mit seinem Vorschlag als Sozialpolitiker zu profilieren. Dabei macht er leider den gleichen Fehler, wie viele Sozialpolitiker des alten Schlages vor ihm: Er lässt mit kurzsichtigen Vorschlägen den Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Folgen vermissen.