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„Wasserstoff schafft Wirtschaftskraft“ – Das hat Siemens in Görlitz vor

In Görlitz soll ein Innovationscampus entstehen. Foto: dpa

In Sachsen errichten der Konzern und die Fraunhofer-Gesellschaft einen Innovationscampus. Der Fokus liegt auf dem Thema Wasserstoff. Sachsen unterstützt das Projekt.

Der Aufschrei war groß, als Siemens vor knapp zwei Jahren die Schließung seines Turbinenwerks im strukturschwachen Görlitz verkündete. Siemens-Chef Joe Kaeser musste dafür viel Kritik einstecken. Nach heftigen Protesten revidierte der Konzern die Entscheidung schließlich.

Görlitz musste zwar einen Stellenabbau hinnehmen, bekam aber auch mehr Selbstständigkeit. Die Stadt wurde zum Hauptsitz des weltweiten Industriedampfturbinen-Geschäfts der Münchener erkoren.

Mit einem Innovationscampus, auf dem auch ein Start-up-Accelerator geplant ist, soll der Standort jetzt langfristig gestärkt werden. Siemens-Chef Kaeser, Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vereinbarten an diesem Montag einen „Zukunftspakt für Görlitz“. Kretschmer sprach von einem Meilenstein: „Heute ist ein guter Tag für Görlitz und die Lausitz.“

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Ein Schwerpunktthema des neuen Forschungscampus soll das Thema Wasserstoff werden. Siemens und die Fraunhofer-Gesellschaft wollen gemeinsam ein Labor für Wasserstoffforschung errichten und Deutschland zu einem führenden Standort der Zukunftstechnologie machen.

Siemens-Energie-Forschungschef Armin Schnettler sagte dem Handelsblatt: „Die Wasserstoffwirtschaft wird das Welt-Wachstumsthema in den nächsten Jahrzehnten sein.“ Siemens wolle in diesem „sehr großen Markt eine führende Rolle spielen“.

Die Partner investieren zunächst 30 Millionen Euro in den Ausbau des Standorts. In den nächsten fünf Jahren sollen „100 hochqualifizierte Arbeitsplätze“ entstehen.

Die IG Metall begrüßt die Pläne. Die Gewerkschaft forderte aber zugleich: „Auch die ausgehandelten Investitionen in die Produktion müssen Wirklichkeit werden.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besichtigte das Siemens-Werk am Montagnachmittag und informierte sich über die Pläne für den Innovationscampus. Sie sprach von einem „Meilenstein für Görlitz“. Es sei wichtig, dass aus einer Energie- eine Innovationsregion werde, so die Kanzlerin.

Beide – Merkel wie Kaeser – haben in den neuen Bundesländern nicht allzu viele Fans: Der Siemens-Chef verärgerte zuletzt auch viele mit seinen AfD-kritischen Tweets, die Kanzlerin hat in etlichen ostdeutschen Regionen eh längst an Vertrauen verloren.

Wasserstoff – ein Trendthema

Beide wissen um die Bedeutung des Görlitzer Projekts. Von den Chefs multinationaler Ölkonzerne über die Größen der Automobilindustrie bis zu den führenden Köpfen aus der Wissenschaft: Wasserstoff treibt derzeit viele Akteure der Energiewelt um.

Es vergeht kaum eine Konferenz ohne mindestens einen Vortrag über die verheißungsvolle „Power to X“-Technologie und ihre Vorteile. „Power to X“ ist der Überbegriff für eine Reihe von Anwendungen, die auf dem Verfahren der Elektrolyse basieren, also der Umwandlung von Strom zu Wasserstoff.

Siemens ist neben Thyssen-Krupp der zweite deutsche Großkonzern, der in der Zukunftstechnologie eine Geschäftschance wittert – zu Recht. „Wenn wir unsere Emissionsziele erreichen wollen, brauchen wir solche Anlagen im großen Maßstab. Da werden hohe Milliardenbeträge investiert, und es ist sinnvoll, sich jetzt schon ein Stück vom Kuchen zu sichern“, sagt Energieexperte Hanns Koenig von der Londoner Unternehmensberatung Aurora Energy Research.

Mithilfe von Elektrolyse kann zum Beispiel überschüssiger Windstrom in grünen Wasserstoff umgewandelt werden. Das Problem: Das Verfahren ist noch nicht wirtschaftlich. Denn über Forschungsversuche und Pilotprojekte hinaus hat es „Power to X“ bislang nicht geschafft. „Die Technologien selber sind gut erforscht. Der nächste Schritt muss jetzt sein, Anlagen im größeren Maßstab zu bauen“, meint Koenig.

Und genau hier wollen Siemens und Fraunhofer ansetzen. „Der Teufel liegt im Detail“, sagt Ralf Wehrspohn, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen und Sprecher des Fraunhofer-Wasserstoffnetzwerks, dem Handelsblatt. Man habe noch keine jahrelangen Erfahrungen zum Beispiel mit Themen wie Lebensdauer, Wartung und Nutzungsstunden pro Jahr. Görlitz soll zu einer Art Testlabor für Größeres werden.

Ziel der Forschungspartner ist es auch, einen digitalen Zwilling der Anlagen zu entwickeln, mit dem dann schneller und kostengünstiger Simulationen durchgeführt werden können. Das Ergebnis der Bemühungen könnten größere und bessere Anlagen sein. Steigt dann die Nachfrage, verbessert sich die Wirtschaftlichkeit. „Wenn es von der Manufaktur in Richtung einer Massenherstellung geht, sinken die Kosten automatisch“, sagt Wehrspohn.

Ein wichtiges Thema in Görlitz soll zudem die dezentrale Speicherung von Wasserstoff sein. Das sei gerade für die Industrie ein wichtiges Thema, meint Welf-Guntram Drossel, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik. Fraunhofer wolle in Dresden unter anderem verschiedene Drucktechniken weiterentwickeln. „Wasserstoff schafft Wirtschaftskraft“, ist Drossel überzeugt.

Langfristiges Engagement

Siemens-Forscher Schnettler betont, der Technologiekonzern wolle sich langfristig in dem Geschäft engagieren. „Wir haben vor, diesen wichtigen Wachstumsmarkt sehr konzentriert anzugehen.“ Wasserstoff sei eine Kerntechnologie des Konzerns. In welchem Siemens-Bereich die Forschung weiterbetrieben wird, ist bislang aber offen. Kaeser hatte angekündigt, im kommenden Jahr die Energiesparte in ein eigenständiges Unternehmen abzuspalten.

Mit ihrem Bündnis wollen Siemens und Fraunhofer erreichen, dass Deutschland eine führende Rolle spielt. „Wir müssen es schaffen, anders als bei der Photovoltaik die Kompetenzen in Deutschland zu halten“, sagt Schnettler. Bei Fraunhofer sieht man dafür gute Chancen. „Von zehn Firmen weltweit sitzen mehrere in Deutschland“, sagte Wehrspohn. Als Beispiele nannte er Siemens, Thyssen-Krupp und Salzgitter. Das sei „eine Riesenchance, auch international“.

Auf dem Innovationscampus sollen auch andere Themen wie Automatisierung und innovative Werkstoff- und Fertigungstechnologien entwickelt werden. Ziel ist es, weitere Technologie- und Industrieunternehmen sowie Forschungsinstitute anzusiedeln. „Mit diesem Zukunftspakt lösen wir unser Versprechen ein, den Strukturwandel der Lausitz aktiv mitzugestalten“, sagt Kaeser. Nach der Ankündigung der Werksschließung hatte es Demonstrationen und Proteste gegeben. Eine Delegation aus Görlitz fuhr sogar mit dem Fahrrad zur Siemens-Hauptversammlung.

Fraunhofer-Präsident Neugebauer sagte: „Als Energieregion wird Sachsen von den Transformationsprozessen im Zuge des Kohleausstiegs immanent berührt.“ Die gut vernetzte Forschungs- und Technologielandschaft und die Innovationskultur böten jedoch gute Voraussetzungen. „Die Kooperation ist eine zentrale Grundlage für den Anlagenbau in der Region und führt die industrielle Forschung und Wissenschaft in einer strategischen Partnerschaft zusammen.“

Siemens kündigte zudem an, der Standort Görlitz solle bis 2025 zu einer CO2-neutralen Fabrik umgebaut werden. Hierfür sollte die Prozesswärme für den Betrieb der Dampfturbinenprüfstände nachhaltig erzeugt und der Energieverbrauch insgesamt reduziert werden. Derzeit beschäftigt Siemens in dem Werk rund 800 Mitarbeiter.