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Schulfrust – das Drama des begabten Kindes

Inkompetente Lehrer, weltfremder Unterricht, ungerechte Zensuren: Das beschreibt die Jura-Studentin Viviane Cismak. Was ist dran an ihren Vorwürfen?

So mancher Schüler träumt davon, sich irgendwann an seinen Lehrern zu rächen. Viviane Cismak hat es getan. Und zwar mit einem Buch. 25.000 Mal hat sich „Schulfrust“ bisher verkauft, Tendenz stark steigend. Seit einem Vorabdruck in der „Bild“-Zeitung kann sich Cismaks Verlag Schwarzkopf und Schwarzkopf vor Medienanfragen kaum retten. „Es zeigt sich wieder, dass ,Bild’ die Agenda bestimmt“, sagt Geschäftsführer Oliver Schwarzkopf.

Zwar hat Cismak den Schulen in ihrem Buch keine Namen gegeben, doch sie sind leicht wiederzuerkennen: das altsprachliche Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt, das sie von der vierten bis zur zehnten Klasse besucht hat, und das Hermann-Hesse-Schule in Berlin-Kreuzberg, wo sie letztes Jahr das Abi mit dem Notendurchschnitt 1,8 abgelegt hat.

Wenn man ihr glauben darf, war der Schulalltag in diesen neun Jahren geprägt von inkompetenten Lehrern, weltfremdem Unterricht, willkürlichen Zensuren, unsinnigen oder gescheiterten Reformen und dummen Schülerstreichen, denen die Lehrkräfte hilflos gegenüberstanden.

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Besonders schockierend sind die Berichte aus dem Berliner Gymnasium, wo muslimische Machos den Ton in der Klasse und auf dem Schulhof angeben, Mädchen ohne Kopftuch als Hure gelten, antisemitische Sprüche üblich sind und der Unterricht Hauptschulniveau hat. Das Buch liest sich wie eine Mischung aus „Die Knilche von der letzten Bank“, der „Feuerzangenbowle“ und „Deutschland schafft sich ab“.

Wer ist Viviane Cismak? Und stimmt es, was sie erzählt? Wie sie da sitzt im Kreuzberger „Café Alibi“, wirkt die Jurastudentin zarter und verletzlicher als auf dem Cover ihres Buchs, wo sie mit weißem T-Shirt und Mir-kann-keiner-Attitüde vor einer Schultafel posiert, auf dem „Schulfrust – 10 Dinge, die ich an der Schule hasse“ geschrieben ist. Aber sie nimmt nichts zurück. Die Schule sei eine Aufbewahrungsstätte, an der sich Leistung nicht lohne, weil Sympathie das wichtigste Bewertungskriterium sei.

Die Lehrer seien verantwortungslos aus Überzeugung. Für Schüler gelte das Gebot, sich nur nicht erwischen lassen. Ansonsten könne man sich fast alles erlauben. Das Lernniveau sei schon in Hessen niedrig gewesen, in Berlin aber aufgrund der vielen Schüler mit Migrationshintergrund „absolut am Boden“.

Wer halbwegs intelligent sei, brauche sich nicht anzustrengen, und wenn die Lehrer nicht so ungerecht gewesen wären, hätte sie ihr Abi mit 1,0 machen müssen. Man muss sich Viviane Cismak als einen selbstbewussten Menschen vorstellen.

Es ist freilich ein Selbstbewusstsein, das widrigen Umständen abgetrotzt wird. Auf dem Gymnasium in Darmstadt ist Viviane die einzige in ihrer Klasse, die nicht von teuren Urlauben erzählen und schicke Markenklamotten tragen kann. Ihren leiblichen Vater kennt sie nicht. Die allein erziehende Mutter hat in der DDR Pharmazie studiert, ist aber seit Vivianes Geburt Hausfrau. Es kommt ein kleiner Bruder hinzu, der Vater ist meistens abwesend, die Familie lebt von den Unterhaltszahlungen.

Viviane sucht sich ihre Schule genau aus: „Ich habe nach dem Aussehen der Toiletten entschieden. Wenn sie beschmiert waren, sprach das dafür, dass die Schule nicht so ordentlich ist.“ Das Ludwig-Georgs-Gymnasium (LGG) hat saubere Toiletten, ist aber sonst eine Enttäuschung. Die Lehrer sind entweder zu streng oder zu lasch, ungerecht sowieso, die Schüler sind hauptsächlich damit beschäftigt, die Lehrer zu ärgern.

Viviane schaltet ab. Sie versucht, bei „Deutschland sucht den Superstar“ Anerkennung zu finden, wird aber von Dieter Bohlen fertig gemacht. Nachdem „Schulfrust“ erschienen ist, ätzt die Schülerin Lara Stenger in der Schülerzeitung „die Eule“: „Einige meiner Mitschülerinnen und Mitschüler empfanden ihre Darstellung damals als so einprägsam, dass sie sich das Video sogar auf ihr Handy luden.“

Im Gespräch setzt sie nach: „Für mich erscheint es eigenartig, dass Viviane, nachdem ihre ersten Profilierungsversuche (DSDS und der Versuch als Unterwäschemodel bekannt zu werden) scheiterten, sich jetzt bemüht, ihr eigentliches Ziel der wie auch immer gearteten öffentlichen Profilierung, durch im Trend liegende Sozialkritik zu erreichen.“ Boff.

Ehrgeiz, das weiß man, wird in Deutschland selten honoriert. In Viviane brennt der Ehrgeiz heißer als in manchen Schülern aus bequemeren Verhältnissen. Sie schreibt ihr erstes Buch, „Deutschlands Kinder“, in dem Unterprivilegierte mit ihren Problemen und Träumen zu Wort kommen. Auch damit kommt sie ins Fernsehen, wo sie jetzt kein Dieter Bohlen fertig macht.

Dann zieht sie weg aus dem spießigen Darmstadt – mit siebzehn ganz allein nach Berlin, besorgt sich einen Job und eine Wohnung in Neukölln und wählt „ganz bewusst“ das Gymnasium in Kreuzberg aus. Die Hermann-Hesse-Schule sitzt an der Kante zwischen dem schicken Kreuzberg am Kanal, wo Leute mit Geld und sehr guten Jobs hinziehen, denen Prenzlauer Berg zu darmstädtisch ist, und dem Neukölln der Türken, Libanesen und des „White Trash“. Am Kiezgymnasium mit seinen 520 Schülern macht sich aber die Gentrifizierung noch nicht bemerkbar gemacht. Über 80 Prozent der Schüler sind „nicht deutscher Herkunftssprache“.

Und wie ist es mit Cismaks Vorwürfen, hier würden nicht die muslimischen Kinder in die deutsche Gesellschaft integriert, sondern die deutschen Kinder in die muslimische Parallelgesellschaft? Die Schulleiterin Jutta Deppner will sich nicht äußern und verweist an die Pressestelle des Senats. Beate Stoffers, Sprecherin der Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft, kann „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ nichts sagen, obwohl ganz Deutschland schon Cismaks Buch kennt.

Ja, es habe eine Schulinspektion an der Hermann-Hesse-Schule gegeben, aber „die Ergebnisse sind vertraulich“. Ein Lehrer schreibt auf Anfrage: „Die Schulleitung hat der Lehrerschaft der Hermann-Hesse-Schule die Anweisung erteilt, sich gegenüber der Presse nicht zu äußern. Als Beamter bin ich nicht einmal berechtigt, auch nur einen kritischen Leserbrief gegenüber dem Dienstherrn und den nachgeordneten Dienststellen abzusetzen.“ Deutschland 2012. Warum wird gemauert?

Ein ehemaliger Elternvertreter berichtet, nachdem ihm Anonymität zugesichert wird. dass in der neunten Klasse zwölf Schüler, darunter auch sein Kind, sich von der Schule abgemeldet haben. Sie gehen auf Gymnasien in bürgerlichen Bezirken. Wegen der vielen Migranten?

„Ja, das auch. Aber das Problem sind nicht die Ausländer. Ich habe meine Kinder aus Überzeugung auf diese Schule geschickt. Unsere Zukunft ist nun einmal multikulturell. Das Problem ist die inkompetente Schulleitung.

Das Problem ist ein Schulsenat, der eine solche Brennpunktschule nur mit 80 Prozent des ihr zustehenden Personals ausstattet, statt mit 120 Prozent, wie es sein müsste. Da kann nichts klappen.“

Schauen wir uns die Schule also an. Es trifft sich gut, dass gerade die „Schule ohne Rassismus“-Projekttage stattfinden. Die veranstaltet das Gymnasium seit 2005. In einem Klassenraum sitzen der verantwortliche Lehrer Guido Schulz und die Schülerinnen Valessa Kurze und Kiymet Ercan und koordinieren mit Hilfe von „Korrespondenten“ die 26 Projekte, von denen viele nicht in der Schule stattfinden, sondern zum Beispiel im Jüdischen Museum oder in den Räumen des Deutschen Entwicklungsdienstes. Von Schulz habe ich schon gehört. Er sei „sehr engagiert, jung, dynamisch, noch nicht versaut“, hat der Elternvertreter gesagt. Genau so wirkt er.

Dieses Jahr liegt ein Schwerpunkt auf dem Antisemitismus, erklärt Schulz. Das stößt auf großes Interesse gerade der islamischen Schüler. So sei die Projektgruppe über „Verschwörungstheorien“, die von den Wissenschaftlern Aylin Karadeniz und Carl Chung in den Räumen des „Mobilen Beratungsteams Ostkreuz“ angeboten wird, „ein Renner“.

Gut besucht sei auch die Veranstaltung zum Nahostkonflikt, die von Aycan Demirel und der „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus“ durchgeführt wird. Das sei auch nötig. Viele Schüler würden die Vorurteile ihrer Eltern mitbringen, so kursiere unter Palästinensern das Gerücht, Juden könnten in Deutschland umsonst wohnen. „Seit Erdogans Politikwende hat es auch unter den türkischen Schülern eine negative Veränderung ihrer Einstellung gegeben.“

Und wie ist es mit Schimpfwörtern wie „Du Jude!“ Davon spricht ja nicht nur Cismak, sondern auch der Antisemitismusbericht des Bundestags. Früher sei das häufig vorgekommen, meint Valessa (Leistungskurse Politik und Biologie), aber seit Einführung der Projekttage sei so etwas in der Oberstufe jedenfalls nicht mehr zu hören.

Und die Mädchen? Sind sie eingeschüchtert von den muslimischen Machos? Kiymet (Leistungskurse Deutsch und Biologie) lacht: „Das hätten die wohl gern!“ Und da wir schon von Viviane Cismaks Buch reden: Wie spricht man an der Schule darüber?

Die Mädchen zucken mit den Schultern. Das Buch sei für sie kein Thema. Schulz sagt: „Dass sie den Finger in die Wunde legt, ist okay. Aber wie sie das gemacht hat, ist nicht in Ordnung.“ Bei „Schule ohne Rassismus“ habe sie sich nie engagiert. „Hier wird der Finger in die Wunde gelegt. Offen.“ Viviane habe das Vertrauen der Schüler missbraucht. „Das finde ich menschlich fragwürdig.“

In ihrem Buch zählt Viviane Cismak 25 Lehrer auf, die ihr negativ auffielen. „Das waren die krassesten Fälle. Der Rest hat halt den Job erledigt und ist weder positiv noch negativ aufgefallen.“ Gerade mal drei Lehrer sind ihren strengen Ansprüchen gerecht geworden.

Könnte das nicht auch an ihr liegen? Das sieht sie so nicht. Es ist das Drama des begabten Kindes. Viviane Cismak gehört wohl zu den Schülern, die jede Regelschule frustrieren muss. Vielleicht hätte ihr eine Reformschule gut getan. Das Jurasstudium an der Freien Universität Berlin jedenfalls genießt sie. Noch.

„Schulfrust“ ist ein unfaires und teilweise gemeines Buch. Und doch zeigt etwa die Reaktion der Berliner Schulverwaltung, dass Viviane Cismak eine unbequeme Wahrheit anspricht. Ihr kann man mit Mauern der Verantwortlichen und Maulkörben für die Betroffenen nicht ausweichen.

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