Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • DAX

    18.772,85
    +86,25 (+0,46%)
     
  • Euro Stoxx 50

    5.085,08
    +30,67 (+0,61%)
     
  • Dow Jones 30

    39.512,84
    +125,08 (+0,32%)
     
  • Gold

    2.366,90
    +26,60 (+1,14%)
     
  • EUR/USD

    1,0772
    -0,0012 (-0,11%)
     
  • Bitcoin EUR

    56.489,59
    -1.770,59 (-3,04%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.262,46
    -95,55 (-7,04%)
     
  • Öl (Brent)

    78,20
    -1,06 (-1,34%)
     
  • MDAX

    26.743,87
    +34,97 (+0,13%)
     
  • TecDAX

    3.404,04
    +19,74 (+0,58%)
     
  • SDAX

    14.837,44
    +55,61 (+0,38%)
     
  • Nikkei 225

    38.229,11
    +155,13 (+0,41%)
     
  • FTSE 100

    8.433,76
    +52,41 (+0,63%)
     
  • CAC 40

    8.219,14
    +31,49 (+0,38%)
     
  • Nasdaq Compositive

    16.340,87
    -5,40 (-0,03%)
     

Schluss mit dem Klüngel: Öffentliche Unternehmen erhalten Benimmregeln

Der Städtetag empfiehlt den neuen Musterkodex: Der soll zu besserem Wirtschaften bei Energieversorgern, Verkehrsbetrieben oder Wasserwerken führen.

Die Bedeutung des öffentlichen Sektors wächst in Deutschland. Foto: dpa
Die Bedeutung des öffentlichen Sektors wächst in Deutschland. Foto: dpa

Der Kölner Klüngel ist bundesweit berüchtigt. Im Jahr 2018 erlebte die Stadt am Rhein ihn mal wieder real. Bei den Stadtwerken gab es geheime Absprachen unter den Fraktionsspitzen der SPD, der CDU und den Grünen. Sie vereinbarten, den SPD-Politiker und langjährigen Aufsichtsratsvorsitzenden Martin Börschel ohne vorherige Stellenausschreibung zum hauptamtlichen Geschäftsführer zu bestellen. Als Gegenleistung sollten die Interessen von CDU und Grünen bei anderen Stellenbesetzungen berücksichtigt werden.

Der Skandal hatte nicht nur für die Beteiligten Folgen. Er gab den Ausschlag für eine Verschärfung der Regeln für Manager und Aufsichtsräte in städtischen Unternehmen wie dem Versorger Rheinenergie und den Kölner Verkehrs-Betrieben.

WERBUNG

Geschäftsführer werden künftig nach professionellen Kriterien bestellt. Das Auswahlverfahren und die Höhe der Vergütung werden durch eine Personalberatung dokumentiert. Ferner gilt: Alle Chefgehälter werden künftig jährlich auf der Internetseite der Stadt veröffentlicht. Bei der Besetzung von Aufsichtsräten sollen auch Externe, die weder aus dem Rat noch der Verwaltung kommen, berücksichtigt werden. Zudem sollen künftig 40 Prozent Frauen vertreten sein.

Der Kölner Kampf gegen den Klüngel könnte jetzt vielen anderen Städten zum Vorbild werden. Auf seiner jüngsten Präsidiumssitzung in Mannheim hat der Deutsche Städtetag den Beschluss gefasst, den sogenannten Deutschen Public Corporate Governance Muster-Kodex als Grundlage zu etablieren.

„Die Zeit ist reif. Es ist im Interesse aller Beteiligten und auch der zu Recht kritischen Öffentlichkeit, dass gerade bei öffentlichen Unternehmen klare und nachvollziehbare Standards und Regeln gelten“, erklärt Michael Ebling, Oberbürgermeister der Stadt Mainz sowie derzeit Mitglied im Präsidium des Deutschen Städtetags und Präsident des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU), dem Handelsblatt. „Öffentliche Unternehmen können keine Sonderrolle einnehmen. Auch hier gelten die allgemeinen Grundsätze für effiziente Unternehmensführung.“

Neben Affären wurde die Entwicklung auch durch den Trend zur Rekommunalisierung ausgelöst, erklärt Ebling: „Viele Städte bekommen im Zuge der Rekommunalisierung von Stadtwerken oder Bildungseinrichtungen zunehmend Strukturen wie Konzerne. Sie sind ein Geflecht aus öffentlichen Unternehmen und Beteiligungen. Damit steigt die Notwendigkeit für die Städte, sich professioneller aufzustellen.“

Die neuen Regeln stellen dabei vor allem Transparenz, Kommunikation und die Vergütung des Spitzenpersonals in den Mittelpunkt (siehe Infokasten).

Hinzu kommt die Coronakrise, die gerade auch die Städte in den vergangenen Monaten hart getroffen hat. Sie sind vielerorts durch wegbrechende Steuereinnahmen oder Mehrausgaben für Gesundheitsmaßnahmen in finanzielle Schieflage geraten. Die Notwendigkeit professionellen Managements und unabhängiger wie fachkundiger Kontrolle ist damit in städtischen Firmen dramatisch gewachsen.

„Der richtige Moment ist gekommen, und der Beschluss des Präsidiums des Deutschen Städtetages ist ein ganz wichtiges Signal für die Städte“, erklärt Ulf Papenfuß, Professor für Public Management und Public Policy an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, der die Entwicklung des Musterkodex initiiert und koordiniert hat. Zudem ist er wissenschaftlicher Vorsitzender der Expertenkommission.

Das Thema gehöre aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie gerade jetzt zeitnah auf die Tagesordnung. „Es gibt im Beteiligungsmanagement der Städte gravierende Probleme und unausgeschöpfte Chancen“, sagt Papenfuß.

Der Bedarf ist groß. Denn während es für große börsennotierte Unternehmen und Familienunternehmen der Privatwirtschaft seit 2002 eine Art Knigge gibt, den Corporate Governance Kodex, fehlen für öffentliche Unternehmen bislang einheitliche Empfehlungen, an denen sich die Verantwortlichen orientieren können. „Für öffentliche Unternehmen besteht hier ein relevanter, drängender und nicht anderweitig abgedeckter Bedarf“, erklärt Papenfuß.

Bedeutung öffentlicher Unternehmen steigt

Bürgermeister und Lokalpolitiker stünden schließlich häufig gerade in Bezug auf ihre Ämter in städtischen Firmen und Beteiligungen unter besonderer Beobachtung. Wer hat welchen Posten? Wie hat er ihn bekommen? Wie viel Geld verdient er? „Wenn Bürger Intransparenz und Geklüngel wahrnehmen, führt das zu Politikverdrossenheit. Ein Kodex mit klaren und umfassenden Regeln schützt letztlich die Entscheidungsträger, fördert die von vielen gewollte Rollenkonformität und macht öffentliche Unternehmen auch zu attraktiveren Arbeitgebern“, sagt Papenfuß.

„Ich kann die Idee und den Lösungsansatz des Public Corporate Governance Kodex nur begrüßen“, sagt Rolf Nonnenmacher, Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex: „Der Nutzen einer effektiven Corporate Governance ist für kommunale Unternehmen so evident wie für die Börsenunternehmen.“

Die wirtschaftliche Bedeutung des Beteiligungsmanagements der Städte ist hoch. Derzeit gibt es in Deutschland rund 18.000 öffentliche Unternehmen, die wichtige Aufgaben der Daseinsvorsorge übernehmen wie Energie- und Wasserversorgung, Bildung, Erziehung sowie Abfallentsorgung. Laut Statistischem Bundesamt erwirtschaften sie einen Umsatz von mehr als 550 Milliarden Euro im Jahr.

Insbesondere auf kommunaler Ebene sind sie zudem ein wichtiger Arbeitgeber. So ist mehr als die Hälfte der öffentlich Beschäftigten nicht in der Verwaltung, sondern in öffentlichen Unternehmen tätig. Und über die Hälfte der Investitionen der öffentlichen Hand erfolgen über öffentliche Unternehmen; fast 60 Prozent der Verschuldung der öffentlichen Hand liegen in den Auslagerungen und nicht im Kernhaushalt.

Und die Bedeutung steigt weiter. Denn auch international nimmt Deutschland bei der Rekommunalisierung eine Führungsrolle ein. Nach Berechnungen des niederländischen Thinktanks Transnational Institute (TNI) wurden in den Jahren 2000 bis 2019 rund 411 Unternehmen in Deutschland wieder zurück unter die öffentliche Hand genommen. Hinzu kommt der Trend zur Teilverstaatlichung, auch ausgelöst durch die Coronakrise. So rettete der Staat etwa die Lufthansa.

Seit Januar dieses Jahres liegt nun der Musterkodex für öffentliche Unternehmen vor. Wissenschaftler wie Papenfuß und Praktiker, darunter der Mainzer Oberbürgermeister Ebling und die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), haben ihn gemeinsam formuliert. Er soll Lokalpolitiker und sonstige Verantwortliche in öffentlichen Unternehmen unterstützen, ein für ihre städtischen Firmen und Beteiligungen passendes Regelwerk zu etablieren.

„Der nun vorliegende und von uns empfohlene Musterkodex macht es für alle leichter, individuelle Empfehlungen zu formulieren“, sagt Ebling. „Ich erwarte, dass sich die Kommunen dieser Herausforderung stellen, und zwar insbesondere für ihre großen Beteiligungen. So schützen wir uns auch vor Unterstellungen. Klare Regeln und Standards schützen auch die Funktionsträger.“ Inhaltlich ähnelt der Musterkodex in vielen Punkten dem Kodex für Privatunternehmen, berücksichtigt aber die Besonderheiten öffentlicher Unternehmen.

Die Unternehmen müssen sich nicht zwingend an diese Empfehlungen halten. Aber wenn sie davon abweichen, sollen sie das begründen und nachvollziehbar erläutern. So schwebt es zumindest der Expertenkommission vor, „Comply or Explain“ heißt das aus der Privatwirtschaft übernommene Prinzip. Damit es tatsächlich so weit kommt, müssten die jeweils zuständigen politischen Gremien – also Stadtrat oder Landtag – einen entsprechenden Kodex verabschieden.

Vielfältiges Portfolio

In den vergangenen 15 Jahren haben sich der Bund, einige Länder und auch einige Städte zwar schon diverse Kodizes für ihre öffentlichen Unternehmen gegeben. Doch von den über 2000 deutschen Städten und über 200 Landkreisen verfügen bisher nur etwa 50 über einen Kodex. „Viele vorhandenen Regelwerke sind zudem an wichtigen Stellen noch unklar und übervorsichtig“, kritisiert Papenfuß.

Politisch als heikel empfundene Punkte seien oft noch ausgeklammert worden. Es gebe jedoch auch eine Reihe von anerkennenswerten Beispielen wie Fürth, Landau und Neuss bei den kleineren Städten sowie Frankfurt am Main, Hamburg, Köln und Stuttgart bei den Großstädten.

Wie die Benimmregeln für die Wirtschaft, die gerade im März wieder eine neue Fassung erhielten, wird wohl auch der Public Corporate Governance Muster-Kodex noch viele Aktualisierungen erfahren. Von seiner Art her kann er zudem nicht so umfassend sein wie der Kodex für börsennotierte Unternehmen.

Das Beteiligungsportfolio der Städte ist sehr vielfältig. So stellte das Präsidium des Städtetags schon im ersten Beschluss fest, dass der Musterkodex nicht auf Sparkassen anwendbar ist. Hier seien die speziellen Regelungen der Sparkassengesetze und der Bankenaufsicht anzuwenden.

Der neue Kodex bietet zudem auch den Rahmen dafür, dass sich die Städte strategische Ziele setzen. So haben Vorreiter wie Darmstadt oder Leipzig sogenannte Stadtwirtschaftsstrategien festgeschrieben. „Die Energiewende ist ein großes Wort. Wir haben diese mit konkreten Maßnahmen in unserer Stadtwirtschaftsstrategie festgeschrieben, erklärt Klaus-Michael Ahrend, Vorstand des Beteiligungsmanagements der Stadt Darmstadt und Praxisvorsitzender der Expertenkommission.

Dazu zählten die Umstellung aller Privatkunden auf Ökostrom, die Ausweitung der regenerativen Erzeugungsleistung und das Angebot von smarten Energiedienstleistungen.