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Reisebranche braucht Alternative für Zwangsgutscheine

Mit Zwangsgutscheinen wollen Reiseveranstalter verhindern, dass ihnen durch Rückzahlungen die Liquidität ausgeht. Das Vorhaben droht zu scheitern.

Veranstaltern droht wegen des staatlich verhängten Reisestopps ein gefährlicher Liquiditätsengpass. Foto: dpa
Veranstaltern droht wegen des staatlich verhängten Reisestopps ein gefährlicher Liquiditätsengpass. Foto: dpa

Das Angebot des soeben mit Staatshilfe geretteten Reiseveranstalters FTI klingt nach einem famosen Deal. Um den Gästen „möglichst frühzeitig Planungssicherheit zu verschaffen“, biete man „verunsicherten Urlaubern die Möglichkeit, ihre gebuchte Reise mit Abreise zwischen 4. und 31. Mai 2020 bereits jetzt kostenfrei zu stornieren“, versprach Europas drittgrößter Reiseveranstalter vergangenen Donnerstag.

Der Gast erhalte dafür allerdings nicht seine Anzahlung zurück, sondern ein „Urlaubsguthaben, das bis zum 31. Dezember 2021 für Neubuchungen eingesetzt werden kann“. Hinzu komme ein Bonus-Gutschein über 200 Euro.

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Hinter Aufrufen wie diesem steckt pure Verzweiflung. Denn es sind vor allem die üppigen Anzahlungen für die Pauschalreise, mit denen Reiseveranstalter traditionell ihr Geschäft bestreiten.

Marktführer Tui etwa wies zum Jahreswechsel in seinem Quartalsbericht „erhaltene touristische Anzahlungen“ in Höhe von 2,86 Milliarden Euro aus, obwohl sich in der Konzernkasse gerade 869 Millionen Euro fanden. Mit dem Rest hatte man Flüge und Hotels reserviert, Investitionen getätigt oder Aktionäre beglückt.

Weil die Kundengelder laut Gesetz spätestens zwei Wochen nach einer Reiseabsage erstattet werden müssen, droht den meisten Veranstaltern wegen des staatlich verhängten Reisestopps nun ein gefährlicher Liquiditätsengpass. Insgesamt geht es aktuell um drohende Abflüsse von 3,5 Milliarden Euro, glaubt der Deutsche Reiseverband (DRV).

„Es drohen massenhaft Insolvenzen“

Die Berliner Lobbyorganisation fordert mit dem Bundesverband der deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) und anderen aus diesem Grund die Erlaubnis, Urlaubskunden mit Gutscheinen abspeisen zu dürfen. „Wenn eine solche Gutscheinlösung nicht kommt, drohen massenhaft Insolvenzen“, warnte Ex-Tui-Chef und BTW-Präsident Michael Frenzel gegenüber dem Handelsblatt.

Für die „Tourismus-Taler“, wie Spötter die Zwangsgutscheine nennen, machte das Berliner „Corona-Kabinett“ Anfang April zunächst den Weg frei und schlug die gewünschte Gesetzesnovelle vor. Die rückwirkende Gesetzesänderung zum Nachteil der Kunden droht nun aber auszugehen wie ehedem das Hornberger Schießen.

EU-Justizkommissar Didier Reynders ließ den deutschen Vorstoß ins Leere laufen, womit die Hoffnung auf eine tatsächliche Umsetzung schwindet. Weil das Reiserecht in der EU seit 1990 harmonisiert ist, müssten Ministerrat und EU-Parlament dem deutschen Ansinnen zustimmen – wofür es keine Anzeichen gibt.

Entsprechend ratlos ging es vergangenen Mittwoch im Tourismusausschuss des Bundestags zu, dem der AfD-Politiker Sebastian Münzenmaier vorsteht. Was die Bundesregierung unter dem Tagespunkt 1, dem „Stand der Umsetzung der Gutscheinlösung für die Rückerstattung der Kundengelder“, zu berichten hatte, tadelte der Grünen-Tourismusexperte Markus Tressel im Anschluss als „ernüchternd“.

Es gebe derzeit „keine Klarheit und kein Konzept für wirksame Hilfe zugunsten der Tourismuswirtschaft“, monierte er nach der Sitzung. Weil sich die Regierung – federführend ist in diesem Fall der CDU-Staatssekretär Thomas Bareiß – allzu lange auf das fragwürdige Konzept der Zwangsgutscheine festgelegt habe, fehle nun ein erfolgversprechender Plan B.

Die Grünen-Fraktion und der Reisebüroverband VUSR hatten sich alternativ für einen milliardenschweren Notfallfonds des Staates starkgemacht, mit dem die Branche über Wasser gehalten werden soll. Nach der Coronakrise, so der Plan, sollten die Gelder über kleine Zuschläge auf den Reisepreis wieder zurückgezahlt werden. In der Groko aber fand die Idee bislang keinen Niederschlag.


Lockangebote mit mehreren Haken

So bleibt Reiseveranstaltern derzeit nur der Ausweg, die Kunden zum freiwilligen Verzicht auf die Rückzahlung zu bewegen. Das Lockangebot von FTI, das es in ähnlicher Form auch von Tui und DER Touristik (ITS, Jahn Reisen, Meiers Weltreisen, ADAC Reisen) gibt, hat allerdings gleich mehrere Haken. Anders als Anzahlungen für Pauschalreisen, warnt der Hannoveraner Reiserechtler Paul Degott, seien solche „Urlaubsguthaben“ nicht gesetzlich gegen mögliche Insolvenzen abgesichert. Für die versprochenen Bonus-Gutscheine dürfte dies erst recht gelten.

Hinzu kommt, dass eine „Planungssicherheit“, wie sie FTI mit seiner Aktion verspricht, bis Ende Mai längst besteht. Wer in der vergangenen Woche die Ausführungen von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) verfolgte, dürfte keinen Zweifel besitzen: Die weltweite Reisewarnung bleibt im kommenden Monat bestehen.

Wettbewerber DER Touristik sagte seine Reisen deshalb schon vergangene Woche bis einschließlich 15. Mai 2020 ab. Und auch FTI wird mit hoher Sicherheit alle gebuchten Urlaube für Mai stornieren – und anschließend die eingenommenen Kundengelder an die verhinderten Urlauber zurückzahlen müssen.

Den von FTI mitgelieferten Hinweis, dass man mit den „Urlaubsguthaben“ das eigene Reisebüro unterstütze, dürften viele Agenturen zudem mit Verärgerung aufnehmen. Viele Veranstalter verweigerten den Reisebüros in den vergangenen Wochen wegen der Stornierungen die Provisionszahlungen – oder holten sie sich zurück.

„Jetzt sollen sie auch noch unentgeltlich die Buchung rückabwickeln und dann beim dritten Beratungsgespräch darauf hoffen, zum ersten Mal Geld verdienen zu können“, schimpft Marija Linnhoff vom Verband Unabhängiger Selbstständiger Reisebüros (VUSR).

Doch trotz der Abwehrhaltung aus Brüssel bleiben viele Lobbyverbände hartnäckig. Der Reiseverband DRV drehte in der vergangenen Woche sogar noch einmal auf und warf der EU-Kommission Tatenlosigkeit vor. „Die Lage der Unternehmen in der Reisewirtschaft ist mehr als nur bedrohlich – und in der EU wird keine Entscheidung gefällt“, klagte DRV-Präsident Norbert Fiebig in einer Pressemeldung.

Auch Airlines rufen nach Gutscheinlösung

Als Übeltäter machte Fiebig den belgischen EU-Justizkommissar Reynders aus. Dieser verzögere die dringend notwendige Klarheit über die Gutschein-Regelung. „Wenn Brüssel weiter zaudert“, drängte der Verbandspräsident auf einen nationalen Alleingang, „muss die Bundesregierung das Heft des Handelns wieder ergreifen und sehr schnell auf nationaler Ebene Schritte zum Schutz der Reisewirtschaft umsetzen!“

Eines seiner Hauptargumente: Einen solchen Alleingang hätten bereits zwölf andere EU-Mitgliedstaaten beschlossen, darunter Spanien, Holland, Belgien, Polen oder Griechenland. Deutschen Reiseveranstaltern drohe deshalb ein unfairer Wettbewerb.

Auch Markus Orth, Chef der größten deutschen Geschäftsreisebüro-Organisation Lufthansa City Center, plädiert – neben einem zusätzlichen Hilfsfonds – für die Gutscheinlösung. Den Agenturen helfe sie zwar nicht direkt, sagt er, sie rette aber das Gesamtsystem. „Sonst haben wir bald keine Produkte mehr im Regal“, warnt er.

Auch in der Flugbranche wird der Ruf nach Gutscheinen immer lauter. Der internationale Airlineverband IATA schätzt, dass alleine die europäischen Gesellschaften Tickets im Wert von neun Milliarden Euro in den Bilanzen haben, die eigentlich erstattet werden müssten.

Würde diese Summe auf einmal fällig, wäre bei vielen die Liquidität dahin. So wies Lufthansa am Donnerstag darauf hin, dass man die für die Sicherung des Konzerns notwendigen Mittel nicht mehr am Kapitalmarkt aufnehmen könne. Sprich: Ohne Staatshilfen wird es nicht gehen. Eine Gutscheinlösung würde den Unternehmen in dieser schwierigen Lage etwas Luft zum Atmen verschaffen, heißt es bei der Airline.

Verweigert die Bundesregierung der Reisebrache die geforderten Hilfen, könnte es am Ende auch die Verbraucher selbst treffen. „Die vorhandenen Insolvenzabsicherungen reichen in Deutschland aktuell nur für rund 330 Millionen Euro“, warnt BTW-Präsident Frenzel. Bei den 3,5 Milliarden Euro, die sich als Pauschalreise-Anzahlungen immer noch in den Kassen deutscher Reiseveranstalter befinden, könne dies zu einem Problem werden.

Hauptrisiko bei Veranstalterpleite liegt beim Steuerzahler

Verursacht haben es die Verbände zum Teil allerdings selbst. Den Vorstoß der Bundesregierung, die unzulänglichen Insolvenzabsicherungen per Gesetz zu erhöhen, torpedieren die Tourismus-Lobbyisten bis heute. Ihnen erschienen die damit steigenden Versicherungsprämien schlicht als zu hoch. Dass die Pleite von Thomas Cook bereits im vergangenen September eine klaffende Deckungslücke offenbarte, nahmen sie achselzuckend zur Kenntnis.

Weil auch Berlin tatenlos blieb, liegt das Hauptrisiko bei einer Großveranstalterpleite unverändert beim Steuerzahler. Eine in Anlauf befindliche Blamage wusste die Bundesregierung vorerst noch einmal abzuwenden – wenn auch mit einem finanziellen Kraftakt. Dem schwankenden Marktführer Tui, der ohne Staatshilfe dem Beispiel von Thomas Cook zu folgen drohte, genehmigte sie überraschend am 30. März einen 1,8 Milliarden Euro schweren KfW-Kredit.

Den Niedergang der Pauschalreiseveranstalter stoppt dies allerdings nicht. „Das aktuelle Reiserecht – und die noch immer ausstehende Umsetzung einer Gutscheinlösung – macht eine Branche systematisch kaputt“, klagt Daniela Köster, Inhaberin des mittelständischen Reiseanbieters Genuss Touren. „Am Ende wird es nur noch Großkonzerne geben, die die Preise diktieren“, warnt sie. Die Angebotsvielfalt werde damit auf der Strecke bleiben.

Längst fürchten viele kleine Reiseveranstalter um ihre Existenz. „Die Pandemie hat uns unsere Geschäftsgrundlage entzogen. Reisen ist nicht mehr möglich“, sagt Beate Zwermann, Gründerin des Spezialveranstalters Galapagos PRO. Gerade noch hat sie die Rückkehr ihrer Kunden von den Inseln nahe der Küste Ecuadors organisieren müssen. „Die Mehrkosten bezahlen wir“, sagt sie, „dazu sind wir gesetzlich verpflichtet.“

Wie auch viele Wettbewerber musste Galapagos PRO Hotels und Airline per Vorkasse bezahlen. „Alle Reisen unserer Kunden bis weit in den April hinein waren bereits vor Ort komplett bezahlt“, berichtet die Inhaberin. Heißt: das Geld war bei den lokalen Anbietern und nicht mehr beim Veranstalter. Erstattung bei Nichtantritt sähen dort die Stornierungsregeln nicht vor, klagt Zwermann. „Auch nicht für einen Pandemiefall.“

Doch die Hoffnung der Veranstalter, dass sich die Bundesregierung über die Brüsseler Ablehnung der Zwangsgutscheine hinwegsetzt, ist trügerisch. Ab Juli übernehme Deutschland in der EU die Ratspräsidentschaft, weiß VUSR-Chefin Linnhoff. „Ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik wäre da sicherlich kein guter Einstieg.“

 Foto: dpa
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