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Reinhold Messner: „Wir müssen aus den Fehlentwicklungen in Ischgl lernen und umdenken“

Reinhold Messner fordert einen neuen Tourismus der Entschleunigung. Die Corona-Pandemie führe den Menschen auf sehr dramatische Weise ihre Verletzlichkeit vor.

„ Vorhandene und funktionierende Skigebiete sollten gerettet werden.“ Foto: dpa
„ Vorhandene und funktionierende Skigebiete sollten gerettet werden.“ Foto: dpa

Nach einer vorübergehenden Zwangspause in München durch das Schließen der Grenzen ist die Bergsteigerikone Reinhold Messner ins heimische Südtirol zurückgekehrt. Während der Pandemie hat er sich auf Schloss Juval zurückgezogen. Doch den 75-jährigen Unternehmer plagen Sorgen: Seine sechs Museen in der norditalienischen Region sind geschlossen. Die Pandemie begreift er als Signal für eine Umkehr im alpinen Tourismus.

Lesen Sie hier das komplette Interview

Herr Messner, in Europa sollen ab 15. Juni wieder die Grenzen geöffnet werden. Was bedeutet für Sie persönlich die Überwindung von Grenzen?
Durch das Schließen der Grenzen ist uns bewusst geworden, was Freiheit in Europa bedeutet. Die Möglichkeit, vor der Coronakrise frei zu reisen, war schon großartig. Ich bin noch mit dem Auto früher über den Brenner nach Österreich und Deutschland gefahren. Jedes Mal musste ich den Pass vorzeigen, Geld wechseln und viele Stunden warten.

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Beim Kampf gegen die Ausbreitung des neuen Coronavirus geht es vor allem um die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit.
Wenn es um die Frage „Freiheit oder Sicherheit“ geht, entscheiden sich die Politiker schnell, uns die Freiheit zu nehmen. Das ist ein altes Spiel. Ich kann nur frei sein, wenn ich mindestens teilweise auf Sicherheit verzichte. Wenn ich allein auf einen Achttausender steige, trage ich das gesamte Risiko. Sicherheit gibt es da keine. Dort in der Gefahr habe ich maximale Freiheit und trage alle Verantwortung selbst.

Das lässt sich aber nicht so einfach auf Staaten übertragen, oder?
Der Staat übernimmt die Verantwortung für die Sicherheit seiner Bürger. Und daher darf er auch – allerdings nur vorübergehend – unsere Freiheit einschränken. In dieser Krise hat er uns allen Freiraum genommen, weil wir in keiner Weise auf ein solches Naturereignis wie eine Pandemie vorbereitet waren. Auch ich persönlich habe mir einen solchen Fall nie vorstellen können.

Was bedeutet die Grenzöffnung wirtschaftlich?
Die Öffnung der Grenzen in Europa ist für alle Länder, die vor allem vom Tourismus leben – für Griechenland, Spanien, Österreich und Italien mit Südtirol – von größter Wichtigkeit. Ohne Besucher brauche ich beispielsweise meine sechs Museen in Südtirol gar nicht erst aufsperren. Es ist schon mal ein guter Schritt, wenn die Grenze zwischen Deutschland und Österreich wieder offen ist, auch wenn Italien angesichts der hohen Infektionsraten womöglich im ersten Schritt noch nicht dabei sein kann.

„Wir müssen jetzt den Bergtourismus ökologisch gestalten.“

Was lehrt uns die Coronakrise?
Das Coronavirus ist Teil der Natur und nicht böswillig. Es führt uns Menschen auf sehr dramatische Weise unsere Schwächen und unsere Verletzlichkeit vor, indem es quasi über Nacht unser ganzes Wirtschaftssystem lahmlegt.

Wie sehr ist die Tourismusregion Südtirol lahmgelegt?
Wir haben in erster Linie deutsche und italienische Gäste. Die internationalen Tourismusströme aus Asien und Amerika konzentrieren sich stärker auf unseren Nachbarn Schweiz. Ich sehe die Zukunft meiner Region keineswegs negativ. Denn Fliegen wird umständlicher und teurer. Daraus wird Südtirol auch einen Vorteil ziehen. Wir brauchen offene Grenzen nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass die Menschen aufpassen und die Regeln einhalten. Wenn das nicht geschieht und die Krise sich bis in das Jahr 2021 oder 2022 fortsetzen sollte, sehe ich schwarz für Europa.

Wann kehren wir in die Normalität zurück?
Ich bin skeptisch, ob das bereits bis zum Herbst gelingen kann. Es besteht die Gefahr, dass die Grenze zu Italien erst sehr spät geöffnet wird und sich der nationale Egoismus durchsetzt, um die Touristen im eigenen Land zu halten. Sollte die Grenze nach Italien bereits Ende Juni aufgehen, wäre bei uns das wirtschaftliche Überleben gesichert und auch die Grundlage für den Wintertourismus geschaffen. Der Konsumrausch wird aber nicht wieder eintreten, das haben die Ladenöffnungen bereits in Deutschland und Österreich gezeigt. Die Angst um den Arbeitsplatz und die Verunsicherung über die weitere Zukunft hinterlassen ihre Spuren in ganz Europa.

Wird sich der Tourismus in den Alpen durch die Pandemie verändern?
Das hoffe ich sehr. Wir müssen jetzt den Bergtourismus ökologisch gestalten

Und auf welchem Wege?
Wir haben nicht nur in Nord- und Südtirol, sondern in den Alpen insgesamt viel mehr unberührte Flächen als touristisch genutzte Fläche. Diese von Einheimischen und Touristen unberührten Naturräume werden wichtiger werden. Die Menschen werden gerade diese Gebiete aufsuchen. Der Massentourismus in großen Hotelanlagen wird nicht mehr der Sehnsuchtsort sein. Denn die Eingriffe in die Natur vertreiben die Menschen. Stille, Entschleunigung, Wildnis sind Werte, die es zu schützen gilt.

Sollte man Skigebiete aufgeben?
Vorhandene und funktionierende Skigebiete sollten gerettet werden. Weitere neue Skigebiete braucht es aber nicht. Das Pisten-Skifahren nimmt ab. Es darf also keine weiteren Verbauungen in den Alpen mehr geben. Die großen Hotels haben eine große Maschinerie. Genau aus diesem Grund haben sie sich nicht als krisensicher in Coronazeiten bewiesen.

Welche Zukunft haben Aprés-Ski-Zentren wie Ischgl?
Massenanläufe wie in Ischgl werden künftig nicht mehr die Magnete schlechthin sein. Man muss aus den Hotspots des Coronavirus in Zukunft Coldspots einer nachhaltigen Tourismusentwicklung machen. Das ist für die Einheimischen und für die Touristen besser.

Was sind die Lehren aus Ischgl?
Mit Ischgl ist klar geworden, dass sich im Krisenfall durch die Massen an Skitouristen Krankheitserreger schnell und unkontrolliert ausbreiten können. 1000 Menschen schwitzend und trinkend in einer Aprés-Ski-Bar ist ein gefährliches Geschäftsmodell. Denn diese wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein. Wir müssen aus den Fehlentwicklungen in Ischgl und anderen Tiroler Skiorten lernen und umdenken.

Sind die Alpen ohne Tourismus überlebensfähig?
Die Bevölkerung in den Alpen kann ohne Tourismus auf Dauer wirtschaftlich nicht überleben. Für die 16 Millionen Menschen ist ansonsten ein wirtschaftliches Auskommen schwierig. In den Tälern kann ich keine Schwerindustrie oder Autofabriken betreiben. Schon jetzt leiden wir unter dem Verkehr der Ballungsräume rund um die Alpen. Unsere Luft ist angesichts der Feinstaubbelastung nicht mehr wie früher.

„Niemand muss unbedingt auf die Gletscher steigen.“

Was ist die Lehre der Coronakrise für die Tourismuswirtschaft?
Wir brauchen keinen inszenierten Bergtourismus! Müssen Aussichtsplattformen in den Berg betoniert werden, um den Großglockner zu sehen? Ich denke: nein! Wenn ich mich zu Fuß auf den Weg mache, wenn ich mich anstrenge, habe ich viel größere Emotionen, als zu einem Skywalk zu fahren. Die Menschen müssen sich auf die Berge mit ihrer Erhabenheit, ihrer Stille und Schönheit einlassen. Nur so können sie etwas über sich erfahren und begreifen, zum Beispiel wie zerbrechlich wir Menschen inmitten der großen Naturgewalten sind. Das Virus hat uns die Macht der Natur gezeigt. Doch die Natur ist nicht böswillig. Sie ist absichtslos.

Wie soll der alpine Tourismus nach Corona denn konkret aussehen?
Sowohl die Österreicher als auch wir Südtiroler sollten uns in Europa um die Marktführerschaft mit Blick auf einen sauberen und nachhaltigen Tourismus bemühen. Sie bedeutet auch, auf Menschenmassen in gigantischen Hotels zu verzichten. Ich setze mich dafür ein, dass Südtirol nicht mehr mit alpinen Inszenierungen und Hotspots wirbt, sondern Ruhe und Entschleunigung in den Mittelpunkt stellt.

Was heißt das konkret?
Zum Beispiel weniger Straßen, keine Aussichtsplattformen. Bei den Drei Zinnen im Osten Südtirols wurde eine Straße zum berühmtesten Bergmassiv der Dolomiten gebaut. Wenn ich um die Drei Zinnen herumgehe, sind da im Sommer mehr Menschen als auf dem Münchner Marienplatz. So etwas darf sich nicht wiederholen. Es geht darum, die Berge und ihre Natur möglichst zu Fuß zu entdecken. Dazu gehört auch gesundes Essen und guter Schlaf. Niemand muss unbedingt auf die Gletscher steigen.

Was bedeutet die Coronakrise für den Unternehmer Reinhold Messner?
Alle meine Kraft, meine Begeisterung und mein Geld habe ich 30 Jahre lange für meine sechs Museen eingesetzt. Ich betreibe die Häuser aus privaten Mitteln. Durch die Coronakrise haben wir seit vielen Wochen keinerlei Einnahmen, aber jede Menge Kosten. Ich komme derzeit nicht in Existenznöte. Doch zwei Jahre ohne die Eintrittsgelder halte ich nicht durch. Derzeit kann ich auch kein Geld mehr durch Vorträge verdienen, um die Museen finanziell zu unterstützen. Eine ausverkaufte Vortragsreihe in Österreich mit jeweils über tausend Zuhörern pro Abend mussten wir gleich zu Beginn der Coronakrise streichen.

Wann wollen Sie wieder öffnen?
Meine Museen, die von meiner Tochter Magdalena geführt werden, können erst dann wieder aufsperren, wenn die Grenze zu Italien wieder offen ist. Denn ohne die Besucher aus dem Ausland haben wir nicht genügend Einnahmen. Ich erwarte mir keine Hilfen vom Land. Ich erwarte nur, dass wir einen Teil der rund 20-köpfigen Mannschaft in Kurzarbeit halten dürfen, bis wir wieder aufsperren können.

Mit der Messner Mountain Movie GmbH in Bozen betreiben Sie eine eigene Filmgesellschaft. Wird es neue Projekte geben?
Ich habe noch ein paar Filmgeschichten in der Schublade. Doch gibt es einerseits in Südtirol keine funktionierende Filmwirtschaft wie in München, andererseits ist die gesamte Branche schwierig. Vielleicht verschenke ich einfach meine Ideen? Ich bin 75, und meine Jahre bis zu meiner letzten Reise sind gezählt.

Herr Messner, vielen Dank für das Interview.