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Pandemie-Experte der Munich Re: „Alle 20 bis 30 Jahre kann so etwas wie Corona passieren“

Der Pandemie-Experte des Rückversicherers Munich Re spricht darüber, was Staaten wehrhaft gegen Covid-19 macht und was die Krise kosten könnte.

Coronavirus outbreak virus quarantine background
Die Coronavirus-Pandemie hat die Welt fest im Griff - und wird wohl nicht die letzte ihrer Art bleiben (Symbolbild: Getty Images)

Kaum ein Unternehmen ist mit Risiken besser vertraut als die Munich Re. Die „Weltrisikozentrale“ hat das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ den Rückversicherer einmal genannt. Der Dax-30-Konzern bietet großen Unternehmen und anderen Versicherern ein finanzielles Sicherheitsnetz, wenn Naturkatastrophen oder andere Großschäden eintreten.

Die Münchener zählen deshalb zu den professionellsten Risikomanagern weltweit – und bieten auch gegen Pandemien eine Deckung an. Ihr Experte für dieses Thema ist Gunther Kraut. Der Deutsche leitet in Singapur die Einheit Epidemic Risk Solutions. Mit dem Handelsblatt sprach er über die Gründe, warum Corona die einzelnen Staaten so unterschiedlich heimsucht und ob die neue Seuche für Experten eine Überraschung ist.

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Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Kraut, die Sechs-Millionen-Einwohner-Metropole Singapur hatte das Virus beinahe vollständig eingedämmt und galt als Vorbild in dessen Bekämpfung. Doch zuletzt brach der Erreger in den Wohnheimen ausländischer Gastarbeiter wieder aus. Wie besorgt sind Sie um Ihre eigene Gesundheit?
Wie Sie sagen, ist die Situation hier eine besondere, weil die Ausbreitung des Virus vor allem in einer bestimmten soziodemografischen Untergruppe wieder zugenommen hat. Die landesweite Bekämpfung bleibt dennoch vorbildlich. Meine Familie und ich kommen ja quasi gar nicht mehr aus dem Haus, weil der Shutdown auch scharf überwacht wird. Außerdem trägt jeder außerhalb der Wohnung eine Gesichtsmaske. Zumindest vor einer Ansteckung hält sich meine persönliche Besorgnis also doch sehr in Grenzen.

Was kann man sich zum Vorbild nehmen?
Die Frage, wie viele Corona-Schnelltests zur Verfügung stehen, ist hier in Singapur jedenfalls kein so großes Thema wie meiner Beobachtung nach in Deutschland.

Zu Ihrem Job zählt es, die finanziellen Risiken und die Wahrscheinlichkeit einer Pandemie für Ihren Arbeitgeber möglichst genau zu berechnen. Wie vorhersehbar war Corona?
Ehrlich gesagt war es aus rein statistischer Sicht keine Überraschung für uns, dass so eine Pandemie einmal auftreten würde nach größeren Epidemien wie Sars und Mers oder anderen Erregern zuvor. Es war nur ungewiss, wann genau es passieren würde.

Microsoft-Gründer Bill Gates warnt seit Jahren vor einer Pandemie, auch die Bundesregierung hatte bereits 2012 ein Ansteckungsszenario entworfen – passiert ist dennoch kaum etwas. War die Bedrohung einfach zu wenig fassbar?
Nun, da steckt viel menschliche Psychologie dahinter. Solange eine Pandemie 20 Jahre lang nicht in einem globalen Ausmaß passiert, verdrängt man das Thema natürlich gerne und sagt sich, dass es jetzt schon nicht im nächsten Jahr passieren wird. Dass das mathematisch zwar nicht ganz stimmt, sondern das Risiko eher größer wird, ist zwar faktisch richtig. Aber psychologisch nicht ganz so eingängig.

Was wird Corona kosten? Wie viel davon wird von Versicherungen beglichen?
Für eine globale Schätzung ist es noch zu früh. Es hängt auch viel davon ab, wie sich die Pandemie weiterentwickeln wird. Intern planen wir mit verschiedenen Szenarien – aber auch da wäre es voreilig, sich schon auf eine konkrete Prognose festzulegen. Es ist aber so, dass Versicherungen weltweit auch heute schon einen signifikanten Teil solcher Risiken schultern – durch ganz klassische Lebensversicherungen. Dabei allein wird es in diesem Fall natürlich nicht bleiben.

Es fällt auf, dass das Coronavirus sehr unterschiedlich in den verschiedenen Ländern der Welt wütet. Deutschland kommt bisher vergleichsweise glimpflich davon, Italien hat es stark getroffen. Was zeichnet Länder aus, die gut durch die Krise kommen?
Viel hängt davon ab, dass ein Land über eine gute medizinische Infrastruktur verfügt. Außerdem spielt es eine wichtige Rolle, wie schnell ein Land das Problem erfasst und wie rasch es darauf reagiert. Das macht einen entscheidenden Unterschied aus. Wenn Sie es dann noch schaffen, die Infektionsketten zu unterbrechen, dann haben sie einen deutlichen Vorteil gegenüber Ländern, in denen sich das Virus weitgehend unkontrolliert verbreitet.

Gibt es Länder, von denen sich auch Deutschland noch etwas abschauen kann?
Ich kann nur sagen, dass man sich vor Stereotypen hüten sollte. Afrika zum Beispiel wird gerne unterstellt, dass es mit solchen Ausbrüchen überhaupt nicht umgehen könnte. Doch das täuscht. Tatsächlich ist der Umgang dort mit Seuchen teilweise erstaunlich gut, weil umfangreiche Kontrollnetzwerke existieren und viele Nichtregierungsorganisationen bereits vor Ort sind. Man kann also nicht zwangsläufig sagen, dass die Daten und Entwicklungen in einem entwickelten Land immer gut und in einem Entwicklungsland immer schlecht wären.

Haben Sie eine Vorstellung davon, wie lange es dauern wird, bis wir wieder so etwas wie Normalität zurückgewinnen werden?
Nein, weil dies ja letztlich sehr stark eine politische Entscheidung ist. Aus der Sicht der Epidemiologen heraus kann ich aber sagen, dass das Virus sicher noch eine Weile zirkulieren wird. So schnell werden wir Corona nicht los.

Ihr Konzern denkt in Schäden und Kosten. Ist Corona insofern ein Jahrhundertereignis?
Es kommt sehr darauf an, auf welches Segment man schaut. In der Sachversicherungsseite fallen jetzt natürlich sehr viele Schäden auf einen Schlag an, etwa weil zahlreiche Großveranstaltungen ausfallen. In der Lebensversicherung schaut man versicherungstechnisch letztlich auf die Mortalität – und da sind wir von Sterbeziffern wie bei der Spanischen Grippe glücklicherweise doch noch sehr weit entfernt.

Zwischen 1918 und 1920 starben daran weltweit schätzungsweise 20 bis 50 Millionen Menschen …
… was etwa drei bis fünf Prozent der damaligen Weltbevölkerung entsprach.

Aber selbst damals wurde nicht der kompletten Weltwirtschaft der Stecker gezogen. Mittlerweile wird auch die Verhältnismäßigkeit von medizinischer Bedrohung und politischen Antworten diskutiert. Zu Recht?
Die Debatte ist sicher richtig. Eine einfache Antwort darauf ist nicht möglich. Die Wirtschaft ist sicherlich heute viel vernetzter als damals. Wir diskutieren das Thema auch bei uns im Team immer wieder neu. Unsere Position: Der Corona-Ausbruch ist noch von sehr viel Dynamik und Unsicherheit geprägt …

… auch auf den Seiten der Virologen, die nun aber die Entscheidungsprozesse dominieren.
Ein beherztes Eingreifen scheint bislang nicht unangebracht gewesen zu sein, wenn man bedenkt, wie schnell sich so ein Virus ohne Eindämmungsmaßnahmen ausbreiten kann. Und immerhin sinken die Sterberaten durch starke Interventionen. Entscheidungen sind letztlich Aufgabe der Politik.

Auch und gerade Schwellenländer trifft das Virus nun hart. Selbst mit Staatspleiten ist zu rechnen. Munich Re und Swiss Re hatten gemeinsam mit der Weltbank zwei Pandemie-Anleihen konzipiert, die unter bestimmten Bedingungen bei einer Corona-Pandemie bis zu 200 Millionen Dollar an Entwicklungsländer für Gegenmaßnahmen ausschütten sollen. Ist das Geld inzwischen freigegeben worden?
Ja, das Geld wird ausbezahlt, das hat die Weltbank inzwischen bestätigt. Es hat ein bisschen gedauert, weil mehrere vorab definierte Bedingungen zu erfüllen waren, etwa, dass drei Monate seit Ausbruch der Epidemie vergangen sein mussten. Die Überlegung der Weltbank war, dass zuerst lokal vorhandene Kapazitäten genutzt werden sollten. Aber jetzt steht das Geld zur Verfügung und kann an die betroffenen Entwicklungsländer oder auch Nichtregierungsorganisationen überwiesen werden – nach welchen Kriterien, das entscheidet die Weltbank.

Das Coronavirus ist nicht die erste Seuche, die die Menschheit heimsucht. Welche Lehre lässt sich aus den Erfahrungen mit Ebola in Afrika, mit Sars in Asien und der Spanischen Grippe im letzten Jahrhundert ableiten?
Dass sich solche Krankheitswellen, die sich rasch über den Erdball ausbreiten, jederzeit wiederholen können. Etwa 200 Ausbrüche von Viruskrankheiten meldet die Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr, vor allem in Afrika. Der Großteil entfällt zwar auf bekannte Viren wie Sars, Ebola oder das Dengue-Fieber. Immer ist aber auch eine Handvoll unbekannter Erreger dabei. Und es ist gar nicht so selten, dass ein neues Virus plötzlich vom Tier auf den Menschen überspringt.

Müssen wir uns alle daran gewöhnen, dass größere Pandemien uns künftig mit einer gewissen Regelmäßigkeit heimsuchen?
Da kann ich keine Entwarnung geben. Wir müssen lernen, mit Pandemien zu leben. Genauso wie es eine berechenbare Wahrscheinlichkeit gab, dass uns Corona traf, gibt es auch eine begründete Aussicht darauf, dass uns in den nächsten Dekaden erneut eine ähnliche Seuche heimsuchen wird. Niemand weiß, ob sie so groß sein wird wie die jetzige. Aber das Risiko für eine Epidemie besteht einfach. Alle 20 bis 30 Jahre könnte uns so etwas wie Corona ereilen, das sagt zumindest die Statistik.

Allianz-Boss Oliver Bäte und Axa-Vorstandschef Thomas Buberl brachten zuletzt für Pandemie-Deckungen eine europäische Kollektivlösung ins Spiel, bei der sich neben den Versicherern auch der Staat beteiligen sollte. Wäre das ein Weg, um auf breiter Basis einen Schutz für Firmen und Länder sicherzustellen?
Ob eine Staatsbeteiligung eine geeignete Lösung ist, ist schwer zu sagen. Es ist aber tatsächlich so, dass die Versicherer nur beschränkte finanzielle Kapazitäten haben, um solch ein Spitzenrisiko wie eine schwere globale Pandemie zu tragen – und diese Kapazitäten bei vielen bereits über die klassischen Lebensversicherungsmodelle ausgeschöpft sind. Bei dieser Größenordnung bedarf es tatsächlich mehrerer Schultern, auf die die Finanzierung verteilt werden kann, weil das versicherungstechnische Prinzip der Risikostreuung im Portfolio nicht mehr funktioniert. Ein natürlicher Partner wären dabei beispielsweise auch die Kapitalmärkte, die über tiefe Taschen verfügen.

Verhilft Corona den Versicherungen gegen Pandemien zum Durchbruch?
Wir verzeichnen seit einigen Wochen ein sehr stark gestiegenes Interesse für unsere Epidemie-Deckungen, die wir seit 2017 anbieten. Ich denke, dass es für uns alle wünschenswert wäre, wenn dieses Risikobewusstsein über Corona hinaus Bestand hätte. Wie dramatisch die Folgen einer Epidemie beziehungsweise einer sich daraus entwickelnden Pandemie sein können, wird uns derzeit ja drastisch vor Augen geführt. Ich glaube schon, dass sich das Geschäftsfeld Epidemieversicherung aus dem bisherigen Nischenmarkt heraus entwickeln könnte und grundsätzlich skalierbar ist – wenngleich derartige Versicherungen natürlich keine alleinige und umfassende Lösung für eine Pandemie vom Ausmaß der jetzigen Krise sein können.

Die Policen dürften weiterhin sehr teuer sein. Kann sich eine normale Firma so eine Versicherung überhaupt leisten?
Nehmen Sie den Bereich der Kfz-Versicherungen: Da sind die üblichen Risiken ja auch alle abgedeckt und die statistischen Wahrscheinlichkeiten bekannt. Aber alle 30 Jahre tobt vielleicht ein schwerer Hagelsturm über Europa hinweg und verursacht enorme Schäden an den Fahrzeugen. Da ist es dann hilfreich, wenn es Unternehmen wie die Munich Re gibt, die eben auch im vergleichbaren Fall einer Pandemie für die Assekuranzen ein guter Partner sein können. Auf je mehr Schultern man das Risiko verteilt, umso besser, weil das Stabilität ins System bringt.

Glauben Sie, dass dieses Neugeschäft nachhaltig ist? Nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull, der 2010 Teile des europäischen Flugverkehrs lahmlegte, gab es sofort eine große Nachfrage nach entsprechenden Ausfallversicherungen. Das ließ dann aber auch schnell wieder nach.
Das Thema Pandemie dürfte weit relevanter sein – und vor allem eben nicht mehr verschwinden wie ein Vulkanausbruch. Und da sind wir als Munich Re ja auch bei Weitem nicht die einzige Stimme im Walde. Regierungen, Weltbank, Entwicklungsbanken – alle sind sich da mittlerweile einig.

In Deutschland wurden in der Bevölkerung als Erstes vor allem Toilettenpapier und Nudeln gehortet. Haben Sie sich selbst auch etwas in die Vorratskammer gelegt?
Nein, ich habe mir nicht die Tiefkühltruhe vollgepackt. Es gibt natürlich immer diesen Zielkonflikt: Was ist für mich individuell das Beste – und was ist für die Gesellschaft das Beste? Es ist auch wichtig, diesen Aspekt bei der Ausbreitung von Pandemien zu berücksichtigen, wenn man das Verhalten der Menschen richtig einordnen will. Aber ich persönlich habe versucht, mich vergleichsweise mustergültig zu verhalten: Wir haben als Familie nur ein klein wenig mehr als die üblichen Mengen in die Einkaufstasche gepackt.

Herr Kraut, vielen Dank für das Interview.