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„Dass Ostdeutschland als zweite Klasse behandelt wird, kommt nicht mehr in Frage“

Erneut führten Verhandlungen zur 35-Stunden-Woche im Osten zu keinem Erfolg. Doch die Angleichung an die West-Arbeitszeit könnte trotzdem gelingen.

„Die strukturellen Nachteile der ostdeutschen Industrie sind uns bewusst“, sagt der IG-Metall-Bezirksleiter. Foto: dpa
„Die strukturellen Nachteile der ostdeutschen Industrie sind uns bewusst“, sagt der IG-Metall-Bezirksleiter. Foto: dpa

Auch knapp 30 Jahre nach dem Mauerfall arbeiten die ostdeutschen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie noch drei Stunden pro Woche länger als ihre Kollegen im Westen. Während dort seit 1995 die 35-Stunden-Woche gilt, wird im Osten 38 Stunden gearbeitet. 2003 war es der IG Metall auch mit Streiks nicht gelungen, eine Angleichung zu erzwingen.

Beim letzten Tarifabschluss im Februar 2018 hatte sich die Gewerkschaft mit den Arbeitgebern auf Gespräche zu dem Thema geeinigt mit dem Ziel, bis Ende dieses Jahres eine Einigung zu erwirken. Das ist allerdings auch in acht Gesprächsrunden bisher nicht gelungen.

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Dabei hatte die IG Metall mit dem Berlin-Brandenburger Arbeitgeberverband VME bereits im November 2018 ein Eckpunktepapier unterzeichnet, das eine Lösung für die Angleichung der Arbeitszeit im Rahmen des Flächentarifs skizzierte. Das Papier wurde allerdings vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall wieder einkassiert, der Gespräche für ganz Ostdeutschland einforderte.

Im Juni galten diese Gespräche schon beinahe als gescheitert, doch die Tarifparteien vereinbarten zwei weitere Termine. Nun ist dem IG-Metall-Bezirksleiter für Berlin, Brandenburg und Sachsen, Olivier Höbel, jedoch der Geduldsfaden gerissen. Am Montag hatte er die Gespräche in dieser Form für beendet erklärt.

Im Interview mit dem Handelsblatt erläutert der Gewerkschafter, warum er kaum noch Einigungschancen sieht und worauf sich die Unternehmen jetzt einstellen müssen.

Herr Höbel, Sie hätten den Arbeitnehmern ein Geschenk zum Tag der Deutschen Einheit machen und den Einstieg in die 35-Stunden-Woche im Osten besiegeln können. Warum ist auch nach acht Gesprächsrunden kein Durchbruch möglich?
In der Sache haben wir durchaus Annäherungen erzielt, aber die Arbeitgeber waren nicht bereit, mündlich erzielte Verhandlungsfortschritte auch mal auf ein Blatt Papier zu schreiben und verbindlich zu machen.

Wo gab es denn Annäherungen?
Wir waren uns einig, dass es ein Parallelmodell geben soll. Auf der einen Seite der Tarifvertrag Zukunft, der in Schritten die Einführung der 35-Stunden-Woche bis Ende 2030 vorsieht und den Betriebsparteien viel Spielraum gibt, das im Detail umzusetzen. Aber die Arbeitgeber haben immer gesagt, dass sie kein Unternehmen zwingen können oder wollen, in diese neue Welt zu wechseln. Deshalb sollen sich Betriebe auch entscheiden können, in der alten Welt zu bleiben, also im Flächentarif mit der 38-Stunden-Woche.

Also wird es am Ende eine Zweiklassengesellschaft bei der Arbeitszeit geben?
Nein. Am Ende des Übergangszeitraums – also ab 2031 – muss die 35-Stunden-Woche für alle stehen. Das ist für uns nicht verhandelbar, und das haben die Arbeitgeber uns mündlich auch zugesagt. Nur wenn es dann darum geht, das auch rechtssicher festzuhalten, dann heißt es immer, das werden wir dann 2030 sehen, wie wir das lösen. Mit einer bloßen Absichtserklärung über einen so langen Zeitraum werde ich aber nicht vor meine Tarifkommission treten.

Die Arbeitgeber verlangen eine Kompensation der mit Arbeitszeitverkürzung einhergehenden Kostensteigerung. Wie weit waren Sie bei diesem Thema?
Eine Reduzierung um drei Stunden zieht eine Kostensteigerung um 8,4 Prozent nach sich. Wir waren uns einig, dass die Hälfte des Volumens bei den Arbeitgebern bleibt, die dafür zusätzliche Flexibilisierungsinstrumente bei der Arbeitszeit bekommen. Die andere Hälfte tragen die Beschäftigten. Aber sie sind zu dieser Kompensation natürlich nur bereit, wenn am Ende auch rechtsverbindlich die 35-Stunden-Woche für alle steht. Die Kolleginnen und Kollegen haben mit der Arbeitszeitregelung im Osten den Unternehmen 30 Jahre lang einen Vorschuss gegeben. Jetzt ist Schluss mit Vorschuss.

Was meinen Sie?
Drei Stunden pro Woche länger zu arbeiten als die Kollegen im Westen heißt übers Jahr gesehen, einen Monat länger unbezahlt zu arbeiten. Über das gesamte Arbeitsleben sind das drei Arbeitsjahre zusätzlich. Und da kann man mir nicht kommen mit Zahlen der Statistischen Landesämter, dass wir in der Produktivität um zehn, 20 oder 30 Prozent hinter dem Westniveau liegen.

Aber das Argument ist doch nicht von der Hand zu weisen.
Die Kolleginnen und Kollegen hier arbeiten oft in Betrieben, die hochmodern und produktiver sind als die westdeutschen. Dass Ostdeutschland als zweite Klasse behandelt wird, kommt nicht mehr in Frage.

Jetzt denken Sie an die Produktionsstätten großer Konzerne wie VW, Siemens oder ZF. Aber was ist mit kleinen oder mittleren Betrieben? Oder sind Ihnen die egal, weil die ohnehin nicht mehr im Flächentarif sind?
Es gibt auch unzählige sehr produktive kleine und mittlere Betriebe, etwa aus der Luft- und Raumfahrtindustrie. Das ist keine Frage der Größe. Aber klar ist: Die strukturellen Nachteile der ostdeutschen Industrie sind uns bewusst. Deshalb arbeiten wir ja auch nicht mit der Brechstange, sondern bieten in einem langen Übergangszeitraum ein Modell unterschiedlicher Geschwindigkeiten, das auf betriebliche Bedürfnisse Rücksicht nimmt.

Werden Sie denn weiter mit den Arbeitgebern reden oder ist der Gesprächsfaden abgerissen?
Ich würde nicht sagen, dass er abgerissen ist. Aber für uns ist klar, dass es auf dieser Ebene nicht weitergeht, weil wir so viele Blockaden und auch Uneinigkeit auf der Arbeitgeberseite erleben.

Das Thema wird also eine Rolle auf dem Gewerkschaftstag spielen?
Ja, sicherlich, weil ja auch die Frage zu debattieren ist, wie es jetzt weitergeht. Wir haben aber schon klargemacht, dass wir jetzt auf einzelne Betriebe zugehen wollen, die sich vorstellen können, etwas mit uns zu machen.

Der Manteltarifvertrag ist nicht gekündigt, Sie unterliegen also der Friedenspflicht und dürfen nicht streiken. Welches Druckmittel haben Sie?
Friedenspflicht heißt ja nicht Friedhofsruhe. Die sich über zwei Jahre hinziehenden Gespräche haben zu einer mentalen Stärkung der Belegschaften geführt, denen noch mehr bewusst geworden ist, dass sie eine eklatante Benachteiligung erfahren. Und es gibt eine Menge Aktivitäten und Aktionen, die wir machen können. Die Arbeitgeber sollten auf jeden Fall nicht denken, es herrscht ja Friedenspflicht, da kann ich mich zurücklehnen.

Wir laufen in eine konjunkturelle Schwächephase hinein, die Industrie steckt bereits in der Rezession. Ist Arbeitszeitverkürzung, die zu höheren Kosten führt, da das richtige Signal?
Ich sehe das eher als Chance. Im Augenblick sehen wir schon in einigen Bereichen, dass die ersten tariflich erlaubten 40-Stunden-Verträge gekündigt werden, weil das Arbeitsvolumen nicht mehr da ist. Ich halte es für schlauer, Betriebe über Zeitmodelle atmen zu lassen, statt über Entlassungen Kostensenkung zu betreiben. Schon allein, um die begehrten Fachkräfte an Bord zu halten. Wir bieten zusätzliche Flexibilität bei der Arbeitszeit.
Herr Höbel, vielen Dank für das Interview.

Der IG-Metall-Bezirksleiter sieht eine Arbeitszeitverkürzung als Chance. Foto: dpa
Der IG-Metall-Bezirksleiter sieht eine Arbeitszeitverkürzung als Chance. Foto: dpa