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Neues EU-Prüfverfahren alarmiert die Autoindustrie – es drohen Ausfälle in der Produktion

In Stuttgart haben die Vorbereitungen für das Fest schon begonnen. Das Porsche-Museum wird für zwei Tage geschlossen und umgebaut. Dann soll am Freitag die große Party beginnen: Porsche feiert 70 Jahre Sportwagenproduktion.

Doch die Feierlichkeiten am Traditionssitz in Stuttgart-Zuffenhausen stehen unter keinem guten Stern. Porsche kann seine Autos nicht wie gewohnt produzieren und an seine Kunden ausliefern. Onlineaufträge sind im Moment überhaupt nicht möglich, nur die Porsche-Händler nehmen noch Bestellungen an.

Verantwortlich dafür sind die Zulassungsnormen des neuen Standards WLTP. Vom 1. September an dürfen nur noch Autos auf Europas Straßen verkauft werden, die den WLTP-Test durchlaufen haben. Die Tests sind strenger und realitätsnäher geworden. Dahinter stehen die Erfahrungen der Dieselaffäre von Volkswagen: Ein Verfahren wie WLTP soll dafür sorgen, dass sich ein solcher Skandal nicht wiederholen kann. Außerdem müssen die meisten Benzinermodelle von September an mit einem Rußpartikelfilter ausgestattet sein. Beim Diesel sind diese Filter bereits Standard.

Die Autobranche sträubt sich nicht dagegen, dass die neuen Tests eingeführt wurden. Was die Autohersteller an allererster Stelle stört, ist die aus ihrer Sicht viel zu kurze Vorlaufzeit. „Die kurzfristig um ein Jahr vorgezogenen EU-Fristen zur WLTP-Zertifizierung belasten uns enorm“, sagt Porsche-Vorstandschef Oliver Blume.

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Nicht nur Porsche beklagt sich über den kurzen Vorlauf. Bei praktisch allen Herstellern führen die verschärften Standards zu Eingriffen in der Produktion. Einzelne Modellvarianten werden komplett gestrichen oder für mehrere Monate aus dem Verkaufsprogramm genommen.

Bevor ein Auto überhaupt auf der Straße fahren darf, muss es von den Behörden eine Zulassung („Homologation“) bekommen. Jeder Fahrzeugtyp, auch Autos, die schon seit Jahren auf den Straßen unterwegs sind, müssen jetzt nach den neuen und schärferen WLTP-Bedingungen getestet werden. Und genau das setzt die Hersteller unter massiven Zeitdruck. Es gibt nicht genügend Prüfstände, und es fehlt auch an Personal, damit alle Fahrzeugtypen rechtzeitig zum 1. September WLTP-geprüft beim Händler stehen.

Die Autohersteller haben zwar ihre eigenen Prüfstände, sind aber auch auf die Unterstützung von Prüforganisationen wie Tüv, Dekra oder ADAC angewiesen. Die Prüfdienstleister haben seit Monaten Hochkonjunktur. Denn außer den neuen WLTP-Tests müssen viele Hersteller auf Anweisung des Kraftfahrt-Bundesamts auch noch Teile ihrer Dieselflotten nachmessen lassen.

Unterschätztes WLTP-Verfahren

Die Anforderungen des WLTP-Verfahrens hätten einige Hersteller unterschätzt, heißt es in der Branche. Anders als früher reicht es beim WLTP nicht mehr aus, nur ein einziges Modell zu testen. Vielmehr müssten jetzt alle Varianten mit unterschiedlichen Karosserieformen und Getriebekombinationen das Verfahren durchlaufen. Zudem habe die Autoindustrie auch lange auf wichtige Daten der Zulassungsbehörden gewartet, beispielsweise auf den „Konformitätsfaktor“. Dieser Wert legt fest, wie weit die Messungen im Labor und im realen Straßentest voneinander abweichen dürfen.

Bei den Dienstleistern ist es extrem eng geworden. So unterhält der Tüv Süd zwar zwei Testzentren in Deutschland und eines in Tschechien. Doch alle haben viel zu tun. „Unsere Prüfstände arbeiten im Dreischichtbetrieb. Aufgrund der hohen Nachfrage sind wir bis in den Herbst ausgebucht“, sagt ein Sprecher des Tüv Süd auf Anfrage. Die Messungen seien sehr zeitaufwendig. Allein die Labortests dauerten 48 Stunden. So sieht der Test vor, dass die Autos bei rund 21 Grad getestet werden müssen. Ist es kälter, wird vorgeheizt; ist es wärmer, muss heruntergekühlt werden.

Die Autohersteller hätten gerne mehr Zeit gehabt, damit alle Typen rechtzeitig zum 1. September eine Straßenzulassung nach WLTP-Norm bekommen. Der Verband der Automobilindustrie (VDA), die Lobbyorganisation der deutschen Hersteller, macht die Politik dafür verantwortlich, dass jetzt Produktionsengpässe drohen.

„Erst zum 27. Juli 2017 wurden die Ausführungsbestimmungen und, damit verbunden, die vorzeitige Einführung eines Partikelfilters bei direkteinspritzenden Benzinern von der EU beschlossen. Dieser Einbau benötigt normalerweise einen Entwicklungs- und Produktionsvorlauf von drei Jahren“, beklagt der VDA.

Wenn die EU die WLTP-Einführung für alle Neuzulassungen auf den 1. September 2019 gelegt hätte, also ein Jahr später, würde sich die Lage wesentlich entspannter darstellen, meint der Verband. Für mehr als 500 Fahrzeugtypen fehlten im Moment noch die neuen, vom 1. September an gültigen Straßenzulassungen.

In der EU-Kommission trifft die Kritik auf Unverständnis. „Die Hersteller wissen seit vielen Jahren, dass die neuen Verfahren wie WLTP und RDE kommen“, sagte eine Kommissionssprecherin. „Statt sich weiter zu sträuben, sollte die Autoindustrie lieber ihre Energie darauf verwenden, sich an die neuen Zeiten anzupassen“, hieß es ergänzend in Kommissionskreisen.

Szenenwechsel: Ein VW-Arteon wird auf einen Rollenprüfstand im Wolfsburger Werk gestellt, um den neuen, 30-minütigen WLTP-Fahrzyklus zu absolvieren. In diesen Tagen läuft der Testbetrieb in Halle 79 in der technischen Entwicklung auf Hochtouren – in drei Schichten auf 21 Prüfständen fast rund um die Uhr.

Doch es herrscht Unsicherheit, ob VW rechtzeitig bis zum September mit allen Typen fertig wird. Vorstandschef Herbert Diess hatte schon im Mai auf der Hauptversammlung angedeutet, dass die neuen WLTP-Tests zu einem Problem für den Autokonzern werden könnten. „Unter ungünstigen Umständen können sich temporär Engpässe in unserem Angebotsprogramm ergeben. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, mögliche negative Auswirkungen auf Bestellbarkeit und Auslieferung auf ein Minimum zu reduzieren“, sagte Diess damals.

Nach den Werksferien werden in Wolfsburg mit Sicherheit weniger Autos produziert. „Im zweiten Halbjahr wird es kräftige Bremsspuren geben“, sagt ein VW-Insider. Kurzarbeit und eine damit verbundene Viertagewoche sollen vermieden werden. Unternehmen und Betriebsrat sprechen seit Wochen darüber, wie eine Lösung aussehen könnte.

Wie aus Konzernkreisen verlautete, wird Volkswagen der Arbeitnehmerseite voraussichtlich in der kommenden Woche konkrete Schritte präsentieren. Damit ein mögliches Produktionsloch im Herbst nicht zu stark ausfällt, lässt Volkswagen im Moment zusätzliche Autos produzieren und hat Zusatzschichten angesetzt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die WLTP-Probleme auch auf die Konzernbilanz durchschlagen werden. Investoren haben sich darauf bereits vorbereitet.

Bei Daimler und BMW fallen die Auswirkungen der WLTP-Einführung nicht so gravierend aus. Die beiden Premiumhersteller haben zwar einzelne Modellvarianten aus dem Programm genommen, erwarten aber keine größeren Einschnitte in der Produktion. „Absatzziele bleiben daher unberührt“, sagte eine BMW-Sprecherin.

„Wir erwarten durch die Umstellung auf WLTP keine signifikanten Produktionsausfälle“, heißt es bei Mercedes. Stefan Bratzel, Professor am Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, hat eine Erklärung dafür, dass VW größere Schwierigkeiten hat. „Das ist der größte Spieler. In Wolfsburg ist die Herausforderung besonders groß.“