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Mastenhersteller Europoles – Musterbeispiel der Insolvenz in Eigenverwaltung

Die Sanierer des Unternehmens ziehen eine positive Bilanz des Insolvenzverfahrens. Doch Experten warnen: Die Sanierung in Eigenverwaltung werde oft missbraucht.

Die Hiobsbotschaft traf das Unternehmen völlig unvorbereitet. Natürlich hatte es mit dem Kunden Diskussionen um wichtige Details gegeben. Doch hatte beim Mastenhersteller Europoles vor einem Jahr niemand damit gerechnet, dass der Stromversorger Tennet den 110-Millionen-Auftrag zurückziehen könnte.

Die frühere Pfleiderer-Sparte hatte schon viel Geld in das Projekt investiert, zusätzliches Personal eingestellt. Kurze Zeit später musste Europoles Insolvenzantrag stellen.

Ein Jahr später ist die Infrastruktursparte mit den Mobilfunkmasten an einen strategischen Investor verkauft, die Sparte mit den Straßenlaternen ist solide aufgestellt, die meisten Mitarbeiter haben ihren Arbeitsplatz behalten. Viele Bauprojekte konnten fortgeführt und abgeschlossen werden.

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„Europoles ist ein gutes Beispiel, wie eine Insolvenz in Eigenverwaltung funktionieren kann, wenn sie von Experten gut vorbereitet wird und alle Beteiligten rechtzeitig mit ins Boot geholt werden“, sagt Alexander Reus, der gemeinsam mit seinem Kollegen Vincenz von Braun von der Kanzlei Anchor als Sanierungsgeschäftsführer in die Geschäftsleitung eintrat. Das Unternehmen sei heute „stabil und profitabel aufgestellt“.

Die Insolvenz in Eigenverwaltung ist inzwischen eher die Regel als die Ausnahme. Laut Restrukturierungsexperten waren etwa die Hälfte der 100 größten Insolvenzen in Deutschland im vergangenen Jahr Verfahren in Eigenverwaltung. In einem klassischen Insolvenzverfahren, dem sogenannten Regelverfahren, verliert der Schuldner den Großteil seiner Befugnisse – wie zum Beispiel das Recht, über sein Vermögen zu verfügen – an den Insolvenzverwalter.

Bei der Eigenverwaltung kann der Schuldner dagegen selbst weiterhin über sein Vermögen verfügen. Üblicherweise wird aber ein Sanierer in die Geschäftsführung aufgenommen. Ein Sachwalter kontrolliert, dass keine Nachteile für die Gläubiger entstehen.

Das Eigenverfahren eigne sich bei Unternehmen, „die im Kern ein gesundes Geschäft haben und bei denen man ein funktionierendes Management vorfindet, das in der Lage ist, die Geschäfte zu führen“, sagt Christoph Niering, Fachanwalt für Insolvenzrecht und seit 2011 Vorsitzender des Berufsverbands der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID).

Wenn singuläre Ereignisse wie zum Beispiel der Verlust eines Großkunden für die wirtschaftliche Schieflage verantwortlich seien, seien die Chancen auf ein erfolgreiches Verfahren gut, meint er. Allerdings sei der Weg nicht in allen Fällen der beste. Schwierig sei es zum Beispiel, wenn eine Eigenverwaltung vor allem angestrebt werde, damit das aktuelle Management im Fahrersitz bleibe. „Das sind oft sehr unschöne Verfahren.“

Der Fall Europoles zeigt, wann die Eigenverwaltung funktionieren kann. Zum Zeitpunkt der Pleite hatte das Unternehmen einen Umsatz von 112 Millionen Euro. Bei Masten für die Telekommunikation und die Straßenbeleuchtung sah sich das Unternehmen als europäischer Marktführer. Mit dem Großauftrag von Tennet wollte Europoles die Geschäftsbasis in Richtung Strom verbreitern.

Zum Einsatz sollte ein neuartiger Hybridmast aus Beton und Stahl kommen. Ob die Stornierung des Auftrags rechtens war, müssen Gerichte entscheiden. Tennet drohte mit Schadensersatzforderungen, Europoles wiederum forderte per Klage 91 Millionen Euro. Doch galt insgesamt, so Reus: „Das Unternehmen war in seinem Kern gesund.“

Das Geschäftsmodell habe funktioniert, Masten für Telekommunikation und Strom seien in Zeiten von 5G und Energiewende Zukunftsfelder. Zudem sei das bestehende Management kooperationsbereit gewesen. Das sei nicht immer der Fall, gerade bei geschäftsführenden Gesellschaftern, sagt Braun. Die Geschäftsführer müssten den Rollenwechsel schaffen: „Du bist nicht mehr deinen Gesellschaftern verpflichtet, sondern den Gläubigern.

Fliegenden Start

Wenn aber alle Stakeholder, also Gläubiger, Sanierer und Management zum Beispiel, sich auf eine Eigenverwaltungsstrategie einigten und sich über deren Ziel einig sind, bietet der Weg nach Einschätzung der Restrukturierungsexperten Vorteile. „Einer der Vorteile ist, dass man einen fliegenden Start in das Insolvenzverfahren hat, wenn man die Eigenverwaltung gründlich vorbereitet“, sagt Reus.

So könne man zum Beispiel schon eine Inventur vornehmen oder die Liquiditätsplanung überprüfen und sich mit wesentlichen Beteiligten abstimmen. Ein Insolvenzverwalter, der von außen komme, müsse sich dagegen erst einen Überblick verschaffen. Bei einer Insolvenz mit Unternehmen mit Projektgeschäft sei aber Zeit ein entscheidender Faktor. „Man muss extrem schnell sein, weil der Auftragsbestand immer kleiner wird.“

Das Thema Insolvenzverfahren könnte in den nächsten Quartalen in Deutschland an Bedeutung gewinnen. Zwar ging die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in den ersten sieben Monaten noch um gut drei Prozent auf 11 248 zurück. Doch zeichnet sich eine Trendwende ab. Im Juli verzeichnete das Statistische Bundesamt einen leichten Anstieg der Firmenpleiten auf 1644.

Niering aber rechnet zumindest nicht mit einem sprunghaften Anstieg der Insolvenzzahlen. Bislang hätten sich die Firmen als robust erwiesen gegen Handelskonflikte und weltweite Krisen. Seit der Finanzkrise habe sich die Zahl der Pleiten auf etwa 20.000 im Jahr halbiert. „Wenn es nun wieder etwas mehr werden, kommt das von einem sehr niedrigen Niveau.“

Doch dürfte Experten wie Reus und Braun die Arbeit in nächster Zeit nicht ausgehen. Bei Europoles waren sie in den ersten Monaten fast täglich in der Zentrale in Neumarkt in der Oberpfalz. Ein Vorteil der Eigenverwaltung sei, dass sich das erweiterte Management direkt stärker verpflichtet fühle – die Identifikation mit dem Unternehmen sei schlicht stärker vorhanden. „Man baut eine Beziehung zu der Firma auf“, sagt Braun.

Beleuchtung soll auch verkauft werden

Den größten Geschäftsbereich Infrastruktur, zu dem insbesondere die Herstellung von Betonmasten und der Bau von Telekommunikationsanlagen gehörte, wurde mit allen Standorten von dem Familienunternehmen Fuchs übernommen. Mehr als 350 Arbeitsplätze konnten allein am Standort Neumarkt so erhalten bleiben.

In den nächsten Monaten soll auch der Geschäftsbereich Beleuchtung, verschlankt um Randaktivitäten, veräußert werden, der Verkaufsprozess ist bereits gestartet. „Es ist uns gelungen, einen komplexen Konzern in zwei funktionierende mittelständische Unternehmen aufzuspalten“, sagt Braun.

Auch wenn es im Fall Europoles aus Sicht der Gläubiger und der Sanierer ordentlich gelaufen ist: Der Königsweg ist die Insolvenz in Eigenverwaltung nicht immer. Zwar kommt sie inzwischen oft zum Einsatz, bei Air Berlin und Thomas Cook zum Beispiel. Beim Küchenbauer Alno aber musste sie abgebrochen werden, weil sich die Beteiligten in wichtigen Punkten nicht einig waren.

Sanierungsexperte Reus sagt: „Es wäre Blödsinn, für jedes Unternehmen eine Eigenverwaltung zu beantragen.“ Die Grundvoraussetzungen wie zum Beispiel ein kooperationswilliges Management und das Vertrauen der Gläubiger in die Geschäftsführung müssten stimmen.

Problematisch ist nach Einschätzung von Verbandschef Niering, der in den vergangenen 20 Jahren mehr als 2000 Insolvenzverfahren betreut hat, dass die Unternehmen weitgehend selbst entscheiden, ob sie in ein Verfahren in Eigenverwaltung gehen. Die Billigung des Antrags sei seit einer Gesetzesänderung vor acht Jahren die Regel, eine Ablehnung sei für die Gerichte nur schwer zu begründen. „Die Prüfung der Anträge müsste schärfer sein.“

Die Eigenverwaltung müsse eine zweite Chance sein für Unternehmer, die „ordentliche Kaufleute“ seien, meint Niering. Die Bücher müssten für eine Genehmigung gut geführt, Steuern und Sozialabgaben nicht rückständig sein, der Unternehmer dürfe nicht einschlägig strafrechtlich verurteilt sein.

Eine solche Überprüfung sei machbar, schließlich gebe es die zum Beispiel auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. „Das wäre eine gute Einstiegshürde.“ Hilfreich sei es bei der Eigenverwaltung, wenn ein erfahrener Berater bereits etwas länger an Bord sei und so einen zeitlichen Vorsprung habe und die Zahlen kenne und bereits Gespräche mit den wichtigsten Gläubigern geführt habe.