Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • DAX

    18.772,85
    +86,25 (+0,46%)
     
  • Euro Stoxx 50

    5.085,08
    +30,67 (+0,61%)
     
  • Dow Jones 30

    39.512,84
    +125,08 (+0,32%)
     
  • Gold

    2.366,90
    +26,60 (+1,14%)
     
  • EUR/USD

    1,0772
    -0,0012 (-0,11%)
     
  • Bitcoin EUR

    56.470,66
    -1.763,23 (-3,03%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.264,02
    -93,98 (-6,92%)
     
  • Öl (Brent)

    78,20
    -1,06 (-1,34%)
     
  • MDAX

    26.743,87
    +34,97 (+0,13%)
     
  • TecDAX

    3.404,04
    +19,74 (+0,58%)
     
  • SDAX

    14.837,44
    +55,61 (+0,38%)
     
  • Nikkei 225

    38.229,11
    +155,13 (+0,41%)
     
  • FTSE 100

    8.433,76
    +52,41 (+0,63%)
     
  • CAC 40

    8.219,14
    +31,49 (+0,38%)
     
  • Nasdaq Compositive

    16.340,87
    -5,40 (-0,03%)
     

Das Lose-Lose-Verhältnis

Gleich zwei Nachrichten haben deutsche Unternehmen in letzten zwei Tagen aufgescheucht. In der politischen Eskalation zwischen Deutschland und der Türkei gibt es nur Verlierer.

In Konya, in Zentralanatolien, gehen die Dinge weiter wie bisher. Von den politischen Verwerfungen hat Unternehmer Fahrettin Doğru zwar gehört, Sorgen aber macht er sich keine. Sein Unternehmen stellt Bügelbretter her. Über 50 Prozent davon gehen in den Export, ein Großteil davon nach Deutschland. Der 50-Jährige steht in seiner Fabrik vor einer Produktreihe. "Woolworth", steht auf Zetteln, die an jedem Bügelbrett hängen. Ein anderer Großkunde ist Aldi. "Das Geschäft läuft gut, die Exporte wachsen", sagt er.

Seit dieser Woche aber wächst die Angst, dass die politische Eskalation zwischen Deutschland und der Türkei auch auf die Wirtschaft Auswirkungen haben wird.

Gleich zwei Nachrichten haben deutsche Unternehmen in letzten zwei Tagen aufgescheucht. Die eine kommt aus Ankara, die andere aus Berlin. Am Mittwoch tauchte eine Liste von 68 deutschen Unternehmen auf, die angeblich Terrorunterstützer seien. Darunter befindet sich eine Dönerbude aus Köln, aber auch DAX-Konzerne wie Daimler und BASF.

So absurd die Vorwürfe auch sind - sie zielen in erster Linie auf Unternehmen innerhalb Deutschlands ab. Denn gegen Entitäten innerhalb der Türkei hatte Ankara ohne schon immer Zugriffsrecht. Vermeintliche Gülen-Verschwörer wurden verhaftet. Allerdings waren deutsche Unternehmen in den letzten Monaten davon kaum betroffen.

WERBUNG

So gesehen ist die Liste der terrorverdächtigen deutschen Unternehmen ein weiterer absurder Punkt im sich stetig verschlechternden deutsch-türkischen Verhältnis.

Die zweite Nachricht kam von Außenminister Sigmar Gabriel - und sie hat deutlich konkretere Auswirkungen auf die Wirtschaft. Als Reaktion auf die Inhaftierung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner hat die Bundesregierung drei Maßnahmen angekündigt: Deutschland will mit der EU über die Vorbeitrittshilfen für die Türkei reden, sie hat die Reisewarnungen verschärft, und will die Hermes-Bürgschaften überdenken.

Von den Reisewarnungen sind Unternehmer nicht betroffen. Heikel wird es allerdings für Nichtregierungsorganisationen und andere Einrichtungen, die sich an den Sicherheitswarnungen des Auswärtigen Amts orientieren. Außerdem dürfte der Tourismus noch weiter leiden.

Der letzte Punkt allerdings könnte auch gravierende Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Verflechtungen haben. Hermes-Bürgschaften sichern Investitionen und Exporte deutscher Unternehmen ab. Der Bund gibt quasi eine Ausfallgarantie, sollten Firmen auf nicht-zahlenden Vertragspartnern im Ausland sitzen bleiben.

"Ein Ausfall würde das unternehmerische Risiko stark erhöhen", sagt Jan Noether von deutschen Handelskammer in Istanbul.

Solche Nachrichten verschlechtern das ohnehin schon stark angeschlagene Investitionsklima in der Türkei.


Deutsche Unternehmen bleiben in Türkei - trotz Terror und Inhaftierungen

In der Türkei sind knapp 7000 deutsche Unternehmen aktiv. Trotz Terroranschlägen, Putschversuch und der darauffolgenden Inhaftierungen von über 100.000 vermeintlichen Verschwörern, hat kein deutsches Unternehmen das Land bisher verlassen. Das Handelsvolumen liegt bei 37 Milliarden Euro, und blieb trotz der politischen Spannungen in den letzten Monaten stabil. Nur leicht, um 1,6 Prozent, waren die deutschen Exporte in die Türkei zurückgegangen.

Auch war gerade erst in den letzten Monaten etwas Entspannung zu spüren. Nach dem Referendum zum Präsidialsystem rechneten viele mit einem milderen und versöhnlicheren Kurs Erdoğans. Diese Einschätzung erwies sich zwar als falsch, aber immerhin konnte die türkische Wirtschaft im ersten Quartal wieder mit fünf Prozent wachsen.

Bei vielen Unternehmern gilt momentan: Kopf einziehen und warten, bis sich die Lage beruhigt. "Die Stimmung ist angespannt, viele möchten nicht offen sprechen", sagt ein deutscher Mittelständler. Mit Namen genannt werden möchte auch er deswegen nicht. Trotzdem sagt er: "Es wird nicht so heiß gegessen, wie gekocht wird."

Unter einer weiteren Eskalation dürften sowohl Deutschland als auch die Türkei leiden, letztere aber wesentlich stärker. Wirtschaftlich ist das Land fest in die Liefer- und Wertschöpfungsketten Europas eingebunden. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei. Für Deutschland aber kommt die Türkei erst an Stelle 15 beziehungsweise 16.

Freilich, Erdogan kann weiterhin mit einem Aufkünden des Flüchtlingspakts drohen. Doch selbst darunter dürfte die Türkei mehr leiden als Deutschland. Die Flüchtlingsströme haben sich längst Richtung Mittelmeer verschoben. An der Grenze zur Syrien baut die Türkei eine Mauer.

Den 2,5 bis drei Millionen syrischen Flüchtlingen geht es zwar nicht blendend, viele aber haben inzwischen ein Auskommen in der Türkei gefunden, und haben kein Interesse eine beschwerliche Reise mit unklaren Ausgang auf sich zu nehmen. (Dazu beigetragen haben zynischerweise vor allem die Bilder aus überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln.) Schließlich lässt sich Erdogan den Deal mit vier Milliarden Europa gut bezahlen.

Große Sympathien hatte Erdogans rabiater Kurs bei Unternehmern nie, und manch einer wünschte sich mehr oder weniger heimlich, die Bundesregierung würde endlich eine härtere Gangart anschlagen. Nach der Verhaftung des Menschenrechtlers Steudtner scheint dies nun der Fall zu sein. Für deutsche Unternehmen ist es ebenso wie für türkische Unternehmen wichtig, dass rechtsstaatliche Prinzipien eingehalten werden. Geht die Eskalationsspirale allerdings weiter, wird es am Ende nur Verlierer geben.

KONTEXT

Schlüsselstaat Türkei

Das politische System

Die Republik Türkei ist laut der Verfassung von 1982 ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Regiert wird das Land von Ministerpräsident Binali Yildirim und dem Kabinett. Staatsoberhaupt ist Recep Tayyip Erdogan, als erster Präsident wurde er 2014 direkt vom Volk gewählt. Im türkischen Parlament sind vier Parteien vertreten, darunter - mit absoluter Mehrheit - die islamisch-konservative AKP von Erdogan. Parteien müssen bei Wahlen mindestens 10 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, um ins Parlament einziehen zu können. Die Türkei ist zentralistisch organisiert, der Regierungssitz ist Ankara. (dpa)

EU-Kandidat

Die Türkei ist seit 1999 Kandidat für einen EU-Beitritt, seit 2005 wird darüber konkret verhandelt. Würde die Türkei beitreten, wäre sie zwar der ärmste, aber nach Einwohnern der zweitgrößte Mitgliedstaat, bei derzeitigem Wachstum in einigen Jahren wohl der größte.

Brücken-Funktion

Als Nachbarstaat von Griechenland und Bulgarien auf der einen Seite und Syrien sowie dem Irak auf der anderen Seite bildet die Türkei eine Brücke zwischen der EU-Außengrenze und den Konfliktgebieten des Nahen und Mittleren Ostens.

Anlaufstelle für Flüchtlinge

Seit Beginn des Syrien-Konflikts ist die Türkei als Nachbarstaat direkt involviert. Rund 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge nahm das Land nach eigenen Angaben auf. Die türkische Luftwaffe bombardiert allerdings auch kurdische Stellungen in Syrien und heizt so den Kurdenkonflikt weiter an.

Nato-Mitglied

1952 trat die Türkei der Nato bei. Das türkische Militär - mit etwa 640 000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern ohnehin eines der größten der Welt - wird bis heute durch Truppen weiterer Nato-Partner im Land verstärkt. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe sollen auch Atombomben auf dem Militärstützpunkt Incirlik stationiert sein.