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EZB-Chefin Lagarde erhöht den Druck auf die Politik

Vorausschauende Wirtschaftsindikatoren seien inzwischen etwas optimistischer, so Lagarde. Foto: dpa

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank räumt ein, dass die Notenbanken im Falle eines Abschwungs nicht mehr viele Mittel zum Gegensteuern haben. Unter Mario Draghi klang das noch anders.

Christine Lagarde hatte von vornherein erklärt, dass sie als Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) ihren eigenen Stil pflegen wird. Was damit gemeint ist, wurde bei ihrer Anhörung vor dem Europaparlament deutlich. Als der AfD-Abgeordnete Jörg Meuthen in einem längeren Monolog die Geldpolitik der EZB scharf angriff, begrüßte sie ihn zunächst mit einem freundlichen: „Guten Morgen.“ Die Französin lernt seit einigen Monaten Deutsch.

Doch nicht nur der Stil hat sich gegenüber dem ihres Vorgängers Mario Draghi verändert, der stets Englisch sprach und nicht die Kunst der entwaffnenden Höflichkeit einsetzte. Auch inhaltlich setzt sie eigene Akzente. Während Draghi stets die Stärke der EZB betonte, räumte Lagarde am Donnerstag vor den EU-Abgeordneten ein, dass die Macht der Geldpolitiker ihre Grenzen hat. Zwar haben schon viele außenstehende Ökonomen genau darauf hingewiesen. Aber die Notenbanker selbst lassen normalerweise, um ihre Glaubwürdigkeit zu schützen, auch nicht den Hauch einer Schwäche erkennen.

Anders Lagarde. „Das Umfeld aus niedrigen Zinsen und niedriger Inflation schränkt den Spielraum der EZB und anderer Notenbanken weltweit erheblich ein, die Geldpolitik im Falle eines wirtschaftlichen Abschwungs zu lockern“, sagte sie. Der Satz ist als Botschaft an die Politik zu verstehen, dass diese die Wirtschaft stärker unterstützen soll: mit höheren Ausgaben und Investitionen. Vor allem Länder mit fiskalischem Spielraum wie Deutschland und die Niederlande müssen aus Sicht der Notenbank mehr tun.

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Mit ihrer Offenheit verstärkt Lagarde den Druck, der sich vor allem auf die Regierung in Berlin richtet. Draghi hatte vorsichtigere Worte gewählt, um sich keine Blöße zu geben, aber damit oft auch ins Leere gesprochen. „Geldpolitik kann immer noch ihr Ziel erreichen“, sagte er in seiner Abschiedsrede als EZB-Präsident. Er schränkte zwar ein, sie könne dies schneller und mit weniger Nebenwirkungen erreichen, wenn die Finanzpolitik sie unterstütze, aber von Grenzen oder eingeschränktem Spielraum war nicht die Rede. Draghis Botschaft an seine Kollegen und seine Nachfolgerin lautete: „Gib niemals auf!“

Mehr Offenheit, vielleicht auch mehr Risiko also bei Lagarde – mit dem Ziel, die Botschaft an die Politik und die Öffentlichkeit deutlicher zu machen. Der EZB-Experte der Commerzbank, Michael Schubert, sieht Lagardes Ansatz positiv. „Das ist eine neue Ehrlichkeit“, sagt er.

Mario Draghi und zum Beispiel auch sein inzwischen ebenfalls ausgeschiedener Direktoriumskollege Benoît Coeuré hätten stets den Eindruck erweckt, dass die EZB sich mit Innovationen den nötigen Spielraum für ihre Geldpolitik verschaffen könne. „Hier schlägt Lagarde einen anderen Ton an“, sagt Schubert. Allerdings glaubt er nicht, dass dies zu einem grundlegenden Richtungswechsel in der Geldpolitik führt. „Die Geldpolitik wird expansiv bleiben, aber nicht expansiver.“ Was sich verändert, ist die Taktik, die Kommunikation.

Ähnlich äußert sich auch Katharina Utermöhl, Ökonomin der Allianz. „Die EZB-Präsidentin ist im Vergleich zu ihrem Vorgänger deutlich direkter in ihrem Appell an die Politik“, sagt sie. Eine grundlegende Veränderung der EZB-Position sieht sie aber nicht. Nach zehn Jahren expansiver Geldpolitik sei der Handlungsspielraum der EZB sowie der anderer Notenbanken klar eingeschränkt, stimmt sie Lagarde zu. „Die konventionellen Werkzeuge sind ausgereizt, und einige unkonventionelle Maßnahmen – wie etwa die Negativzinsen – entpuppen sich zunehmend als kontraproduktiv.“

Hinsichtlich der Zinsen argumentieren viele Ökonomen, dass es im negativen Bereich ein Niveau gibt, wo die negativen Effekte die positiven überwiegen. Wenn Sparer beispielsweise einen festen Betrag im Alter haben wollen, kann das möglicherweise dazu führen, dass sie bei sehr niedrigen Zinsen mehr und nicht weniger sparen – was schlecht für die Konjunktur wäre. Zudem lohnt es sich irgendwann, Ersparnisse in Bargeld zu tauschen, statt sie zur Bank zu bringen.

Seit Kurzem überprüft die EZB ihre geldpolitische Strategie. „Die Grenzen der Geldpolitik werden dabei ein sehr wichtiges Thema sein,“ sagt Frederik Ducrozet, Ökonom von Pictet. Aus seiner Sicht hat Lagarde mit ihrer Bemerkung zu engeren Spielräumen nur das Offensichtliche ausgesprochen.

Die EZB hat in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, ihren Spielraum auszuweiten, um die Wirtschaft zu stabilisieren und die aus ihrer Sicht zu niedrige Inflation nahe an das gewünschte Ziel von knapp zwei Prozent zu bringen. Sie hat deswegen den Zins auf unter null gesenkt, auf minus 0,5 Prozent.

Wie viele andere Notenbanken hat sie in großem Umfang Anleihen gekauft. Außerdem gewährt sie den Banken direkt längerfristige Kredite zu großzügigen Konditionen. Schon mit diesen Instrumenten ist sie auf zum Teil heftige Kritik gestoßen. Noch weiter vorzupreschen würde ihr noch mehr Gegenwind bescheren.

Schwer verständliches Ziel

Die Bank von Japan zeigt allerdings, dass es noch weitere Mittel gibt. Sie kauft zum Beispiel auch Aktien. Außerdem versucht sie, sehr direkt die Marktzinssätze über die verschiedenen Laufzeiten zu beeinflussen. Noch nirgendwo offen eingesetzt, aber bei Experten schon lange diskutiert wird zudem das sogenannte Hubschrauber-Geld: Nach diesem Konzept würde die Notenbank direkt oder auf recht kurzem Umweg über den Staatshaushalt den Haushalten Geld zur Verfügung stellen. Lagardes vorsichtige Äußerungen und ihr offenes Eingeständnis von Grenzen der Geldpolitik lassen anklingen, dass sie zunächst an noch weiter gehende Instrumente denkt.

Ein wichtiges Thema der Strategiedebatte ist auch das Inflationsziel. Aktuell strebt die EZB eine Inflation von unter, aber nahe zwei Prozent auf mittlere Sicht an. Diese Formulierung ist aus Sicht vieler Experten nur schwer verständlich. Der Notenbank-Chef der Niederlande, Klaas Knot, und Estlands Notenbank-Gouverneur Madis Müller hatten sich für mehr Flexibilität beim Inflationsziel ausgesprochen.

Aus Sicht des im Dezember aus dem Amt geschiedenen EZB-Direktors Benoît Coeuré sollte die EZB mittelfristig zwei Prozent Teuerung anstreben und dies mit einem Toleranzband versehen. Auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sprach sich für eine verständlichere Formulierung aus. Gleichzeitig warnte er jedoch davor, das Inflationsziel deutlich anzuheben.

Außerdem wird bei der Überarbeitung der Strategie die Inflationsmessung diskutiert. Dabei geht es vor allem um die Frage, inwieweit die Kosten für das Wohnen in der eigenen Immobilie eingerechnet werden sollten. Anders als in den USA berücksichtigen die Statistiker im Euro-Raum bei der Berechnung des für die Geldpolitik maßgeblichen Preisindexes dies nicht, sondern lediglich Mieten.

Zum Teil wird argumentiert, dass die Inflation durch die Einbeziehung der Kosten für das Wohnen in der eigenen Immobilie deutlich höher ausfallen würde. Laut Berechnungen der EZB würde dies aber kaum einen Unterschied ausmachen. In der Vergangenheit hätte die Inflation dann um maximal 0,2 Prozentpunkte höher gelegen. Bundesbank-Präsident Weidmann hat sich dennoch für eine Einbeziehung ausgesprochen, weil dies aus seiner Sicht der Lebenswirklichkeit der Menschen näherkommt. Lagarde hat sich hierzu noch nicht klar positioniert.

Die Debatte über die geldpolitische Strategie dürfte in den kommenden Wochen intensiver werden. Vor dem Europaparlament kündigte Lagarde eine neue Serie von Veranstaltungen an, um mit Vertretern aus Wissenschaft, Finanzsektor und Zivilgesellschaft darüber zu diskutieren. Der erste Termin wird im März in Brüssel sein. Damit folgt die EZB dem Beispiel der US-Notenbank Fed, die ebenfalls solche regionalen Veranstaltungen unter dem Titel „Die Fed hört zu“ veranstaltet hatte.

Lagarde äußerte sich auch zu den aktuellen Aussichten für die Konjunktur. Sie verwies darauf, dass die Risiken durch den Handelsstreit abgenommen hätten, aber neue Unsicherheit durch das Coronavirus entstanden sei. Aktuell sieht sie aber eher die positiven Signale. „Sicherlich gibt es vorsichtige Anzeichen für eine Stabilisierung“, sagte sie. Vorausschauende Wirtschaftsdaten zeigten inzwischen etwas Optimismus an.

Vor allem wegen einer schwachen Konjunktur in Frankreich und Italien war die Wirtschaft der Euro-Zone im Schlussquartal 2019 nur minimal um 0,1 Prozent gewachsen. Dadurch ist die Konjunktur nach wie vor anfällig für neue Schwächen. Eine Umfrage unter 5000 Firmen signalisierte zuletzt aber, dass sie wieder etwas anzieht und sich die Industrie nach einem starken Einbruch etwas gefangen hat.

Aus Sicht Lagardes ist eine lockere Geldpolitik nach wie vor nötig. „Die Wirtschaft im Währungsraum braucht weiterhin die Unterstützung durch unsere Geldpolitik, die einen Schild gegenüber globalen Gegenwinden bereitstellt“, sagte sie.