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Kriegswende in der Ukraine? US-Waffen läuten wohl neue Phase ein

(Bloomberg) -- Von den USA gelieferte Langstreckenraketen stören zunehmend den Vormarsch russischer Truppen im Donbass. Das eröffnet Kiew die Möglichkeit einer Gegenoffensive. Der Krieg in der Ukraine könnte in eine neue Phase gehen.

Für die Ukraine sei diese Situation eine “Chance”, wie Richard Moore, Chef des britischen Geheimdienstes MI6, es letzte Woche ausdrückte. Den russischen Streitkräften gehe “die Puste aus”.

Gründe für Kiew, einen größeren Angriff zu wagen, gibt es viele: Die Ukraine verzeichnet derzeit eine rückläufige Zahl eigener Verluste und Russland hatte jüngst seine Gebietsansprüche verschärft. Daneben braucht das Land dringend einen wirtschaftlichen Aufschwung, während global ein Abschwung droht, der ihre Verbündeten unter Druck setzt, ihre Unterstützung für die Ukraine aufrechtzuerhalten.

Am Sonntag erklärte das Institute for the Study of War in Washington, dass eine Gegenoffensive in der südlichen Region Cherson bereits begonnen haben könnte. Der Bericht spricht von einem deutlichen Rückgang des russischen Artilleriebeschusses an der Hauptfront im Donbass seit dem 15. Juli, auch aufgrund der Himars-Mehrfachraketenwerfer, die Dutzende von Waffendepots der Russen getroffen haben sollen.

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Die ukrainischen Streitkräfte hätten außerdem die Brücken beschädigt, welche die russischen Streitkräfte in Cherson mit ihren Nachschublinien am Ostufer des Dnepr verbinden.

“Wir haben erhebliches Potenzial für den Vormarsch unserer Streitkräfte an der Front und für die Zufügung erheblicher neuer Verluste bei den Besatzern”, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj nach einem Treffen mit seinen Sicherheitschefs am Donnerstag.

Die Zahl der ukrainischen Verluste auf dem Schlachtfeld sei von einem Höchststand von 100 bis 200 pro Tag im Mai und Juni auf etwa 30 pro Tag gesunken, sagte Selenskyj am Freitag im Wall Street Journal. Er schloss erneut einen Waffenstillstand aus, der Russland die Kontrolle über die eroberten Gebiete überlassen würde.

All dies deute darauf hin, dass der Krieg in eine neue Phase eintrete, so Phillips O’Brien, Professor für strategische Studien an der Universität von St. Andrews in Schottland. In der ersten Phase seien die russischen Streitkräfte mit dem Versuch, Kiew einzunehmen, gescheitert. In der zweiten Phase zogen sie sich nach Osten zurück und versuchten, sich per Artillerie zum Sieg zu schießen.

“Wenn die Verringerung der russischen Feuerkraft im Donbass anhält, ist diese Front im Grunde eingefroren und die Frage lautet: Können die Ukrainer sie zurückdrängen?” sagte O’Brien.

Der russische Telegrammkanal Moscow Calling, der sich mit der Invasion befasst, schrieb am Sonntag, mit dem Eintreffen der Himars sei eine dritte Phase des Krieges eingeleitet worden.

Die ukrainischen Kommandeure dürften vorsichtig vorgehen, so O’Brien. Denn falls sie versuchen, trotz moderner Verteidigungswaffen der Russen vorzupreschen, dürften diese die gleichen Schwachstellen ihrer eigenen Panzer, Flugzeuge und Soldaten ausnutzen, denen auch viele in den russischen Reihen zum Opfer fallen.

Außerdem bleiben viele Unwägbarkeiten: Die russischen Befehlshaber könnten Nachschublinien außerhalb der Reichweite der Himars - etwa 80 km - aufbauen, oder ihre Luftwaffe stärker in die Zerstörung dieser Waffen einbinden. Unklar ist auch, wieviel zusätzliche Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge und Flugabwehrsysteme die Ukraine für eine erfolgreiche Gegenoffensive bräuchte. Ein gescheiterter Gegenangriff könnte sie Truppen kosten, deren Verlust sie sich nicht leisten kann und sie bei einem erneuten russischen Angriff verwundbar macht, heißt es aus europäischen Militärkreisen.

Allerdings versprach Selenskyj im vergangenen Monat, die verlorenen Gebiete im Süden zurückzuerobern.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow lieferte letzte Woche einen weiteren Grund zum Handeln: Moskau will die Provinzen Cherson und Saporischschja dauerhaft von der Ukraine abspalten. Er verglich sie mit Donezk und Luhansk, Regionen, die Moskau am Vorabend der Invasion als unabhängig anerkannt hatte.

Der Kreml hat Referenden über die Annexion von Cherson und Saporischschja bis zum 15. September angeordnet, wie mit der Angelegenheit vertraute Personen berichten. Der Großteil der beiden Provinzen steht unter russischer Besatzung, so dass eine solche Abstimmung illegal wäre. Dennoch würde eine Annexion den Einsatz bei einer möglichen Gegenoffensive erhöhen, da der Kreml sie dann als einen Angriff auf Russland darstellen könnte.

Die Ukraine will zudem ihren Unterstützern in Europa und den USA beweisen, dass sie schlagkräftig ist, die Energiekrise und hohe Inflation dort womöglich Rezessionen auslösen. Damir könnte sie den Rest Europas daran erinnern, dass sie den Konflikt für sich entscheiden kann, sagte Moore vom MI6 auf dem Aspen Security Forum, “denn wir stehen vor einem ziemlich harten Winter.”

Auch für Russland steigt der Druck, territoriale Gewinne abzusichern: Solange die ukrainische Artillerie Städte wie Donezk beschießen kann, dürfte es schwierig sein, Referenden mit genügend hoher Wahlbeteiligung abzuhalten.

Aus Sicht des Kremls bestehe das Hauptproblem darin, dass die Ukraine immer modernere Waffen erhalte, während Russland auf immer älteres Material zurückgreifen müsse, sagte eine dem russischen Verteidigungsministerium nahestehende Person, die nicht namentlich genannt werden wollte.

Igor Girkin, ein Nationalist mit 410.000 Anhängern auf Telegram, der die russische Militärführung für ihre schlechte Organisation und Ineffizienz in dem Konflikt heftig kritisiert hat, schrieb in einem kürzlich veröffentlichten Beitrag, die russischen Fronteinheiten seien unterbesetzt, ihre Moral schlecht und sie weigerten sich zu kämpfen.

“Wir haben nichts, womit wir in der Tiefe angreifen könnten”, sagte Girkin, ein Russe, der bei der Annexion der Krim 2014 eine wichtige Rolle spielte und Wochen später erster Kommandeur der von Russland unterstützten Separatisten im Donbass wurde. Ihm wird in den Niederlanden Mord im Zusammenhang mit dem Absturz von Malaysia Airlines Flug MH17 über der Ostukraine im Jahr 2014 vorgeworfen, bei dem alle 298 Insassen ums Leben kamen.

Ein ukrainischer Gegenangriff um Cherson könnte zumindest kurzfristig erfolgreich sein, da die Ukraine über mehr Truppen in s Region verfüge, in der die russischen Streitkräfte relativ schwach seien und mit dem Rücken zum Dnepr stünden, so die mit den russischen Verteidigungsfähigkeiten vertraute Person.

Letztendlich sei es aber immer noch ein Kampf zwischen zwei Artillerien, und das bedeute, dass die Ukraine mehr Feuerkraft - auch mit Reichweiten von bis zu 300 km, so Mykola Bielieskov, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ukrainischen Nationalen Institut für Strategische Studien. Und es ist nicht öffentlich bekannt, ob die USA Systeme mit derart großer Reichweite überhaupt an die Ukraine geliefert hat.

Überschrift des Artikels im Original:

Long-Range Guns Given to Ukraine Open Door to New Phase of War

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