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„Keine umfassende Absolution“: Anlegerschützer und Analysten kritisieren Wirecard

Die Sonderprüfung der Wirecard-Bilanz zeichnet ein Bild voller Schwächen. CEO Markus Braun gelobt Besserung. Doch die Börsianer sind geschockt.

Mit der Veröffentlichung des Sonderprüfungsberichts gelingt dem Zahlungsdienstleister kein Befreiungsschlag. Foto: dpa
Mit der Veröffentlichung des Sonderprüfungsberichts gelingt dem Zahlungsdienstleister kein Befreiungsschlag. Foto: dpa

Selten war ein Dokument mit so großer Spannung erwartet worden: der Abschlussbericht von KPMG zur Sonderprüfung bei Wirecard. Seit Dienstagmorgen liegt er nun vor – und ist nach Ansicht von Analysten alles andere als ein Freispruch.

Auf 74 Seiten geben die Wirtschaftsprüfer einen tiefen Einblick in Geschäftsmodell, Abläufe und Vertragsgestaltungen beim Aschheimer Zahlungsdienstleister. Die positive Nachricht des Berichts: Belege für den gravierenden Vorwurf der Bilanzfälschung hat KPMG nicht gefunden. Und auch in Teilbereichen des Indien- und Singapurgeschäfts entlasten die Prüfer Wirecard.

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Dafür finden sie deutliche Worte zu Unzulänglichkeiten und Schwächen in der Organisation und Dokumentation. Besonders brisant: Die Zusammenarbeit von Wirecard mit Drittpartnern konnte nicht vollständig geklärt werden. Über sie wickelt der Konzern den Zahlungsverkehr in Ländern ab, in denen er über keine eigene Lizenz verfügt.

Der Vorwurf in Medienberichten lautete, Wirecard habe rund die Hälfte der weltweiten Einnahmen mit drei Partnern getätigt. In dem Untersuchungsbericht erklärte KPMG nun, man könne keine Aussage darüber treffen, dass bestimmte Umsatzerlöse existierten und der Höhe nach korrekt seien. Aber auch das Gegenteil sei nicht möglich. Die Anleger reagierten verunsichert: Die Wirecard-Aktie verlor zeitweise mehr als 27 Prozent an Wert.

Seit Ende Oktober hatte ein rund 40-köpfiges Team von KPMG die Bilanzen von Wirecard aus den Jahren 2016 bis 2018 noch einmal überprüft. Auch Zahlen aus dem vergangenen Jahr wurden dabei miteinbezogen. Auslöser war ein zehnseitiger Artikel in der britischen Wirtschaftszeitung „Financial Times“ im Oktober vergangenen Jahres. Angereichert durch interne und externe Dokumente wurden dort Zahlungsströme von Wirecard über Drittpartner in Dubai und Irland angezweifelt.

Aber auch frühere Vorwürfe zur Geschäftstätigkeit in Indien und Singapur sowie die Kreditvergabe an Kleinhändler, die über die Plattform von Wirecard ihren Zahlungsverkehr abwickeln, wurden untersucht. Hier sahen die Prüfer den Konzern schon in einer Zwischenbilanz am 12. März weitgehend entlastet.

Hartes Urteil der Prüfer

Der brisanteste Punkt bleibt jedoch das Geschäft mit Drittpartnern. Anders als Wirecard-Chef Markus Braun, der durch die Sonderprüfung keinen der Vorwürfe bestätigt sieht, urteilen die KPMG-Prüfer in vielen Teilen hart. Wichtig: Belege für eine Bilanzfälschung fanden sie nicht.

Aber sie stellen sogar Gesamtaussagen infrage. Hinsichtlich der Höhe und der Existenz von Umsatzerlösen zwischen Drittpartnern und den Wirecard-Töchtern in Dubai und in Irland sowie Wirecard Technologies könne KPMG für den Untersuchungszeitraum von 2016 bis 2018 weder eine Aussage treffen, dass die Umsatzerlöse existieren und der Höhe nach korrekt sind, noch eine Aussage treffen, dass die Umsatzerlöse nicht existent und in der Höhe nicht korrekt sind. „Insoweit liegt ein Untersuchungshemmnis vor“, schreiben die Prüfer wörtlich.

Zwei wesentliche Gründe machen sie dafür verantwortlich: Zum einen stellten sie Mängel in der internen Organisation fest. Hinzu kam aber auch die mangelnde Bereitschaft von Drittpartnern, an der Aufarbeitung umfassend mitzuarbeiten. Transaktionsdaten für den Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 fehlten deshalb ebenso wie Verträge zwischen den Drittpartnern und Händlern sowie Kontoauszüge und Bankbestätigungen von Treuhandkonten.

Zur Verfügung gestellt wurden dagegen unter anderem Saldenbestätigungen der Drittpartner gegenüber den Abschlussprüfern, Abrechnungen, Verträge der Drittpartner mit Wirecard, Screenshots über Transaktionsvolumina aus den Systemen der Partner und Protokolle der vierteljährlichen Gespräche zwischen Wirecard und den Drittpartnern. All diese Unterlagen stellen aus Sicht der Prüfer allerdings keine ausreichenden Nachweise dar, da sie nur die Beziehung zum Drittpartner und nicht die gesamte Transaktionskette betrachten.

Wirecard-Chef Braun machte den engen Zeitrahmen von nur wenigen Monaten für die fehlenden Unterlagen verantwortlich. Immerhin hätte ein Zeitraum von drei Jahren aufgearbeitet werden müssen. Insofern sei das „Maximum“ erreicht worden.

Angespanntes Verhältnis zum Prüfer

Zudem habe es sich um eine forensische Prüfung gehandelt, die sich in Art und Umfang sowie in der Detailtiefe wesentlich von einer gewöhnlichen Abschlussprüfung unterscheidet. „Hierbei muss man sich auf bestimmte Datensätze konzentrieren.“ Wichtig sei, dass für alle Konten Saldenbestätigungen zur Verfügung gestellt werden konnten.

Wie angespannt das Verhältnis zwischen KPMG und Wirecard in der Phase der Prüfung war, zeigt sich an anderer Stelle in dem Sonderbericht. „Die Wirecard AG hat von KPMG im Verlauf der Untersuchung angeforderte Dokumente teilweise nicht beziehungsweise erst mehrere Monate nach Anforderung geliefert, wodurch sich die Untersuchung insgesamt verzögerte“, hieß es.

Und weiter: „Die Wirecard AG hat einzelne vereinbarte Interview-Termine mit wesentlichen Wirecard-internen Ansprechpartnern mehrfach verschoben, wodurch ebenfalls erhebliche Verzögerungen der Untersuchungshandlungen entstanden.“ Im Oktober hatte der Aufsichtsrat unter dem damaligen Vorsitzenden Wulf Matthias die Sonderprüfung veranlasst. Seit Januar leitet Thomas Eichelmann das Gremium.

Dabei ging es insbesondere in der Schlussphase heiß her, wie manche Formulierungen erahnen lassen. So wurden erst ab Karfreitag bis zum 24. April um 8.30 Uhr weitere Daten und Nachweise vorgelegt. Auch der langjährige Wirtschaftsprüfer EY lieferte am 23. April noch Unterlagen. Ursprünglich wollte Wirecard den Bericht bereits am 22. April veröffentlichen, hatte es in einer Ankündigung von Mitte März geheißen.

Bei Wirecard gab man sich nach Erhalt des KPMG-Berichts durchaus selbstkritisch. „Wir werden massiv an unseren Prozessschwächen arbeiten“, kündigte Vorstandschef Braun an. Es gehe darum, verlorenes Vertrauen am Kapitalmarkt zurückzugewinnen. Von dort kamen am Dienstag unterschiedliche Töne. Die Analysten der Baader Bank bezeichneten den Bericht als „positive Nachricht“. Zentral sei die Botschaft, dass keine Bilanzkorrekturen für vergangene Jahresabschlüsse notwendig sind.

Zwar habe KPMG „Dokumentations- und Organisationsschwächen festgestellt“. Aber: „Wirecard behebt diese Schwachstellen seit 2019 durch die Einrichtung einer globalen Compliance-Organisation und mit Unterstützung externer Berater.“

Kritischer fiel die Einschätzung der Schweizer Großbank UBS aus. Der Bericht lege nahe, „dass die internen Prozesse weiterhin Anlass zur Sorge geben“, schreibt Analyst Hannes Leitner. Im Geschäft mit Drittpartnern sei das Problem, dass KPMG „keine endgültige Schlussfolgerung ziehen“ konnte. Erst im Dezember 2019 habe Wirecard eine interne Plattform zur zentralen Sammlung der Drittpartnerdaten aufgebaut.

Die Analysten der US-Großbank JP Morgan zweifeln in einer ersten Einschätzung daran, dass der Bericht die Wirecard-kritischen Beobachter besänftigen kann, vor allem aufgrund der Tatsache, dass KPMG viele Transaktionen nicht verifizieren konnte. „Wir erwarten, dass dieser Sachverhalt aufgearbeitet wird, damit der Aktienkurs die tatsächliche Leistung Wirecards abbilden kann“, lautet die Forderung von JP Morgan.

Genau daran zweifelt Volker Brühl, Geschäftsführer des Center for Financial Studies der Frankfurter Goethe-Universität: „Der Prüfbericht von KPMG lässt viele Fragen offen.“ Er sei deutlich formuliert: „KPMG spricht den Konzern mitnichten von allen erhobenen Vorwürfen frei.

Vielmehr betonen die Prüfer an vielen Stellen, dass sie aufgrund fehlender Unterlagen keine klaren Aussagen treffen können. Dies gilt beispielsweise für die Existenz und Höhe der Umsatzerlöse von Teilen des Drittpartnergeschäfts. Das ist nicht akzeptabel“, sagt der Finanzprofessor. „Das Management wird sich auf weitere Nachfragen einstellen müssen.“

Ruf nach personellen Konsequenzen

Der Corporate-Governance-Experte und frühere DWS-Chef Christian Strenger sagt: „Der KPMG-Report stellt eher einen weiteren Zwischenbericht dar und erteilt keine umfassende Absolution. Er zeigt erneut die Wachstumsschmerzen des Unternehmens auf, da zu viele wichtige Details laut KPMG nicht ausreichend und nachvollziehbar dokumentiert sind.“

Bei Wirecard zeigen sich zumindest erste Verbesserungen. Im vergangenen Jahr wurde dort die eigene Plattform Elastic Engine auch für das Geschäft mit Drittpartnern erweitert. Wirecard hält so die Daten mit den Drittpartnern inzwischen auf eigenen Systemen vor.

Aus diesen konnte der Zahlungsdienstleister rund 200 Millionen Datensätze für die forensische Prüfung zur Verfügung stellen. Dabei haben sich laut Wirecard keine Anhaltspunkte für Abweichungen zwischen den ausgewiesenen Umsätzen und den Kontensalden ergeben.

Turbulent dürfte es jedoch weitergehen. Die ursprünglich bereits für den 8. April angekündigte und dann auf den 30. April verschobene Vorstellung der Bilanz für das abgelaufene Jahr wurde am Dienstag ein weiteres Mal verschoben. Unter Beobachtern des Konzerns wird auch das Agieren des langjährigen Konzernprüfers EY diskutiert, wenn auch hinter vorgehaltener Hand.

„KPMG hat Grundfragen der internen Prozesse und der Rechnungslegung gerügt. Ich frage mich, warum EY diese Probleme nicht stärker thematisiert hat“, sagt ein ranghoher Investmentbanker. Nun soll die Bilanz für 2019 laut Braun in wenigen Wochen vorgestellt werden. Damit verschiebt sich auch die Präsentation der Zahlen für das erste Quartal, die für den 12. Mai vorgesehen war. Der Wirecard-Chef ließ am Dienstag durchblicken, dass sich die Zahlen im Rahmen der Erwartungen bewegen würden.

Auch die Hauptversammlung, die bislang noch für den 2. Juli anberaumt ist, könnte Insidern zufolge so nach hinten wandern. Turbulent dürfte es dabei nach den Aussagen im KPMG-Bericht ohnehin zugehen.

Daniela Bergdolt, Vizepräsidentin der größten Aktionärsvereinigung DSW, hält sogar personelle Auswirkungen für wahrscheinlich. „Der Sonderbericht ist nicht der Persilschein, den sich Wirecard erhofft hatte. Zu viele Fragen konnte KPMG nicht abschließend bewerten, bei vielen Themen fehlten Datensätze“, sagt die Rechtsanwältin.

So lege Wirecard erneut nicht alle Fakten auf den Tisch. Dabei sei das dringend notwendig, um verloren gegangenes Aktionärsvertrauen zurückzugewinnen. „Man hat den Eindruck, der Konzern hat immer noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt. Wirecard muss schleunigst umsteuern und sich professionalisieren.“ An der Spitze des Aufsichtsrats sei das bereits geschehen.

Schon im vergangenen Jahr musste Wirecard die Präsentation seiner Bilanz verschieben, nachdem Vorwürfe um Geldwäsche und Bilanzfälschung in der Niederlassung in Singapur aufgekommen waren.

Die Kanzlei Rajah & Tann hatte damals die Vorfälle untersucht, am Ende standen Fehlbuchungen im einstelligen Millionenbereich, die korrigiert wurden. Damals musste sich Wirecard den Vorwurf anhören, dass nicht der gesamte Bericht veröffentlicht wurde. „Jetzt sind wir dieses Risiko eingegangen, mittelfristig ist das der richtige Weg“, erklärte Braun.

Mehr: KPMG-Sonderprüfung zu Wirecard-Bilanzen lässt Fragen offen – Investoren fliehen aus Aktie.