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Der Innogy-Finanzchef zum Säureattentat: „Hinweisgeber hatte Insiderwissen“

Der Innogy-Finanzvorstand spricht eineinhalb Jahre nach der Säureattacke erstmals öffentlich über seine Theorie – und kritisiert die Staatsanwaltschaft scharf.

Am 4. März 2018 schockierte eine Nachricht die deutsche Wirtschaft: Bernhard Günther, Finanzvorstand von Innogy, wurde Opfer eines Säureattentats. Jetzt spricht der 52-Jährige im Interview mit dem Handelsblatt erstmals über seinen Verdacht – und der ist genauso schockierend wie die Tat selbst: Günther vermutet einen persönlichen Konkurrenten als Auftraggeber.

„Ich war mir damals schon sicher, dass das Motiv nur im beruflichen Umfeld liegen kann – und alle Erkenntnisse seitdem haben diese Überzeugung noch verstärkt“, sagte er. Er hat eine ganz spezielle Person in Verdacht, will sie aber nicht öffentlich nennen.

Zwei Täter hatten Günther damals nach einer Joggingrunde überfallen. Ende Oktober wurde einer der mutmaßlichen Täter verhaftet, inzwischen aber wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Günther ist überzeugt, dass der Verdächtige an der Tat beteiligt war. Sein Anwalt hat die Staatsanwaltschaft in einem Brief aufgefordert, Beschwerde gegen die Freilassung einzulegen.

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An der Arbeit der Strafverfolger übt er aber auch harsche Kritik. Diese hätten nicht hinreichend in seinem beruflichen Umfeld ermittelt. Die Ermittlungen kamen erst wieder in Gang, als sein Arbeitgeber eine Belohnung ausgelobt hatte.

Darauf meldete sich ein Hinweisgeber, der – so Günther – „verblüffend gute Informationen hatte“. Die Quelle hatte Günther zufolge „Informationen, die glaubhaft sind, die nicht in der Öffentlichkeit bekannt waren und die sie sich nicht ausgedacht haben kann“.

Das komplette Interview lesen Sie hier:

Herr Günther, es ist jetzt anderthalb Jahre her, dass Sie das Opfer eines Säureattentats geworden sind. Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Ich habe immer noch einen langen Weg vor mir und natürlich werden immer sichtbare Spuren bleiben. Das liegt in der Natur der Verletzungen. Abgesehen vom Ästhetischen machen mir auch nach wie vor die Augen Probleme. Ob das jemals wieder richtig gut wird, wird sich zeigen. Es reicht für den Alltag und um meinen Job zu machen. Einen Pilotenschein oder etwas Ähnliches brauche ich in nächster Zeit aber wohl nicht in Angriff zu nehmen.

Gehen Sie Ihrem Job denn inzwischen wieder mit derselben Energie nach wie vor der Attacke?
Ja, aber ich dosiere meine Zeit und meine Energie schon bewusster als vorher. Das liegt jedoch nicht nur an meiner körperlichen Fitness. Ich setze inzwischen auch stärker Prioritäten – weil manches auf den zweiten Blick eben doch nicht so wichtig ist, wie man immer gedacht hat.

Und wie geht es Ihnen psychisch?
Alles in allem bin ich, wenn ich das selbst einschätzen soll, stabil. Da war die rasche Rückkehr ins Unternehmen heilsam. Es stimmt schon, dass man nach schwierigen Erlebnissen am besten schnell zum Alltagsgeschäft übergehen sollte. Aber natürlich gibt es immer wieder Ereignisse, die mich wieder stark mit der Tat konfrontieren und manchmal auch aus der Kurve tragen.

Seit Ende Oktober ist Ihr Fall wieder in der Öffentlichkeit. Da wurde ein Tatverdächtiger festgenommen. Das muss für Sie doch eine große Erleichterung gewesen sein?
Ja, natürlich. Ungefähr 18 Monate nach der Tat ist endlich etwas wirklich Sichtbares passiert. Natürlich war sofort die Hoffnung da, dass das der Durchbruch ist und die Tat aufgeklärt wird. Es geht ja nicht nur um die zwei Täter, die mich damals mit Säure überschüttet haben, sondern auch um den oder die Hintermänner. Mit der Festnahme verband ich die Hoffnung, dass über die Täter auch die Befehlskette aufgeschlüsselt werden kann.

Verdächtiger ist noch nicht aus dem Schneider

Inzwischen hat das zuständige Landgericht Wuppertal aber entschieden, dass es keinen dringenden Tatverdacht gibt…
…zumindest sieht das Landgericht das so. Deshalb wurde der Mann aus der U-Haft entlassen. Verdächtig ist er aber immer noch.

Die Entlassung muss für Sie aber ein Schock gewesen sein.
Ja, natürlich. Zum einen hat das meine Hoffnung gedämpft, dass die Hintergründe der Tat aufgeklärt werden. Die Chancen sind einfach geringer, wenn der Tatverdächtige wieder auf freiem Fuß ist. Zum anderen hat sich die Bedrohungslage für mich und meine Familie verändert – und das nicht zum Besseren.

Sie haben noch immer Angst?
Ich persönlich kann damit umgehen. Ich bin mir sehr bewusst, in was für Situationen ich mich begebe. Aber es gibt schon Orte und Aktivitäten, die ich momentan meide. Wo mir das Risiko zu hoch erscheint, zum Beispiel alleine joggen. Aber was mich besonders belastet, ist die Sorge um meine Familie.

Ich gehe davon aus, dass Sie noch unter Schutz stehen.
Ja.

Wenn das Gericht keinen dringenden Tatverdacht sieht, müssen Sie das aber akzeptieren.
Es ist richtig, dass an eine Untersuchungshaft besonders hohe Anforderungen gestellt werden. Das ist ja ein Eingriff in die persönliche Freiheit eines Menschen, ohne dass es ein Urteil gibt. Nach Einschätzung meines Anwaltes hätte das Gericht aber auch genügend Gründe gehabt, den Verdächtigen in Haft zu behalten. Das ist keine Schwarz-Weiß-Entscheidung. Mein Anwalt hat auch in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft dargelegt, warum aus unserer Sicht sehr wohl ein dringender Tatverdacht gegeben ist und deshalb Beschwerde gegen die Freilassung durch die Staatsanwaltschaft eingelegt werden soll. Zudem gibt es leider in der richterlichen Begründung keinerlei Hinweise, dass es eine Rolle gespielt hätte, was die Freilassung für mich als Opfer bedeutet – und für eine mögliche Gefährdung.

Das Gericht hat offenbar Zweifel, ob Sie den Täter zweifelsfrei identifiziert haben. Wie überzeugt sind Sie, dass der zwischenzeitlich Inhaftierte einer der zwei Täter war, der Sie damals im März 2018 nach dem Joggen mit Säure übergossen hat.
Ich bin mir da sehr sicher. Nach den Fotos, die man mir vorgelegt hat, steht für mich fest, dass er einer der Täter war.


Kritik an Polizeiarbeit

Ist Ihnen die Tat denn immer noch so präsent? Das ging doch damals sehr schnell.
In der Tat ist das damals alles sehr schnell abgelaufen. Aber das Gesicht des Täters habe ich wie einen Schnappschuss vor Augen. Als ich die entsprechenden Bilder des Tatverdächtigen gesehen habe, hat es sofort Klick gemacht. Da brauchte es kein Nachdenken mehr.

Das Landgericht Wuppertal begründet die Freilassung des Tatverdächtigen auch damit, dass es bei der Identifizierung des Beschuldigten durch Sie Probleme gegeben habe, da Ihnen Ihre eigenen Privatermittler vorab schon Bilder des Mannes gezeigt hätten?
Das eigentliche Problem ist doch ein ganz anderes: Nach dem der Tatverdächtige identifiziert worden war, brauchte die Polizei mehr als fünf Monate, bis mir entsprechende Bilder vorgelegt wurden, auf denen ich den Mann identifizieren sollte. Da ist es doch völlig weltfremd anzunehmen, dass man als Opfer zwischenzeitlich nicht einmal im Internet unter dem Namen des Tatverdächtigen recherchiert und sich dabei auch Bilder anschaut, um zu prüfen, ob man die Person wiedererkennt oder nicht. Ich habe übrigens mehrfach gezeigt, wie verantwortungsvoll ich mit der Identifizierung von Tatverdächtigen umgehe. Während der Ermittlungen wurden mir von der Polizei ja auch früh schon Fotos von anderen Personen vorlegt, etwa von Überwachungskameras aus der Nähe des Tatorts. Und da habe ich immer abgewunken, weil ich die Personen nicht wiedererkannte.

Dass es überhaupt Fortschritte gibt, ist der Initiative Ihres Arbeitgebers zu verdanken. Als vor einem Jahr die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hat, hat Innogy einen eigenen Aufruf gestartet und eine Belohnung von 80.000 Euro ausgesetzt.
Ja, wir ziehen da an einem Strang. Diese auch emotionale Unterstützung durch das Unternehmen und die Mitarbeiter, gibt mir und meiner Familie zusätzliche Kraft: zu wissen, wir sind in dieser schlimmen Situation nicht allein.

Und auf den Aufruf hin meldete sich dann ein entscheidender Hinweisgeber?
Ja, es gab einige Hinweise und natürlich auch Trittbrettfahrer. Es hat sich aber ein Hinweisgeber gemeldet, der verblüffend gute Informationen hatte.

An dessen Glaubwürdigkeit haben Sie keine Zweifel?
Nein, die Quelle hat offenbar Insiderwissen. Sie hat Informationen, die glaubhaft sind, die nicht in der Öffentlichkeit bekannt waren und die sie sich nicht ausgedacht haben kann. Es gab mehrere Nachfragen an den Hinweisgeber, um dessen Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Darlegungen zu testen. Dabei gab es eine ständige Zusammenarbeit mit der Polizei. Es gab also gute Gründe, um den tatverdächtigen Serben, als er zu einer Sportveranstaltung nach Deutschland reiste, festzunehmen. Ansonsten hätte sicherlich der Ermittlungsrichter den Haftbefehl nicht erlassen und die Staatsanwaltschaft hätte erst gar nicht einen entsprechenden Antrag gestellt.

Der Hinweisgeber will nur offenbar nicht hier in Deutschland aussagen. Das ist einer der Gründe für die Freilassung des Verdächtigen. Hat er Angst?
Das ist mir nicht bekannt. Ich kenne weder seinen Aufenthaltsort noch seine Identität. Als wir die Belohnung ausgelobt haben, haben wir ein anonymes Hinweisgeber-System eingerichtet, wie man das auch bei Compliance-Fällen macht. Nur die damit beauftragte Kanzlei hat direkten Kontakt zum Hinweisgeber. Weder ich, noch mein Anwalt, noch die Polizei, noch die von mir beauftragte Sicherheitsfirma haben jemals direkt mit ihm kommuniziert.

Als Sie im Sommer 2018, vier Monate nach dem Attentat, dem Handelsblatt Ihr erstes Interview nach dem Anschlag gaben, hatten Sie schon eine Theorie, wer hinter dem Anschlag stecken könnte, über die Sie damals aber nicht sprechen wollten. Deckt sich diese mit der jetzigen Stoßrichtung der Ermittlungen?
Ja, ich war mir damals schon sicher, dass das Motiv nur im beruflichen Umfeld liegen kann – und alle Erkenntnisse seitdem haben diese Überzeugung noch verstärkt.

Es war zu lesen, dass Sie aus Konkurrenzgründen aus dem Weg geräumt werden sollten? Sie haben also eine ganz spezielle Person in Verdacht, gegen die auch ermittelt wird?
Ja. Interessanterweise hat die Staatsanwaltschaft diesen Medienberichten ja auch nicht widersprochen. Offensichtlich hat die Justiz jedoch bisher nicht ausreichend Beweise vorliegen. Und zu Recht gilt bei uns der Grundsatz der Unschuldsvermutung.

Aber gibt es denn überhaupt Beweise, oder ist das nur eine Theorie?
Diese Frage müssen Sie eigentlich Justiz oder Polizei stellen. Es gibt Hinweise, aber offenbar noch keine zwingenden Beweise.

Warum sollte eine Person aus Ihrem beruflichen Umfeld Ihnen so etwas antun?
Sie müssen wissen, dass Innogy im Frühjahr 2018 bereits in einer sehr schwierigen Situation war. Drei Monate zuvor musste unser Vorstandsvorsitzender Peter Terium von Knall auf Fall gehen. Als Finanzvorstand war ich der einzig verbleibende Vorstand mit ausgewiesener Kapitalmarkterfahrung. Die Übernahmeofferte von Eon war uns damals zwar noch nicht bekannt, aber es gab schon sehr viele Gerüchte um Innogy. Die Unruhe und die Verunsicherung waren riesengroß. Es liegt auf der Hand, dass es in einer solchen Gemengelage „freie Plätze“ gibt, wenn der CEO weg ist und dann der Finanzvorstand aus dem Spiel genommen wird. Die entstandenen Lücken müssen schnell geschlossen werden. Dann haben Personen einen Vorteil, die das Unternehmen schon kennen und sich nicht völlig neu einarbeiten müssen. Hinzu kommt ein attraktives Gehalt. Es wurden schon Verbrechen wegen geringerer Summen verübt. Diese Situation hatte sich mit der Übernahmeofferte von Eon und RWE, die eine Woche nach dem Anschlag, bekannt gegeben wurde, schnell erledigt. Aber das konnte man zum Zeitpunkt des Anschlags auf mich noch nicht wissen.

Aber warum Säure? So etwas kennt man aus dem organisierten Verbrechen eher von Racheakten.
Es ging wohl darum, dass ich mein Augenlicht verliere – und hätte ich keine Kontaktlinsen getragen, wäre das auch passiert. Das wäre für mich dann das berufliche Aus gewesen. Wenn jemand scharf auf Ihren Job ist oder glaubt, dass Sie seiner Karriere im Wege stehen, dann wäre das schon eine sehr effektive Methode. Man schaltet jemanden aus, ohne ihn töten zu müssen. Abgesehen davon, wäre mein Gesicht wahrscheinlich noch mehr gezeichnet als jetzt, wenn ich nicht so rasch reagiert und mich zuhause gleich abgewaschen hätte. Es gibt Bilder von Säureopfern, dagegen sehe ich noch gut aus.

Sie waren schon einmal Opfer eines Überfalls. Wann war das?
Das war im Juni 2012. Ich war damals als Finanzvorstand von RWE vorgesehen, ab Anfang 2013 sollte ich den Posten übernehmen. Der Überfall ereignete sich in der Übergangszeit, als ich zwar bestimmt war, den Job aber noch nicht angetreten hatte.


{„Die Täter haben in Kauf genommen, mich zu töten“}

Und Sie sind sicher, dass beide Überfälle miteinander zu tun haben?
Die Parallelen sind frappierend. Es war beides Mal sonntagmorgens beim Joggen, es war nur wenige hundert Meter von meinem Haus entfernt: jetzt waren es 200 Meter, beim ersten Mal rund 500 Meter. Und auch damals bin ich von zwei jungen Männern überfallen worden. Damals war es keine Säure, sondern Knüppel. In diesem Fall haben die Behörden gar nicht richtig ermittelt. Es hieß, ich sei wohl zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Aber auch der erste Überfall passt in die Theorie.

Das Säureattentat hatte die Staatsanwaltschaft ursprünglich als versuchten Mord eingestuft. Inzwischen ermittelt Sie nur noch wegen schwerer Körperverletzung. Ein Mordversuch war es doch wirklich nicht, oder?
Das sehe ich etwas anders. Die Täter haben vielleicht nicht beabsichtigt, aber zwangsläufig in Kauf genommen, mich zu töten. Wenn Sie einen Menschen, der wehrlos am Boden liegt, mit dem Gesicht nach oben, mit hochkonzentrierter Säure überschütten, müssen sie damit rechnen, dass der Betreffende sterben kann. Wenn die Säure in meine Atemwege oder in meine Speiseröhre gekommen wäre, dann hätte das lebensbedrohlich werden können. Die Ärzte in der Klinik haben jedenfalls eine Lebensgefahr diagnostiziert. Deshalb musste ich ja auch mehrere Tage auf der Intensivstation bleiben.

Ich vermute, dass die Unterscheidung zwischen Mordversuch und Körperverletzung entscheidend ist, mit welchen Instrumenten ermittelt wird?
Ja. Zwar kann auch bei schwerer Körperverletzung das Strafmaß am Ende recht hoch sein. Aber bei den Ermittlungen ist das anders. Ganz konkret sind die Befugnisse anders, beispielsweise kann bei Tötungsdelikten die Überwachung von elektronischen Kommunikationsmedien wie Telefonen genehmigt werden. Bei schwerer Körperverletzung nicht.

Sie scheinen sich über die Staatsanwaltschaft zu ärgern.
Zumindest ist einiges, was in der Justiz passiert, für mich als Bürger und Überfallopfer nur schwer nachvollziehbar und hinnehmbar. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Wenn Sie als Verantwortlicher wissen oder gar entscheiden, dass ein Tatverdächtiger, der möglicherweise eine Familie bedroht, wieder auf freien Fuß kommt, dann rufen Sie doch bei dieser Familie an und warnen sie. Das ist doch das Mindeste, was man tun kann. Jeder würde so handeln. Von der Freilassung des Verdächtigen in meinem Fall habe ich über eine Presseanfrage erfahren. Das Gericht hat erst die Presse informiert und uns nicht. Das mag ja formell alles korrekt abgelaufen sein. Aber es zeigt einen eklatanten Mangel an Einfühlungsvermögen und Mitgefühl für das Opfer.

Also schlechter Stil?
Das ist aus meiner Sicht auf jeden Fall schlechter Stil. Als Opfer fühle ich mich da schon ohnmächtig und geringgeschätzt. Das kann ich nicht anders sagen. In meinem Fall halte ich das Kommunikationsverhalten der Ermittlungsbehörden aber auch für gedanken-, wenn nicht gar rücksichtslos. Man braucht ja nicht wahnsinnig viel Fantasie, um sich vorstellen zu können, dass die Freilassung des Tatverdächtigen schlagartig die Bedrohungslage für mich und meine Familie ändert.

Ihr Ärger hält sich ja schon länger. Ihre Frau hat sogar einen Brief an die Staatsanwaltschaft geschrieben.
Ja, als im Spätsommer 2018 erkennbar wurde, dass die Ermittlungen eingestellt wurden. Darin hat sie sich beklagt, dass damals gar nicht richtig im beruflichen Umfeld ermittelt worden war. Dabei war das die „heiße Spur“, wie man so sagt.

Hat man Ihre Theorie, die jetzt im Zentrum der Ermittlungen steht, damals nicht ernst genommen?
Nein, erst nachdem wir und Innogy selbst aktiv wurden, mit der Auslobung der Belohnung und den Ermittlungen des privaten Sicherheitsdienstes. Im vergangenen Jahr konzentrierten sich die Ermittlungen auf private Motive.

Sie waren damals also nicht nur Opfer des Säureattentats, sondern auch mit Ermittlungen in ihrem Umfeld konfrontiert. Wie verkraftet man das?
Ich glaube, da war ich, so blöd es klingen mag, noch fast in einer privilegierten Situation. Ich war auf der Intensivstation im Krankenhaus und abgeschirmt. Aber meine Frau hat das hautnah mitbekommen. Das beginnt schon damit, dass Ihnen als erstes das Handy abgenommen wird. Wenn im privaten Umfeld ermittelt wird, ist erst einmal jeder verdächtig. Ich verstehe ja, dass man jedem Verdacht nachgehen muss. Aber es kommt auch auf die Form und das nötige Fingerspitzengefühl an. Und das Motiv, auf das sich jetzt die Ermittlungen konzentrieren, hat man einfach nicht ernst genommen. Man hat leider nicht mit demselben Engagement die Spur im beruflichen Umfeld verfolgt.

Aber die Vorstellung, dass ein persönlicher Konkurrent von Ihnen so etwas gemacht haben könnte, ist ja auch erschreckend. Wie ist die Nachricht im Unternehmen aufgenommen worden? Es könnte ja eine aktive oder ehemalige Kollegin oder ein Kollege sein.
Das war für viele wie ein Schock. Es gibt sehr viele Mitarbeiter bei Innogy, die mit mir und meiner Familie mitfühlen und sich Gedanken machen. Dass jemand ein solches Verbrechen begehen könnte, um Karriere zu machen, ist auch für sie unfassbar.

Wurden Sie auch von Managern anderer Unternehmen auf die Verdächtigungen angesprochen?
Nach wie vor sind die Menschen mir gegenüber eher zurückhaltend. Sie wissen ja nicht, wie ich auf das Thema reagiere. Aber wenn wir ins Gespräch kommen, ist die Betroffenheit schon groß. Natürlich gibt es viele Verbrechen, aber dieses Motiv in Kombination mit dieser Tatausführung wäre schon einmalig. Jeder Manager hat Konkurrenten und möchte dennoch nicht mit so etwas rechnen müssen.

Für die Innogy-Mitarbeiter gibt es schon wieder eine tragische Koinzidenz. Knapp eine Woche nach der Säureattacke wurden sie von der Übernahmeofferte durch Eon überrascht. Jetzt kamen die neuen Nachrichten, nachdem die Übernahme besiegelt ist – und viele nicht wissen, was auf sie zukommt. Nehmen Sie im Unternehmen eine zusätzliche Verunsicherung wahr?
Unabhängig von meinem persönlichen Fall ist das natürlich für viele bei Innogy eine Ausnahmesituation. Die allermeisten von uns sind zum ersten Mal Objekt einer Übernahme. Mittlerweile, glaube ich, sind die meisten froh, dass es immer mehr Klarheit gibt, und wir alle hoffen, dass die Integration nun schnell abgeschlossen wird. Ich persönlich nehme aber nach wie vor eine sehr hohe Anteilnahme wahr. Das ist für einen Finanzvorstand schon etwas Besonderes. Für gewöhnlich sind wir ja mit unserem Blick auf die Rendite und mögliche Kostensenkungen nicht immer die beliebtesten Manager in einem Unternehmen. Vielleicht hat mir geholfen, dass ich in dieser schwierigen Phase für das Unternehmen und die Mitarbeiter schnell nach dem Attentat wieder meine Arbeit aufgenommen habe. Dieser Einsatz wird mir offenbar bis heute von vielen Mitarbeitern hoch angerechnet.

Sie sind der einzige der ehemaligen Innogy-Vorstände, der für die Übergangsphase an Bord geblieben ist. Warum?
Ich war schon im vergangenen Jahr im Vorstand für die Vorbereitung des Zusammenschlusses zuständig. Und jetzt gilt es Innogy in Anstand und Würde in die neue Welt zu begleiten.

Günther verlässt Innogy nach Fusion

Auch nach dem Säureattentat gilt es also die Pflicht zu erfüllen?
Das hat nicht nur mit Pflicht erfüllen zu tun. Ich habe in den vergangenen Monaten wahrscheinlich die emotional bewegendste Zeit meines Berufslebens gehabt. Vor allem ein Erlebnis hat mich dabei zuletzt besonders berührt: Als klar wurde, dass der Vorstand verkleinert werden sollte, kamen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auf mich zu und baten mich, das Personalressort zu übernehmen. Das wird einem Finanzvorstand nicht oft angeboten.

Ist mit der vollständigen Verschmelzung von Innogy auf Eon im kommenden Jahr auch Ihre Tätigkeit beendet, oder könnten Sie sich vorstellen, bei Eon weiterzumachen?
Die Frage stellt sich nicht. Ich stehe so lange zur Verfügung, bis alle Arbeiten für die Verschmelzung erledigt sind. Wenn der Auftrag erfüllt und Innogy erfolgreich in die neue Eon übergegangen ist, werde ich aber ausscheiden.

Haben Sie schon eine Idee, was Sie dann machen werden?
Noch nicht wirklich. Natürlich mache ich mir Gedanken. Das ist für mich aber auch eine ungewohnte Situation. Ich bin vor 20 Jahren zu RWE gekommen und musste mich seither nicht mehr nach einem neuen Arbeitgeber umschauen. Ich sehe das nun aber als Chance und will offen an etwas Neues herangehen. Das kann wieder ein Fulltime-Job sein. Vielleicht entscheide ich mich aber auch für eine Portfolio-Tätigkeit, wie das Personalberater nennen, also mehrere Aufgaben wie Beratungstätigkeit oder Aufsichtsratsmandate nebeneinander.

Sie hätten diese Entscheidung ja so oder so treffen müssen – wegen der Übernahme von Innogy. Wird Ihre Entscheidung aber durch Ihre persönlichen Erlebnisse geprägt?
Ich werde sie mit einer größeren inneren Freiheit treffen. Ich werde mehr auf meinen Bauch hören und nur etwas machen, was mich wirklich reizt.

Haben Sie denn noch große Hoffnungen, dass Täter und Auftraggeber Ihre Strafe bekommen?
Ich hoffe es sehr. Wir geben jedenfalls nicht auf. Wir, das ist nicht nur meine Familie, sondern auch mein Anwalt und die Sicherheitsfirma, die mich unterstützen. Denn diese offenen Fragen sind eine große Belastung für meinen weiteren Lebensweg.

Müssen Sie sich aber nicht auch auf den Fall vorbereiten, dass der Fall nie aufgeklärt und gesühnt wird? Die Beweislage ist schwierig und es dürfte vor allem schwierig sein, die Hintermänner zu überführen.
Mit dem Gedanken musste ich mich schon im vergangenen Jahr beschäftigen als die Ermittlungen eingestellt wurden. Aber wenn die Theorie stimmt, die derzeit im Mittelpunkt steht, gibt es zumindest etwas Tröstliches für mich: Das Tatmotiv ist nicht mehr gegeben. Meinen Job als Finanzvorstand wird es bald nicht mehr geben.

Herr Günther, vielen Dank für das Interview.