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Hilfe in letzter Minute: Das Protokoll der Lufthansa-Rettung

Lange wurde um das Finanzpaket gerungen. Ein ordnungspolitischer Grundsatzstreit blockierte die Lösung. Und noch immer könnte die Rettungsaktion scheitern.

Die erlösende Nachricht für die Lufthansa kommt am Mittwochnachmittag. Da sickern Informationen durch, dass es im Ausschuss des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) eine „erfreuliche Bewegung“ gibt. In dem Gremium sitzen Staatssekretäre und ein Vertreter des Kanzleramts.

Konkret: Jörg Kukies vom Bundesfinanzministerium und Vorsitzender des Gremiums, sein Stellvertreter Ulrich Nussbaum vom Bundeswirtschaftsministerium sowie Leonie Gebers (Arbeit und Soziales), Margaretha Sudhof (Justiz), Tamara Zieschang (Verkehr) und Lars-Hendrik Röller (Kanzleramt).

Am frühen Abend ist dann klar: Der deutsche Staat soll sich in einem dreistufigen Modell mit insgesamt neun Milliarden Euro an der Fluggesellschaft, die durch die Folgen der Coronakrise ins Schlingern geraten ist, beteiligen. Zunächst soll mit einem Kredit der staatseigenen KfW-Bank über drei Milliarden Euro die Liquidität der Lufthansa gesichert werden.

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Hinzu kommt eine stille Einlage sowie eine direkte Beteiligung von 20 Prozent sowie eine Wandelanleihe im Wert von fünf Prozent plus einer Aktie. Über diese Konstruktion soll der Staat in die Lage versetzt werden, im Falle des Versuchs einer feindlichen Übernahme eine Sperrminorität aufzubauen.

Über Wochen hatten die Mitglieder des WSF-Ausschusses Lösungsansätze für die Lufthansa diskutiert. Besser gesagt: Sie stritten darüber. Von Anfang an war klar: Die erforderliche Finanzhilfe konnte nicht allein über Kredite gegeben werden. Das Unternehmen wäre überschuldet.

Von Anfang an tobte allerdings auch ein Streit über die Frage, wie das Eigenkapital des Unternehmens gestärkt werden soll. Die SPD verlangte Mitspracherechte über eine Sperrminorität in Höhe von 25 Prozent plus einer Aktie, mit der etwa strategische Entscheidungen blockiert werden könnten. Für das Lufthansa-Management eine Horrorvorstellung. „Wir brauchen staatliche Unterstützung, aber keine staatliche Geschäftsführung“, warnte Konzernchef Carsten Spohr vor wenigen Wochen.

Die Parteien verkeilen sich

Unterstützung für diese Position fand der oberste Lufthanseat bei den Unionsparteien. Die CDU-Fraktion forderte „maximale Staatsferne“, also eine Beteiligung unterhalb der Sperrminorität, am besten sogar nur eine stille Beteiligung ohne Stimmrechte. Dafür plädierte auch die Lufthansa.

Immer verfahrener wurde die Situation. Am Freitag vergangener Woche erklärte Staatsekretär Kukies, ein ehemaliger Investmentbanker, auf einer SPD-Veranstaltung, worum es ihm geht. „Der Staat tritt hier als selbstbewusster Investor auf“, sagte er. Verluste dürften nicht beim Staat abgeladen werden, für den Einsatz von Eigenkapital müsse es eine „risikoadäquate Vergütung“ geben.

Als der WSF-Ausschuss zu Wochenbeginn zusammenkommt, ist die Stimmung angespannt. Ein neuer Kompromissvorschlag fällt durch, alles ist wieder offen. Das Gespenst einer Insolvenz von Deutschlands führender Airline geht um. Bei den Gewerkschaften herrscht Alarmstimmung. In einem offenen Brief warnen die Betriebsräte am Dienstag vor den Folgen einer Insolvenz oder der Sonderform, dem Schutzschirmverfahren.

Am gleichen Tag richtet Konzernchef Spohr einen dringenden Appell an die Belegschaft: „Da sich unsere Liquidität absehbar weiter verringert, hoffen wir auf einen raschen Abschluss der politischen Willensbildung und einen zukunftsweisenden Kompromiss in Berlin, der auch unsere Zukunftsfähigkeit im globalen Wettbewerb berücksichtigt.“
Von Tag zu Tag verschlechtert sich die Situation der Airline. Stündlich fließt rund eine Million Euro der Liquidität ab.

Das Polster, das Anfang Mai noch rund vier Milliarden Euro betrug, schmilzt dahin. Und es gibt kaum Aussicht auf rasche Erholung. Das Wiederhochfahren des Flugverkehrs wird zunächst mehr kosten, als es einbringt. Keiner weiß, wie viele Passagiere in die Jets einsteigen werden.

Für das kommende Jahr rechnet die Lufthansa-Spitze damit, dass weiterhin 300 der 760 Jets nicht gebraucht werden, ein Jahr später vielleicht 200. „Im Sommer 2023, wenn die Krise hoffentlich überstanden sein wird, werden wir dann voraussichtlich immer noch eine um 100 Flugzeuge kleinere Flotte haben“, so die Botschaft des Vorstands an die rund 138.000 Mitarbeiter.

Der Zeitdruck ist immens. Auch weil noch einige Hürden gemeistert werden müssen. Vorstand und Aufsichtsrat müssen einer Lösung zustimmen, die EU-Kommission muss grünes Licht geben. Vor allem aber müssen die Aktionäre der Airline-Gruppe zustimmen. Spätestens nach dem Scheitern des Kompromissvorschlags zu Wochenbeginn ist klar: Eine Lösung ohne Hauptversammlung wird es nicht geben. Die wäre nur möglich, wenn der Staat mit maximal zehn Prozent des Grundkapitals einsteigt. Für die SPD ist das aber ein No-Go.

Maximaler Übernahmeschutz

Hektisch wird ein neuer Kompromiss gesucht. Dann endlich scheint der gordische Knoten durchschlagen: Am Mittwochnachmittag handeln Kukies und seine Kollegen ein neues Modell aus. Das wohl wichtigste Element: Der Staat steigt unmittelbar mit 20 Prozent bei dem Unternehmen ein, also ohne Sperrminorität. Die kann aber über die Wandelschuldverschreibung erreicht werden, falls es zum Versuch einer feindlichen Übernahme kommt.

So etwas ist zwar nicht ganz einfach. Das Luftverkehrssicherungsgesetz schreibt vor, dass die Aktienmehrheit in deutscher beziehungsweise europäischer Hand liegen muss. Sonst gehen die wichtigen Verkehrsrechte verloren. Die Lufthansa stellt das durch die Ausgabe sogenannter vinkulierter Namensaktien sicher. Die Anteilseigner müssen sich zu erkennen geben, können nicht anonym bleiben und sich so anschleichen.

Die Vinkulierung gibt dem Management zudem die Möglichkeit, Aktienkäufe nachträglich zu unterbinden. Doch Regelungen können gebrochen, entsprechende Satzungen geändert werden. „Man wollte beim Thema Übernahmeschutz maximale Sicherheit“, heißt es in Regierungskreisen.

Am späten Mittwochnachmittag geht der neue Vorschlag zunächst zurück in die Ressorts, die Minister müssen zustimmen. Danach wird das Modell zwischen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) endverhandelt. Die lässt kurz darauf über ihren Sprecher mitteilen, dass eine Einigung kurz bevorstehe.

Dabei sind zu dem Zeitpunkt noch viele Fragen offen. Noch ist es nur eine Einigung innerhalb der Regierung. Der Plan muss der Lufthansa übermittelt werden. Dort gibt man sich zugeknöpft, will weder bestätigen noch kommentieren. Erst in der Nacht zu Donnerstag gibt das Unternehmen eine Ad-hoc-Mitteilung heraus und bestätigt fortgeschrittene Gespräche. Zuvor hatte das Handelsblatt über die Details des Rettungspakets berichtet.

An diesem Freitag soll nun der Aufsichtsrat über den Vorschlag befinden. Stimmt das Kontrollgremium zu, soll umgehend die Einladung zur außerordentlichen Hauptversammlung herausgehen. Die wird im Hintergrund schon seit Tagen vorbereitet, wie zu hören ist. In etwa drei Wochen könnte das Aktionärstreffen stattfinden, wegen des Coronavirus wahrscheinlich virtuell.

Dann könnte es noch einmal richtig spannend werden. Noch ist nicht klar, wie der Einstieg des Staates umgesetzt werden soll. Es könnte eine Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts geben. Oder das Kapital wird vorher herabgesetzt (Kapitalschnitt) und anschließend mit den Anteilen des Staates wieder aufgestockt.

Unsicheres Votum der Aktionäre

Fest steht: Der Bund will zu einem deutlich niedrigeren Kurs als die aktuelle Notierung einsteigen. Und der Aktienbesitz der bestehenden Anteilseigner wird verwässert. Die Zustimmung der Aktionäre ist also keineswegs sicher. Ohne ein entsprechendes Votum wird aber auch kein Geld von der KfW fließen, wird es auch keine stille Beteiligung des Bundes geben. Dann wären wohl die Insolvenz oder das Schutzschirmverfahren unvermeidbar.

Und noch etwas muss geklärt werden: Wie wird die Bezahlung des Vorstands und der Führungskräfte geregelt. Die politischen Vorgaben sind klar: Hilft der Staat in der Coronakrise mit Geld, darf es weder Dividenden noch Bonuszahlungen geben. Die EU-Kommission hat davon sogar die Genehmigung einer Staatsbeteiligung abhängig gemacht. Erst wenn der Staat diese wieder um 75 Prozent reduziert hat, dürfen auch wieder Boni fließen.

Das sind keine einfachen Auflagen für die Lufthansa. Zwar hat die Regierung erklärt, ihren Anteil rasch wieder reduzieren zu wollen. Es gehe um einen zügigen, nicht um einen „mittel- oder langfristigen Ausstieg“, abhängig vom wirtschaftlichen Erfolg der Lufthansa, heißt es in Berlin. Einen Ausstiegsplan fordert auch die EU. Doch wann sich der ökonomische Erfolg einstellt, weiß niemand.

Kritik aus der Opposition

Bei den Investoren stößt der nun gefundene Kompromiss auf ein geteiltes Echo. Nachdem die Lufthansa-Aktie am Donnerstagvormittag zunächst nach oben schnellte, verlor sie bis zum Mittag wieder fast drei Prozent an Wert. „Es war höchste Zeit, dass der politische Poker in Berlin zu Ende gekommen ist“, schreibt Daniel Röska von Bernstein Research. Allerdings gehe der aktuelle Vorschlag erheblich zulasten der Aktionäre.

Zufrieden zeigt man sich in der CDU. „Es ist gut, dass Lufthansa gestützt wird, ohne Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen zu nehmen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Carsten Linnemann (CDU). Die beiden Sitze im Aufsichtsrat müssten jetzt mit Experten besetzt werden, die die wirtschaftliche Erholung der Lufthansa anstrebten und keine politische Agenda verfolgten. „Das Ziel ist ein möglichst schneller Ausstieg des Staates, damit die Lufthansa wieder auf eigenen Beinen steht“, betonte der CDU-Wirtschaftsexperte.
Dagegen warnte FDP-Fraktionsvize Michael Theurer in einem Gastkommentar für das Handelsblatt vor einer „Verstaatlichungsorgie“, die bei der Lufthansa der Anfang sein könne. Und forderte: „Um Wettbewerbsverzerrungen zu verringern und Transparenz herzustellen, sollten zukünftig Bundeskartellamt und Monopolkommission bei WSF-Entscheidungen einbezogen werden.“