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„Herr Schlecker war nie der Meinung, dass es das Ende ist“

Reinhold Freudenreich galt bei Schlecker als wichtigster Berater und Nummer zwei im Drogerieimperium. Die Aussage des 90 Jahre alten Zeugen dürfte vor allem Schleckers Verteidigern in die Hände spielen – mit Abstrichen.

Das Amtsgericht in Ehingen ist ein historisches Gebäude mit Eichentreppen, an die Wände und Decken des schmalen Sitzungssaals schmiegen sich mintgrüne Verzierungen aus dem Barock. Links neben dem Richter steht ein alter Kachelofen. Solch eine Kulisse haben offenbar auch die acht Schlecker-Anwälte noch nicht gesehen. Ein Verteidiger von Christa Schlecker zückt das Smartphone und schießt ein Foto – man gibt sich entspannt bei der Verteidigung.

Richter Roderich Martis hat den Prozess für einen Tag nach Ehingen verlegt, in die Heimatstadt von Anton Schlecker. Denn es wird ein besonderer Zeuge befragt: Reinhold Freudenreich. Dieser galt lange als wichtigster Berater von Anton Schlecker. Ehemalige Schlecker-Angestellte erzählen über ihn, dass er mehr über die Firma wusste als Anton Schlecker selber. Doch da Freudenreich im Januar 90 Jahre alt geworden ist, wollte ihm das Gericht nicht mehr den Weg nach Stuttgarter zumuten.

Der ehemalige Drogeriemarktkönig Anton Schlecker steht vor Gericht, weil ihm vorsätzlicher Bankrott vorgeworfen wird. Seine Frau Christa und die gemeinsamen Kinder Lars und Meike sitzen wegen Beihilfe ebenfalls auf der Anklagebank. Im Mittelpunkt dieses Prozesses stehen Schleckers Dienstleistungsgesellschaften LDG und BDG: Beide standen außerhalb des Schlecker-Imperiums. Die Staatsanwaltschaft wirft Anton Schlecker vor, dass er diese gegründet habe, um Millionenbeträge an seine Kinder zu transferieren. Nach Aussagen ehemaliger Schlecker-Mitarbeiter soll diese Konstruktion maßgeblich auf Reinhold Freudenreich zurückgehen. Seine Aussage wird mit Spannung erwartet.

Doch schon seine Ankunft ist so unspektakulär, dass die Fotografen beinahe den Moment verpassen, Bilder von ihm zu machen. Er schlurft in schwarzen Gesundheitsschuhen und leicht gebeugt zum Hintereingang des Ehinger Amtsgerichts. Später sitzt er im schwarzen Anzug, weißem Hemd und mit Einstecktuch im Zeugenstand. Das Zusammentreffen mit Anton Schlecker fällt kühl aus, Tochter Meike bekommt hingegen eine Umarmung. Bei der Entführung von Meike und ihrem Bruder Lars Ende der 80er Jahre habe Freudenreich die Kinder aus der Hand der Entführer gelöst, hatte Anton Schlecker an einem früheren Prozesstag gesagt.

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Ein Verteidiger zwinkert ihm freundlich zu – man kennt sich. Schleckers Entourage aus Anwälten hatte ihn im Vorhinein des Prozesses schon einmal besucht und mehrere Stunden befragt. „Mit dem Herrn Schlecker war ich per Du. Und zwar von Jugend auf. Er war sechs Jahre alt, als ich ihn kennenlernte“, sagte Freudenreich.

Im Zeugenstand berichtet Freudenreich, dass die Dienstleistungsgesellschaften gegründet worden seien, um den Warenversand in geordnete Bahnen zu lenken. Er habe durchaus nach Drittanbietern geschaut, die den Versand für Schlecker übernommen hätten. Als sich niemand gefunden habe, habe man eigene Dienstleistungsgesellschaften gegründet. Dass man diese außerhalb des Schlecker-Unternehmens angesiedelt habe, habe Haftungsgründe gehabt. „An Lars und Meike Schlecker habe ich dabei nicht einmal gedacht“, sagt Freudenreich.

Den von der Staatsanwaltschaft hinterfragten Stundenlohn von 28,50 Euro, die die Mitarbeiter der Dienstleistungsgesellschaften Schlecker in Rechnung gestellt haben, habe er selber ausgerechnet. Dabei sei ein Stundenlohn wirtschaftlicher gewesen, als über Stückzahlen abzurechnen. Freudenreich räumt allerdings ein, dass der hohe Satz schon damals innerhalb des Unternehmens für Diskussionen gesorgt habe. „Jeder war der Meinung, dass die 28,50 Euro nicht in Ordnung waren“, sagt Freudenreich. Aber als er nach der Alternative gefragt habe, hätten alle geschwiegen. Freudenreich schlussfolgert daraus: „Die 28,50 Euro waren völlig gerechtfertigt.“


Eine Aussage voller Ungereimtheiten

Fest steht: Der Logistik- und Dienstleistungsgesellschaft LDG ermöglichten die Stundensätze horrende Gewinne. Zwischen 2002 bis 2009 lag der Betriebsgewinn vor Steuern bei mehr als 50 Prozent. Doch davon habe er nichts gewusst, versichert Freudenreich. Die Bilanzen der LDG seien ihn nichts angegangen. Wenn er davon Kenntnis gehabt hätte, hätte er die Löhne selbstverständlich nachverhandelt, erklärt der 90 Jahre alte Zeuge.

Was jedoch Fragen aufwirft: Obwohl Freudenreich angeblich keine Einsicht in die Bilanzen hatte, weiß er zu berichten, wie die Gewinne zustande kamen. Durch die stark schwankende Auftragslage habe die LDG Leiharbeiter günstig eingekauft und Schlecker teuer abgerechnet.

Auch eine weitere Aussage Freudenreichs lässt tief blicken. Auf die Frage, wer denn bei der LDG die wichtigen Entscheidungen gefällt habe, antwortet er: „Welche wichtigen Entscheidungen? Die hatten doch ihre Vorgaben von der Firma Schlecker.“ Nicht die einzige Ungereimtheit in den teils komplizierten Ausführungen des Zeugen, der seine Rolle kleinredet.

2009 endete die Beziehung mit Anton Schlecker im Streit. Nur als Meike nach der Insolvenz um Unterstützung bei den Verhandlungen um die LDG bat, kehrte der frühere Vertraute noch einmal zurück. Er hätte aber auch „Ja“ gesagt, wenn Anton Schlecker ihn um Hilfe gebeten hätte, als ihm bewusst war, die Firma sei nicht mehr zu retten. „Aber, jetzt kommt's; der Herr Schlecker war nie der Meinung, dass es das Ende ist.“

Mehrmals sucht Freudenreich während der Befragung den Blickkontakt zu Anton und Christa Schlecker. Eine ehemalige Schlecker-Mitarbeiterin, die aus Frankfurt zur Befragung nach Ehingen gekommen ist, sagt deshalb: „Es war doch deutlich, dass er noch auf der Seite von Anton Schlecker steht.“ Besonders wertvoll dürfte für diesen gewesen sein, dass Freudenreich Anton Schlecker attestierte, bis zuletzt an eine Rettung des Unternehmens geglaubt zu haben – selbst als schon längst der Insolvenzverwalter im Haus war. Das würde dem Vorwurf des geplanten Bankrotts widersprechen.

Nach der Aussage zeigt sich die Familie Schlecker gelöst. Zum ersten Mal steigen sie nach einem Verhandlungstag nicht umgehend in eine Autokolonne. Stattdessenn schlendern sie durch die Kopfsteinpflaster-Straßen von Ehingen davon und verschwinden in einer Seitengasse.

KONTEXT

Stationen der Schlecker-Insolvenz

23. Januar 2012

Schlecker meldet Insolvenz an.

28. März 2012

Das Verfahren wird eröffnet. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz hofft noch auf die Rettung von Teilen der Drogeriekette.

27. Juni 2012

Es wird bekannt, dass Anton Schlecker sein Privathaus im Wert von zwei Millionen Euro vor der Insolvenz an seine Frau übertragen hat. Ein zweites Grundstück soll sein Sohn bekommen haben.

18. Juli 2012

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Untreue, Insolvenzverschleppung und Bankrott gegen Anton Schlecker ein.

19. Juli 2012

Die Schlecker-Gläubiger fordern mehr als eine Milliarde Euro.

30. November 2012

Der österreichische Investor Rudolf Haberleitner will 2013 bis zu 600 ehemalige Schlecker-Filialen mit dem Konzept eines modernen Tante-Emma-Ladens wiederbeleben.

19. März 2013

Gut ein Jahr nach der Pleite zahlt die Familie Schlecker dem Insolvenzverwalter 10,1 Millionen Euro. Hintergrund ist der Streit um übertragenes Vermögen aus dem Unternehmen.

9. April 2013

Haberleitner will einstige Schlecker-Filialen unter dem Namen Dayli wiederbeleben und Testläden in Deutschland eröffnen.

4. Juli 2013

Noch vor dem geplanten Deutschland-Start ist der Schlecker-Nachfolger Dayli pleite.

13. April 2016

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhebt Anklage gegen Anton Schlecker wegen vorsätzlichen Bankrotts.

Sommer 2016

Der Insolvenzverwalter reicht Klage gegen ehemalige Schlecker-Lieferanten ein. Sie sollen Schlecker wegen illegaler Preisabsprachen um viel Geld gebracht haben. Geiwitz will Schadenersatz in Millionenhöhe.

7. Dezember 2016

Es wird bekannt, dass das Landgericht die Anklage zulassen will. Der Schlecker-Prozess beginnt im März 2017.