„Gewerkschaftsmitglieder zweiter Klasse“: So rechnet der Verdi-Betriebsrat mit den Gewerkschaftschefs in einem internen Brief ab
Für die Chefs der zweitgrößten Gewerkschaft in Deutschland beginnt am Sonntag der wohl wichtigste Termin des Jahres. Verdi-Delegierte aus ganz Deutschland treffen nämlich zum Bundeskongress zusammen und wählen einen neuen Bundesvorstand, der bis auf eine Ausnahme sehr wahrscheinlich der alte Bundesvorstand bleiben wird. Stefanie Nutzenberger, die bisher vor allem für den Bereich Handel zuständig war, tritt nicht zur Wiederwahl an – der Rest des Bundesvorstandes aber schon. Insider berichten übereinstimmend, dass bei der Wahl keine Überraschungen erwartet werden.
Wenige Tage vor der Wahl hat der Gesamtbetriebsrat von Verdi sich nun in einer internen Mitteilung an die Mitarbeiter der Gewerkschaft gewendet und erhebt darin schwere Vorwürfe gegen die Verdi-Führung. Der Kernvorwurf: Die Mitarbeiter würden behandelt wie „Gewerkschaftsmitglieder zweiter Klasse“.
Tarifverhandlungen sollen massiv erschwert werden - ausgerechnet innerhalb der Gewerkschaft
Tarifverhandlungen würden bei der Gewerkschaft massiv erschwert werden, schreibt der Betriebsrat. Grund dafür ist der Gewerkschaftsrat, eine Art Aufsichtsrat der Verdi, der die Arbeit des Bundesvorstandes kontrolliert. Dieser Rat kann jeden Kompromiss, jede Schlichtung oder Einigung in Tarif und Gehaltsfragen zwischen Bundesvorstand und Betriebsrat mit einem einfachen Veto kippen.
Das Problem: In dem Gremium hat die Arbeitnehmerseite weder Stimm- noch Teilnahmerecht.
Aufs Äußerste können es die Arbeitnehmervertreter in einem Streit mit der Gewerkschaftsführung auch nicht ankommen lassen, denn ein rechtmäßiger ist für Verdi-Beschäftigte so gut wie unmöglich. „Wir alle arbeiten zwar für eine Gewerkschaft, haben aber keine im Betrieb vertretene Gewerkschaft und damit keine Organisation, an die wir uns kollektiv zur Durchsetzung unserer Interessen z. B. im Rahmen eines Arbeitskampfes wenden können. Kurz: Es gibt keine Gewerkschaft, die uns zum Streik aufrufen könnte“.
Verdi-Mitarbeiter erhalten außerdem selten und wenn überhaupt, nur unter erschwerten Bedingungen Rechtsschutz, wenn sie mit ihrem Arbeitgeber, der Verdi, im Streit liegen, schreiben die Arbeitnehmervertreter. 20 bis 25 Prozent der Anträge seien in den vergangenen Monaten abgelehnt worden. Der Betriebsrat moniert, dass Anträge von Verdi-Mitarbeitern im Vergleich zu einfachen Mitgliedern der Gewerkschaft deutlich strenger geprüft werden. Die Doppelrolle von Verdi als Arbeitgeber und zuständige Gewerkschaft der Mitarbeiter funktioniere deswegen nicht mehr, urteilt der Gesamtbetriebsrat. „Als hauptamtliche Gewerkschaftsmitglieder können wir uns nicht darauf verlassen, die uns satzungsgemäß zustehenden Leistungen von ver.di zu erhalten“, schreiben die Arbeitnehmervertreter.