Früherer CEO Jack Dorsey: Twitter geht unter Elon Musk "den Bach runter"
Gut ein halbes Jahr ist Elon Musk inzwischen Twitter-Besitzer. Die neue Eigentümerschaft hat weder dem Multimilliardär noch dem Kurznachrichtendienst gutgetan. Der frühere Mit-Gründer Jack Dorsey hat nun mit dem neuen Besitzer abgerechnet – und präsentiert eine Twitter-Alternative.
Als nichts mehr zu ändern war, versuchte es Elon Musk mit einem weiteren Witz. "Let that sink in", twitterte der umstrittene Seriengründer, der sich zu dem Zeitpunkt noch als reichster Mann der Welt fühlen durfte, zur Übernahme von Twitter, die seinerzeit gerade ein paar Stunden alt war. "Lass das mal sacken."
Entering Twitter HQ – let that sink in! pic.twitter.com/D68z4K2wq7
— Elon Musk (@elonmusk) October 26, 2022
Bis heute erscheint die Tatsache, dass der lange Zeit hochgehypte Kurznachrichtendienst Twitter tatsächlich dem Tesla-Chef als Privatperson gehört, wie ein Social-Media-Meme: irgendwo naheliegend, aber genauso absurd. Enorme 44 Milliarden Dollar blätterte Musk für den sich in einer Dauerkrise befindenden Social-Media-Pionier hin – ein Preis, der Musk bald selbst als viel zu hoch vorkam, weswegen er monatelang versuchte, nachzuverhandeln. Doch aus dem Deal kam Musk nicht mehr heraus und tat in der Folge, was er bereits als Twitter-Nutzer schon oft getan hatte: Er überraschte mit eigenwilligen Ideen und Wendungen.
Elon Musks chaotisches erstes halbe Jahr als Twitter-Eigentümer
Schnell war beim 280-Zeichen-Dienst nichts mehr wie zuvor – vermutlich gab es nie eine geräuschvollere Übernahme und Neuaufstellung eines Multi-Milliarden-Dollar-Konzerns. Tatsächlich kam man bei den unzähligen Plot-Twists der Twitter-Saga unter Musks Ägide bald nicht mehr mit. Zunächst feuerte Musk die Hälfte der Belegschaft und verschreckte mit seinem ruppigen Gebaren schnell langjährige Werbekunden.
Es folgte eine kuriose 180-Gradwende bei der Einführung eines Premiumkontos, durch das man für 8 Dollar im Monat zum begehrten Haken im Twitterprofil kam – dem Symbol eines verifizierten Kontos, einer Form eines modernen Ritterschlags in der Twittersphäre. Vor allem jedoch Musks eigener Auftritt als neuer Twitter-CEO sorgte für immer mehr Kopfschütteln.
Scoop: Elon Musk just sent an email to all staff outlining "Twitter 2.0", writing it will"need to be extremely hardcore". Long hours, high intensity.
People need to click "yes" to confirm being part of this by 5pm ET tomorrow, else they get 3 months severance. More details:— Gergely Orosz (@GergelyOrosz) November 16, 2022
Mitarbeiter wurden direkt auf dem Kurznachrichtendienst gefeuert, wenn sie es wagten, Musk öffentlich zu kritisieren. Seine neue Hardcore-Haltung gipfelte in einem Ultimatum an die verbliebenen Mitarbeiter: Wer weiter mitarbeiten wolle, müsse seine Bereitschaft zur "Hardcore-Kultur" zu erkennen geben und beim Umbau auf "Twitter 2.0" mitarbeiten – und zwar mit "langer Arbeitszeit und hoher Intensität".
"Ging alles den Bach runter": Twitter-Gründer Jack Dorsey kritisiert Musk schwer
Nach seinem ersten halben Jahr als Twitter-CEO und -Besitzer scheint selbst Musk eingesehen zu haben, dass sich seine Eigentümerschaft nicht gerade positiv auf den Unternehmenswert ausgewirkt zu haben scheint. Vor einem Monat gestand Musk gegenüber der Belegschaft in einem Memo ein, dass sich der Firmenwert in den ersten Monaten unter seiner Führung auf weniger als 20 Milliarden Dollar mehr als halbiert habe.
3 things to know this morning:
• $FCNCA agrees to buy portion of $SIVB for $16.5 billion.
• Investors await economic data, Fed officials’ comments this week.
• Elon Musk values Twitter at $20 billion in a memo. pic.twitter.com/ATaXQuWhpi— Yahoo Finance (@YahooFinance) March 27, 2023
Die Einschätzung, dass Musk dem einstigen Kult-Social-Media-Dienst offenbar geschadet habe, teilt unterdessen ausgerechnet der frühere Twitter-Gründer und langjährige CEO Jack Dorsey. "Es ging alles den Bach runter", fällte Dorsey am Wochenende ein vernichtendes Urteil über seinen Nachfolger als CEO.
Elon Musk hasn’t proved himself to be the best leader for Twitter, co-founder Jack Dorsey said. “It all went south.” https://t.co/hws8MWsafB
— The Wall Street Journal (@WSJ) May 1, 2023
"Er hätte den Deal abblasen sollen"
Vor allem der neue Premium-Dienst Twitter Blue, der den Blauen Haken als vermeintliches Authentizitätssymbol gegen eine Abogebühr von acht Dollar ausstellt, stößt bei Dorsey auf schwere Kritik. "Die Zahlung als menschlicher Beweis ist eine Falle, damit bin ich überhaupt nicht einverstanden", schrieb Dorsey in Bezug auf die monatlichen Kosten von Twitter Blue. "Die Zahlungssysteme, die für diesen Beweis verwendet werden, schließen Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen aus", zeigt sich der 46-Jährige schwer enttäuscht, was aus Twitter unter Musk geworden ist. Er sei zunächst nach Musks Übernahme "optimistisch" gewesen, erklärte Dorsey.
“I wish the [Twitter] board would not have forced the sale,” Dorsey said, “I think [Elon] should have walked away ..”
Responding to a post in which a user said “It’s pretty sad how it all went down,” Dorsey replied simply: “Yes.”
@washingtonpost https://t.co/YntUXkLLhO— Carl Quintanilla 🔥 (@carlquintanilla) April 29, 2023
Tatsächlich ist der Block-CEO nun jedoch zu der Einschätzung gelangt, dass sowohl Musk als auch Twitter selbst die Übernahme hätten abblasen sollen. "Ich glaube auch nicht, dass er richtig gehandelt hat, nachdem er erkannt hatte, dass sein Timing schlecht war. Ich glaube auch nicht, dass der Vorstand den Verkauf hätte erzwingen sollen", merkt Dorsey an und führt weiter aus, dass Musk den Deal hätte abblasen und "die eine Milliarde Dollar" Entschädigungsgebühr zahlen sollen, obwohl rechtlich unklar ist, ob Musk dazu überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte.
“It all went south,” Jack Dorsey says about Elon Musk’s Twitter purchase, on Bluesky pic.twitter.com/jAWc2nMCfE
— Sarah Frier (@sarahfrier) April 29, 2023
Dorsey postete seine Einschätzungen am Wochenende auf der Plattform Bluesky, die als dezentrale Twitter-Alternative verstanden werden kann und brisanterweise von Dorsey selbst finanziert wird. Am Wochenende erlebte der neue Social-Media-Dienst, für den man aktuell eine Einladung benötigt und der sich noch im Betastadium befindet, einen wahren Nutzeransturm. Bereits eine Million interessierte User hätten sich demnach schon auf der Warteliste eingetragen.
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