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Die Europa-Strategie der IS-Terroristen

Zwei Wochen nach den Anschlägen zweier Anhänger des „Islamischen Staates“ in Ansbach und Würzburg bietet sich ein etwas deutlicheres Bild der Taten und der Beziehung der beiden Terroristen zu der Organisation. Es handelte sich insofern um IS-Anschläge, als beide Männer nicht nur ihre Bekennervideos zum IS schickten, sondern bis kurz vor der Tat noch Kontakt zu Koordinatoren der Organisation hatten, die versuchten sie anzuleiten.

Obwohl beide Täter dilettantisch vorgingen, sollten die Anschläge uns Deutschen eine Warnung sein. Der IS plant seit 2014 Attentate hierzulande, und die Organisation hat immer wieder gezeigt, dass es ihr auch in gut geschützten Ländern und Regionen gelingt, die Sicherheitslücken zu finden.

Die Täter können Einzeltäter sein, die mit nur wenig Mitteln viel Schaden anrichten: In Orlando im US-Bundesstaat Florida etwa tötete ein Amerikaner pakistanischer Abstammung, der sich zum IS bekannt hatte, im Juni 49 Menschen. Die viel größere Gefahr für Deutschland geht aber weiterhin nicht von Einzeltätern, sondern von der Organisation IS selbst aus, wenn diese ihre immer noch beträchtlichen Ressourcen an Personal, Know-how und Geld mobilisiert, um einen von langer Hand sorgfältig geplanten Anschlag durchzuführen.

Die Organisation

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Der IS hat mindestens eine Arbeitseinheit, die Anschläge im Ausland plant und die in den vergangenen zwei Jahren zahlreiche Erfolge verbuchen konnte. Aussagen von Rückkehrern sprechen dafür, dass der Syrer Abu Muhammad al-Adnani ihr Chef ist. Diese Abteilung für „externe Arbeit“ (al-amal al-khariji) steht in enger Verbindung mit oder gehört sogar zu der Geheimpolizei des IS, die sich kurz „die Sicherheit“ (al-amn) nennt. Deren wichtigste Aufgabe ist es, die innere Sicherheit im Lande des Kalifen Ibrahim zu gewährleisten.

Die Väter dieser „IS-Gestapo“ sind ehemalige Offiziere des Regimes von Saddam Hussein, die für den Militärgeheimdienst arbeiteten und ihre Fähigkeiten mit in die neue Organisation brachten. Die enorme Brutalität und Effektivität des Dienstes ist einer der Gründe für die interne Kohäsion und die erstaunliche Beharrungskraft des IS.

Seit einigen Monaten häufen sich die Hinweise, dass die Anschläge im westlichen Ausland von Adnanis Abteilung „externe Arbeit“ und der „Sicherheit“ des IS geplant und koordiniert werden. Zunächst beschränkte sich die IS-Geheimpolizei noch darauf, vereinzelt Mordanschläge auf syrische Gegner des IS zu verüben, die sich in grenznahen Städten in der Türkei aufhielten. Dann aber folgten größere Anschläge in der Türkei, in und Belgien.

Der Rädelsführer der Attentäter von Paris, Abdalhamid Abaaoud, war ein Unterführer der Geheimpolizei, weitere Attentäter fungierten als Gefängniswärter für sie. Einige Deutsche waren in diese Einheiten aufgenommen worden und standen dort in Kontakt mit den Attentätern von Paris. Mehrere Rückkehrer berichteten schließlich davon, dass der IS seit Frühjahr 2014 versucht habe, sie als Attentäter zu gewinnen. Dies machte deutlich, dass auch Deutschland von diesen Planungen betroffen ist.


Die Strategie

Der IS folgt in Europa einer klar definierten Strategie, die sich vor allem am Beispiel von und Belgien nachvollziehen lässt. In einer ersten Phase sollte es darum gehen, die Sicherheitsbehörden durch kleinere Attentate zu beschäftigen, um auf diese Weise von Planungen für einen größeren Anschlag abzulenken. Dies geschah auf zweierlei Art und Weise: Zum einen schickte der IS Franzosen und Belgier nach einem kurzen Aufenthalt in zurück in ihre Heimatländer, wo sie einzeln Anschläge verübten. Dies galt beispielsweise für Ayyub al-Khazzani, der am 21. August 2015 im Thalys von Brüssel nach Paris überwältigt wurde, bevor er mit seinem Sturmgewehr größeren Schaden anrichten konnte. Zum anderen versuchte der IS, über Aufrufe im Internet bzw. in den sozialen Medien Sympathisanten zu ermutigen, auf eigene Faust Anschläge zu verüben. Der Attentäter, der im Juli 84 Unschuldige auf der Strandpromenade von Nizza tötete, könnte ein solcher gewesen sein.

Trotz deutlicher Hinweise erkannten weder französische Politik noch Öffentlichkeit das Muster. Immer wieder war von Einzeltätern die Rede, während die Rolle des IS kleingeredet wurde, so dass der IS parallel den großen Anschlag in Paris am 13. November 2015 vorbereiten konnte.

Ähnlich verläuft die öffentliche Debatte in Deutschland nach den Attentaten von Ansbach und Würzburg. Dabei häufen sich die Hinweise, dass es enge Verbindungen zwischen den Terroristen in Bayern und der Terrororganisation gab. Nicht nur, dass beide bis kurz vor ihren Taten Kontakt zu einem Koordinator hatten. Der Syrer Muhammad Dalil in Ansbach war sogar Mitglied des IS, für den er wahrscheinlich schon vor Jahren im Irak gekämpft hatte. Besonders besorgniserregend ist, dass die Attentäter, wie schon ihre Kollegen in Frankreich und Belgien, ungestört mit Hintermännern im Nahen Osten kommunizieren konnten.

Die Gefahr

Es kommt nun darauf an, die Strategie des IS zu verstehen und ihr zu begegnen. Nicht die Einzeltäter sind die Gefahr, sondern die Organisation, die Terroristen in Syrien ausbildet, motiviert, finanziert und bis kurz vor der Tat anleitet. Deutschland muss sich im Klaren darüber sein, dass alle Attentate bisher nur Vorgeplänkel gewesen sein könnten, um unsere Sicherheitsbehörden von den großen Planungen abzulenken. Die dringendste Maßnahme in den nächsten Monaten wird sein, genauer zu erfassen, wer unter denen, die in den letzten beiden Jahren als vorgebliche Flüchtlinge nach Europa gekommen sind, ein Sicherheitsproblem darstellen könnte.

Darüber hinaus muss die technische Überwachung verbessert werden, die die bedeutendste Schwachstelle der Deutschen darstellt. Noch vor wenigen Jahren wurden die meisten Terroristen in Europa gefasst, weil Behörden ihre Kommunikation mit den Auftraggebern in Pakistan oder anderswo abfingen. Dass dies nicht mehr gelingt, weil die IS-Leute verschlüsselt kommunizieren oder Plattformen benutzen, die von deutschen Behörden nicht überwacht werden (können), ist ein Warnzeichen.

Und schließlich muss auch der Druck auf die Organisation im Irak und in Syrien wachsen, damit sie nicht mehr ungestört Anschläge in Europa planen und vorbereiten kann. Die , Großbritannien und Frankreich fliegen deshalb nicht nur Luftangriffe, sondern haben auch Spezialkräfte vor Ort. Wenn Deutschland die Bedrohung durch den IS ernst nimmt, sollte es ähnliche Maßnahmen ergreifen. Die Sicherheit Europas wird heute auch am Euphrat verteidigt.

KONTEXT

Die vielen Namen der Extremistenmiliz IS

Isil

Die Abkürzung steht für "Islamischer Staat im Irak und der Levante" und ist vor allem im Englischen noch häufig zu hören. Sie kommt der Übersetzung des arabischen Namens recht nahe. Dort ist vom Islamischen Staat im Irak und "al-Scham" die Rede, also Großsyrien unter den Omajaden und später den Abbasiden.

Isis

Die Kurzform von "Islamischer Staat im Irak und Syrien".

Isig

Diese Abkürzung benutzt die Bundesanwaltschaft in ihren Pressemitteilungen. Sie steht für den "Islamischen Staat im Irak und Großsyrien".

IS

So nennt sich die Organisation selbst seit der Ausrufung ihres Kalifats 2014. Die Abkürzung steht für "Islamischer Staat". Kritiker lehnen diese Bezeichnung ab, weil sie den Anspruch der Miliz untermauere, einen echten Staat - und noch dazu einen islamischen - geschaffen zu haben. Manche sprechen deshalb vom "sogenannten Islamischen Staat".

Daesch oder Daisch

Als Alternative ist in den vergangenen Monaten vermehrt die Bezeichnung Daesch oder Daisch in Mode gekommen. Dies ist die arabische Abkürzung für die Bezeichnung "Islamischer Staat im Irak und al-Scham" (Al Daula al-Islamija fi al-Irak wa al-Scham). In den Ohren von Muttersprachlern klingt sie despektierlich, der IS selbst lehnt sie ab. Das ist ein Grund mehr für Gegner der Extremisten, sie zu verwenden.

KONTEXT

Islamistische Terrorgruppen

Islamischer Staat

Der sogenannte Islamische Staat ging aus einem Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida hervor. Im Irak-Krieg 2003 kämpfte die Gruppe gegen die US-Armee, 2013 setzte sie auf Expansion. Als "Islamischer Staat im Irak und in Syrien (Isis)" griff sie im syrischen Bürgerkrieg ein. Sie wurde stärker und lieferte sich Machtkämpfe mit anderen Islamisten, darunter Al-Kaida. In eroberten Gebieten in Syrien und im Irak riefen die Dschihadisten - nun als Islamischer Staat (IS) - ein Kalifat aus, in dem sie brutal gegen Gegner vorgehen. Dschihadisten in anderen Ländern schworen dem IS ihre Treue. Seit einiger Zeit verübt die Terrormiliz auch Anschläge außerhalb Syriens und des Irak.

Ansar Beit Al-Makdis

Die ägyptische Organisation ist eine der Gruppen, die sich dem IS angeschlossen haben. Seit Ende 2014 bezeichnet sich Ansar Beit al-Makdis ("Unterstützer Jerusalems") als "Provinz Sinai" des IS. Laut ägyptischem Innenministerium gehören der Zelle rund 2000 Kämpfer an. Die Islamistentruppe verübt vor allem auf der Sinai-Halbinsel und in Kairo Anschläge.

Taliban

Die 2001 in Kabul gestürzten radikalislamischen Taliban haben weiterhin in großen Teilen Afghanistans Einfluss. Seit dem Auslaufen des Nato-Kampfeinsatzes bemüht sich die afghanische Führung verstärkt um Friedensgespräche mit ihnen. Weiterhin verüben die Taliban aber verheerende Anschläge in allen Teilen des Landes und nehmen Gebiete ein. Pakistans Grenzgebiet zu Afghanistan ist ein Rückzugsgebiet für die Taliban und Al-Kaida. Dort sind Gruppen wie die Tehrik-E-Taliban Pakisten (TTP) oder das Haqqani-Netzwerk aktiv. Auch die Gruppe Laschkar-E-Taiba ("Armee der Reinen") agiert von Pakistan aus auf dem Subkontinent.

Al-Kaida

1988 gründeten Dschihadisten in Afghanistan das Terrornetzwerk Al-Kaida ("Die Basis"). Später richteten sich dessen Angriffe gegen die USA und Westeuropa. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war Al-Kaida-Chef Osama bin Laden bis zu seinem Tod der meistgesuchte Terrorist der Welt. 2011 tötete eine US-Spezialeinheit Bin Laden im pakistanischen Abbottabad. Seit 2001 setzt das Terrornetzwerk zunehmend auf Regionalisierung.

AQAP

Zu den weitgehend unabhängig agierenden Al-Kaida-Ablegern zählt die 2008 aus der Vereinigung des jemenitischen mit dem saudi-arabischen Zweig entstandene Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (Al-Qaeda in the Arabian Peninsula/AQAP). Die Terrorgruppe verübt seit Jahren immer wieder Anschläge. Der im Januar 2015 ermordete Redaktionsleiter des Satiremagazins "Charlie Hebdo", Stéphane Charbonnier, stand auf einer "Fahndungsliste" des Dschihad-Magazins "Inspire", das von AQAP veröffentlicht wird. Die USA greifen im Jemen regelmäßig Lager der Gruppe mit Drohnen an.

AQMI

Die ursprünglich algerische Gruppe Alk-Kaida im islamischen Maghreb (AQMI) versucht, Tunesien, Marokko, Algerien, Mauretanien, Niger und Mali durch Anschläge und Entführungen zu destabilisieren. Sie hat auch Rückzugsgebiete in Libyen. Auch die aus Libyen stammende Organisation Ansar al-Scharia ("Unterstützer des islamischen Rechts") verübt Anschläge in Tunesien.

Ansar Dine

Anhänger der Gruppe besetzten 2012 gemeinsam mit Tuareg-Rebellen den Norden Malis. Ihr werden Verbindungen zu Al-Kaida im islamischen Maghreb nachgesagt. Dem Terrorregime der Ansar Dine fielen viele Menschen mit westlichem Lebensstil zum Opfer. Französische und afrikanische Truppen vertrieben die Extremisten weitgehend aus der Region. Es kommt aber weiterhin zu Gefechten und Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Mali.

Boko Haram

Die islamistische Terrorgruppe führt in Nigeria einen blutigen Feldzug zur Errichtung eines sogenannten Gottesstaats. Boko Haram heißt so viel wie: "Westliche Bildung ist verboten". Die sunnitischen Dschihadisten werden für viele Attentate und Angriffe verantwortlich gemacht. Schätzungen zufolge wurden seit 2009 mehr als 14.000 Menschen getötet. Die selbst ernannten "Gotteskrieger" kontrollieren Teile Nordostnigerias und versuchen auch, Gebiete in den Nachbarländern Kamerun und Niger zu erobern. Die Gruppe schwor der IS-Miliz Gefolgschaft.

Al-Shabaab

Die radikale Miliz verbreitet in Somalia Angst und Schrecken und verübt auch in Nachbarländern wie Kenia Anschläge. Zwar vertrieben Regierungstruppen und Soldaten der Afrikanischen Union die Extremisten 2011 aus der Hauptstadt Mogadischu, Al-Shabaab beherrscht aber noch weite Teile Mittel- und Südsomalias. Die Organisation hat Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Kaida und kooperiert mit den Extremisten von Boko Haram in Nigeria.

Jemaah Islamiyah

Die Anfang der 1990er Jahre von Indonesiern in Malaysia gegründete Terrorgruppe war bisher in Indonesien, Malaysia und im Süden der Philippinen aktiv. Sie will ein Kalifat in Südostasien errichten und steht Al-Kaida nahe. 2002 ermordeten Jemaah Islamiya-Terroristen bei Bombenanschlägen auf der indonesischen Ferieninsel Bali 202 Menschen, darunter mehr als 150 ausländische Touristen. Weitere Anschläge folgten.