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„Bei einzelnen Unternehmen könnte die Leistung der Kontrolleure besser sein“

Wenn er spricht, hören deutsche Aufsichtsratschefs zu: Hans-Christoph Hirt gilt hierzulande als einer der einflussreichsten Fondsmanager und Aktionärsberater. Von London aus vertritt der Niedersachse seit 14 Jahren die Interessen des britischen Pensionsfonds Hermes und anderer großer Aktionäre.

Stets bedächtig und sachlich, aber inhaltlich knallhart hat der 45-Jährige im vergangenen Jahrzehnt durch viele Gespräche mit Aufsichtsräten und Auftritte auf den Hauptversammlungen deutscher Unternehmen die Aufsichtskultur in Deutschland umgekrempelt. Mit öffentlicher Kritik und Kampagnen gegen Missmanagement und schlechte Kontrolle hat er dazu beigetragen, das deutsche System zu revolutionieren.

Mit dem Handelsblatt trifft sich der wie immer leise und nachdenklich auftretende Manager auf eine Limonade in einem Frankfurter Café, um über die Kompetenz deutscher Aufsichtsräte zu sprechen.

Herr Hirt, deutsche Aufsichtsräte kommen zunehmend ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Sind sie ihrer Aufgabe noch gewachsen?
Bei einzelnen Unternehmen könnte die Leistung der Kontrolleure sicherlich besser sein. Da kommen zwei Dinge zusammen: Die Anforderungen sind deutlich gestiegen, und manche Firmen sind in einer schwierigen Lage.

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Wenn man sich Chaos-Unternehmen wie die Deutsche Bank oder Volkswagen anschaut, könnte man den Eindruck haben, dass diese nicht mehr die richtigen Aufsichtsräte haben.
Jeder Fall ist da sicherlich anders. Generell nehme ich aber wahr, dass die Arbeit professioneller und intensiver wird.

Die Aufsichtsräte investieren heute deutlich mehr Zeit und sind besser auf ihre Aufgaben vorbereitet als früher. Dennoch ist ihr Image schlechter denn je. Warum?
Das liegt nicht zuletzt daran, dass Aufsichtsräte heute deutlich präsenter in den Medien sind als früher. Dadurch werden sie stärker mit dem Erfolg oder auch den Fehlschlägen eines Unternehmens in Verbindung gebracht. Und da die Aktionäre mittlerweile über die Vergütungsstrukturen abstimmen dürfen, rückt der dafür verantwortliche Aufsichtsratschef noch stärker an die Öffentlichkeit.

Diese Medienpräsenz scheint zu hektischem Aktionismus zu führen. Zuletzt war das beim abrupten Austausch sowohl des VW-Chefs als auch des Deutsche-Bank-CEOs zu beobachten. Sind Aufsichtsräte nur noch Getriebene, die viel zu kurzfristig auf Investorenlaunen und Medienberichte reagieren?
Es ist ja durchaus sinnvoll, dass Aufsichtsräte ihre Rolle aktiv wahrnehmen. Und die Bestellung und Abberufung von Vorständen ist da eine ganz zentrale Aufgabe. Das sehe ich grundsätzlich nicht negativ.

Sind die Aufsichtsräte heute generell gewillter, auf die Meinung der Investoren zu hören als noch vor zehn Jahren?
Auf jeden Fall gibt es einen viel intensiveren und konstruktiveren Dialog als früher. Die Aufsichtsräte hören durchaus zu, wenn man sinnvolle Argumente hat.

Warum wurden dann im vergangenen Jahr die Wünsche der Investoren für die Bonussysteme so oft ignoriert? Von Munich Re bis zu SAP gab es gleich mehrere Fälle mit Abstimmungsniederlagen oder zumindest Denkzetteln.
Das Bonusthema ist ein Spezialfall, weil in Deutschland nicht jedes Jahr darüber abgestimmt werden muss. Daher haben einige Aufsichtsräte zum Thema nicht sehr intensiv kommuniziert, während sich gleichzeitig die Ansprüche der Investoren international weiterentwickelt haben. Dadurch wurde ein bisschen aneinander vorbeigearbeitet.

Eigentlich gehören Investorengespräche ohnehin nicht zur Rolle eines deutschen Aufsichtsrats, der laut Aktienrecht eine unabhängige Kontrollinstanz sein soll.
Deshalb haben wir vor einigen Jahren zusammen mit den Aufsichtsratschefs Leitlinien für den Dialog zwischen Kontrolleuren und Investoren entwickelt. Damals waren alle der Meinung, dass der Dialog sehr wichtig ist, aber in Deutschland in anderen Bahnen verlaufen muss, als man es vom angelsächsischen System her kennt.

Und was muss da anders laufen?
Zum Beispiel ist es ganz klar, dass nur der Aufsichtsratsvorsitzende spricht und auch nur über Themen die in seinen Aufgabenbereich fallen. Dieser Dialog ist aber absolut notwendig, denn die Aktionäre wählen den Aufsichtsrat und müssen sich davon überzeugen können, dass er angemessen arbeitet.

Wenn die Aufsichtsratschefs immer mehr in diese Gespräche eingebunden werden, wäre es dann nicht konsequenter, gleich ein angelsächsisches Board einzuführen, in dem die Kontrolleure und Vorstand gemeinsam sitzen?
Ich habe in den vergangenen 14 Jahren sowohl in England als auch in Deutschland Boards und Aufsichtsräte gesehen, die nicht gut funktionieren. Beide Systeme haben Vor- und Nachteile. Es kommt eben sehr stark auf die jeweiligen Personen an. Das deutsche Konzept, Exekutive und Kontrollinstanz zu trennen, bringt oft durchaus gute Ergebnisse.

Kann man dennoch etwas vom angelsächsischen Modell lernen?
Durchaus. Viele der Ideen, wie unabhängige Aufsichtsräte hervorzuheben, sich auf Ausschüsse zu konzentrieren und den Aufsichtsrat regelmäßig zu evaluieren, kommen ursprünglich aus dem einstufigen Boardsystem. Und in England reagieren die Kontrolleure oft schneller, wenn etwas in die falsche Richtung läuft. Letzteres ist aber eher eine Frage der Mentalität als des Systems.

In der früheren Deutschland AG waren die Aufsichtsräte in munteren Kungelrunden vereint. Gibt es das noch?

Die alte Deutschland AG existiert heute kaum noch. Mittlerweile wird zumindest im Dax 30 überwiegend professionell vorgegangen, wenn es um die Besetzung von Aufsichtsratsposten geht. Aber es gibt immer noch Defizite.

Die da wären?
Ein Problem ist die fehlende internationale und ethnische Vielfalt. Das liegt auch daran, dass die deutsche Sprache oft vorausgesetzt wird. Dazu kommen der große Zeitaufwand und die oft nicht sehr gute Bezahlung. Das macht es schwierig, jemanden aus den USA oder Asien für ein Mandat zu gewinnen.

Wie sieht es mit der fehlenden Geschlechtervielfalt aus? Mit Simone Bagel-Trah gibt es nur eine einzige Aufsichtsratschefin im Deutschen Aktienindex.
Die Quote war da sicher ein sinnvoller Anfang. Aber das reicht nicht. Die Unternehmen müssen dringend versuchen, mehr Frauen in das Topmanagement zu kriegen. Und zum anderen müssen sie bei der Suche neuer Aufsichtsratsmitglieder das Netz weiter auswerfen und auch bei Beratungsfirmen, Universitäten, Anwaltskanzleien und Nichtregierungsorganisationen suchen.

Leiden die Aufsichtsräte unter überbordenden Vorschriften und bürokratischen Regeln?
Ja. Die Aufsichtsräte sagen, dass die Bürokratie sehr groß ist und man mittlerweile zu wenig Freiraum hat, um sich um die Strategie und andere Zukunftsthemen zu kümmern.

Tragen Investoren und Stimmrechtsberater wie Hermes nicht auch dazu bei, den Aufsichtsräten ein enges Korsett zu verpassen?
Unsere Anforderungen sind im Gegensatz zu denen vieler anderer recht leicht zu erfüllen, weil wir sehr flexibel sind und uns gerne von unternehmensspezifischen Lösungen überzeugen lassen.

Aber die meisten Stimmrechtsberater gehen doch nach einem standardisierten Kriterienkatalog vor, der individuelle und nationale Unterschiede kaum berücksichtigt?
Ja, klassische Stimmrechtsberater setzen oft bei jedem Unternehmen dieselbe Schablone an. Das machen wir nicht so.

Wie gut oder schlecht sind deutsche Aufsichtsräte im internationalen Vergleich?
Die Aufsichtsräte sind definitiv besser geworden. Der Zeitaufwand ist größer, die Mitglieder agieren professioneller und durchdachter. Aber mit angelsächsischen Chairmen haben wir immer noch deutlich tiefergehende und strategischere Diskussionen, weil deren Rolle eben eine andere ist.

Sollte die Rolle des deutschen Aufsichtsratschefs also neu definiert werden?
Ja. Man sollte das Aktiengesetz reformieren, um klarzustellen, dass ein Aufsichtsrat nicht nur nach innen wirkt, sondern auch eine wesentliche Rolle bei der Strategiesetzung und der Kommunikation spielt. Das würde einige der existierenden Grauzonen abschaffen.

Ist es dann auch sinnvoll, wenn ein Chefkontrolleur aus dem Unternehmen selbst rekrutiert wird?
Ja, daher sprechen wir uns als einer der wenigen Investoren dafür aus, dass ein Vorstandschef auch ohne Abkühlungsphase in den Aufsichtsrat wechseln darf. Wir waren immer gegen das Gesetz, das diesen schnellen Wechsel verhindert. Mit dieser Regel wurde das Konzept der Unabhängigkeit stark überstrapaziert. Wichtig ist uns, dass die Person sich in der Branche auskennt und die richtige Persönlichkeit hat, um sich als Aufsichtsrat einzubringen.

Damit ist wohl aber nicht der Wechsel von Hans Dieter Pötsch aus dem VW-Vorstand an die Aufsichtsratsspitze vor drei Jahren gemeint.
Nein, in dem Fall waren wir klar dagegen. Es kommt sehr stark auf die jeweilige Person an. Der Chemiehersteller BASF beispielsweise ist sehr gut geführt, da könnte auch mal auf die gesetzliche Abkühlungsphase gut verzichtet werden.

Die durchschnittliche Arbeitszeit eines Aufsichtsrats liegt bei 60 Tagen im Jahr. Zeigt das, dass man mehr Profis im Kontrollgremium braucht?
Ja, das wird mehr und mehr ein Karriereweg, den man mit 50 oder 55 Jahren statt eines weiteren Vorstandspostens einschlägt.

Axel Weber verdient als Verwaltungsratschef der Schweizer UBS sechs Millionen Franken, Paul Achleitner bei der Deutschen Bank gerade einmal 800 000 Euro. Werden deutsche Aufsichtsräte gut genug bezahlt, vor allem wenn man mehr internationale Mitglieder gewinnen will?
Im Dax sind die Gehälter in den vergangenen zehn Jahren sehr nach oben gegangen. Aber es ist noch immer nicht das Niveau erreicht, das ein Chairman im angelsächsischen Modell verdienen kann. Das hängt teilweise mit der Unterschiedlichkeit der Rollen zusammen.

Welcher deutsche Aufsichtsrat ist aus Ihrer Sicht vorbildhaft?
Seitdem Siemens kurz vor dem großen Schmiergeldskandal einen Preis für die gute Unternehmensführung erhalten hat, beantworte ich diese Frage nicht mehr.

Und wie sähe der ideale Aufsichtsrat aus?
Der bestünde aus viel Erfahrung und Branchenwissen, einer großen Vielfalt und wäre sehr auf die strategischen Schwerpunkte fokussiert. Und seine Mitglieder wären nicht einfach nur Personen, sondern Persönlichkeiten.

Herr Hirt, vielen Dank für das Interview.