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Eine doppelte Dosis Unglück

Im Jahr 2002, kurz vor den Stichwahlen zur Präsidentschaft in Frankreich, hängten Sozialisten in Lille ein Poster auf mit dem Spruch, „Wählt den Betrüger, nicht den Faschisten!“

Dieses Poster spiegelte ungefähr die Stimmung der Öffentlichkeit damals wider. Um die Präsidentschaft konkurrierten der Konservative Jaques Chirac, der gegen Korruptionsvorwürfe kämpfen musste, und der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen, der so ziemlich alles Übel in Frankreich auf Immigranten und Muslime zurückführte.

Heute, über ein Jahrzehnt später, müssen sich Wähler nicht nur in Frankreich, sondern auf beiden Seiten des Atlantiks ähnlich schwierige Entscheidung stellen. Ich weiß, wovon ich spreche. Mein Vater ist Österreicher und meine Mutter Amerikanerin. Ich besitze sowohl die österreichische als auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.

In den vergangenen Wochen habe ich an zwei definitiv uninspirierenden Wahlen teilgenommen – eine in Europa und eine in Amerika. Obwohl die beiden Länder mehrere Tausend Kilometer voneinander entfernt sind, nehmen sie sich nicht viel an Unzufriedenheit, Misstrauen und Dystopie.

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In beiden Ländern sind die Wähler wütend und wollen Veränderung. Die Aussicht der Machtergreifung eines extrem rechten Kandidaten liegt in beiden Ländern sehr nah und ist das Resultat einer tobenden Welle des Nonkonformismus.

In den ist die Entscheidung dafür schon gefallen. In fällt sie heute. Auch hier könnte in einigen Tagen der erste rechtsextreme Kandidat seit dem zweiten Weltkrieg an die Spitze eines westeuropäischen Lands gelangen.

Einer muss immer gewinnen. In den USA war es tatsächlich . Fakt ist aber, dass die Mehrheit der Wähler weder Donald Trump noch haben wollten. Insgesamt haben weniger Wähler gewählt als seit 1996. In Deutschland würde man eine solche Entscheidung eine Wahl zwischen Pest und Cholera nennen.

Für mich war das weit entfernt von dem, was ich 2008 in den USA erlebt habe. Damals lebte ich noch in Washington. Die Amerikaner mussten sich zwischen John McCain, dem unbestrittenen Kriegshelden aus Vietnam, und dem ersten afroamerikanischen Präsidentschaftskandidaten, Barack Obama, entscheiden. Das war inspirierend. Auf dem Cover des „Economist“ war damals zu lesen: „Amerika in Bestform“.

Dieses Jahr sah das Cover des Magazins anders aus. Viele Amerikaner sahen sich gezwungen, sich entscheiden zu müssen zwischen einer korrupten Politikerin aus dem Establishment und einem instabilen populistischen Outsider, der radikale Veränderungen verspricht, die er wahrscheinlich nicht halten kann.

In Österreich ist an diesem Sonntag die Wahl ebenfalls entmutigend. Es soll der österreichische Präsident gewählt werden, eine Rolle, die zwar lediglich zeremoniell ist, aber dennoch einen hohen symbolischen Charakter hat. Es bleibt laut Umfragen extrem knapp zwischen dem rechtsextremen Kandidaten Norbert Hofer von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und den ehemaligen Chef der Grünen, Alexander Van der Bellen.

Keiner von beiden gehört den zwei Parteien der Mitte an, welche die österreichische Politik in der modernen Ära dominiert haben: die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ).


Für die USA ist der Populismus neu

Ähnlich wie in den war auch der österreichische Wahlkampf besonders unangenehm. Eine Debatte zwischen den beiden Kandidaten im Mai verlief kompromisslos. Stellen Sie sich und vor, wie sie sich ohne Moderator anbrüllen, ungehobelt gestikulieren und am Ende über die Frage streiten, welche der jeweiligen Ehefrauen den Wahlkampf mehr unterstützt hat.

Wie viele Amerikaner sind auch die Österreicher vom Status Quo genervt. Die beiden Parteien der Mitte haben das Land mit einer Großen Koalition seit einem Jahrzehnt regiert. Wähler sind die alten ungelösten Probleme, die ineffizienten Lösungen und die immer gleichen Gesichter satt.

Wie in den Staaten schürt die extreme Rechte auch hier Ängste vor Immigration und Globalisierung. Die Arbeitslosigkeit lag im August bei 8,3 Prozent – dem höchsten Stand seit den 1950er-Jahren. Das Land hat Tausende von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten aufgenommen.

Der aufkeimende Populismus in den USA ist im Vergleich zu relativ neu. Die rechtsextreme FPÖ, die ihre Basis im Bundesland Kärnten hat, nahe der slowenischen und italienischen Grenze, hat schon in den 1980ern eine fremdenfeindliche und aggressive Kampagne gegen Einwanderer geführt.

Bis zu seinem Tod 2008 wurde die Partei von Jörg Haider geführt, einem charismatischen Redner, der die von der technokratischen Langeweile der etablierten Parteien überdrüssigen Mengen in seinen Bann zog. Im Jahr 2000 war die FPÖ zur zweitstärksten Partei herangewachsen. Daraufhin tat sich die ÖVP mit ihnen zu einer Koalition zusammen.

Diese politische Verbindung legitimierte die FPÖ in Österreich und brach ein Tabu, nämlich mit einer rechtsextremen Partei eine Koalition einzugehen. Österreich wurde geächtet und die Europäische Union leitete diplomatische Sanktionen gegen das Land ein, die es ihren Diplomaten verbot, sich in Brüssel zu treffen.

Aber die Populisten haben nicht lange durchgehalten. Streitigkeiten haben die FPÖ zerrissen. Ein moderater Flügel formte sich und half den Konservativen, die Regierung aufrechtzuerhalten. Die FPÖ spaltete sich letztendlich. Der radikale Flügel gründete die Allianz für Österreichs Zukunft, die auf dem politischen Erbe von Jörg Haider beruht.

Während ich mich nun auf meine demokratischen Pflichten vorbereite und mir die Auswahl der Kandidaten anschaue, denke ich mir, Europa und die USA sind gar nicht so weit voneinander entfernt, wie viele immer sagen.

KONTEXT

Warum die Wahl in Österreich wichtig ist

1. EU und Ansehen Österreichs in der Welt

Ein Sieg des Rechtspopulisten Norbert Hofer (45) könnte Österreich zu einem Wackel-Kandidaten in der EU machen. Unternehmen fürchten, dass eine extrem europakritische Grundhaltung ihren Geschäften schaden würde. Österreich könnte als Standort an Attraktivität einbüßen. Der Grünen-nahe Alexander Van der Bellen (72) ist ein EU-Anhänger.

2. Zukunft Koalition

Die Koalition von Sozialdemokraten (SPÖ) und Konservativen (ÖVP) hat trotz des propagierten "Neustarts" unter Kanzler Christian Kern (SPÖ) einen schlechten Ruf in der Bevölkerung. Ein Sieg von Hofer, der sich stärker einmischen will, würde die Parteien unter Zugzwang setzen. Eine vorgezogene Neuwahl würde wahrscheinlicher. Ganz anders bei einer Wahl Van der Bellens, der seine Rolle eher klassisch als Landesvater interpretieren will.

3. Signal für bevorstehende Wahlen

2017 und 2018 wählen vier von insgesamt neun Bundesländern ihre Landtage neu. Die bundesweite Nationalratswahl ist bisher für Herbst 2018 geplant. Angesichts der aktuellen Umfragen hat die FPÖ beste Chancen, ihre Stimmenanteile auszubauen. Bundesweit ist sie laut Meinungsforschern die populärste Partei mit rund 34 Prozent. Die Grünen könnten bei einem Sieg Van der Bellens darauf hoffen, ihre bisherige Kernwählerschaft von bisher rund zwölf Prozent auszuweiten.

4. Politikstil und Signal an Rechte

Ein FPÖ-Politiker im höchsten Staatsamt würde die Rechtspopulisten endgültig hoffähig machen. Die SPÖ-Doktrin gegen jede Zusammenarbeit mit der Partei auf Bundesebene wackelt. Die Konservativen haben weit weniger Berührungsängste. Von 2000 bis 2007 gab es bereits eine schwarz-blaue Koalition. Blau ist die Parteifarbe der FPÖ. Der Ton in der Politik würde sich ändern. Moderate und diplomatische "political correctness" wird in diesem Fall weniger gefragt sein denn je. Van der Bellen ist dagegen ein Vertreter der alten Politik-Schule.

5. Migrationspolitik

Van der Bellen ist ein Freund einer offenen, an humanitären Werten ausgerichteten Gesellschaft. Von ihm wären in der Flüchtlingskrise eher mahnende Worte zur Bedeutung der Menschenrechte zu erwarten. Ganz anders Hofer, der die Zuwanderung massiv kritisiert. Würde noch einmal eine solche Situation wie 2015 entstehen, als Tausende Migranten auch durch Überforderung der Behörden unkontrolliert über die Grenze strömten, würde er die Regierung entlassen.

6. Was heißt es für den Sieger und seine Unterstützer?

Sollte Van der Bellen als Ex-Grünen-Chef in die Hofburg einziehen, sind die Grünen deutlich über ihre relativ überschaubares Wählerpotential hinausgewachsen. Das könnte die Ausgangsbasis für künftige Wahlen verbessern. Es ist fast ausgeschlossen, dass es zu einer Neuauflage der rot-schwarzen Koalition kommt. Daher spielen Pläne für mögliche Kooperationen einen wichtige Rolle. Darauf setzt auch die FPÖ.

7. Endlich ein Schlussstrich!

Nach einer einjährigen Hängepartie im Ringen um das höchste Staatsamt kann Österreich endlich wieder nach vorne blicken. Politische Gräben nach dem längsten Wahlkampf aller Zeiten des Landes könnten wieder geschlossen werden. Der neue Präsident wird dazu aber sehr klug auftreten müssen.