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Deutschlands US-Offensive: Dax-Konzerne fahren Investitionen in Nordamerika hoch

Die Tweets des US-Präsidenten zum Handelskrieg mit China haben die Weltwirtschaft in Aufregung versetzt und den Börsenwert der Dax-Konzerne um mehr als 50 Milliarden Euro gedrückt. Bereits Donald Trumps Anordnung, chinesische Waren im Wert von 200 Milliarden Dollar mit einem 25-prozentigen Zoll zu belegen, schürte bei Anlegern Sorgen über eine Eskalation des Handelsstreits.

Und tatsächlich kündigte China am Montag Gegenzölle für Waren aus den USA im Wert von 60 Milliarden Dollar an. Betroffen sind auch deutsche Firmen wie BMW und Daimler, die ihre in den USA produzierten Limousinen nach China ausführen.

Die Antwort der deutschen Konzerne lautet aber nicht Defensive, sondern Offensive: Nach Handelsblatt-Recherchen investieren die 25 Dax-Konzerne mit nennenswertem US-Geschäft aktuell einen zweistelligen Milliardenbetrag, um ihre Kapazitäten in der größten Volkswirtschaft der Welt auszubauen.

Die Deutsche Telekom will 5,7 Milliarden Dollar in ihre US-Mobilfunktochter investieren, Covestro baut in Texas für 1,5 Milliarden Dollar eine Anlage für chemische Vorprodukte – und RWE setzt auf alternative Energien: „Wir wollen in den USA in den nächsten Jahren voraussichtlich mehrere Milliarden Euro in den Ausbau des Geschäfts investieren“, kündigte RWE-Finanzchef Markus Krebber an.

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BMW, Daimler und VW investieren Milliarden in ihre US-Standorte. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass Trump die angedrohten Strafzölle auf europäische Autoimporte nicht erhebt. An diesem Samstag läuft eine mit der EU vereinbarte Frist ab.

Mit einem Umsatzanteil von 22 Prozent waren die USA für die Dax-Konzerne im abgelaufenen Geschäftsjahr der größte Einzelmarkt – sogar vor Deutschland. Daran wird sich auch bei einer Eskalation des Handelskonflikts nichts ändern.

Dabei sind es nicht allein die stetigen Androhungen von Zöllen und Gegenzöllen des US-Präsidenten, die Deutschlands exportstarke Industrie stark belasten. Auch der 2018 im Durchschnitt um fünf Prozent gegenüber dem Dollar gestiegene Euro-Kurs drückte die Vorsteuerergebnisse der 30 Dax-Konzerne gegenüber dem Rekordjahr 2017 um gut drei Prozent auf 130 Milliarden Euro.

Noch weit schwerer wiegen entgangene Aufträge, weil die Unternehmen angesichts der teureren Währung gegenüber ihren amerikanischen Wettbewerbern weniger wettbewerbsfähig geworden sind.

Die Antwort auf all diese Negativeffekte lautet: vor Ort produzieren. Das schafft Arbeitsplätze in den USA, obendrein erhöhen sich die Steuereinnahmen. Beide Effekte darf Trump für sich verbuchen. Ob Handels- und Industriekonzerne oder Dienstleister – Unternehmen aller Branchen setzen derzeit auf Amerika.

Zu groß sind die Verlockungen niedriger Steuersätze in einer boomenden Wirtschaft samt wachsender Bevölkerung. Ökonomen und Wirtschaftsvertreter rechneten vor, dass seit der Senkung der amerikanischen Unternehmensteuern vor gut einem Jahr die nominale Steuerbelastung in Deutschland inzwischen rund 20 Prozentpunkte höher liegt als in den USA. Hinzu kommen Erleichterungen bei Abschreibungen oder für Lizenzeinnahmen für Firmen mit Sitz in den USA.

Telekom setzt weiter auf das Nordamerika-Geschäft

Die Deutsche Post investiert in South Carolina in einen neuen 158.000 Quadratmeter großen Logistikpark, den die Bonner im nächsten Jahr eröffnen wollen. Beim Spezialchemiekonzern Covestro haben Vorstand und Aufsichtsrat den Bau einer neuen, 1,5 Milliarden Euro teuren Produktionsanlage am texanischen Produktionsstandort Baytown beschlossen.

Es ist die größte Einzelinvestition in der Geschichte des vor vier Jahren von Bayer abgespaltenen Unternehmens. Die Anlage zur Herstellung eines Vorprodukts für Hartschäume, wie sie als energieeffiziente Dämmstoffe in Gebäuden und Kühlgeräten gebraucht werden, soll 2024 in Betrieb gehen.

Lanxess, ebenfalls vom Bayer-Konzern abgespalten, will in den nächsten vier Jahren 500 Millionen Euro ausgeben, um seine amerikanischen Werke zu modernisieren und auszubauen. Das Kerngeschäft ist die Spezialchemie und umfasst unter anderem Kunststoffe, Additive und chemische Zwischenprodukte.

„Wir sehen die USA als einen attraktiven Wachstumsmarkt“, stellte Henkels Konzernchef Hans Van Bylen klar, „daher wollen wir gerade her gezielt investieren.“ Der Düsseldorfer Traditionskonzern investiert in diesem Jahr zusätzliche 300 Millionen Euro in seine Marken, Technologien und in die Vermarktung seiner Waschmittel- und Körperpflegeprodukte.

Schwerpunkt ist der US-Markt. 2018 hatten Währungsschwankungen die Erträge mehr als aufgefressen. Hinzu kamen logistische Probleme in den USA, wo Henkel jeden vierten Euro umsetzt. „Das ist jetzt vorüber“, versprach van Bylen auf der diesjährigen Hauptversammlung.

Adidas hat gerade seine erste Speedfactory-Anlage im Ausland fertiggestellt und sich dabei für Cherokee im US-Bundesstaat Georgia entschieden. Hier laufen mit Hightech-Robotern und automatisierter digitaler Technik produzierte Sneaker vom Band, wie sie nach New York und in andere amerikanische Metropolen geliefert werden.

Der Turnschuhhersteller aus Herzogenaurach wächst seit Jahren in Amerika überdurchschnittlich stark und legt deshalb den Hauptfokus auf diesen Markt. Dabei plagt Adidas ein Luxusproblem. Die nach Nike weltweite Nummer zwei bei Sportartikeln kann gar nicht so viel produzieren, wie die Kunden vor allem in den USA nachfragen.

„Wir haben ein Lieferproblem, und wir sind darüber sehr unglücklich“, räumte Vorstandschef Kasper Rorsted bei der jüngsten Quartalsbilanz ein.

Ein Ausweg wäre: mehr Produktion vor Ort, um Engpässe zu vermeiden.

Für die Deutsche Telekom ist die Beteiligung in den USA das Aushängeschild. Die Mobilfunktochter T-Mobile steuert fast die Hälfte des Gesamtumsatzes von knapp 76 Milliarden Euro bei. Mit den Wettbewerbsbehörden verhandeln die Bonner über einen Zusammenschluss mit dem Rivalen Sprint.

Zwar veranschlagt die Telekom weitere Integrationskosten von 15 Milliarden Dollar, doch anschließend erhofft sie sich Synergien und damit Einsparungen im Wert von 43 Milliarden Dollar. Mit Blick auf ihre Breitbandnetze, den Mobilfunk und den neuen ultraschnellen Standard 5G will die Telekom allein in diesem Jahr konzernweit 12,7 Milliarden Euro investieren, davon rund fünf Milliarden Euro in den USA.

„Kurz- und mittelfristig können andere Absatzmärkte die Beschränkungen des US-Handels nicht kompensieren“, urteilt Peter Bartels, Geschäftsführer für die Bereiche Familienunternehmen, Industrien und Digitalisierung beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungshaus PwC. Deutschland ist gesättigt und bietet keine Entfaltungsmöglichkeiten.

Autohersteller investieren kräftig

In China erwirtschaften etliche Unternehmen wie Adidas, Covestro, Infineon und die drei Autobauer zwar hohe Umsätze. Aber in dem asiatischen Boomland gab es zuletzt angesichts stärkerer Beschränkungen seitens der chinesischen Einparteien-Regierung und sinkender Nachfrage der Verbraucher erstmals seit zwei Jahrzehnten keine Zuwachsraten mehr.

Das Potenzial ist erschöpft, die Zeiten zweistelliger jährlicher Umsatzsteigerungen sind vorbei. Und ein neues Boomland vom Kaliber China ist weltweit nicht in Sicht.

Beim Dialyse-Spezialisten Fresenius Medical Care (FMC) entfallen schon jetzt 70 Prozent des Umsatzes auf Nordamerika, davon der Großteil auf die USA. Hier investiert FMC derzeit in den Ausbau der lukrativen Heimdialyse, wozu Trainingszentren, Schulungs- und Vertriebsinfrastruktur zählen. Kein anderes Unternehmen hat sich so sehr der größten Volkswirtschaft verschrieben. Zum siebenköpfigen Vorstand zählen vier Amerikaner, einschließlich des Vorsitzenden Rice Powell.

Am meisten auf Zölle und Protektionismus reagieren die großen deutschen Autobauer. BMW, Daimler und VW erreichten 2018 in den USA einen Umsatz von knapp 100 Milliarden Euro und verkauften dort 1,3 Millionen Fahrzeuge. Davon wurden 700.000 Autos in europäischen Werken hergestellt. Sie verteuern sich mit Zöllen und bei einem hohen Euro-Kurs im Verhältnis zum Dollar. Beide Einschränkungen machen sie weniger wettbewerbsfähig.

Der Ausweg: „Produktion folgt dem Markt“, wie es bei BMW heißt. Konzernchef Harald Krüger erwägt den Bau eines Motorenwerks in den USA, um mehr Einzelteile in den USA zu produzieren und so mehr Wertschöpfung in dem Land zu schaffen. Mindestens 75 Prozent eines Autos sollen in den USA hergestellt werden, um so den drohenden Zöllen zu entgehen.

Volkswagen-Chef Herbert Diess kündigte in der Autometropole Detroit neue Investitionen an seinem amerikanischen Produktionsstandort in Chattanooga an. Für 800 Millionen Dollar soll neben dem 5,6 Millionen Quadratmeter großen Werk ein zweites mit 1000 Arbeitsplätzen entstehen.

Wettbewerber Daimler plant den Bau einer Batteriefabrik nahe dem Großwerk Tuscaloosa, in das der deutsche Autobauer eine weitere Milliarde Dollar investiert, damit hier künftig Elektrofahrzeuge vom Band laufen. Der Zulieferer Continental will von Mississippi aus den wachsenden nordamerikanischen Markt mit Nutzfahrzeugreifen versorgen und investierte deshalb 1,5 Milliarden Dollar in ein 400 Hektar großes Gelände.

Mit ihrer Investitionsoffensive hofft die Branche, Zeit zu gewinnen. Trump droht damit, vom kommenden Samstag an Zölle auf Autoimporte aus der Europäischen Union zu erheben. Noch kann die Frist verlängert oder gar ausgesetzt werden. Investitionen und damit auch neue Arbeitsplätze an den großen amerikanischen Autostandorten sollen zumindest eine Aussetzung dieses Termins bewirken, um weiter verhandeln zu können.

Der US-Markt hat noch viel Potenzial

Doch es geht um mehr. All diese Geschäfte und Investitionen lohnen sich für die Unternehmen, weil der amerikanische Markt nicht nur der größte, sondern auch lukrativ ist – und weil er mehr Potenzial bietet. Genauso wie amerikanische profitieren auch viele deutsche Unternehmen von Trumps Steuerreform und der Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 35 auf 21 Prozent. Für BMW und Daimler ergaben sich vor gut einem Jahr Entlastungen von jeweils gut einer Milliarde Euro.

Schließlich: Amerikas Bevölkerung ist konsumfreudiger, und sie stagniert nicht wie in Deutschland, sondern sie wächst seit vielen Jahren kontinuierlich: allein 2018 um rund 2,5 Millionen auf etwa 330 Millionen Einwohner. All das spüren Konzerne wie Adidas mit ihren Turnschuhen, Henkel und Beiersdorf mit ihren Cremes und Waschmitteln und natürlich die Autobauer mit ihren Sprintern und Limousinen. Einen deutschen Exodus aus den USA wird es deshalb trotz aller geopolitischen Schwierigkeiten nicht geben.

Sogar Thyssen-Krupp setzt wieder auf den US-Markt, trotz schlechter Erfahrungen angesichts des Milliarden-Desasters mit amerikanischen Stahlhütten vor gut einem Jahrzehnt. Der Essener Mischkonzern investiert 300 Millionen Dollar in eine neue US-Zentrale für seine Aufzugsparte.

Die Investitionen „zeigen die hohe Bedeutung dieses Markts für unser Unternehmen“, hebt Peter Walker, Chef der Aufzugsparte des Konzerns hervor: „Unser neuer, hochmoderner Unternehmenssitz in Atlanta ist ein Eckpfeiler dieser Investitionsstrategie.“

Damit beschleunigt sich ein eindrucksvoller Trend: Ob Autos von BMW und Daimler, die dazugehörende Elektronik von Continental oder Medikamente von Bayer – fast alle Unternehmen haben bereits in den vergangenen Jahren ihren Amerika-Anteil erhöht. Für 16 der 25 Dax-Konzerne – Banken und Versicherungen erzielen keine mit Industrieunternehmen vergleichbaren Umsätze – steuert Amerika mehr zum Geschäft bei als Deutschland. Das zeigen Berechnungen des Handelsblatts.

Bayer, SAP, Fresenius Medical Care, Merck, Heidelberg Cement, Linde und Adidas machen sogar mehr als doppelt so viel Umsatz in den USA wie im deutschen Heimatmarkt. Dieser ist den deutschen Großkonzernen im Dax angesichts eines Gesamtumsatzes von 1,3 Billionen Euro im abgelaufenen Jahr längst zu klein geworden. Die USA steuerten 2018 gut 22 Prozent zum Umsatz bei, Deutschland 21 Prozent, gefolgt von China mit 16 Prozent.

Hubert Barth, Deutschlandchef der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, urteilt: „Viele Dax-Konzerne sind inzwischen Weltunternehmen mit Sitz in Deutschland.“ Das ist in Zeiten eines starken amerikanischen Wachstums bei gleichzeitigem Handelskonflikt und einem unberechenbaren Präsidenten Segen und Fluch zugleich. Sicher ist aber eines: Ein Rückzug aus der größten Volkswirtschaft kommt für die Deutschen nicht infrage.