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Deutsche Unternehmen tasten sich an die Vier-Tage-Woche heran

(Bloomberg) -- Kennen Sie unseren Newsletter Fünf Themen des Tages? Abonnieren Sie hier.

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Während Politik und Wirtschaft sich noch zanken darüber, ob Deutschland den wenig ehrenvollen Titel “Kranker Mann Europas” verdient, probieren ein paar Dutzend Unternehmen in den nächsten Wochen einen experimentellen Lösungsansatz: Weniger arbeiten.

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Gewerkschaften drängen schon lange darauf, Arbeitszeiten weiter zu reduzieren. Die Mitarbeiter wären dadurch gesünder, glücklicher und insbesondere produktiver. Ein sechsmonatiges Pilotprojekt mit 45 teilnehmenden Firmen macht jetzt den Praxistest.

Der Stuttgarter Eventplaner SolidSense ist einer davon. Mitgründer Sören Fricke: “Ich bin absolut überzeugt, dass sich das Investieren in ‘new work’ refinanziert, weil es zur Steigerung des Wohlbefindens und der Motivation beiträgt und folglich zu Effizienzsteigerung führt.” Wie die anderen Teilnehmer des Projekts verkürzt SolidSense ab 1. Februar die Arbeitswoche um einen Tag. Das Gehalt bleibt gleich. Sollte die Vier-Tage-Woche funktionieren, wird sie laut Fricke “auf lange Sicht auch nichts kosten”.

Das Projekt verdeutlicht eine breitere Verschiebung auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften, gleichzeitig fordern Arbeitnehmer vieler Branchen angesichts der Inflation höhere Löhne. Auch wollen sie ihre in der Pandemie liebgewonnene Flexibilität und Unabhängigkeit bewahren.

“Die Veranstaltungsbranche hat ein ganz massives Arbeitskräfteproblem seit Corona”, so Fricke. “Wir sehen die Vier-Tage-Woche als Rekrutierungs-Katalysator, obwohl wir aktuell gar kein Bewerberproblem haben. Aber damit das auch so bleibt, müssen wir state of the art bleiben.”

Spannungen zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern zeigen sich derzeit mehr als deutlich und mehr als üblich in Deutschland. Der erneute Streik der deutschen Lokführer zielt auch darauf ab, die Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden zu verkürzen, ohne dass es zu Lohneinbußen kommt. Die Gewerkschaft des Baugewerbes fordert für viele ihrer 930.000 Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung von mehr als 20%.

Einer Umfrage der Industrielobby im vergangenen Jahr zufolge ist die Hälfte der deutschen Unternehmen zumindest teilweise nicht in der Lage, offene Stellen zu besetzen. Die Softwareschmiede SAP verlangt von Bewerbern seit 2022 keinen Hochschulabschluss mehr, und der Wohnkonzern Vonovia hat 2023 Fachkräfte sogar von so fernen Ländern wie Kolumbien angeworben.

Und das Problem verschärft sich noch: Bis 2035 werden mehr als 7 Millionen Menschen in den Ruhestand gehen. Die Geburtenrate und die Zuwanderung kann die alternde Bevölkerung nicht ausgleichen.

“Ich kann mich jetzt entweder darauf einlassen und mich als moderne Firma aufstellen oder ich kann weiter sagen, wir müssen alle mehr arbeiten und habe irgendwann keinen mehr, der für mich arbeitet”, sagte Henning Röper, Geschäftsführer von Eurolam, einem Fensterbauer aus Wiegendorf, der ebenfalls an dem Projekt zur Vier-Tage-Woche teilnimmt. Mit der Mehrarbeit, die durch längere Arbeitstage entsteht, “vergraule ich mir die Stimmung in der Belegschaft”.

Praktische Erfahrungen mit einem Tag weniger je Arbeitswoche gibt es schon in der Bankenbranche. Bei einem Rundruf von Bloomberg News bei Kreditinstituten, die auf Vier-Tage-Wochen für die ganze Belegschaft umgeschwenkt sind, zogen die Chefs eine positive Bilanz. Die Suche nach Fachkräften wird einfacher, die Zufriedenheit der Kollegen steigt und die Betriebskosten sinken, sagen sie.

Unzufriedene Arbeitnehmer haben einen hohen Preis. Laut einer aktuellen Studie des Beratungsunternehmens Gallup kostete geringes Engagement die Weltwirtschaft im vergangenen Jahr 8,1 Billionen Euro — 9% der globalen Wirtschaftsleistung.

Dale Whelehan, Chef der neuseeländischen Organisation 4 Day Week Global, die das Pilotprogramm leitet, sieht sein Programm als Lösung. “Man wird anfangen, einen Dominoeffekt von Verbesserungen in der Wirtschaft zu spüren, weil man innerhalb der Belegschaft ein neues Produktivitätspotenzial erschließen kann”, sagte Whelehan.

Im Rahmen des Pilotprogramms zahlen die Unternehmen ihren Mitarbeitern weiterhin den vollen Lohn und die vollen Sozialleistungen, verkürzen aber die Wochenarbeitszeit um einen Tag. Dank effizienterer Arbeitspläne soll die Produktivität steigen, die Zahl der Arbeitsausfälle aufgrund von Stress, Krankheit und Burnout gleichzeitig sinken. Laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin waren die Deutschen im Jahr 2022 durchschnittlich 21,3 Tage krank, was einem Verlust von etwa 207 Milliarden Euro an Wertschöpfung entspricht.

Befürworter argumentieren auch, dass die Vier-Tage-Woche ungenutztes Potenzial auf den deutschen Arbeitsmarkt bringen könnte, der laut Eurostat den dritthöchsten Anteil an Teilzeitbeschäftigten in der EU hat, auch bei Frauen.

Zudem besteht ein Mangel an Investitionen in Innovation und Digitalisierung. Verbesserungen in diesen Bereichen sind nötig, denn allein die Verkürzung der Arbeitszeit wird keine signifikante Produktivitätssteigerung bewirken, so Enzo Weber, Ökonom am Institut für Arbeitsmarktforschung in Nürnberg.

Was Bloomberg Economics dazu sagt...

“Eine Vier-Tage-Woche könnte zu einer höheren Stundenproduktivität führen, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Produktivitätsschub die reduzierte Arbeitszeit kompensieren kann. Zusammen mit einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung wäre dies ein großes Hindernis für das Wirtschaftswachstum.”

- Martin Ademmer

Finanzminister Christian Lindner hingegen ist ein erklärter Gegner der Vier-Tage-Woche. “Es gibt weltweit und historisch keine Gesellschaft, die ihren Wohlstand dadurch erhalten hat, dass sie weniger arbeitet”, erklärte er vor ein paar Monaten auf LinkedIn.

Doch 4 Day Week Global führt an, dass ähnliche Projekte in den USA und Kanada gezeigt haben, dass Verbesserungen möglich sind. Die teilnehmenden Arbeitnehmer berichteten über eine bessere körperliche und geistige Verfassung, Burnout ist zurückgegangen. Im Anschluss an die Studien plante keines der Unternehmen eine Rückkehr zur 5-Tage-Woche. In Großbritannien erzielte das mit 61 Teilnehmern bislang größte Programm, ähnliche Erfolge. Die Krankheitstage gingen um 65% zurück.

“Wenn ich zu viel Zeit habe, werde ich perfektionistisch. Und das braucht man meistens gar nicht,” sagt Jasmin Galle, eine Designerin bei SolidSense. “Wenn man weniger Zeit hat, schafft man trotzdem dasselbe Ergebnis.”

Belgien ist das erste europäische Land, in dem die Vier-Tage-Woche ab 2022 optional ist, allerdings bleibt die Gesamtzahl der Wochenstunden wie bei einer Fünf-Tage-Woche. Japan hat Unternehmen zu kürzeren Arbeitswochen ermutigt. Die Hoffnung: Menschen sollen die gewonnene Zeit nutzen, um Geld auszugeben und Kinder zu bekommen. Das soll die Wirtschaft ankurbeln und der alternden Bevölkerung entgeggenwirken.

Für Jan Bühren von der Berliner Beratungsfirma Intraprenör steht allerdings fest, dass die Unternehmen Flexibilität und Kreativität einsetzen müssen, um Vorteile aus der Arbeitszeitverkürzung zu ziehen. Intraprenör arbeitet mit 4 Day Week Global an dem Pilotprogramm.

“Es funktioniert natürlich nicht immer und nicht für alle, aber man muss halt eben genau rausfinden, wo es funktionieren kann und wo nicht”, so Bühren.

Überschrift des Artikels im Original:

German Companies Test Four-Day Work Week to Fight Labor Crisis

--Mit Hilfe von Stephan Kahl.

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