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Corona sorgt für eine Lawine an Verpackungsmüll

Lockdown und Homeoffice lassen Deutschlands Abfallberge wachsen. Ein weiteres Dilemma: Es gibt zwar mehr Recyclingmaterial – aber keiner will es haben.

In Zeiten von Corona-Beschränkungen produzieren viele Haushalte deutlich mehr Müll. Foto: dpa
In Zeiten von Corona-Beschränkungen produzieren viele Haushalte deutlich mehr Müll. Foto: dpa

Schon im Mai und Juni schlugen deutsche Bauhöfe Alarm. Die angelieferte Menge Elektroschrott, berichteten die kommunalen Betriebe, habe sich durch Neuanschaffungen für das Homeoffice schlicht verdoppelt.

Kaum anders sieht die Lage beim Altglas aus, dessen Menge nach Angaben von Remondis um rund 20 Prozent nach oben kletterte. „Schuld war eher nicht die Nachfrage nach Spreewaldgurken“, deutet man bei Deutschlands größtem Abfallentsorger an, was viele längst vermuteten: Der Konsum insbesondere alkoholischer Getränke verlagerte sich seit Ausbruch der Pandemie von der Kneipe überwiegend nach Hause.

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In Zeiten von Corona-Beschränkungen produzieren Deutschlands Haushalte vor allem eines: Müll. Allein die Menge an produzierten Faltschachteln, die anschließend meist in der Altpapiertonne landeten, erhöhte sich in den ersten neun Monaten 2020 um 5,3 Prozent. Getrieben wird dies insbesondere durch den Onlinehandel, dem Corona aktuell zu neuen Höchstständen verhilft.

Das Übermaß an Verpackungsmaterial führe in den Papiertonnen zu einem drastischen Anstieg minderwertiger Kartonagen, bemängeln Recyclingbetriebe. Darunter aber leidet nicht nur die Qualität des Eingesammelten, sondern auch der Marktpreis, den Papiermühlen zu zahlen bereit sind. 74,95 Euro pro Tonne waren es Mitte November, fünf Prozent weniger als im Monat zuvor. 2018 hatten Sammler für dieselbe Menge noch 163 Euro erhalten.

Hinzu kommt: Da viele Beschäftigte in den vergangenen Monaten die Kurzarbeit nutzten, daheim auszumisten oder zu renovieren, stieg das Gedränge auf den Recyclinghöfen ins Unermessliche. „Einige Entsorger haben den Betrieb der Höfe zeitweise einschränken müssen“, heißt es in dem jetzt vorgelegten „Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft“, „weil die Abstandsregeln nicht mehr hätten eingehalten werden können.“ Den Statusbericht erstellt die Marktforschungsfirma Prognos regelmäßig im Auftrag von 15 Wirtschaftsverbänden.

615 Kilo Abfall pro Kopf und Jahr in Deutschland

Dem schon vor 30 Jahren propagierten Ziel deutscher Umweltpolitik, die Vermüllung der Bundesrepublik zu zügeln, kommt die Pandemie nun massiv in die Quere. Schon ohne sie wurden die Vorgaben zuletzt allerdings Jahr für Jahr verfehlt. Mit 615 Kilo Siedlungsabfall pro Kopf und Jahr – gemeint sind alle Abfälle aus dem Hausmüll, etwa auch Sperrmüll – schob sich Deutschland 2019 stattdessen fast an die Spitze Europas. Belgien dagegen produziert ein Drittel weniger, Polen sogar nur die Hälfte.

Dabei leidet nicht nur die Umwelt unter den Lockdown-bedingten Folgen. Auch die Kreislaufwirtschaft, die auf Wiederverwertung setzt – wenn man schon das Wegwerfverhalten nicht in den Griff bekommt –, erlebt durch Corona einen herben Rückschlag.

Sie galt zuletzt als Boomsparte der Abfallbranche. Allein zwischen 2010 und 2017 stieg hier der Umsatz um 23,8 Prozent auf 35,7 Milliarden Euro, wie Prognos ermittelte. 136.000 Mitarbeiter sind heute im Segment „Abfallbehandlung und Verwertung“ beschäftigt, 2010 waren es gerade einmal 124.500.

Doch nun trifft die Krise insbesondere die Kunststoff-Verwerter hart. „Durch die deutliche Reduzierung des Erdölpreises aufgrund der globalen wirtschaftlichen Entwicklung“, heißt es im Statusbericht, „ist der Einsatz von Primärware für die Kunststoffherstellung günstiger als der Einsatz von Rezyklaten.“ Im Klartext: Warum wiederverwertete Kunststoffe benutzen, wenn es günstiger ist, sie neu herzustellen?

So zahlen Plastikhersteller aktuell für neue Erdöl-Vorprodukte nur halb so viel wie noch vor zwei Jahren, zeitweise sank der Rohölpreis im Frühjahr sogar auf einen Wert unter null. Die aus Altplastik gewonnenen Granulate, berichtet Martin Faulstich, Professor an der Technischen Universität Dortmund, seien deshalb kaum noch gewinnbringend zu verkaufen.


Die Recyclingbranche stürzt das in ein Dilemma. Denn mit einigem Erfolg sorgt seit zwei Jahren die „Zentrale Stelle Verpackungsregister“ (ZSVR) mit 45 Vollzeitmitarbeitern dafür, dass Altverpackungen zur Wiederverwendung immer geeigneter werden.

Zum einen entwickelte die öffentlich-rechtliche Stiftung aus Osnabrück einen Design-Katalog, um recycelfähige Verpackungsarten von ökologisch unbrauchbaren zu trennen. Der Schlachtereikonzern Tönnies etwa verbesserte nach solchen Vorgaben mit seinem Verpackungslieferanten Maag die eigenen Verkaufsschalen, der „Frosch“-Hersteller Werner & Mertz überarbeitete die zuvor kaum recyclingfähigen sogenannten Standbodenbeutel, die ein größeres Füllvolumen haben als flache Beutel. Zudem änderten viele Konsumgüterhersteller die Aufkleber ihrer Kunststoffflaschen, um sie in Sortieranlagen besser identifizierbar zu machen.

Zum anderen installierte die ZSVR ein öffentlich zugängliches Melderegister, mit dem kontrollierbar wird, welche Hersteller sich gesetzeswidrig vor der Verpackungsrücknahme drücken. 2019 schaffte es Deutschland damit, den werkstofflichen Recyclinganteil bei gebrauchten Kunststoffverpackungen von gut 50 auf 58,5 Prozent zu heben. Ab 2022, so sieht es das Verpackungsgesetz vor, müssen sogar 63 Prozent erreicht werden.

Aldi, Lidl und Kaufland helfen sich selbst

Der hohe Aufwand aber steht nun – zumindest wirtschaftlich – infrage. „Die steigenden Verwertungsquoten lassen einen starken Anstieg von Rezyklatmengen erwarten“, heißt es im aktuellen Statusbericht, „für die es derzeit keine ausreichenden Absatzmöglichkeiten gibt.“ Es gibt also mehr wiederverwertete Kunststoffe, aber keiner will sie haben.

2019 lag der Anteil von Recycling-Granulaten an der Kunststoffherstellung gerade einmal bei 13 Prozent, wie das Umweltbundesamt berichtet – wovon außerdem nur die Hälfte aus Altverpackungen stammte. Aus Sicht von Prognos-Direktor Jochen Hoffmeister eine entmutigende Quote. „Eine signifikante quantitative Änderung haben wir seit Jahren nicht mehr beobachtet“, bemängelt er.

Gleich zwei deutsche Handelsriesen schreiten daher nun mitten in der Coronakrise zur Selbsthilfe. Die Neckarsulmer Schwarz-Gruppe, Mutter der Supermarktketten Lidl und Kaufland, griff über ihre Entsorgungstochter Prezero Mitte September nach Wiederaufbereitungsbetrieben, die der französische Suez-Konzern zum Verkauf gestellt hatte. „Prezero wird damit inhäusig zum Verwerter von Altverpackungen und kann die wiedergewonnenen Kunststoffe für seine Eigenmarken-Verpackungen nutzen“, erwartet eine Brancheninsiderin.

Wettbewerber Aldi – Nord und Süd in ungewohntem Schulterschluss – wird diesem Beispiel wohl bald folgen. Der Discounter verbündete sich Ende Oktober mit dem Verpackungsentsorger Eko-Punkt, einer Tochter des im Recyclinggeschäft erfahrenen Abfallriesen Remondis. An Eko-Punkt will sich Aldi Brancheninformationen zufolge künftig mit 49 Prozent beteiligen.

Für Remondis-Geschäftsführer Herwart Wilms steht dabei mehr auf dem Spiel als die hohen Investitionen in Sortier- und Recyclinganlagen. „Ohne vollständig geschlossene Produktionskreisläufe“, warnt er, „lässt sich das von der EU gesetzte Klimaziel nicht erreichen.“

Das aber rückt – nun verstärkt durch die Coronakrise – immer weiter außer Sicht. So bemängelt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seinem Umweltgutachten 2020, dass „die etablierten Instrumente der Kreislaufwirtschaft in Deutschland bislang nicht in der Lage sind, eine echte Kreislaufwirtschaft zu etablieren“.

Der Ruf nach staatlichen Eingriffen wird deshalb lauter. „Bund, Länder und Kommunen verfügen über ein direktes Beschaffungsvolumen von jährlich mehr als 122 Milliarden Euro“, sagt Eric Rehbock, Hauptgeschäftsführer Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE). Würden ihre Behörden Recyclingprodukten den Vorrang gewähren, hätten sie es in der Hand, „der Kreislaufwirtschaft den entscheidenden Impuls zu geben“.

Peter Kurth, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE), fordert darüber hinaus gesetzliche Regeln. „Wer Kreislaufführung bei Kunststoffen will, kommt an Instrumenten wie Mindesteinsatzquote künftig nicht vorbei.“

Die soll es auch im veränderten deutschen Verpackungsgesetz geben, wenn es nach Bundesumweltministerin Svenja Schulze geht. Ab 2025, so steht es in ihrem am 11. November vorgelegten Referentenentwurf, sollen PET-Flaschen zu mindestens einem Viertel aus Rezyklat bestehen.

Doch dies scheint ambitionierter, als es in Wahrheit ist. Anders als die meisten anderen Kunststoffe gilt das durchsichtige Plastik schon heute als beliebtes Recyclingprodukt und wird, so ermittelte das Marktforschungsinstitut Conversio Market & Strategy, aktuell zu 93 Prozent wiederverwertet. Ein Drittel davon übrigens bei der Produktion neuer PET-Flaschen.