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Wider die US-Dominanz: Bundesregierung treibt den Aufbau einer Europa-Cloud voran

Sicherheitsbedenken gegen US-Konzerne lassen die Bundesregierung aktiv werden. Ziel ist eine europäische Cloud – und damit digitale Selbstbestimmung.

Die Bundesregierung treibt den Aufbau einer europäischen Cloud voran. Hintergrund der Pläne sind vor allem Sicherheitsbedenken gegen die dominierenden US-Anbieter von internetbasierten IT-Diensten.

„Wir können nur mit solchen Anbietern zusammenarbeiten, die unsere Sicherheitsvorgaben einhalten und damit unsere digitale Souveränität gewährleisten“, sagte Innenminister Horst Seehofer (CSU) mit Blick auf die bestehenden Risiken bei der Nutzung von Cloud-Diensten dem Handelsblatt.

Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) setzt sich für eine Europa-Cloud als Alternative zu den amerikanischen Wettbewerbern ein. „Die europäische Wirtschaft benötigt dringend verlässliche Datensouveränität und breite Datenverfügbarkeit“, sagte Altmaier dem Handelsblatt. „Das ist eine ganz konkrete Frage der Wettbewerbsfähigkeit, allem voran unseres Mittelstands.“ Das Wirtschaftsministerium arbeite vor diesem Hintergrund „mit Hochdruck an einem Umsetzungsvorschlag“, sagte der CDU-Politiker.

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Mit welchen Gefahren das Cloud-Computing aus Sicht des Bundesinnenministeriums verbunden ist, zeigt beispielhaft ein Vorfall vom 28. Februar 2017. Damals hatte ein Softwaretechniker von Amazons Cloud-Tochter AWS mit einer Fehleingabe eine Art Kernschmelze im Internet ausgelöst: Zahlreiche Server fielen aus.

Mehrere Stunden waren Websites, die die Infrastruktur nutzen, nicht zu erreichen, darunter bekannte Namen wie Nike, Target und Business Insider. Schätzungen zufolge entstand ein Schaden in dreistelliger Millionenhöhe.

Auch wenn AWS als zuverlässig gilt: Immer wieder kommt es zu Ausfällen bei Cloud-Anbietern. Erst zu Jahresbeginn etwa war Amazons Wettbewerber Microsoft betroffen. Der Dienst „Microsoft 365“ funktionierte zeitweise nicht mehr, Kunden hatten auf ihre Daten keinen Zugriff, einige Datensätze gingen verloren. Für das Bundesinnenministerium machen beide Fälle die „Risiken bei der Verfügbarkeit von Cloud-Diensten und darin gespeicherten Daten“ deutlich.

Und die Risiken der Cloud-Technologie sind noch größer, wenn man sie in einem politischen Kontext bewertet. Aus Mangel an einer marktgängigen europäischen Alternative vertrauen viele deutsche Unternehmen ihre Daten Anbietern an, die diese im Zweifelsfall mit ausländischen Sicherheitsorganen teilen müssen.

So unterliegen die US-Konzerne Amazon, Microsoft, Google und IBM den Bestimmungen des „Cloud Act“ der Vereinigten Staaten, der nach Einschätzung des Innenministeriums „US-Behörden weitreichende Zugriffe“ auf gespeicherte Daten einräumt – selbst dann, wenn diese nicht physisch in den USA gespeichert sind.

Noch weniger vertrauenerweckend ist das Angebot des chinesischen IT-Konzerns Alibaba. Denn nach Einschätzung der Bundesregierung kann die Kommunistische Partei mit dem Verweis auf nationale Sicherheitsinteressen jedes chinesische Unternehmen anweisen, Kundendaten preiszugeben.

Die Cloud wird oft als virtuelles Lagerhaus beschrieben, in dem Daten aufgehoben werden. Heute handelt es sich allerdings eher um eine Fabrik, die IT-Dienste aller Art bereithält: Unternehmen können damit schnell Prototypen entwickeln, effizient Daten austauschen, neue Erkenntnisse gewinnen.

Das ist für Entwickler attraktiv, weil sie auf diese Angebote per Mausklick zugreifen können, also ohne eigenes Rechenzentrum – und für die Finanzvorstände, weil sie keine Investitionen freigeben müssen, sondern nur für die genutzten Kapazitäten zahlen.

Bei der digitalen Transformation spielt die Cloud inzwischen eine entscheidende Rolle. Ob für vernetzte Fabriken wie bei Volkswagen, intelligente Stromzähler wie bei Eon oder eine E-Commerce-Plattform wie bei Metro: Die Plattformen helfen dabei, Daten auszutauschen und zu analysieren, und zwar fast in Echtzeit. Für die Anbieter, vor allem Amazon-Tochter AWS und Microsoft, ist daraus ein Milliardengeschäft geworden.

„Bedeutendster Rohstoff der Zukunft“

Da die Cloud in der Wirtschaft eine immer größere Rolle spielt, sind Unternehmenskunden besonders darauf angewiesen, dass die Angebote sicher sind – vor technischen Störungen genauso wie vor Hackern und Schnüfflern. Doch europäischen Unternehmern und Politikern wird zunehmend bewusst, dass sie in prekäre wirtschaftliche und außenpolitische Abhängigkeiten geraten, wenn sie ihre Anstrengungen, eigene IT-Dienstleistungen anzubieten, nicht deutlich erhöhen. Daten sind auf dem Weltmarkt längst zur einer Schlüsselressource geworden.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier bezeichnet sie als „den bedeutendsten Rohstoff der Zukunft“. Und wer Daten verwaltet, kann Macht ausspielen.

Auch im Innenministerium hat sich diese Erkenntnis durchgesetzt. „Die digitale Souveränität wird in der Zukunft für Deutschland und Europa immer wichtiger“, sagte Innenminister Seehofer dem Handelsblatt.

Erst vor ein paar Tagen hat die EU-Kommission ein Strategiepapier zu genau diesem Thema veröffentlicht. „Wer digitale Technologien kontrolliert, wird im 21. Jahrhundert zunehmend in der Lage sein, ökonomische, gesellschaftliche und politische Entwicklungen zu bestimmen“, heißt es darin. Und die EU laufe Gefahr, in diesem Rennen ins Hintertreffen zu geraten.

Das Bundesinnenministerium teilt diese Sorge, gerade mit Blick auf die Cloud. „Die marktgängigen Angebote in diesen Bereichen kommen derzeit noch zu selten aus Deutschland oder Europa“, stellt das Ministerium fest.

Daher sei es wichtig, „unsere digitale Souveränität in diesem Feld“ zu stärken. Für Deutschland, so die Analyse der Innenressorts weiter, sei dies „eine besondere Herausforderung“, da „die deutsche Wirtschaft von vielen mittelständischen Unternehmen geprägt ist, die auf Anbieter im Bereich Cloud-Speicher, aber auch für Datenanalyse und -auswertung angewiesen sind“.

Aus diesem Grund verspricht Wirtschaftsminister Altmaier, den Aufbau europäischer Cloud-Dienste voranzutreiben. „Wir müssen einerseits Angebote machen für Unternehmen, die ihre Daten sicher und verlässlich speichern wollen, mit einem hohen Niveau an Datenschutz für alle Beteiligten“, sagte er dem Handelsblatt. „Und wir müssen andererseits für diejenigen, die Daten tauschen oder gemeinsam nutzen möchten, ein vitales Ökosystem aufbauen, das von Start-ups über kleine und mittelständische Unternehmen bis zur Industrie alle Wirtschaftszweige miteinander verknüpft.“

Auch die Wirtschaft sieht Handlungsbedarf

Auch die deutsche Wirtschaft sieht Handlungsbedarf. „Für die Industrie ist die Sicherung ihrer Technologieführerschaft und damit digitale Datensouveränität unabdingbar“, betont Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Familienunternehmer-Verbands. „Dies macht europäische Cloud-Anbieter als Dienstleister für eine europäische Cloud besonders attraktiv. Denn durch europäische Rechtsnormen ist der Schutz vor dem Zugriff von Geheimdiensten und Staatsparteien auf die Cloud-Speicher wirksamer als bei den bisherigen Großanbietern.“

Ähnlich äußert sich Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Er mahnt Altmaier zugleich aber, es mit seinem industriepolitischen Gestaltungsdrang nicht zu übertreiben. „Um in Zukunft die Wertschöpfung in Deutschland und Europa zu erhalten und den Datenschutzanforderungen gerecht zu werden, wäre eine europäische Alternative an sich wünschenswert“, so Brodtmann. „Eine Europa-Cloud, die den Unternehmen Datenschutz, Datensicherheit und den Schutz ihres Know-hows gewährleistet, könnte eine Lösung sein.“ Sie dürfe aber nicht zu einer Subventionsmaschine ausarten.

Die Umsetzung der Regierungspläne zur Stärkung der digitalen Souveränität Europas befindet sich noch im Frühstadium. Das Wirtschaftsministerium ist mit mehreren Unternehmen im Gespräch. Dabei geht es zunächst nicht um finanzielle Förderungen, sondern darum, dass die Regierung einen konzeptionellen Anstoß gibt und sich an die Spitze einer Bewegung setzt.

US-Konzerne dominieren den deutschen Markt

Bisher wird der deutsche Markt von US-Konzernen dominiert. „Wer die reine Infrastruktur benötigt, hat zwar auch in Europa einige Auswahl“, sagt René Büst, Analyst beim Marktforscher Gartner – Rechenleistung und Speicherplatz bekomme man beispielsweise auch bei 1 & 1 Ionos, der Deutschen Telekom oder Spezialisten wie Gridscale und Exoscale. Bei Plattformdiensten, die darüber hinausgehen, seien die großen Cloud-Anbieter wie Amazon und Microsoft, im Fachjargon „Hyperscaler“ genannt, der Konkurrenz jedoch weit voraus.

Gerade diese Angebote, mit denen Entwickler beispielsweise Daten analysieren, Apps entwickeln oder Roboter steuern können, machen aber oft den Unterschied. Das stelle Kunden häufig vor eine schwierige Wahl, beobachtet Analyst René Büst: „Mit den großen Anbietern kommen Unternehmen durch den Einsatz von proprietären Plattformdiensten schneller zum Ziel, begeben sich aber in eine Abhängigkeit.“

Dass andere IT-Anbieter diesen Vorsprung aufholen können, hält Büst für unwahrscheinlich: „Eine gleichwertige Plattform aufzubauen ist nahezu unmöglich – dafür haben die Konzerne zu viel investiert.“ Milliarden von Dollar investieren sie jedes Jahr in Infrastruktur und Köpfe. Allenfalls bestehe eine Möglichkeit, Spezialanwendungen zu entwickeln, beispielsweise für bestimmte Branchen. Allerdings wächst auch hier die Konkurrenz: „Die Konsortien von Volkswagen und AWS sowie BMW und Microsoft zeigen, dass die Hyperscaler auch die Nischen besetzen wollen.“

Cloud Act steht im Widerspruch zur DSGVO

Allerdings könnte die Gesetzgebung das Geschäft erschweren. Der sogenannte „Cloud Act“, kurz für „Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act“, der USA gilt seit März 2018. Das Gesetz regelt die Nutzung von Daten, die US-Internetfirmen und IT-Dienstleister im Ausland speichern – nicht nur Cloud-Anbieter übrigens, wie der Name denken lassen mag. Zuvor war es für amerikanische Behörden schwierig oder zumindest langwierig, legal an Informationen zu gelangen, die außerhalb der USA gespeichert waren.

Nur steht der Cloud Act im Widerspruch zur europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): Diese sieht vor, dass Daten nur dann an Behörden von Ländern außerhalb der EU herausgegeben werden dürfen, wenn es eine internationale Übereinkunft mit der Union oder einem Mitgliedstaat gebe, zum Beispiel ein Rechtshilfeabkommen. Zwischen Brüssel und Washington gibt es jedoch keine solche Vereinbarung.

Ohne ein neues internationales Abkommen sei „eine rechtmäßige Übermittlung der Daten unmittelbar an die ersuchende Sicherheitsbehörde“ in den USA auf Grundlage des Cloud Act nur „in sehr engen Grenzen möglich“, erklärte daher Anfang Juli der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) in einer ersten Bewertung. Dessen Wort hat Gewicht: Das Gremium besteht aus Vertretern der nationalen Datenschutzbehörden und dem Europäischen Datenschutzbeauftragten.

Für den Rechtsanwalt Michael Kamps, Partner bei der Kanzlei CMS Hasche Sigle in Köln, handelt es sich um einen „Clash of Legal Cultures“: Sowohl die USA mit dem Cloud Act als auch Europa mit der DSGVO beanspruchten für ihre Gesetze extraterritoriale Geltung. Das stelle international tätige Firmen vor große Herausforderungen: Sie müssten im Ernstfall das Gesetz in einem Rechtsraum brechen.

Die Warnungen der Politik vor US-Cloud-Diensten hält der Jurist daher teils für „wohlfeil“, bisher werde die Wirtschaft alleingelassen: „Es ist nicht die Aufgabe der Unternehmen, den Konflikt zu lösen, sondern der Regierungen und Verwaltungen.“