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Berlin allein reicht nicht – Warum Deutschland mehr Standorte für Start-ups braucht

Seit Fritz Langs Science-Fiction-Klassiker „Metropolis“ aus dem Jahr 1927 sind die Filmstudios von Babelsberg wohl der Ort in Deutschland, an dem kühner Futurismus Wirklichkeit wird. Über 90 Jahre entstehen hier keine Visionen von Maschinenmenschen, sondern virtuelle Räume.

In einem 170 Quadratmeter großen Studio auf dem Gelände des Studio Babelsberg steht das erste kommerziell nutzbare Studio Deutschlands für volumetrische Aufnahmen. Es ist ein runder Raum in der Mitte einer Halle, der so hell erleuchtet wird, dass es beim Betrachten in den Augen schmerzt. Hier sollen dreidimensionale Aufnahmen entstehen, in denen zum Beispiel Schauspieler durch virtuelle Welten transportiert werden können.

Es ist der ganze Stolz des Digital Hubs Potsdam, der sich der Medientechnologie gewidmet hat. Potsdam ist einer von zwölf Standorten in Deutschland, die Teil der Digital-Hub-Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums sind. Ziel ist es, ein Netzwerk zu schaffen, das die Innovationskultur in Deutschland fördert.

Die zwölf Hubs sind über das ganze Land verteilt – und haben immer einen eigenen Schwerpunkt. Während sich Potsdam der Medientechnologie verschrieben hat, sitzen in Köln etwa Insurtechs, die sich auf die Digitalisierung des Versicherungsgeschäfts spezialisiert haben. In München wiederum setzen junge Unternehmen auf Mobilität, in Karlsruhe auf Künstliche Intelligenz und in Dortmund auf Logistik.

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Es ist ein Versuch Deutschland bei digitalen Geschäftsmodellen nach vorne zu bringen und das Start-up-Ökosystem zu fördern. Manch ein Kritiker sieht darin eher eine planwirtschaftliche Start-up-Förderung. Befürworter halten dagegen: Deutschland brauche das Netzwerk, um bei Innovationen nicht den Anschluss zu verlieren. Was stimmt also? Ein Ortbesuch bei den digitalen Hubs liefert Antworten.

In Babelsberg steht Sven Bliedung im volumetrischen Filmstudio und zeigt auf die Wände, hinter denen 32 Kameras angebracht sind: „Ähnliche Studios gibt es bislang nur in Los Angeles, London und San Francisco, wir schaffen hier einen riesigen Standortvorteil“, sagt der Chef von Volucap. Das Start-up ist Betreiber des Studios, dahinter stecken Konzerne wie ARRI, die Fraunhofer-Gesellschaft, das Studio Babelsberg, Interlake und die UFA.

Was bislang aufwendig am Computer nachgebaut werden müsse, könne nun in Echtzeit dreidimensional eingescannt werden, erklärt Bliedung. „Das ist nicht nur für die Filmindustrie von Bedeutung, sondern auch für die Hersteller von Videospielen, Museen, Shopping-Portalen oder E-Learning-Plattformen, die auf virtuelle Realität setzen.“

Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Medizin. Einer der Gesellschafter von Volucap ist der Filmgerätehersteller ARRI – der steckt sein Know-how mittlerweile auch in digitale Operationsmikroskope. Auch in der Medizin soll Volucap zum Einsatz kommen, erklärt Bliedung. „Virtuelle Realität ist für die Medizin ein riesiger Markt, zum Beispiel in der Vorbereitung von komplizierten Operationen und dem Training der Ärzte.“

Volucap erstelle keine künstlichen Avatare, sondern eine realistische Abbildung des echten Menschen, sagt Bliedung. „Das ist für viele Industrien interessant.“

Es ist die Vernetzung von Industrie und neuen Technologievorreitern, die den besonderen Vorteil der Initiative ausmachen, betont Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. Sie sitzt im Beirat der Hub-Initiative zusammen mit Bitkom-Chef Bernhard Rohleder, Investor Klaus Hommels, Siemens-Managerin Janina Kugel oder Familienunternehmer Maximilian Viessmann.

„Es lohnt sich, Kompetenzen an Standorten zu bündeln, an denen es das Know-how seit Generationen gibt“, sagt Plöger. Die Hubs hätten sich ja nicht aus einer Laune heraus beworben und den Zuschlag bekommen, sondern besäßen eine gewachsene Struktur, auf die sie aufbauen.

So wie etwa in Dortmund. In Uni-Nähe sitzt das Fraunhofer-Institut für Logistik und Materialfluss, das zusammen mit dem Effizienzcluster und dem Duisburger Hafen die Träger des Digital Hubs Logistik bildet.

Auf den ersten Blick verbreitet hier kaum etwas hippes Start-up-Gefühl oder Tech-Aufbruchstimmung. Das Gebäude des Fraunhofer Instituts hat mit seinem Plastiknoppen-Boden und verblichenen Fotografien an den Wänden eher etwas von einem Verwaltungsgebäude.

Doch der Schein trügt eben manchmal: Die Versuchshallen des Instituts dienen als Werkstatt für Start-up-Gründer, in denen sie ihre Geschäftsmodelle in passenden Umgebungen austesten oder mit Hilfe eines 3D-Druckers Prototypen herstellen können.

Drohnen statt Gabelstapler

Eines der hier ansässigen Start-ups ist Doks Innovation. Die Gründer Martin Fiedler und Benjamin Federmann nutzen Drohnen in der Lagerlogistik. Was früher einmal Menschen aufwendig mit Gabelstablern bewerkstelligen mussten, erledigen jetzt Fluggeräte, erklärt Federmann: „Unsere Software sammelt und verarbeitet Daten über den Warenbestand.“

Die Drohne könne zum Beispiel Regale abfliegen und erkenne auf Basis der Sensordaten auch, ob mit den gelagerten Produkten alles in Ordnung sei, erklärt er. „Sie kann auch die Temperatur oder die Luftfeuchtigkeit messen und so ein genaues Bild über den Warenbestand liefern.“ Pilotkunden sind neben Automobilherstellern und -zulieferern bereits Rigterink und weitere Kontraktlogistikunternehmen.

„Hier hat sich rund um das Institut, die Technische Universität und den hier ansässigen Unternehmen eine gewaltige Digitalexpertise angesammelt – mit dem Hub wollen wir einen Zugang dazu schaffen“, meint auch Thorsten Hülsmann, Chef des ebenfalls ansässigen Effizienzclusters. Der Cluster will ein Netzwerk bilden, in dem sich Start-ups und Unternehmen miteinander verbinden, erklärt er.

„Logistik ist hier in der Region mit seinen Häfen und Mittelständlern ein wichtiges Thema, das die Digitalisierung völlig umkrempelt.“ Der Effizienzcluster bietet Start-ups zudem den Raum in einer frühen Phase das eigene Geschäftsmodell aufzusetzen. Schwerpunkt des Hubs sind allerdings „Start-ins“, also ausgelagerte Digitalteams von Unternehmen, die unter Start-up-Bedingungen arbeiten sollen. Einer der ersten Industriepartner des Hubs war der Maschinenbauer Beumer.

In den Digital Hubs zeige sich der deutsche Zwang zum Föderalismus, sagen Kritiker der Initiative. Start-ups hätten ihren natürlichen Platz in Berlin. Beiratsmitglied Plöger will das nicht gelten lassen. „Zentralisierung war und ist in Deutschland wenig ausgeprägt, Wissen und Sachverstand findet sich hierzulande in der Fläche.“

Mit seiner gewachsenen Struktur von Familienunternehmern, Mittelstand und Unternehmen in den Regionen sieht Plöger eine große Chance für Start-ups und digitale Geschäftsmodelle. „Diese Struktur kann der große Standortvorteil Deutschlands werden.“ Für Plöger ist der Erhalt der Strukturen nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern auch gesellschaftlich geboten. „Es geht darum, dass sich Regionen nicht aufspalten in Gewinner und Verlierer der digitalen Zukunft.“

Ein Standort, der lange als Verlierer galt, ist die Stadt Leipzig. Mitte der 1990er-Jahre noch Wendenverlierer, gilt „Hypezig“ mittlerweile als das nächste Berlin. Mit Porsche, Amazon oder dem DHL-Luftfahrtdrehkreuz am Flughafen ist wirtschaftlicher Aufschwung in die Stadt zurückgekehrt.

Neue Gründerzeit im Osten

In den ehemaligen Baumwollspinnereien der Stadt hat das Spinlab seinen Sitz. Der Accelerator der HHL Leipzig Graduate School of Management, der traditionsreichen Handelsschule, hat bislang über 40 Millionen Euro an Finanzierungsmittel eingesammelt und seit der Gründung 2015 über 50 Start-ups unterstützt. Er ist Koordinator des Digital Hubs Smart Infrastructure.

Geschäftsführer Eric Weber verweist auf die lange Tradition der Stadt im Bereich Daseinsfürsorge – also etwa bei der Energie- und Gasversorgung. „Heute müssen wir diesen Bereich im Zuge der Digitalisierung völlig neu denken.“ Unterstützer des Hubs ist daher zum Beispiel auch der in der Stadt ansässige Gaskonzern VNG. Der investierte zuletzt auch in Rhebo Systems, ein Start-up, das in den ehemaligen Fabrikräumen des Spinlabs sitzt.

Rhebo Systems hat sich auf die Sicherung von kritischer Infrastruktur spezialisiert. Es entwickelt Hard- und Software, die die Datenströme von Steuerungssystemen etwa in Kraftwerken überwachen und so zum Beispiel erkennen können, wenn sich Unbefugte Zugang zu den Systemen verschaffen wollen.

Für Spin-Lab Chef Weber ist Rhebo ein Beispiel, wie alte und neue Industrie zusammen kommen: „Keine Seite kommt ohne die andere aus – und wir können hier für smarte Infrastruktur Kompetenz bündeln.“

Auch der Technologiekonzern Dell ist Technologiepartner des Spinlabs. Man wolle am Standort Start-ups fördern, die sich auf den Themenbereich Digital City, also die vernetzte Stadt, konzentrierten, erklärt Vice President und General Manager Sanjay Tyagi, der zudem den Dell-Standort in Halle (Saale) leitet. „Das reicht von Workshops mit Dell-Experten bis hin zum Bereitstellen von IT-Infrastruktur, anhand derer Geschäftsmodelle und Konzepte getestet werden können.“

Auch Tyagi bemerkt den Aufschwung in der Region. „Als Dell vor zehn Jahren seine Niederlassung in Halle eröffnet hat, war das wirklich noch ganz anders.“ Tyagi glaubt deshalb auch an die Digital-Hub-Initiative: „Jeder Standort in Deutschland hat traditionell eine sehr eigene Spezialisierung und Vorteile – das müssen wir bewahren.“

Das findet auch Spinlab-Chef Weber: „Es sollte doch im Zuge der Digitalisierung nicht auf einmal zentralistische Strukturen wie in Frankreich oder London geben.“ Berlin sei eben nicht der einzige Standort in Deutschland, der für Start-ups interessant sei, glaubt er.

Und noch etwas spricht für eine föderale Start-up-Struktur: „Die Mieten sind in Leipzig noch deutlich günstiger, das kann für Gründer, die ja immer aufs Geld achten müssen, auch ein Standortvorteil sein“, ergänzt Weber.