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Angriff auf die Fleisch-Industrie

Kranke Nutztiere - Angriff auf die Fleisch-Industrie

Liebe Leser, das Gute vorweg: Sie tragen keine Schuld daran, dass die Tiere, die Sie essen, vorher so leiden mussten. Als Konsument können Sie es kaum besser wissen, denn Sie werden systematisch getäuscht. Das schreibt zumindest der Autor Matthias Wolfschmidt in seinem Aufsehen erregenden Buch “Das Schweine-System” (S. Fischer Verlag), mit dem er gerade für mächtig Wirbel sorgt. Viele großen Zeitungen und Zeitschriften berichten darüber.

So stark geriet die Fleisch-Industrie seit 2010 nicht mehr unter Druck, als vor allem das Buch “Tiere essen” von Jonathan Safran Foer für Aufregung sorgte. Über Monate hinweg wurde über die “Produktionsbedingungen” der Nutztiere gesprochen. Hunderttausende Menschen wurden zu Vegetariern oder Veganern.

Kaum jemand hat derart viele Fakten über das Thema Nutztierhaltung zusammengetragen wie Wolfschmidt. Sein Buch ist gründlich recherchiert, polemikfrei geschrieben und gleichermaßen voll mit Vorschlägen, wie es besser gehen könnte. Der stellvertretende Geschäftsführer von Foodwatch hat verstanden, dass es nicht reicht, “nur” an das Gewissen der Konsumenten zu appellieren, wenn man die Mehrheit von ihnen erreichen will: Bilder und Tatsachenberichte von gequälten Tieren gibt es schließlich genug für alle, die gewillt sind, sie zu ertragen. Wolfschmidt zeigt nicht “nur” das Leid der Nutztiere, er weist vielmehr auf ihre enorm hohe Krankheitsrate hin. Das hat zwar keine beweisbaren direkten Auswirkungen auf den Menschen, der die Tiere isst oder ihre Milch trinkt, aber richtig wohl dürfte kaum einem Konsumenten dabei sein.

Parallel zur Veröffentlichung des Buches hat Foodwatch eine Studie vorgestellt, die Fakten darstellt, wie “krank” unser Essen ist. So kämen vier von zehn Eiern von Hühnern, die schon einmal Knochenbrüche erlitten haben. 25 Prozent der Produkte stamme von einem kranken Nutztier, so Foodwatch. Die Liste der Krankheiten ist seriös dokumentiert und zu lang, um sie hier im Detail zu erörtern. Und dabei hat Wolfschmidt nur Rinder, Schweine und Hühner im Fokus - all die Puten, Gänse, Ziegen, Schafe und so weiter gäbe es ja auch noch.

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Zwar habe die EU seit dem Jahr 2000 rund 750 Milliarden Euro an Agrarsubventionen ausgegeben, aber Geld für eine systematische Erfassung der Tiergesundheit sei nicht vorhanden. Doch erst wenn die Branche gezwungen werde, “das Ausmaß an Krankheiten und Quälereien” offenzulegen, werde sich die Situation in den Ställen verbessern. “Die Art und Weise, wie Schweine heute produziert werden, macht sie krank. Und zwar je nach Erkrankung 20, 40, 60, 90 Prozent der Schweine.”


Öko-Produkte bringen kaum etwas

Eine Sau bringt heute 29 Ferkel zur Welt - im Durchschnitt. “Spitzensäue” bis zu 32. Vor zwölf Jahren waren es noch 22 pro Jahr. Die Frischgeborenen würden entsprechend “oft gefährlich wenig Gewicht” mitbringen und seien “anfällig für Krankheiten”. Daten über die Krankheitsraten von Tieren liegen vor - spätestens in den Schlachthöfen Europas fallen sie an. Doch ein national einheitliches Monitoring der Tiergesundheit gebe es nicht, bemängelt der Autor. Dabei wäre es so wichtig, diese Daten auszuwerten. Und das am besten europaweit. Denn nur auf Landesebene ginge gar nichts.

Nun verweisen die Produzenten stets auf den Konsumenten, der ja in Wirklichkeit die Macht habe. Wolfschmidt hält dagegen, dass der Verbraucher durch Medienkampagnen wie die “Initiative Tierwohl” und andere Maßnahmen getäuscht werde: “Sie können nicht wissen, in welch fundamtentalem Ausmaß die Tiere den niedrigen Lebensmittelpreis mit Schmerz und Leiden bezahlen.” Der Glaube an die Wirksamkeit des individuellen Konsumverhaltens werde “leider überschätzt”. Der Trend zum Konsum von Öko-Produkten bringe zum Beispiel kaum etwas: Es gebe wenige Höfe mit guter Tierhaltung und viele mit schlechter, so die Kurzfassung. Eine Korrelation mit öko und nicht-öko sieht der Autor nicht.

Wolfschmidt zeigt nicht nur Missstände auf, er weist auch auf Optionen hin, wie das System zu retten sei. Teurer würden die Nahrungsmittel werden, rund 20 bis 40 Prozent. Und es könne gut und gerne 20 Jahre dauern, bis Tiere kaum noch leiden müssen. Der Autor antizipiert das Argument, dass Lebensmittel für alle bezahlbar bleiben sollen: “Wenn es Menschen gibt, die sich einen maßvollen Konsum tierischer Lebensmittel nicht mehr leisten, die Gesellschaft ihnen dies aber ermöglichen will, muss die Lösung dafür aus der Sozialpolitik kommen, nicht aus der Agrarpolitik.”

Das klingt einfacher als es ist, aber global betrachtet wäre weniger Fleischverzehr moralisch doppelt und dreifach sinnvoll: “Weniger Konsum tierischer Lebensmittel bedeutet, dass mehr Menschen satt werden können.” Ein nicht zuletzt juristisch heikler Punkt ist die Frage, ob die EU - wenn sie denn überhaupt wollte - ein Importverbot für Fleisch aussprechen könnte. Da dürfte dann ja die Welthandelsorganisation WTO ein gewichtiges Wort mitsprechen, denn die hält von solchen Vermarktungsverboten wenig. Der Autor erkennt das Problem an, geht aber davon aus, dass es gerichtlich lösbar ist.

Alles scheint offenbar lösbar, wenn Politik und Industrie nur nicht so sehr kollaborieren würden. In dieser übertriebenen Einfachheit liegt der Makel dieses Buches. Wolfschmidt lässt den Konsumenten, die ja zufällig auch die potenziellen Leser seines Buches sind, zu sehr aus der Verantwortung. Und auch unter den Landwirten gibt es nicht nur Engel. Aber mit dieser Vereinfachung kann man leben, wenn ein Buch wie dieses dazu beiträgt, eine hochnotwendige Diskussion loszutreten.

Wolfschmidt gibt zu, sich auf diese drei wesentlichen Nutztierarten beschränkt zu haben. Er hätte bei Puten, Ziegen, Enten, Gänse, Schafe weitermachen können.

KONTEXT

Lebensmittelverschwendung - was Staat und Co. tun sollten

Politisch eingreifen

Die weltweiten Verluste und die Verschwendung von Lebensmitteln müssen laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in den nächsten 15 Jahren um die Hälfte reduziert werden.

Gerade in Entwicklungsländern können die hohen Nachernteverluste durch eine bessere Infrastruktur, einen fairen Marktzugang von Kleinproduzenten, effektivere Wertschöpfungsketten, kollektive Vermarktungsstrategien und bessere Technologien vermindert werden. Aufklärungskampagnen für Bauern über Gründe für Lebensmittelverluste, Schulungen und Hygienetrainings können hier viel bewirken

Verantwortung der Unternehmen

Zum großen Teil verantwortlich für die immense Überproduktion und die Lebensmittelvernichtung sind einige wenige Agrar- und Chemiekonzerne, Banken und Börsenspekulanten. Nahrungsmittelspekulation, Landraub und der Export von Lebensmittelresten auf die Märkte von Entwicklungsländern gehören international geächtet und verboten.

Agrarsubventionen, die nicht einer nachhaltigen Landwirtschaft dienen, müssen abgeschafft werden.

Großflächiger Monokulturanbau darf nur noch unter strengen Umwelt- und Sozialauflagen erfolgen, ökologische Folgekosten müssen dabei eingerechnet und getragen werden.

Nahrungsmittelhersteller und Handel sollten gesetzlich verpflichtet werden, Ausschuss und Lebensmittelmüll regelmäßig zu melden und eine Steuer für die Verschwendung essbarer Lebensmittel zu zahlen, wenn sie diese nicht an karikative Organisationen verteilen.

Vernünftige Verbraucherangaben

Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) auf verpackten Lebensmitteln sorgt für Verwirrung in Haushalten und sorgt dafür, dass viele Produkte in den Mülleimer wandern, obwohl sie noch einwandfrei genießbar sind. Das es dabei nicht um die Haltbarkeit, sondern um eine Gütegarantie geht, sollte ein treffenderer Begriff gefunden werden.

Frische Produkte wie Obst oder Gemüse benötigen darüber hinaus gar kein MHD. Waren, bei denen das Datum in wenigen Tagen erreicht ist, sollten weiterverarbeitet, zu rabattierten Preisen verkauft oder an soziale Einrichtungen und Organisationen abgegeben werden.

Kühlkette aufrechterhalten

Um leicht verderbliche Lebensmittel auf ihrem oft langen Weg zum Verbraucher frisch zu halten, ist eine geschlossene Kühlkette erforderlich. 35 Prozent aller leicht verderblichen Lebensmittel landen weltweit wegen mangelhafter Kühlung auf dem Müll. Dieser Verlust ließe sich durch bessere Kommunikation der Akteure untereinander und optimiertes Schnittstellenmanagement stark verringern.

Die Einhaltung der Hygienevorschriften lässt sich aber nur schwer kontrollieren, was die Skandale der letzten Jahre um Gammelfleisch, Ekelkäse und Co. deutlichen machten.

Funkendes Gemüse

Mit Hilfe so genannter RFID-Label - auch Funketiketten genannt - soll künftig das Logistik- und Lagermanagement optimiert werden. Eventuelle Unterbrechungen in der Kühlkette werden registriert und das Produkt kann ggf. entsorgt werden. Zudem lassen sich Nahrungsmittel besser identifizieren und verfolgen.

Allerdings haben die RFID-Chips auch einige Nachteile, etwa in Sachen Datenschutz, weil Bewegungs- oder Konsumprofile von Personen erstellt werden können.

Gut verpacken

Verpackungen aus Plastik und Aluminium erhalten die Qualität von Lebensmitteln über einen längeren Zeitraum. Vor allem in Entwicklungsländern sind angepasste Verpackungstechnologien von Bedeutung, um die hohen Nachernteverluste zu reduzieren.

Verpackungen verursachen jedoch auch Ressourcenverbrauch, Abfall und Kosten - eine Herausforderung für die Verpackungsindustrie.

Mogelpackung Biokunststoff

Von wegen umweltfreundliche Plastiktüte: Die Herstellung von Biokunststoff steht in direkter Konkurrenz zur Nutzung der Agrarprodukte für die menschliche Ernährung. Viele dieser Kunststoffe, etwa aus Polymilchsäuren, sind nur in industriellen Anlagen kompostierbar und werden eher als "Störfaktor" beim Verrottungsprozess bewertet.

Im normalen Kunststoffrecycling sorgen biologisch abbaubare Kunststoffe sogar für eine schlechtere Qualität der recycelten Produkte. Laut Deutscher Umwelthilfe schneidet Bioplastik in der Ökobilanz nicht besser ab als Kunststoff aus Rohöl.

Überfluss sozial verteilen

Die mittlerweile 870 Tafeln in Deutschland sammeln qualitativ einwandfreie Lebensmittel, die sonst im Müll landen würden, und verteilen sie an sozial und wirtschaftlich Benachteiligte - kostenlos oder zu einem symbolischen Beitrag. Kantinen in Schulen, Betrieben und Krankenhäusern könnten dazu auffordern, sich bereits einen Tag vorher für ein Auswahlessen zu entscheiden, um besser planen zu können.

Einige Händler reduzieren hierzulande die Preise für Waren kurz vor dem Anlauf oder mit leichten Beschädigungen. Die meisten aber scheuen dies, weil sie befürchten, sich damit die Preise kaputt zu machen.

Diese und weitere Tipps finden Sie in dem Buch von Stefan Kreutzberger und Valentin Thurn "Die Essensvernichter. Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist" (Kiepenheuer & Witsch Verlag).