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Amazon droht nach Sperrung von Händler-Konten erneut Ärger mit dem Bundeskartellamt

Erstmals hat auch ein Gericht dem Plattformbetreiber im Streit mit einem Händler Missbrauch der Marktmacht vorgeworfen. Das alarmiert die Wettbewerbshüter.

Die Ansage des Landgerichts München an Amazon war deutlich. In einer einstweiligen Verfügung Mitte Januar ordnete es an, dass der Onlineriese ein gesperrtes Verkäuferkonto wieder öffnen und dem Verkäufer auch wieder Zugriff auf sein Guthaben gewähren muss. Ansonsten drohe ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro oder eine Ordnungshaft von sechs Monaten.

Brisant war die Begründung: Die Richter sprechen darin vom Missbrauch einer „marktbeherrschenden Stellung“. Amazon habe den Verkäufer „unbillig behindert“, die Kontensperrung sei nicht diskriminierungsfrei und von sachlichen Erwägungen getragen gewesen.

Das lässt das Bundeskartellamt aufhorchen, das erst vor Kurzem wegen der Sperrung von Händlern gegen den Plattformbetreiber Ermittlungen aufgenommen und diese nach Zugeständnissen von Amazon wieder eingestellt hatte.

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„Selbstverständlich beobachten wir die Situation auf dem Marktplatz und die Einhaltung der Zusagen von Amazon weiterhin sehr genau“, sagte Kartellamtspräsident Andreas Mundt dem Handelsblatt. „Sollten wir im Rahmen dieses Monitorings feststellen, dass es zu systematischen Verstößen kommt, haben wir die Möglichkeit, das Verfahren wieder aufzunehmen.“ Amazon droht damit neuer Ärger.

Der Plattformbetreiber gerät wegen seines wachsenden Marktanteils immer stärker in den Fokus der Wettbewerbsbehörden. Denn Amazon ist nicht nur Betreiber des Marktplatzes, sondern handelt auch selbst und ist damit direkter Wettbewerber der Händler auf seiner Plattform. Gerade deshalb ist es heikel, wenn Amazon die Konten dieser Händler sperrt, ohne das nachvollziehbar zu begründen.

Aktuell führt das Bundeskartellamt bereits zwei weitere Missbrauchsverfahren gegen Amazon. Zum einen untersucht es eine möglicherweise unzulässige Einflussnahme auf die Preissetzung der Händler durch Amazon.

Zum anderen geht es der Frage nach, ob Amazon seine Marktstellung in kartellrechtswidriger Weise ausnutzt, indem Markenherstellern die Möglichkeit eingeräumt wird, Händler vom Verkauf ihrer Produkte auf dem Amazon-Marktplatz auszuschließen, obwohl sie Amazon als Händler selbst beliefern. Darüber hinaus führt auch die Europäische Kommission aktuell ein Verfahren gegen Amazon, ebenfalls an der Schnittstelle zu den Marktplatz-Händlern.

„Signalwirkung für weitere Gerichtsverfahren“ möglich

In dieser Gemengelage kommt der Beschluss des Landgerichts München für Amazon erst recht ungelegen. „Das ist das erste Mal, dass sich ein Gericht bei seiner Entscheidung in einem Verfahren gegen eine Kontensperrung auf dem Amazon-Marketplace auf das Kartellrecht gestützt hat“, erklärt Jens Steger, Kartellrechtsexperte der Kanzlei Simmons & Simmons. „Das könnte eine Signalwirkung auch für weitere Gerichtsverfahren haben“, so Steger.

Im konkreten Fall hatte Amazon einem Händler in einer Mail geschrieben: „Unseren Informationen zufolge haben Sie eventuell Vergütungen für Kundenrezensionen angeboten.“ Damit warf Amazon dem Händler vor, gekaufte Produktbewertungen zu verwenden – ohne jedoch dafür Belege anzuführen. Einige Monate später wurde das Verkäuferkonto gesperrt, alle Angebote wurden von der Website gelöscht, und das Guthaben wurde eingefroren.

Auf Nachfrage bezeichnete ein Amazon-Sprecher die einstweilige Verfügung als „fehlerhaft“. Amazon werde energisch dafür kämpfen, die Entscheidung vor Gericht zu korrigieren. Dieser bestimmte Verkäufer habe in der Vergangenheit wiederholt versucht, Kundenrezensionen zu manipulieren. „Sein Konto war früher schon mal gesperrt worden, und in der Folge gab er zu, externe Unternehmen beauftragt zu haben, um manipulierte Bewertungen zu erhalten“, erklärt der Amazon-Sprecher.

Man habe dem Verkäufer damals jedoch eine weitere Chance geben wollen, weil er erklärt habe, Maßnahmen zu ergreifen, um Missbrauch zu stoppen. „Später haben wir jedoch festgestellt, dass er erneut an Bewertungsmanipulationen mit über 100 dokumentierten Versuchen beteiligt war“, so der Amazon-Sprecher weiter. Daraufhin sei das Konto erneut deaktiviert worden.

Das Gericht bemängelt jedoch, selbst wenn ein begründeter Verdacht bestehe, habe Amazon kein angemessenes Verfahren zur Anhörung des Verkäufers gewährleistet. Damit stehe die Deaktivierung einer anlass- und begründungslosen Sperrung gleich.

Genau wegen solcher Fälle hatte das Bundeskartellamt im November 2018 eine Ermittlung gegen Amazon gestartet. Immer wieder hatten sich Händler beschwert, ihre Konten seien ohne nachvollziehbare Begründung gesperrt worden. Der Fallbericht des Bundeskartellamtes sprach 2018 von 250.000 dauerhaft und 30.000 vorübergehend gesperrten Verkäufer-Accounts.

Erst nachdem Amazon zugesichert hatte, seine Geschäftsbedingungen für die Zusammenarbeit mit den Marktplatzhändlern zu ändern, stellte das Kartellamt im Juli 2019 diese Ermittlungen ein. Unter anderem wurde eine Informations- und Begründungspflicht eingeführt, wenn Verkäufern das Konto wegen angeblicher Rechtsverstöße gekündigt wird. Doch das Verfahren vor dem Landgericht München legt nahe, dass sich in der Praxis wenig geändert hat.

„Auch im vorliegenden Fall hat Amazon in den E-Mails, die der Kontosperrung vorausgegangen sind, keine substanziellen Hinweise gegeben, was dem Händler vorgeworfen wird“, berichtet Kartellrechtler Steger. „Deshalb hatte der Händler auch keine Möglichkeit, zu reagieren und so eine mögliche Kontosperrung abzuwenden.“

Das deckt sich mit den Erfahrungen zahlreicher anderer Händler. „Die Ermittlungen des Kartellamtes und die anschließende Vereinbarung mit Amazon haben im Grunde nichts bewirkt“, beobachtet Oliver Prothmann, Präsident des Bundesverbandes Onlinehandel (BVOH). „Die Händler spüren nicht, dass sich nach der Änderung der Geschäftsbedingungen für den Marketplace in der Praxis irgendetwas verändert hat.“ Amazon kommuniziere mit den Händlern immer noch schlecht bis gar nicht.

Das zeigt auch eine noch nicht veröffentlichte Umfrage des BVOH unter 500 Marketplace-Händlern zu ihren Erfahrungen mit Amazon. Bei der Frage „Als wie partnerschaftlich stufen Sie die Zusammenarbeit mit Amazon ein?“ gaben 61 Prozent den schlechtesten Wert an: „Von Partnerschaft keine Spur“. Amazon sieht das naturgemäß anders. „Kein Unternehmen kümmert sich mehr um kleine Verkäufer oder hat in den vergangenen zwanzig Jahren mehr für ihre Unterstützung getan als Amazon“, betont der Sprecher.

Kontensperrung kann Existenz des Händlers bedrohen

Das Heikle dabei: Viele Händler machen einen Großteil ihres Umsatzes über die Plattform von Amazon. Deshalb gefährdet es rasch ihre Existenz, wenn sie gesperrt werden. Der Händler im aktuellen Verfahren vor dem Landgericht München beispielsweise erzielt mit Nahrungsergänzungs- und Schönheitsmitteln einen Umsatz von mehr als 800.000 Euro pro Jahr über Amazon.

„Die Zusammenarbeit ist nicht partnerschaftlich, sondern eher inakzeptabel“, schimpft auch BVOH-Präsident und Onlinehändler Prothmann. „Amazon scheint die wirtschaftliche Brisanz, die die Sperrung von Konten für den betroffenen Händler hat, völlig egal zu sein“, sagt er.

Schon deshalb erwarten Experten jetzt, dass das Bundeskartellamt wieder tätig wird. Soweit ein Unternehmen marktbeherrschend ist, unterstehe es quasi automatisch einer dauerhaften Verhaltenskontrolle des Amtes, heißt es in Fachkreisen. Deshalb sagt auch Kartellrechtler Steger: „Meines Erachtens würde ein Aufgreifen des Verfahrens durch das Amt absolut Sinn ergeben.“ Das Unternehmen habe zwar seine Geschäftsbedingungen geändert, aber das tatsächliche Verhalten von Amazon sei offenbar immer noch das gleiche.

Und auch BVOH-Präsident Prothmann sagt: „Ich hoffe, dass Gerichtsentscheidungen wie jetzt des Münchener Landgerichts etwas bewegen und endlich Verbesserungen für die Marketplace-Händler bringen.“

Mehr: Heimliche Jagd auf Amazon-Händler: Neue Holding steckt 150 Millionen Euro in erste Einkaufstour.